SEKTION XI: AFRIKANISTIK, INDONESISCHE-UND SÜDSEESPRACHEN
Sektionsleiter: Rolf Herzog, Freiburg
RENDRAS LYRIK ALS BEISPIEL ZEITGENÖSSISCHER
INDONESISCHER DICHTUNG
Von Rainer Carle, Hamburg
Unbestritten ist, daß wir wenig über die moderne indonesische Dichtung
wissen und unsere Kenntnisse mehr allgemein einführenden Publikationen
verdanken (l). Die sorgfältige Erarbeitung von Einzeluntersuchungen ist da¬
her zunächst unumgänglich, wenn man sich einen qualifizierten Eindruck von
der noch relativ jungen indonesischen Literatur verschaffen will.
Beispielhaft soll deshalb ein Anfang im Bereich der Lyrik gemacht werden,
da sie eine der auffälligsten Literaturgattungen im indonesischen Archipel ist.
Anders als in Deutschland spielt die Lyrik in Indonesien eine relativ bedeuten¬
dere Rolle; das bestätigt ein Blick nicht nur in die Literatur-Zeitschriften,
sondern auch in die Tageszeitungen und zeigt sich in den gut besuchten Dichter¬
lesungen.
Immer wieder taucht der Name eines Lyrikers auf, dessen Arbeiten weit¬
gehend Anerkennung und Wertschätzung gefunden haben, nämlich der von
Rendra (2).
Er ist der Kunstpreisträger 1975 der Akademi Jakarta , dem sachverständi¬
gen, ehrenamtlichen Gremium hervorragender Persönlichkeiten des indone-
sichen Kulturlebens. Teeuw nennt Rendra den bedeutendsten indonesischen
Schriftsteller der letzten Generation, der ihn besonders wegen seiner Gedichte
beeindruckt habe; er scheine eine Art natürliche Begabung zu haben, sei der
einzige der neuen Generation, der erfolgreich die indonesische Sprache wirk¬
lich poetisch handhabe, so daß sie transparent werde; er sei der einzige, der
es fertig bringe, den Leser mit den Funken seiner Inspiration zu entflammen (3).
Auch H.B. Jassin (4) teilt, wie andere, diese Auffassung. Der Bedeutung
dieses Lyrikers tragen Raffel, Aveling und May mit ihrer 1974 erschienenen
Publikation " Rendra, Ballads and Blues : Poems translated from Indonesian "(s)
Rechnung; sie repräsentiert mit 9 5 übersetzten Gedichten aus der Zeit von
1952 bis 1968 die Hälfte des bis 1972 erschienenen lyrischen Werkes von Ren¬
dra. Eine umfassende Untersuchung über diesen Autor ist bisher noch nicht
vorgelegt worden. Rendras Lyrik eignet sich in besonderer Weise zur Ver¬
mittlung eines Eindrucks von der zeitgenössischen indonesischen Lyrik.
Rendra wurde 1935 in Solo (Mitteljava) als Sohn eines javanischen Lehrers
und einer javanischen Tänzerin geboren; er wurde katholisch erzogen, kon¬
vertierte 1970 zum Islam und lebt seit vielen Jahren mit seiner vielköpfigen
Familie in Yogyakarta (Mitteljava) und in engem Kontakt mit den Schauspie¬
lern seines " Bengkel-Teater " , eines Werkstatt-Theaters. Dieser Gruppe wid¬
met sich Rendra in der traditionellen javanischen Art eines Mentors, der seine
Schüler nicht nur durch körperliches Training, schauspielerische und geistige
Übungen erzieht, sondern mit ihnen auch beispielhaft gesellschaftsdienliches
Verhalten demonstriert. Dem Theater gilt Rendras Hauptinteresse; ihm hat
er durch die Inszenierung eigener Stücke sowie durch Übersetzungen, Bear-
beitungen und Inszenierungen klassischer europäischer Dramen seit etwa zehn
Jahren eine Basis in Indonesien verschafft, auf der zahlreiche andere Gruppen
aufbauen.
Rendra, der ideologisch nicht eingeordnet werden will, sich aber als stets
aufgeklärter, kritischer Staatsbürger versteht, geriet wiederholt nicht nur
wegen seiner Theateraufführungen, sondern auch wegen einiger gesellschafts¬
kritischer Gedichte in Konflikte mit den Machthabern seines Landes, die auch
öffentlich ausgetragen wurden (6).
Bisher hat Rendra vier Gedichtsammlungen veröffentlicht: 19 57 Ballada
Orang-Orang Tercinta (Balladen Geliebter Menschen) (7) mit Gedichten aus
den Jahren 1953 bis 1956, 1961 4 Kumpulan Sa.iak (Vier Gedichtsammlungen ) (8)
mit Gedichten aus den Jahren 1952 bis 1960, 1971 Blues Untuk Bonnie (Blues
für Bonnie) (9), das Gedichte aus den Jahren 1964 bis 1968 enthält, die über¬
wiegend aus der Zeit eines Amerika-Aufenthaltes stammen, und schließlich
1972 Sa.iak-Sajak Sepatu Tua (Gedichte Alter Schuhe) (lO) mit Gedichten aus
den Jahren 1955 bis 1960. Zu diesen 159 Gedichten kommen noch 26 aus der
Zeit von 1949 bis 1975 dem Verfasser bis jetzt bekannt gewordene Gedichte,
die in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht wurden.
Durch eine möglichst umfassende Deskription und Analyse eines poetischen Tex¬
tes von Rendra sollen einige spezifische lyrische Erscheinungen erläutert werden,
die auch typisch für die zeitgenössische indonesische Lyrik sind. Ziel ist es, die
Auslotbarkeit eines lyrischen Kunstwerkes in der Bahasa Indonesia unter An¬
wendung der uns in Europa geläufigen Kriterien zu prüfen. Der zur Interpre¬
tation herangezogene Text wurde ausgewählt, weil er auf Grund seines Themas
eher repräsentativ für Rendras Lyrik und die zeitgenössische indonesische
Lyrik allgemein ist; die wenigen, mehr gesellschaftskritischen Gedichte bie¬
ten zudem kaum Schwierigkeiten des Verständnisses.
Die in Indonesien überwiegend angewandte Methode einer Werk-Interpreta¬
tion, deren Ziel die subjektiv interpretierende Auslegung eines lyrischen Tex¬
tes ist, wird einem dichterischen Kunstwerk nicht gerecht; sie führt lediglich
zum Nach- oder sogar Umdichten des Originals. Hier soll vielmehr durch
Form-Beschreibung bzw. Struktur-Analyse sowie Erläuterung von Gehalt und
Bildlichkeit deren Einklang im poetischen Text untersucht werden, um ihn da¬
mit erst transparent zu machen.
