ZUR ZENTRALINDISCHEN TOPONYMIE
DES MEGHADÜTA
Von A. Scharfe, Gent
(mit einer Übersichtskarte )
1. Kälidäsa erwähnt in seinem Meghadüta rund 30 geographische Namen.
Es beziehen sich 23 davon, also eine Mehrheit von zwei Dritteln, auf das Ge¬
biet von Zentralindien, das heutige Madhya Pradesh, und wieder die Hälfte
darunter, genau 11, auf das angebliche Heimatland des Dichters, das west-
mälavische Gebiet von Avanti. Die Mehrzahl dieser zentralindischen Topo-
nymen sind Flußnamen, in der Strophenfolge des Gedichts die Revä, die
Vetravati, die Naga- oder Vananadi, die Nirvindhyä, die Sindhu, die Siprä,
die Gandhavati, die Gambhirä und der Chambal-Fluß, umschrieben als die
Rantidevasya kirtih. Es werden weiter drei Städte genannt: Vidisä,
Ujjayini/Visälä und Dasapura und drei Landschaften: ksetrarn Mälam,
Dasärnäh und Avantin. Die übrigen Namen bezeichnen einzelne Höhe¬
punkte, namentlich Rämagiri, Valmika, Ämraküta, Citraküta, Nicairgiri
und Devagiri, und einen Gebirgszug, den Vindhya.
2. Inschriftlich bezeugt in zeitlich naheliegenden Urkunden, also aus der
Gupta und Väkätaka Periode, sind nur Daäapura (das heutige Mandasor),
die Revä und der Vindhya, sämtlich in einer Inschrift von YaSodharman
des Jahres 530 (Fleet, Gupta Inschr. No. 35), weiter Avanti in der Ajanta-
Inschrift des Varähadeva von ca. 500 PC, und vor allem Rämagiri in einer
Ritpur-Inschrift der Väkätaka-Fürstin Prabhävatiguptä von ca. 400. Diese
Prabhävatiguptä residierte im unweit von Rämtek befindlichen Nandivar-
dhana/Nagardhan, und die Inschrift bestätigt also, wie Mirashi (Väk. Inscr.
p. 35) gezeigt hat, die wichtige, schon von Colbbrooke/Wilson herrührende
Gleichsetzung von Rämagiri im Meghadüta mit dem heutigen Ort Rämtek.
3. Manche von den aufgezählten geographischen Namen des Meghadüta
sind ja bereits von H. H. Wilson in den Notes zu seinem Cloud Messenger
(1816) einleuchtend und treffend, wenn auch nicht immer beweissicher,
gedeutet worden. Ich nenne besonders Wilsons Identifizierung der Revä
mit der Narbadä, der Vetravati mit der Betwa, der Naganadl mit der Pär-
bati, der Rantidevasya kirtih mit dem Chambal, des eben genannten Räma¬
giri mit dem heutigen Rämtek (nach Colebrookb), des Ämraküta mit dem
Berggipfel Amarkantak, des i)aiärwa-Landes mit dem Gebiet des heutigen
Dhasän.
Or.-Tg.
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4. Späteren Forschern, wie den Indern Dey, Pathak und Garde und
dem Itahener Pullä, verdanken wir weitere wichtige Gleichsetzungen. Die
Oambhirä ist der heutige Gambhir-Fluß, die Nirvindhyä der Newaj (beides
Dey), die Sindhu ist der Käli Sindh (Pull^;), die Vanaimdi (wenn so zu lesen statt Naganadi) ist die Besh, und Nicairgiri nahe bei Vidiää/Beshnagar
mit seinen äilävesmabhih ist die heutige Anhöhe von Udayagiri mit ihren
Gupta-Felsbauten (beides Pathak) ; Devagiri schließlich zwischen Gambhi¬
rä und Chambal ist die Kuppe Deo Düngri mit annual fair zu Ehren von
Skanda (so Garde in Ann. Rep. Arch. Siuv. von 1925-1926).
