UMSTANDSSÄTZE IM AKKADISCHEN*
Von Gerd Steiner, Marburg
1. Das Problem der arkadischen „Zustandssätze"
1.1 Eine charakteristische Erscheinung der Syntax semitischer Sprachen
sind die sog. „Zustandssätze"' oder ähnliche Konstruktionen, bei denen
ein - in der Regel durch eine Konjunktion eingeleiteter - Satz einem voran¬
gehenden syntaktisch und damit auch logisch untergeordnet wird. Die ein¬
leitende Konjunktion ist dabei gewöhnlich *wa „und", das Prädikat des
(verbalen) „Zustandssatzes" aber eine Form der Präfixkonjugation
(„Imperfekt") oder ein Partizip^ Es lag - und liegt - daher nahe, solche
„Zustandssätze" auch im Akkadischen zu erwarten und zu suchen.
1.2 Dementsprechend finden sich bereits in älteren Grammatiken des
Akkadischen („Assyrischen") Abschnitte, in denen „Zustandssätze"
behandelt werden. Die bei weitem ausführlichste Darstellung gibt Fried¬
rich Delitzsch:' „Treten zu einem durch ein Praet. erzählten Geschehnis
nähere Bestimmungen, besagend, in welchem Zustand sich das betr. Sub¬
ject während der Zeit seiner Thätigkeit befand, welche Absicht es mit ihr
hatte, oder in welchem Zustand ein anderes Subject sich zu ebendieser Zeit
befand, so werden die näheren Bestimmungen dem Praet. in Praesensform
beigefiigt, welche im Deutschen durch Participien, Gonjunctionalsätze
(während, indem, o.ä.) wiederzugeben sind. Beispiele:
(01) innabitma ibakam ziknäSu 'er floh, zerraufend seinen Bart'" . . .,
(02) 'alljährlich nach Ninewe ilikamma unaSSaka Sepe'a kam er, um zu küs¬
sen meine Füsse'' . . .
Abkürzungen nach AHw; spezielle Abkürzungen s. p. 102. - Beispiele in Zita¬
ten sind in der Transkriptionsweise und der Übersetzung des jeweüigen Verfassers wiedergegeben.
' Vgl. englisch „circumstantial clauaeis)" ; französisch „proposition(8) circonstan- tielle(8)" [vgl. die Literatur Anm. 2].
^ Vgl. C. Brockelmann: GVGSS H. 1913, S. 501-517 §§ 318-328; sowie für
Arahisch W. Wrioht: A Grammar of the Arabic Language II. Cambridge '1898/
1979, S. 196-198 §§ 73b-74, S. 330-330 § 183; für Aramäisch R. Degen: Alta-
ramäüche Grammatik. Wiesbaden 1969. (= Abh. f d. Kunde d. Morgenlandes.
XXXVIII/3.), S. 128 § 89; für Hebräisch W. Gesknius - E. Kautzsch: Hebräische Grammatik. Leipzig "1902, S. 463f § 142d-e, S.490 § 152u, S. 498f § 156; Th. J.
Meek in: JAOS 49 (1929), S. 156-159; 58 (1938), S. 125f ; iüTPhönikisch J. Fried¬
rich (— W. Röllig): Phönizisch-punische Orammatik. Rom 1951. (= AnOr. 32.), S.
149 § 319a mit Aiun. 1 = ^1970, S. 162 § 319a. - Zustandssätze fmden sich anschei¬
nend nicht im Ya'udischen, vgl. P.-E. Dion, 0. P.: La langue de Ya'udi. Waterloo,
Ontario 1974, S. 309, vgl. aber S. 306f (eventuell mit Konjunktion *pa).
^ F. Delitzsch: Assyrische Grammatik. Berlin etc. 1889, S. 362 § 152 = ^1906, S.
371 f § 195.
" VAB 7/n (1916) S. 324: Vs. 15.
' Ash. S. 47: A ü 64.