Bei dem zur Untersuchung herangezogenen Text handelt es sich um einen
1968 verfaßten "Liebesgesang" aus der Sammlung Blues Untuk Bonnie : " Nya - nyian Suto untuk Fatima " (Sutos Gesang für Fatima) und "Nyanyian Fatima untuk Suto " (Fatimas Gesang für Suto) (ll).
I Nyanyian Suto Untuk Fatima (l2)
1 Duapuluhtiga matahari
2 bangkit dari pundakmu.
3 Tubuhmu menguapkan bau tanah
4 dan menyalalah sukmaku.
5 Langit bagai kain tetoron yang biru
6 terpentang
7 berkilat dan berkilauan
8 menantang jendela kalbu yang berduka cita.
9 Rohku dan rohmu
10 bagaikan proton dan elektron
11 bergolak 12 bergolak
13 di bawah duapuluhtiga matahari.
14 Duapuluhtiga matahari
15 membakar dukacitaku.
I Sutos Gesang Für Fatima
1 Dreiundzwanzig Sonnen
2 steigen von deinen Schultern auf.
3 Dein Körper atmet Erdgeruch aus
4 und entflammt meine Seele.
5 Der Himmel, blauem Tetoronstoff gleich,
6 ist weit geöffnet,
7 glitzert und glänzt,
8 die Fenster des betrübten Herzens herausfordernd.
9 Meine Seele und deine Seele,
10 Proton und Elektron gleich,
11 brodeln, 12 brodeln
13 unter dreiundzwanzig Sonnen.
14 Dreiundzwanzig Sonnen
15 verbrennen meine Betrübnis.
II Nyanyian Fatima Untuk Suto
1 Kelambu ranjangku tersingkap
2 di bantal ber enda tergolek nasibku.
3 Apabila firmanmu terucap
4 masuklah kalbuku ke dalam kalbumu.
5 Sedusedan mengetuk tingkapku
6 dari bumi di bawah rumpun mawar.
7 Waktu lahir kau telanjang dan tak tahu
8 tapi hidup bukanlah tawar menawar.
II Fatimas Gesang für Suto
1 Das Moskitonetz meines Bettes ist geöffnet,
2 auf dem Spitzenkissen liegt mein Schicksal.
3 Wenn dein Wort ausgesprochen ist,
4 tritt mein Herz in dein Herz ein.
5 Geseufze klopft an mein Fenster
6 von der Erde unterm Rosenbusch.
7 Als du geboren wurdest, warst du nackt und unwissend,
8 aber Leben heißt nicht Feilschen.
Beide Gedichte oder Lieder sind, wie schon aus dem Titel ersichtlich ist,
als Einheit aufzufassen: Inhaltlich spiegeln sie die Vorfreude in Erwartung
der Liebesvereinigung aus der Sicht des Mannes und der Frau wider; sie sind
eine Art Höhepunkt und zyklischer Abschluß der vorausgehenden drei Gedichte,
die die Themen Sehnsucht nach der Partnerin und körperliche Liebe variieren.
Nun wird die harmonische Beziehung von Körper und Seele zwischen Mann
und Frau besungen. "Suto" und "Fatima" (13) sind lediglich Chiffren für Mann
und Frau. Obgleich das lyrische Ich und Du in beiden Gedichten auftauchen,
handelt es sich nicht um einen sich logisch abwickelnden Dialog, sondern bei¬
de Personen geben in diesem Wechselgesang ihrer Stimmung Ausdruck; trotz
verbindender respondierender Begriffe erscheinen sie doch auf sich bezogen
und ganz ihrer Rolle verhaftet.
Das drückt sich zunächst augenfällig in der formalen Anlage der Gedichte
aus. Das einstrophige Lied des Mannes ist von unregelmäßiger, unausgegliche¬
ner Silbenzahl seiner drei- bis vierzehnsilbigen Verse; es ist fast doppelt so
lang wie das zweistrophige, je vierzeilige Lied der Frau mit annähernd ausge¬
glichener Anordnung der neun- bis zwölfsilbigen Verse. Besonders die drei¬
silbigen Zeilen im Wechsel mit den längeren (1,6, 11,12) im Gedicht des Man¬
nes rhythmisieren den Text; Rhythmus hat hier assoziative Wirkung im Kon¬
trast zur ausgeglicheneren, ruhigeren Form des Frauenliedes: Er versinn¬
bildlicht die aktive Rolle des Mannes in seinen gebenden Bewegungen und die
mehr passive Rolle der empfangenden Frau.
Dieses wird durch die unterschiedliche Reimstruktur, die sich auch auf den
Rhythmus des Textes auswirkt, unterstützt: Während das Lied des Marmes
unregelmäßig reimt, zeigen beide Strophen des Frauenliedes den Kreuzreim
mit dominatem b (abab/bcbc), also auch vom Reim her betrachtet ein ge¬
ordnetes Schema (l4).
Ein Hinweis auf das javanische macapat -Versmaß scheint zunächst weit her¬
geholt: Das klassische tembang -Lied hat ganz bestimmte, unveränderbare
Schemata, die nach Prosodie, Reim und Verszahl unterschieden und im indo¬
nesischen Text so nicht mehr verwendet werden; die Anwendung der Schemata
richtet sich überwiegend nach dem Inhalt bzw. den verschiedenen dargestellten
Charakteren oder deren Gemütslage. Diese Erscheinung von formaler und in¬
haltlicher Interdependenz aber, die leider auch von Margaret Kartomi in ihrer
umfangreichen Untersuchung über " Macapat Songs in Central and West Java " (l5)
noch nicht zufriedenstellend analysiert wurde, klingt im indonesischen Text an:
Das Lied des Mannes könnte seiner Länge und unausgeglichenen Struktur nach
der Form danjanggula (l6) nachempfunden sein, das Lied der Frau erinnert
an die kürzeren, ausgeglicheneren Formen kinanti , asmarandana (l6) oder
gambuh (l7), die besonders im Bereich der Liebeslyrik verwendet werden.
Der Charakter des tembang dandanggula wird von Soesatyo Darnawi in sei¬
ner Untersuchung Pengantar Puisi Jawa (Einführung in die javanische Poesie)
unter anderem als "fein" bezeichnet; "im allgemeinen" wird es verwendet, "um
Lehren zu äußern und der Liebe Ausdruck zu geben". Das tembang kinanti
drückt "Freude, Zuneigung und Liebe" aus; "es eignet sich, um Lehren und
philosophische Gedanken darzulegen" und vermittelt "eine Atmosphäre von
Liebe und Liebestrunkenheit." Das tembang asmarandana wird bei "Liebes¬
erzählungen" sowie "Verführung und Liebesleid" verwendet, während die Form
des tembang gambuh "innigen, familiären Gefühlen" Ausdruck verleiht und zur
Äußerung "guter Ratschläge" gewählt wird (l8).