5. Topographisch nicht oder ungenügend gedeutet sind nur geblieben:
das Flüßchen Gandhavati nahe bei Ujjayini (Str. 33), die Bergnamen
Valmika (Str. 15), Ämraküta (Str. 17) und Citraküta (Praksipta-Str. 18),
und der Landschaftsname Mäla (Str. 16). Hinsichtlich einer Möglichkeit
zur Erklärung dieser eben genannten Toponymen habe ich eine systemati¬
sche imd genaue Untersuchung durchgeführt der vom Survey of India be¬
arbeiteten One Inch Maps des betreffenden Gebietes. Diese Untersuchung
hat zu den folgenden Bemerkungen geleitet, die ich hier mitteile, auch wenn
es an sich fraghch bleibt, ob die endgültige Erklärung dieser alten Namen
in der heutigen Topographie des betreffenden Gebietes eine feste und hin¬
reichende Stütze hat.
6. Valmika heißt in der Str. 15 die Bergkuppe aus deren Spitze {valmikä-
grät) im Osten (purastät) ein Regenbogen emporsteigt, mit dessen Farben
die Wolke, nachdem sie aufwärts (udanmukhah) aufgestiegen ist, sich
schmücken, also nach Osten sich richten möge. Weder der Tatsama Valmika
noch die neuindischen Tadbhavas Bämi, Bärnb(h)i, Bärnbhni (nach Platts
und Turner) haben sich auf den Omi sheets der entsprechenden Serie 55 0
als Bergnamen feststellen lassen. Es befindet sich jedoch etwa 4 km östlich
von Ramtek ein Gipfel Nagar jun, ähnlich dem Nägärjuni Hill nordöstlich
von Gayä. Erklärt man diesen Namen als ,, Schlangenschimmer" oder
,, schlangenleuchtend" (näga und arjuna), mit Bezugnahme auf den bekann¬
ten Volksglauben der Edelstein tragenden Kobras, dann kann vielleicht
Valmika mit ihm gleichgesetzt werden. Das Wort bezeichnet ja einen
,, Ameisenhaufen, Termitenhügel" (so auch noch Sakuntalä 7.11.2) und
als solches einen Schlangcnaufenthalt : ,,sarpagarbharn valmikam" sagt
Vallabhadeva zur Stelle. Von seiten des Dichters eine poetische Spielerei
(oder ein Tabu?) wie umgekehrt Naganadi für die Pärvati/Pärbati.
7. Das Mäla in der Wortverbindung ksetram äruhya mälam von Str. 16c
ist bei Kähdäsa ein hapax und wird auf verschiedene Weise gedeutet.
Hultzsch und Paranjpe erklären es als ,, alluvial plateau, table-land",
Wilson und Stenzler und auch das PW fassen es auf als Namen einer Ge¬
gend. Wilson weist hin auf den Ortsnamen Malda nordöstlicli von Ratan-
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Zur zentralindischen Toponymie der Meghadüta 937
pur, PuLLi; dagegen in seinem Itinerario del Meghadüta bei Flechia's Über¬
setzung identifiziert es mit dem heutigen Mandia Distrikt auf Grund der
Übereinstimmung der geographischen Beschaffenheit. Dieser Ansicht
möchte ich mich anschließen, und zwar deswegen, weil sich in diesem Bezirk,
wie die Karte zeigt, eine Anhäufung von Mala- und Mäla-Toponymen findet
(Maldha, Maldhar, Malthär, Malpahri, Malwäthar u. a. m.) wie sonst nir¬
gends.
8. Insbesondere möchte ich Kälidäsas ksetram Mälam situieren im Ge¬
biete zwischen den beiden Flüssen Surpan und Banjär südlich der Stadt
Mandia: in jener an den Forstgegenden Malpathär (*Mala-prastära) tmd
Mäli Dädar angrenzenden und zur Höhenlinie 600 ansteigenden Gegend,
dem im Imperial Gazetteer als best cultivated beschriebenen Ha veli tract,
jener Gegend, die in der Mäla Nadi (einem Nebenfluß des Surpan) den
alten Namen der Landschaft bewahrt hat (gerade wie in den heutigen Flu߬
namen Vaidarbha, Besh, Dhasän, und angeblich (Sibcae) Avanti die alten
Namen von Vidarbha, Vidiää, DaSärna und Avanti behalten sind), in jener
Gegend auch, wo im Namen der Ortschaft Mälkheri eben die Wortverbin¬
dung ksetram Mälam fortlebt: ,,das Land der Mala" wie ksetrarn kauravam ,,das Land der Kuru" in der Str. 48b. Die Str. 16cd „ksetram äruhya mälarn kirncit paScäd vraja laghugatih bhüya evottarena" möchte ich demgemäß
folgenderweise übersetzen: ,, Nachdem du zum Gefilde Mäla's aufgestiegen
bist, wandere sodann {paScät, oder: vom Westen) wiederum (bhüya eva;
oder: weiter) fort, mit leichtem Gange, ein wenig (kirncit: also nicht ganz) in nördlicher Richtung (uttarena : mit polarer Stellung dieser beiden Wörter wie im Meghadüta öfters)."