Umstandssätze im Akkadischen 87
... - beachte an allen diesen Stellen das hervorhebende ma beim Haupt-
verbum - . . ." Ähnlich beschreibt etwa Bruno Meissner dieses Phäno¬
men^: „Hinter einem erzählenden Tempus vrird das Präsens häufig
gebraucht, um einen Zustand auszudrücken:
(03) illikamma unaSSaka S^e'a = er kam, zu küssen meine Füsse' [vgl.
(02)] . . ."
bzw. : „Wenn dem ersten mit -md verbundenen Präteritum oder Permansiv
ein Präsens folgt, so ist der zweite Satz als Zustandssatz, zuweilen auch mit
finaler, kausativer etc. Bedeutung aufzufassen:
(04) innabitma ibdkam zikndSu = er floh, indem er sich den Bart zerraufte
[vgl. (Ol)]; . .
1.3 Auffällig ist allerdings nicht nur, daß dabei immer wieder dieselben
Beispiele erscheinen, sondern auch, daß nach diesen ersten Beschreibun¬
gen die Analyse und Bestimmung der akkadischen „Zustandssätze" keinen
erkennbaren Fortschritt gemacht hat'. Selbst in dem grammatischen Stan¬
dardwerk von Wolfram von Soden ist den „Zustandssätzen" nur ein
unbedeutender Paragraph gewidmet*: „Sätze, die den Zustand kennzeich¬
nen (vgl. die arab. Häl-Sätze!), in dem die unmittelbar davor genarmte
Handlung ausgefiihrt wurde, stehen immer im Prs., auch bei vergangenen
Handlungen (so z.B.
(05) aB pi-Su ipuSam-ma izakkaram ana X 'er hub an, indem er zu X
sprach'' . . .;
(06) iddi rigma Tiämat ul utäri kiSassa 'T. stiess ein Geschrei aus, indem sie
den Hals nicht umwandte''" . . .);
sie werden meist mit, seltener ohne -ma angeschlossen. Wie es scheint,
sind solche Sätze . . . nur der Dichtung eigentümlich, in ihr aber sehr
beliebt." Und in dem „Ergänzungsheft" dazu heißt es nur' ': „Der Gebrauch
der Zustandssätze bedarf noch einer eingehenden Untersuchung."
1.4 Diese offensichtliche Vernachlässigung der akkadischen „Zu-
Standssätze" ist um so bemerkenswerter, als für sie anscheinend eindeutige
formale Kriterien angenommen werden. Ihr Prädikat hat die Form des Prä¬
sens-Futurs und der vorangehende Satz wird in der Regel durch die enkli¬
tische Partikel -ma abgeschlossen. Jedoch ergibt sich eine erhebliche
* B. Meissner: Kurzgefaßte Assyrische Grammatik. Leipzig 1907, S. 37 § 51g
bzw. S. 63 § 76f.
' Vgl. noch C. Brockelmann: GVGSS IL 1913, S. 506f § 323; S. A. B. Mee-
cee: Assyrian Grammar. London 1921, S. 63 § 113/2; G. Ryckmans: Grammaire
accadienne. Louvain 1938, S. 110 § 399/2°; V. Scheil — C. Fossey: Grammaire
assyrienne. Paris 1901, S. 80f. § 218-219; M. Steeck: Assurbanipal. Leipzig 1916.
(= VAB. 7/IIL), S. 508 s.v. ma 2d.
* W. von Soden: GAG. 1952, S. 211 § 159; vgl. R. Borger: Babylonisch-Assy¬
rische Lesestüeke I. Roma 1963, p. XXX § 159.
' Vgl. CAD 4 = E. 1958, S. 215f. s.v. epeSu 2c pü c'.
Ee IV 71.
" W. VON Soden: GAG. ^1969, S. 30** § 159.
Einschränkung dieser Merkmale bereits daraus, daß das Morphem -ma
eine viel weitere Verwendung hat als nur in dieser Konstruktion. Denn es
kann nicht nur ein Satz mit -ma ein Prädikat in jedem möglichen „Tempus"
haben, sondem auch der jeweils nachfolgende Satz'^.