Der strukturelle Unterschied zwischen dem auch heute noch überall in Java
gesungenen tembang macapat -Lied und den vorliegenden nicht schematisierten,
gleichwohl intuitiv strukturierten Gedichten von Rendra ist weniger auffällig;
das liegt an dem überwiegenden unregelmäßigen Aufbau der festen Schemata
des tembang macapat . (l9)
Der Eindruck, daß hier vom tembang macapat inspirierte Texte vorliegen,
verstärkt sich besonders, wenn beide Gedichte gesungen werden wie z.B. in
einem der " mini-kata- " , d.h. "Mini-Wort"-Theaterimprovisationen von Ren¬
dra. Die Melodiegebung ist ganz im Einklang mit dem javanischen tembang .
Um der bisher noch niemals an Texten nachgewiesenen Feststellung, Rendras
Lyrik sei vom javanischen tembang beeinflußt, zusätzlich Gewicht zu verleihen,
sei ein Zitat aus einem von Rendra selbst in Englisch verfaßten Lebenslauf an¬
gefügt :
" My childhood was closely connected with people whose hobby was
singing Javanese folksongs and ballads, among whom were my
mother, uncle and grand-mother. I liked the songs and the ballads
very much and when I was 12 1 felt a great desire to write ballads
myself. 1 tried to write them in Indonesian, our national language .
and since then writing has been my hobby . "
(Yogya, 23.1.19 58)
Später, als "Dichter-Sänger" 1971 in einem Interview angesprochen, erklär¬
te Rendra:
"Die Kritiker sagten von meinen Gedichten: Oh! Ein neuer Stil! Das
erstaunte mich. Ich schreibe gewöhnlich das tembang . So heißen die
Lieder der javanischen Poesie. Aber ich schreibe das tembang auf
Indonesisch. Die Kritiker schreiben über den schnellen Wechsel der
Bildsprache in meinen Gedichten, aber die gibt es auch im tembang .
Ich habe mich von Klischees abgewandt, das nur ist der Unterschied.
Einer javanischen Tradition folge ich weiterhin.
Dichter-Sänger? Javainische Poesie wird gesungen, und ich habe im¬
mer das Gefühl, daß ich eher ein Lied schreibe als ein Gedicht mache."
(20)
Weitere Stilmittel, die auch die traditionellen lyrischen Formen Indonesiens
kennzeichnen, sind zu beobachten. Eine Vielzahl von Binnen- und Endreimen
ist auf die den austronesischen Sprachen eigentümliche Agglutinierung von For¬
mantien zurückzuführen. Es sind in erster Linie die Verbalpräfixe ber (1,7,
8,11,12/11,2) und ter- (1,6/11,1,2,3), die zum Teil in Häufung auftreten (I,
6,7,8,11,12/11,1,2,3), sowie die Possessivsuffixe der 1. und 2. Person Sin¬
gular -ku (1,4,9,15/11,1,2,4, 5) und -mu (1,2,3,9/11,3,4), die in den bei¬
den ersten Hälften der Gedichte konzentriert sind; diese reimen zusätzlich
mit Ausdrücken wie biru (1,5), kalbu (l,8/ll,4), kelambu (ll,l), waktu (11,7)
und tahu (11,7).
Es treten benachbarte lautliche Parallelismen in Erscheinung wie hari/dari
(1, 1,2), tanah/menyalalah (1,3,4), yang/terpentang/menantang (I, 5,6,8),
berkilat/berkilauan (1,7), proton/elektron (l,10), tersingkap/tingkapku (II,
1,5), berenda/apabila (11,2,3), masuk/mengetuk (II . 4. 5), mawar/tawar me ¬
nawar (11,6,8) und Waktu [.. . ] kau/tak tahu (11,7). Strukturelle Parallelismen
wie rohku dan rohmu/kalbuku ke dalam kalbumu (l,9/ll,4) und di bawah dua ¬
puluhtiga matahari/di bawah rumpun mawar (1,13/11,6), ferner benachbarte
Lautwiederholungen mit Vokalvariationen wie ranjangku/tersingkap (H, l),
sedusedan (11,5), mengetuk tingkap/ku (11,5), einfache Wortwiederholungen
wie bergolak (1, 11,12) und der refrainartig wiederholte Ausdruck duapuluhtiga
matahari (I, 1, 13,14) sind zu beobachten. Neben Alliterationen wie bergolak/
bergolak/ di bawah duapuluhtiga matahari (I, 11-13), kalbuku ke dalam kal¬
bumu (11,4"), dari bümi di bawah (II. 6) und telanjang dänlaktahu/tapi hidüp bukan ¬
lah tawar menawar (11,7,87 tragen alle diese Stilmittel zur Rhythmisierung
des Textes bei; sie verstärken den Eindruck der Musikalität, die dieser Spra-
che mit ihrem starken Anteil an Vokalen, häufigem Wechsel von Konsonanten
und Vokalen und ihrer Reimfülle eigentümlich ist.
Rendras meisterliche und originelle Beherrschung der Sprache zeigt sich
auch in der Anwendung weit auseinanderliegender respondierender Begriffe
wie tersingkap (geöffnet, 11, l), das sich mit tingkap/ku (Fenster, 11,5) reimt,
aber auch dem Ausdruck terpentang (weit geöffnet, 1,6) inhaltlich antwortet,
womit so Geschlossenheit und Verdichtung der Texte erreicht wird; ebenso
gelingt dieses mit bergolak (brodeln, 1,11,12) und tergolek (hinfallen, umge¬
stürzt, 11,2) auf Grund der lautlichen Ähnlichkeit.
Zusätzlich wird eine Verdichtung des Textes durch ein Geflecht inhaltlich
respondierender Begriffe und Vorstellungen sowohl innerhalb eines Gedichtes
als auch übergreifend auf das andere erreicht; es sind dieses der körperlich¬
seelische Bereich mit pundak ( Schulter ) /tubuh (Körper, 1,2,3) und sukma
(Seele) /roh (Seele) /kalbu (Herz, Gemüt) /dukacita ( Betrübnis ) /sedusedan
(Geseufze, 1,4,8,9,15/11,4,5), sowie der Naturbereich mit tanah (Erde)
und bumi (Erde, 1,3/11,6), matahari (Sonne) mit menyala/lah (entflammen)/
berkilat (blitzen, glitzern) /berkilauan (glänzen, funkeln)/membakar (ver¬
brennen, 1,1,4,7,13,14,15); die Verben menyala/lah und membakar mit ih-
ren Objekten sukmaku (meine Seele) und dukacitaku (meine Betrübnis) stel¬
len die Verbindung zum seelischen Bereich her; auf langit [• • •] terpentang
(weit geöffneter Himmel) bezieht sich kelambu [...] tersingkap (geöffnetes
Moskitonetz, 1,5,6/11,1) zurück; weiterrespondieren jendela (Fenster) und
tingkap (Fenster, Guckloch, I,8/II,5) sowie kain tetoron (Tetoronstoff) und
bantal berenda (Spitzenkissen. 1,5/11,2).