9. Was schließlich die Gebirgsnamen Ämraküta und Citraküta betrifft,
ersteren identifiziert Wilson wie bekannt mit dem heutigen Amarkantak,
jedoch ohne Beweisführung, und letzteren hält er ebenfalls für einen Berg¬
gipfel in der Nähe, also verschieden vom Wallfahrtsorte Chitraküt in Bun¬
delkhand. Die Topographie der Gegend von Amarkantak, wie sie uns auf
der Omi Karte beschrieben wird, scheint Wilson recht zu geben. Das be¬
treffende Kartenblatt weist nämlich in unmittelbarer Nähe des Amarkantak die beiden Namenteile Ämra" und Citra" als Tadbhavas auf : diesen im heu¬
tigen Chita Pahär, (also [Platts p. 470a] = Citraküta), einer nordwesthch
hart am Amarkantak angrenzenden Bergkuppe, und jenen in der Ämä
Nadi, (also [Platts p. 79a] = Ämrä), einem Nebenfluß des Arpa am Fuß
des Amarkantak.
10. Dreierlei ist hierzu noch anzumerken. Gleichwie die im Vorhergehen¬
den erwähnten Newaj (Nirvindhyä), Dhasän (Daäärna), Rämtek (Räma¬
giri), Deo Düngri (Devagiri) u. a. m. sind auoh die eben genannten Ämä
Nadi und Chita Pahär ein weiteres Beispiel von der bekannten Bodenstän-
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digkeit von Fluß- und Gebirgsnamen. - Die Umwandlung des Namen¬
bestandteils Ämra" zum späteren Amara" wäre sakraler Art : eine Brahma-
nisierung, die um so leichter erfolgen konnte, als der lautliche Anlaß dazu
bereits im verbo ipso beschlossen lag, wie es aus Kälidäsas eigenem Wort¬
spiel in Str. 18ab hervorgeht: channopäntah känanämrais . . . acalah
. . . yäsyaty a??iarawiithunapreksaniyäm avasthäm ,, Gewiß wird der Berg,
an dem Saume beschattet von Waldmangos, . . . eine Beschaffenheit er¬
langen, würdig, von den Götterpaaren betrachtet zu werden" (Schütz). -
Dmch das Auffinden eines möglichen topographischen Äquivalents des
Citraküta wird auch das Problem der Echtheit oder Unechtheit der dies¬
bezüghchen Strophe 18/112 wiederum in Frage gestellt. In diesem Zusam¬
menhang möchte ich auf die treffende Bemerkung von Schütz (Meghadüta
Übers, zu Str. 17) hinweisen : daß die Wiederholung des Inhalts einer vorher¬
gehenden Strophe in der gleich folgenden Strophe vielleicht zum Wesen
des Kävya gehöre.
Teil der nächstens als Anhang zu einem ausführlicheren Aufsatz in den Milanges Fohalle (Lüttioh) erscheuienden (Jesamtkaxte
Die Manuskripte der folgenden Vorträge lagen bei Redaktionsschluß nicht vor, bzw. erscheinen an anderer SteUe.
ÜBER EIN FRAGMENT DES BUDDHISTISCHEN
SANSKRITKANONS AUS AFGHANISTAN IN WIEN
Von E. Steinkellneb, Wien
KÖNIG AJÄTAÖATRU UND SEINE NACHFOLGER
IN TÄRANÄTHAS RGYA GAR g'OS 'BYN
Von H. Uebach, MtiNCHSN
DER ADVAITA-VEDÄNTA BEI MANDANAMIÖRA
Von T. Vetter, Utrecht
EINE UNBEKANNTE MAHÄBHÄRATA-FASSUNG
AUS DER KUSÄNA-ZEIT
Von D. Schlingloff, Göttingek
B. LIEBICH, EIN VORLÄUFER SAUSSURES ?
Von M. Scheller, München
KRANICH UND REIHER IM SANSKRIT
Von P. Thieme, Tübingen