1.5 In jeder der dabei möglichen Kombinationen der „Tempora" bilden der
Verbalsatz mit -ma und der nachfolgende Verbalsatz einen syntaktischen
Komplex, in dem - nach heute allgemeiner Auffassung [vgl. § 2b. 1] - der
erstere Satz die Voraussetzung fur die Handlung des letzteren bzw. umge¬
kehrt dieser die Folge aus der Handlung des ersteren Satzes darstellt.
Demnach wären die „Zustandssätze" im Präsens-Futur nach einem Satz
mit -ma lediglich ein Sonderfall eines umfassenderen syntaktischen Sche¬
mas. Überdies läßt sich in den meisten der angeführten Fälle das Präsens-
Futur besser als idiomatische Besonderheit, wie bei der Einleitung einer
direkten Rede'\ vor allem aber als Bezeichnung eines iterativen oder dura¬
tiven Vorgangs oder einer „Modalität"'" erklären; vgl. z.B.
(07) SattiSam . . . unaSSaqa Sepeja „jährlich . . . immer wieder/regelmäßig
küßte er meine Füße (d.h. huldigte er mir)" [vgl. § 1.2 (02), (03); §
2a. 1 (12)];
(08) ibaqqam ziqnöM „er rauft(e) fortwährend (d.h. zerrauft[e]) seinen
Bart" [vgl. § 1.2 (02), (03); § 2a. 1 (13)].
Dasselbe gilt jedoch auch bei asyndetisch koordinierten Sätzen, wie etwa
(09) ittaSab ibakki „er setzte sich hin (und) weinte immer wieder/fortwäh¬
rend"";
(10) iddi rigma Tiämat ul utäri kiSassa „Tiämat stieß ein Geschrei aus (und)
wandte fortwährend ihren Hals nicht (d.h. konnte ihren Hals nicht
wenden)" [vgl. § 1.3 (06)].
Demnach ist auch das eigentliche Merkmal eines „Zustandssatzes" so sehr
einzuschränken, daß die Existenz dieses syntaktischen Typs im Akkadi¬
schen überhaupt in Frage gestellt werden muß'*.
2. Die subordinierende Funktion des Morphems -ma
2a. Müllers Theorie und ihre Kritiker
2a.l Andererseits hatte bereits 1884 der Semitist David Heinrich MtiL-
LEB die akkadischen Sätze mit dem Morphem -rrta als syntaktisch unter-
Vgl. J. Aro: Studien zur mütelbabylonischen Grammatik. 1955. (= StOr. XX.), S. 136-143.
" Vgl. CAD 21 = Z. 1961, S. 21 s.v. zakäru 3b.
Vgl. W. VON Soden: GAG. 1952, S. 102 § 78a/e(ti), d(ö); L. MatouS: Gram¬
matik des Akkadischen. München "1964 = '1969, S. 66 § 55b.
" Gilg. XI 290, vgl. 136.
Vgl. auch D. H. Müller: GH. 1903, S. 255 Anm. 1. - Zu beachten ist auch,
daß in einem Teil der grammatischen Darstellungen des Akkadischen ein Typ
„Zustandssatz" nicht berücksichtigt ist, so z. B. schon bei A. Ungnad : BAG. 1906 =
^1926.
Umstandssätze im AMtadischen 89
geordnete Sätze erklärt": „Das kleine Wörtchen ma kommt unzählige
Male in den assyrischen Denkmälem vor und wurde bis jetzt 'und' über¬
setzt. Eine sorgfaltige Prüfung einer großen Anzahl assyrischer Texte über¬
zeugte mich, daß es nicht 'und', sondem 'indem, nachdem, als, solange, da,
weil' bedeutet und temporelle oder causative Adverbialsätze einleitet, oder
genauer gesagt, da es immer dem Verbum nachgesetzt wird, abschließt.