Rendras Sätze sind, wie in liedhaften Texten häufig, einfach konstruiert;
Sätze mit Subjektsstruktur herrschen vor, gelegentlich durch mit yang ange¬
gliederte Appositionen erweitert; häufiger reiht die kopulative Konjunktion
dan (und) Substantive aneinander, seltener verbindet sie zwei Sätze. Die Auf¬
merksamkeit wird ganz auf die Substantive und Verben gelenkt.
Die in der Form der Gedichte angelegte Charakterisierung von Mann und
Frau zeigt sich auch im Gebrauch der Verben und deutet sich schon mit dem
ersten Blick auf die Verbalpräfixe, besonders die ber- und pränasalierten
me- Formen einer- und die ter- Formen andererseits, an. Das Lied des Mannes
hat überwiegend Verben der aktiven, dynamischen Bewegung wie bangkit (auf¬
steigen, 1,2), menguapkan (verdampfen, 1,3), menyala (entflammen, 1,4),
menantang (herausfordern, 1,8), bergolak (brodeln, 1,11,12), membakar
(verbrennen, 1,15) und auch berkilat (blitzen, glitzern, 1,7) sowie berki¬
lauan (glänzen, funkeln, 1,7). Das Lied der Frau weist dagegen in der ersten
Strophe Verben auf, die einen Zustand bezeichnen und Passivität assoziieren
wie tersingkap (geöffnet sein, H, l), tergolek (hingefallen, umgestürzt sein,
liegen, 11,2), terucap (ausgesprochen, 11,3), oder die eine Bewegung kenn¬
zeichnen, die von außen kommt wie mengetuk (anklopfen, 11,5).
Es kann festgehalten werden, daß die Rollen von Mann und Frau in ihrer
Beziehung zueinander durch die formal-kompositorische Anlage beider Ge¬
dichte bereits charakterisiert sind, nämlich durch Rhythmus, Reimstruktur,
Verbwahl und einem Geflecht respondierender Begriffe. Der Mann ist aktiv
und ergreift die Initiative, angezogen von der Frau, die ihn ganz in sich ru¬
hend und verhalten empfängt.
Inhaltlich, auch im Bereich der Bildlichkeit des Textes, läßt sich dieses wei-
ter verfolgen: Die Seelen beider werden mit einem Proton und einem Elektron
verglichen, die "brodeln" (1,9-12) wie z.B. in einem Wasserstoff atom, dessen
negativ geladenes Elektron der Atomhülle sich im anziehenden elektrischen
Feld des positiven Protons bewegt (21). Suto bewegt sich im Anziehungsbereich
Fatimas. Sie ist die Inaktive, die nur auf Grund ihrer körperlichen Anziehungs¬
kraft (1,1-3) die Seele, d.h. das Verlangen des Mannes entflammt (1,4) und
in Schicksalsergebenheit (11,2) erst die Willenserklärung des Mannes abwar¬
tend (11,3) sich zur Vereinigung bereit hält (11,4). Diese Bereitschaft symbo¬
lisiert das geöffnete Moskitonetz über dem Bett (II,l), das in Analogie zum
geöffneten Himmel steht (1,5,6) und in dieser Anspielung Größe und Bedeu¬
tung des Geschehens versinnbildlicht.
Die Herausforderung, d.h. die Blendung, aber auch die Aufheiterung der be¬
trübten Augen - nichts anderes sind die Fenster des Herzens (1,8) - bewir¬
ken nicht allein der strahlend blaue, verheißungsvoll geöffnete Himmel (1,5-8),
sondern die dreiundzwanzig Sonnen (1,1,14, 15); sie sind eine Metapher für die
in der Normalsprache nicht mehr ausdrückbare ungeheure Wirkung der Begeg¬
nung Sutos mit Fatima (22). Das außerordentliche Geschehen wird durch ein
ungewöhnliches Bild der imaginativen Ebene symbolisiert, dessen Symbolis¬
mus in diesem Fall allerdings ohne Schwierigkeiten zu entschlüsseln ist (23):
Die in vielen Kulturen und Religionen vorhandene Zahlen-Symbolik ist auch in
Indonesien bekannt.
Die 23, der "Königliche Stern des Löwen", verheißt u.a. Erfolg und ist eine
besondere Glückszahl für zukünftige Ereignisse und Unternehmungen (24). Ihre
Quersumme ist fünf, eine magische Zahl, der als "guter" Edelstein der Dia¬
mant und alles, was glitzert und schimmert, zugeordnet ist (vgl. berkilat ,
berkilauan , 1,7). Die Fünf harmoniert mit allen anderen Zahlen, da sie in
der Zahlenreihe genau die Mitte zwischen den Grundzahlen ist; sie gilt als eine
vollkommene Zahl, denn sie entspricht der Anzahl der Finger einer Hand und
kann diese selbst bedeuten; sie ist die Glückszahl der Chinesen und Java¬
ner (25); sie bezeichnet z.B. die Einheit der fünf Sinne und die fünf Säulen
der Frömmigkeit im Islam, die der amulettwertigen Hand der Fatima, Mu¬
hammads Tochter, entsprechen; schließlich sind fünf Grundsätze der " Pan¬
casila " Basis der indonesischen Staatsphilosophie.
Die im Gedicht vorgenommene Aufteilung der Zahl fünf in zwei und drei
ist nicht nur aus prosodisch-rhythmischen Gründen vorgenommen worden, son¬
dern weil sich in zwei und drei Dualismus und Trinität widerspiegeln. Das dua¬
listische Prinzip zieht sich durch beide Gedichte: Es sind Mann und Frau, de¬
ren Seelen ( rohku dan rohmu , 1,9) wie Proton und Elektron (1, 10) in Bewe¬
gung geraten sind, deren Herzen ( kalbuku ke dalam kalbumu . 11,4) sich ver¬
einigen werden; Körper und Seele (1,2,3,4,9/11,4), Sonne und Erde (1,1,3,
13, 14/11,6), Proton und Elektron sind dualistische Einheiten, die analog zur
Einheit von Makro- und Mikrokosmos den Einklang zwischen Mann und Frau
versinnbildlichen; hinter dem vordergründigen, für Suto und Fatima einmali¬
gen, besonderen Geschehen, läßt der Dichter zugleich hintergründig eine ande¬
re Dimension assoziativ sichtbar werden; es ist die höhere Ordnung der Na¬
tur, unter die sich der Mensch gestellt sieht. Die Trinität, das heilige Prinzip,
das auf die Grundform der Familie mit Vater, Mutter und Kind zurückgeht, ist
nur in den letzten beiden Zeilen des Frauenliedes zu erahnen: Die Frau ist
sich ihrer besonderen Rolle als zukünftige Mutter bewußt; ihre mit großem
Ernst vorgetragene Einsicht, daß das Leben nicht paradiesisch-unschuldig,
wie das eines Säuglings (11,7), bleibt, und das Schicksal (11,2) ihr und allen
Menschen keine Wahl läßt ( bukanlah tawar menawar . 11,8), erklärt das Schluch¬
zen (11,5), das vom Erdboden her (11,6) ihr Gemüt rührt; tingkap (Fenster,
11,5) ist wie jendela kalbu (Fenster des Gemüts, 1,8) bei Rendra Ausdruck für
den seelischen Bereich, der sich hinter ihren Fenstern, den Augen, befindet
und in ihnen widerspiegelt (26); "Erde" ist Metapher für Frau oder Mutter als
Lebensspenderin, die sich unter dem Rosenbusch, d.h. bei Rendra unter der
schicksalhaften Bestimmung der Natur, die ihr als Liebespartnerin des Mannes
und Mutter ihrer Kinder auferlegt ist (11,3), gestellt sieht.
"Erde" ist bei Rendra auch Metapher für das im fortwährenden Wechsel der
Generationen konstant erhaltene geistige und materielle Erbgut der Menschen
wie er es in dem Gedicht " Gugur " (Fallen, 1958) einen sterbenden alten Mann
zu seinen Kindern sagen läßt:
"Wer der Erde entstammt / fällt auf sie wieder nieder [•••]• Unsere
Erde ist Seele von Seele, / sie ist Erde der Vorfahren, / sie ist jetzt
geerbte Erde, / sie ist Erde, die geerbt werden wird [•••]• Eines
späteren Tages / wird einer meiner Enkel / den Pflug in die Erde
senken, / wo ich begraben liege, / dann wird er Saatgut pflanzen, /
und es wird gedeihen, / under wird ausrufen: / - Wie gut beschaffen
das Land hier doch ist! "(27)
Der Topos Rose ist auch bei Rendra ein Symbol für Liebe, die assoziierte
Farbe rot ist eine Chiffre für Sexualität und Vitalität.
Das in Rendras Aufsatz "Simbolisme Sultan Hamengku Buwono 1" (28) er¬
läuterte Phänomen der assoziativen Verdichtung von Sachverhalten im Wort-
und Klangsymbol, deren Erfassung nur auf Grund der den Javanern ursprüng¬
lich eigentümlichen Empfindsamkeit gelinge, ist, wie die Assoziationstechnik
überhaupt, auch ein dominantes poetisches Mittel von Rendras Lyrik. In die¬
sem Bereich aber sind nicht mehr alle Erscheinungen, ganz im Sinne Rendras,
objektiv erschließbar und hängen von den verschiedenen Antennen, d.h. der
unterschiedlichen Vorstellungskraft der Assoziationsempfänger, also der Le¬
ser oder Zuhörer, ab. Einem Wort wie etwa bergolak (brodeln, sieden, un¬
ruhig, 1, 11,12) mag vielleicht onomatopoetische Wirkung zuerkannt werden,
ebenso sedusedan (Schluchzen. Geseufze, 11,5); das auf die assoziationsbe¬
reiten Sinne des Lesers oder Zuhörers gerichtete Zusammenwirken des un¬
vorstellbar hellen Lichtes der 23 Sonnen mit Geruch und Farben im Einklang
mit Rhythmus und Bewegung, die durch Inhalt und Klang der Wörter sowie die
Silbenabstufung der Verszeilen verursacht werden, also die Erfassung der
Atmosphäre dieses elementaren, von Suto total Besitz ergreifenden Vorganges,
mag sich nicht jedem erschließen.
Die Wahl des Wortes firman in: "Apabila firmanmu terucap / masuklah kal ¬
buku ke dalam kalbumu " (11,3) fordert dagegen eindeutig zur weiterführenden Auslegung auf, denn es assoziiert "Gottes Wort, Gottes Befehl", weil das
arabische Lehnwort firman ursprünglich und auch heute noch überwiegend im
Zusammenhang mit Gott, später auch mit dem König verwendet wird. "Maka
firman Allah: [••.]" (Und Gottes Wort war: [•••]) heißt eine Standardformel
in der Bibel, die bereits im 1. Buch Mose, 1. Kapitel, Vers 3 auftaucht. So¬
mit ist es gerechtfertigt, die Absicht des Dichters dahingehend auszulegen,
daß durch die Wahl des Wortes firman mit seiner assoziativen Bedeutungser¬
weiterung nicht nur der Mann als Beherrscher der Frau erscheint, dem sie
sich unterordnet, sondern daß das Geschehen im Einklang mit der göttlichen
Ordnung gesehen wird.
Es ist ein elementarer Vorgang, schicksalhaft und vom Schöpfer so gewollt
(11,2,3), naturgebunden und im Einklang mit der Natur (Sonne, Erde, Him¬
mel, Elementarteilchen, Pflanzen, 1,1, 3, 5,10,13,14/11,6 ) und damit ganz im
Sinne der javanischen Weltanschauung, wie sie von Rendra erläutert wird:
Das Leben der Javaner "stammt von Gott und muß letztlich so gut ge¬
führt werden, daß diese später wieder zu Gott zurückkehren können.
Deswegen muß das Leben mit Gottes Wunsch in Übereinstimmung ge¬
bracht werden: D.h. die Lebensweise ist total im Einklang mit der
Umwelt. Im Leben des Menschen dürfen die Sinne, das Gemüt und die
Gedanken nicht schlafen, sondern müssen den Körper immer begleiten,
in totaler Weise auf die Geschehnisse im Raum und in der Zeit ihres
Lebens antworten. Nur in der Empfindsamkeit solchem Inhalt und
solcher Zeit gegenüber können sich die Menschen Gott, dem verehrten
Schöpfer alles dessen, nahe fühlen." (29)
In seiner Liebe zur Natur, der Schöpfer Gottes, dem " Kang Murbeng Alam "
(Der die Natur Beherrschende), äußert der Mensch seine Liebe zum Schöpfer
selbst und lebt harmonisch im Einklang mit sich und seiner Umwelt.
Ein dominantes Merkmal nicht nur von Rendras Arbeiten, sondern auch der
lyrischen Arbeiten von anderen indonesischen Autoren wird verständlich: Die
naturverbundene Bildlichkeit ihrer Lyrik, die letztlich ihre Wurzeln in dieser
traditionellen Denkweise hat, wie Rendra sie auch in seinem Aufsatz "Latihan
Sultan Hamengku Buwono 1 Di Masa Remaja " (30), am Beispiel der "Übungen
Sultan Hamengku Buwonos I. in der Jugendzeit" also, erläutert. Was Rendra von
Hamengku Buwono I. oder Raden Mas Sujono, wie der Sultan in seiner Jugend¬
zeit hieß, sagt, ist auch sein Credo, was indirekt an seiner Klage über den
Verlust der Tradition der "umfassenden Übungen" ( latihan totalitas ) in der
"dummen und eingebildeten neujavanischen Kultur" (31) abzulesen ist:
"Sollte angenommen werden, daß die Haltung Raden Mas Sujonos der
Natur gegenüber nur romantischer Art sei, die die Stadt als böse und
die Natur als rein empfindet, so kann ich diese Verbindung nicht se¬
hen. Meiner Interpretation nach empfindet Raden Mas Sujono die Na¬
tur keineswegs als rein, sondern sie wird als Beispiel seiner selbst
genommen, in der er die Lage seines Selbst im Leben überdenkt. Da¬
neben glaubt er auch, daß man sich Gott nähern kann, indem man sich
allen seinen Schöpfungen auf dieser Erde nähert" (32).
Der Weg dahin führt bei Rendra über die Meditation, deren Methode und Wir¬
kung er eindrucksvoll in dem 1975 veröffentlichten Gedicht Anuning Ning
( 1974) (33) beschreibt.
Zusammenfassend kann folgendes festgestellt werden:
1. Die Darstellung des mehr vordergründigen Geschehens der persönlichen
Begegnung zweier sich Liebender läßt auf Grund der assoziativen Wirkung der
Sprache hintergründig das Grundsätzliche der Begegnung von Mann und Frau
erkennen: Die Erfüllung ihrer Bestimmung im Kreislauf des Lebens, das dar¬
aus resultierende Glücksgefühl im Gesang des Mannes, aber zugleich den Ernst,
der diesem Vorgang innewohnt, im Gesang der Frau.
Die in der indonesischen Lyrik allgemein stark ausgeprägte Neigung, mensch¬
liche Gemütsregungen und Vorgänge in Naturbildern widerzuspiegeln (34), de¬
monstriert die enge Verbindung von Mensch und Natur, dem Werk des Schöp¬
fers, und suggeriert in diesem Fall, daß sich der Mensch im Gleichgewicht
mit sich und seinem Schöpfer befindet.
2. Die Präsentation dieses Gedankens erfolgt in einer dem Inhalt adäquaten
Form; sie trägt zur Interpretation der Gedichte bei; die formale Strukturie¬
rung der Texte wirkt nicht konstruiert, sondern scheint ganz intuitiv entstan¬
den zu sein und unterstreicht zusammen mit der Sprache Rendras die Musika¬
lität dieser liedhaften Gedichte. Die Aufmerksamkeit des Poeten gilt nicht
mehr, wie z.B. beim klassischen tembang macapat , der Einhaltung formaler
Gesetze und der Anwendung sprachartistischer Erscheinungen, der Form als
Selbstzweck also, sondern sie gilt vielmehr dem Gehalt eines sprachlichen
Kunstwerkes.
3. Einige Elemente, die auch Inder zeitgenössischen indonesischen Lyrik
allgemein stark vertreten sind, erinnern an Erscheinungen der europäischen
Romatik. Es sind die enge Beziehung zwischen Lyrik und Musik, die einfache
und musikalische Sprache sowie die frei gestaltete, jedoch der Tradition der
Volksdichtung verpflichtete Form; es ist die Motivwahl, die das lyrische Ich
mit seinen Gefühlen und Erlebnissen in den Vordergrund stellt, und schlie߬
lich die Bevorzugung der Natursymbolik.
Weitere Elemente lassen sich im lyrischen Gesamtwerk nachweisen und
durch essayistische und theoretische Schriften Rendras (35) und die zuletzt
veröffentlichten drei Gedichte, Anuning Ning, Rakyat Adaiah Sumber Ilmu
(Das Volk ist die Quelle der Wissenschaften, 1975) (36) und Seonggok Jagung
Di Kamar (Ein Stapel Mais im Zimmer, 1975) (37) bekräftigen. Aber in ihnen
zeigt sich zugleich besonders deutlich, was Rendra aus der Gruppe der indo¬
nesischen Poeten der Gegenwart heraushebt, nämlich der Versuch einer Er¬
neuerung und lehrhaften Formulierung eines Lebens- und Gesellschaftsideals,
das in der javanischen Philosophie wurzelt (38).
Eine umfassende Untersuchung zum Thema der "indonesischen Romantik",
ihren traditionellen Wurzeln und ihrer heutigen Ausprägung in den lyrischen
Arbeiten zahlreicher anderer Autoren wie z.B. von Toto Sudarto Bachtiar,
Subagio Sastrowardojo, Ajip Rosidi, Goenawan Mohamad, Taufiq Ismail, Sa-
pardi Djoko Damono, Abdul Hadi W.M. oder Hartojo Andangdjaja wird zum
Verständnis der indonesischen Kunstauffassung und des indonesischen Welt¬
bildes, wie es sich in der Literatur niederschlägt, einen wertvollen Beitrag
leisten können (39).
Anmerkungen
1. Vgl. A. Teeuw, Modern Indonesian Literature , The Hague 1967; B. Raffel,
The Development of Modern Indonesian Poetry , New York 1967; A.H. Johns,
"Genesis of a Modern Literature ", in; R.Mc.Vey (Hrsg.), Indonesia, New
Haven 1963, S. 410-437.
2. Seine Vornamen Willibrordus Surendra hat Rendra abgelegt.
3. A. Teeuw, op.cit., S. 232 ff.
4. Laut Äußerung dem Verfasser gegenüber.
5. Rendra. Ballads and Blues; Poems translated from Indonesian ; translated
by Burton Raffel, Harry Aveling and Derwent May, with a preface by A.H.
Johns, Kuala Lumpur, London, New York, Melbourne 1974.
6. Hierbei handelt es sich um drei Gedichte aus der Sammlung Blues Untuk
Bonnie . Bandung 1971, die bei Dichterlesungen 1974 nicht vorgetragen
werden durften, obwohl ihre Publikation nicht verboten ist: Kesaksian tahun
1967 (Zeuge des Jahres 1967), Bersatulah pelacur-pelacur kota Jakarta
(Prostituierte Jakartas, vereinigt euch! ), Pesan pencopet kepada pacarnya
(Bitte des Taschendiebes an sein Mädchen).
7. Jakarta 1971 (2. Auflage).
8. Jakarta 1961.
9. op.cit.
10. Jakarta 1972.
11. op.cit. , S. lOf. j auch in Basis XVIII, Nop. 1968, in Dian Bilangan 32,
Th. IX, 1970 und in Pelopor-Yogya , 26. April 1970 veröffentlicht.
12. Die Numerierung der Verszeilen bezeiht sich auf Zitate im nachfolgenden
Text. Vgl. auch die abweichende Ubersetzung von Aveling in; Raffel, Ave¬
ling, May op.cit., S. 190 f.
13. "Suto" ist ein javanischer Name mit der ursprünglichen Bedeutung "Sohn, Kind" und im Ausdruck " si Suta lan si Naya " (Suta und Naya) zum festen
Typus im Sinne des indonesischen Ausdruckes " si Polan " (der/die N.N. )
geworden. Der Name "Fatima" assoziiert laut Rendra "Weiblichkeit".
14. Diese Tatsache besteht auch dann, wenn man die Strophen anhand der in¬
donesischen bzw. javanischen Reimauffassung prüft: Dabei ist nicht der
Gleichklang mindestens zweier Wörter vom letzten betonten Vokal an beim
Endreim maßgebend, sondern die Ubereinstimmung des jeweils letzten
Vokals allein; vgl. z.B. den Assonanzreim des javanischen tembang .
15. Canberra 1973.
16. (jandanggula ; 10 Zeilen, Silbenzahl und Reimendung; 10-i, 10-a, 8-e/o,
7-u, 9-i, 7-a, 6-u, 8-a, 12-i, 7-a;
kinanti : 6 Zeilen, 8-u, 8-i, 8-a, 8-i, 8-a, 8-i;
kinanti jugag ; 4 Zeilen, 8-u, 8-a, 8-a, 8-a;
asmarandana: 7 Zeilen, 8-i, 8-a, 8-e/o, 8-a, 7-a, 8-u, 8-a; zum
tembang macapat siehe M. Kartomi, op.cit., S. 41.
17. gambuh ; 5 Zeilen, 7-u, 10-u, 12-i, 8-u, 8-o; zu diesem tembang ten -
gahan siehe Soesatyo Darnawi, Pengantar Puisi Djawa , Jakarta 1964, S. 27.
18. Soesatya Darnawi, op.cit., S. 37 f.
19. Vgl. Kartomis Ubersicht von zehn tembang macapat -Liedern. op.cit. S.
41 und 49.
20. "De critici zeiden van mijn gedichten; Oeh! Een nieuwe stijl! Dat ver-
baasde me. Ik schreef gewoon de tembang. Zo heten de liederen van de
Javaanse poezie. Alleen schreef ik de tembang in het Indonesisch. De
critici schreven over de snelle wisseling van beeldspraak in mijn ge¬
dichten, maar die is er ook in de tembang. Ik heb een afkeer van cliche' s .
dat is het enige. Vorder volg ik een Javaanse traditie. Dichter-zanger ?
Javaanse poezie wordt gezongen en ik heb altijd het gevoel dat ik een lied
schrijf als ik een gedieht maak. " in Avenue (Amsterdam), Nr. 10, Okto¬
ber 1971, S. 96-101.
21. Es handelt sich physikalisch um Bewegungsabläufe mit nicht klar definier¬
ter Position der Teilchen, und zwar um eine unstete Wellenerscheinung, die
Rendra mit dem Wort für "brodeln, sieden, unruhig sein" wiedergegeben hat.
22. Vgl. die Gedichte Serenada Hitam (Schwarze Serenade); " Di sini kita
kawin. / Di sini kita berpelukan. / Di bawah mentari . / Di bawah langit
siang [...3 Mentari adaiah hakim percintaan [ • • • ] " (Hier heiraten wir. /
Hier umarmen wir uns. / Unter der Sonne. / Ünter dem Morgenhimmel
. Die Sonne ist der Richter der Liebe [•••]) sowie Wajah Dunia Yang
Pertama (Der Welt erstes Gesicht):" Kedua mempelai yang rema.ja itu /
telah menempuh jalan yang jauh ./ Melalui subuh penuh khayalan / dengan
langit penuh harapan [...]" (Die beiden jungen Brautleute / gingen einenwei¬
ten Weg/durch die Morgendämmerung voller Phantasie/mit einem Himmel
voller Hoffnung ...]). In: 4 Kumpulan Sajak , op.cit., S. 17 ff. bzw. S.
33 f.
23. Rendra tritt dafür ein, den Symbolismus in Gedichten durch "Erfahren,
Erfühlen und Intuition" zu erschließen. So sei z.B. der Baum namens
" kemuning " in der javanischen Sprache auf Grund der lautlichen Assozia¬
tion mit keheningan über die Stufen ngemu-ning zu mengandung ning und
schließlich zu mengadung keheningan dan kebeningan (Reinheit und Klar¬
heit enthalten) zum Symbol für Reinheit im Bereich des kraton von Sultan
Hamengku Buwono I. geworden; das sei also nicht auf sachlich-logische
Erkenntnis zurückzuführen, sondern werde nur in einer bestimmten Si¬
tuation, nämlich auf dem Weg des Sultans zur Audienzhalle als Ergebnis
der den Javanern eigentümlichen Empfindsamkeit ( perasaan halus ) er¬
fühlt. (W.S. Rendra, " Simbolisme Sultan Hamengku Buwono 1", in:
Basis XXI-10, Juli 1972, S. 316 - 320, 324.
24. Siehe "Cheiro", Cheiro's Book of Numbers , London, o.J., auf das sich
Rendra dem Verfasser gegenüber berufen hat.
25. Vgl. das javanische Zeitrechnungssystem des petangan , das des Menschen
Handeln in Zeit und Raum bestimmt und eine Reihe von Klassifizierungen
kennt, die überwiegend aus jeweils fünf Einheiten bestehen. Siehe O. Noto-
hamidjojo, " Attitude Dalam Pembangunan " (Geisteshaltung im [nationalen]
Aufbau), in: Basis XXllI-10, Juli 1974, S. 290-303.
26. Vgl.: "[... J pancaindra itu menjadi jendela bagi batin untuk menangkap
kejadian di dunia luar ." (Die fünf Sinne sind die Fenster für das Innen¬
leben, .um das Geschehen in der Außenwelt zu erfassen. ), W.S. Rendra,
"Simbolisme Sultan Hamengku Buwono 1" , op.cit., S. 317.
27. " ' Yang berasal dari tanah / kembali rebah pada tanah [• • •] • Bumi kita
adaiah jiwa dari jiwa. / Ia adaiah bumi nenek moyang. / Ia adaiah bumi
waris yang sekarang. / Ia adaiah bumi waris yang akan datang [ • • • ] Nan ¬
ti sekali waktu / seorang cucuku / akan menancapkan bajak / di bumi
tempatku berkubur / kemudian akan ditanamnya benih / dan tumbuh dengan
subur. / Maka iapun akan berkata: - Alangkah gemburnya tanah di sini! "
(in: 4 Kumpulan Sajak . op. cit. , S. 75 ff. ).
28. op.cit.
29. " Bahwa hidup mereka [= orang Jawa] berasal dari Tuhan, dan bahw a a-
khi rnya harus dibimbing dengan baik agar nanti juga pulang ke Tuhan. Oleh
karena itu perlu hidup diselaraskan dengan kehendak Tuhan: ialah cara
hidup secara total solider dengan lingkungan. Dalam hidup manusia, pan ¬
caindra. hati dan pikiran. tidak boleh tidur. Melainkan harus selalu me -
nemani sang badan, dalam totalitas, menanggapi kejadian-kejadian dalam
ruang dan waktu hidupnya. Hanya dengan kepekaan pada isi dan waktu seru -
pa itu. maka manusita bisa merasakan dekat dengan Tuhan, sang pencipta
dari semuanya itu ." (" Simbolisme Sultan Hamengku Buwono I" . op.cit.
S. 320).
30. In: Basis XXI-1, Oktober 1971, S. 28-32.
31. W.S. Rendra, " Simbolisme Sultan Hamengku Buwono 1", op.cit., S. 320.
32. " Apabila orang mengira bahwa sikapnya pada alam itu didorong oleh
romantisme yang menganggap kota itu jahat dan alam itu suci. saya tidak
bisa melihat hubungannya. Menurut interpretasi saya. Raden Mas Su.iono
bukannya menganggap alam itu suci, tetapi alam dianggap sebagai perum -
pamaan bagi dirinya di dalam ia merenungkan kedudukan dirinya di dalam
hidup. Di samping itu, juga ia percaya, bahwa Tuhan bisa didekati dengan
melewati pendekatan pada ciptaan-ciptaan Tuhan lainnya di atas bumi ini. "
(op.cit. , S. 29).
33. In: Kompas vom 10.2.1975.
34. Vgl. Gunawan Muhamad, " Alam. dalam tangkapan pertama puisi " (Natur
in der ersten poetischen Wahrnehmung), in: Sastra . 8, Dezember 1961,
S. 27-29.
35. Vgl. auch u.a. : Mempertimbangkan Tradi si (Abwägung der Tradition), in
Basis XX-8, Mai 1971, S. 237-239; Pengarang dan ilhamnya (Der Schrift
steller und seine Inspiration), in: Basis VIll-7, April 1959, S. 208-211;
Melawan Mesin (Opposition gegen die Maschine), in: Mingguan Angkatan
Bersenjata vom 11. Dezember 1968.
36. In: Kompas vom 2. August 1975.
37. In: Kompas vom 20. August 1975.
38. Vgl. Niels Mulder, Kepribadian Jawa Dan Pembangunan Nasional (Die
javanische Persönlichkeit und der nationale Aufbau), Yogyakarta 1973.
39. Vgl. Harry Aveling, Some Conventions of Prewar Indonesian Verse, in:
BKI 128, 1972, S. 417-429; Aveling kommt zu dem Ergebnis, daß die
indonesische Lyrik in der Zeit von 1920 bis 194 5 alle Merkmale der Ro¬
mantik aufweist, wie sie von W.T. Jones in seiner Untersuchung The
Romantik Syndrome (zit. bei L.R. Fürst, Romanticism in Perspective.
London 1969, S. 277) als charakteristisch dargestellt werden.
REAKTION EINIGER SOMALISTÄMME AUF
FRÜHE KOLONIALBESTREBUNGEN
Von Rolf Herzog, Freiburg
Im Nationalmuseum in Mogadishu hängt etwas versteckt eine Urkunde in
alter deutscher Schrift, deshalb für Somal wie für jüngere Deutsche gleich
unlesbar. Es ist ein Vertrag aus dem Jahre 1885, der Auftakt zu kolonialpo¬
litischen Bestrebungen der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft am Osthorn.
Dies war keineswegs die erste Berührung von Deutschen mit Somal. Diese
reichen erheblich weiter zurück. Carl Claus von der Decken, der 1865 am
Juba den Tod fand, sei genannt. Er wollte indessen kein Land erwerben, kein
Protektorat errichten, sondern lediglich forschen.
Ganz anders war das Zusammentreffen einer Gruppe von Deutschen mit
Stammeswürdenträgern der Somal nahe dem Kap Guardafui Anfang September
1885 in Alula. Ihr Motiv war kolonialpolitisch. Für den Augenblick schienen
sie Erfolg zu haben; doch blieb er nicht von Dauer. Nach fünf Jahren war die¬
se Episode endgültig vorbei. Ich komme zunächst zur Vorgeschichte dieses
Vertragsabschlusses, danach zum Vertragsinhalt und schließlich zu einer
Analyse des Verhaltens der somalischen Unterzeichner.
Dr. Karl Peters hatte sich in einer der rivalisierenden kolonialpolitischen
Vereinigungen im damaligen Deutschen Reich in den Vordergrund geschoben
und war im September 1884 zusammen mit seinem Jugendfreund Jühlke und
dem in Südafrika schon erfahrenen Grafen Pfeil nach Afrika aufgebrochen.
Uber Sansibar hatte er mit seinen Begleitern das ostafrikanische Festland
erreicht, um dort mehrere Verträge mit Häuptlingen zu schließen, die sich
angeblich freiwillig in ein Abhängigkeitsverhältnis zur Deutsch-Ostafrikani¬
schen Gesellschaft zu begeben bereit fanden. Alle diese Erwerbungen standen
im Widerspruch zu den vernteintlichen Besitzansprüchen, welche der Sultan
von Sansibar zu machen versuchte. Während Graf Pfeil in Ostafrika zurück¬
blieb, kehrte Peters schnell nach Berlin zurück, um nachträglich die Zustim¬
mung der Reichsregierung für seine kolonialen Aktivitäten zu erlangen.
Der Kaiser unterzeichnete im Februar 1885 einen Schutzbrief auch für diese
ostafrikanischen Erwerbungen, wie vorher für die in Südwest. Peters stellte
in großer Eile weitere Expeditionen auf. Nach ihrem Herkommen, Bildungs¬
gang und Tropentauglichkeit waren die freiwilligen Teilnehmer sehr untersschie
lieh; den meisten fehlte Erfahrung in Ubersee.
Eine dieser Gruppen, von der Gesellschaft als 3. Expedition ausgewiesen,
verließ Ende März 1885 Berlin. Sie stand unter der Leitung des Regierungs¬
baumeisters Gustav Hörnecke aus Croppenstedt bei Magdeburg, dem zwei be¬
urlaubte Offiziere, die Leutnants von Anderten und von Carnap, wie ein Kauf¬
mann und ein Gärtner beigeordnet waren. Der Auftrag lautete, Gebiete am
Tanaflusse zu erwerben, heute im Osten Kenias, wo mit der privaten Kolonie
Witu der Gebrüder Denhardt schon ein Interessenkonflikt mit dem Sultan von
Sansibar bestand. Das gesteckte Ziel wurde nicht erreicht; im Gegenteil