Durch dieses ma besitzt das Assyrische eine Constmctionsfähigkeit und
eine logische Gliedemng, wie sie kaum eine andere semitische Sprache auf¬
weisen kann." Da nach dieser Theorie ein Satz mit -ma dem jeweils nachfol¬
genden Verbalsatz syntaktisch untergeordnet ist, ergibt sich speziell bei
der Kombination mit einem Folgesatz mit Präsens-Futur ein gerade umge¬
kehrtes Verhältnis der Abhängigkeit wie bei der Annahme eines „Zustands¬
satzes"'*; vgl.
(11) piäu ij)uSam=ma izakkaram ana X „indem er seinen Mund betätigte,
sagte er zu X" [vgl. § 1.3 (05)];
(12) SattiSam lä napparkä itti lamartiM kabittu ana ninua^^ illi/akam^ma
unaSSaqa Sepeja „Jahr um Jahr, nie endend, indem er mit seinem
schweren Tribut nach Ninive kam, küßte er immer wieder/regelmäßig meine Füße"" [vgl. § 1.2 (02), (03); § 1.5 (07)];
(13) ^te'umman . . . tahtt ummänäteSu emur^ma ana Süzub napiStiSu
innabithma ibaqqam ziqnäSu „Te'ununan . . ., indem er, weil er die
Niederlage seiner Tmppen bemerkt(e), zur Rettung seines Lebens
flieht/floh, zerrauft(e) seinen Bart" (Bildbeschreibung)[vgl. § 1.2
(Ol), (04); § 1.5 (08)].
2a.2 Da seine - an einer offenbar etwas abgelegenen Stelle publizierte -
„Bemerkung" von 1884 so gut wie unbeachtet blieb^', wiederholte Müller
sie 1903 noch einmal wörtlich in anderem Zusammenhang^^. Dabei führte
er seine Theorie der Sätze mit -ma weiter aus, auch mit Hinweisen auf Ana¬
logien im Sumerischen^', und demonstrierte sie praktisch an seiner Uber¬
setzung des Codex Hammm-api^". Wohl unabhängig davon ist eine isolierte
Anmerkung von Peter Jensen über Sätze mit -ma in ähnlichem Sinne^'
" D. H. Müller in: AAWW XXI/ 1884 (1885) Nr. XVI, S. 46.
" Vgl. dazu A. Ungnad in: BA 5/5 (1906), 8. 715f.
" Ash. 8. 47: A ii 63-64.
^° VAB 7/II (Leipzig 1916), 8. 324: Vs. 14-15.
^' Zitiert bei W. Muss-Arnolt: Assyrisch-Englisch-Deutsches Handwörterbuch I.
Berlin etc. 1905, 8. 502 b s. v. -ma 2 (wobei aber [gegen Müller] -ma als „Kopula, Verbindungspartikel: und" wiedergegeben ist).
" Vgl. D. H. Müller: GH. 1903, 8. 252.
" Vgl. I.e. [Anm. 22] 252-259 („Die postponierte Partikel ma").
" Vgl. I.e. [Anm. 22] 9-72.
" Vgl. P. Jensen in: KB VI/1 (1900), 8. 43 ad 1.9 („. . . wohl ein Vordersatz . . .
da ein -ma hinter einem dem Subject vorhergehenden Verbum den 8atz zum Min¬
desten oft als Vordersatz charakterisiert"). Vgl. dazu aber D. H. Müller in: ZDMG 59 (1905), 8. 147-149.
sowie die - allerdings nur scheinbar gleichartige - Feststellung von
Delitzsch, der - angenommene - „Zustandssatz" könne „auch vorausge¬
stellt werden"^*, wobei dieser in den zitierten Beispielen durch -ma abge¬
schlossen wird^', z.B.
(14) „die Taube (Schwalbe) flog hin und her, manzazu ul ipaSSimma . . .
issahra da aber kein Ruheort vorhanden war, kehrte sie wieder
zurück"^*.
Denn abgesehen davon, daß sich Heinrich Zimmern in einer Rezen¬
sion zu Müllers Theorie der Sätze mit -wa zustimmend äußerte^', wurde
diese nur von Müllers Schüler Moses Schorr übernommen; dieser ver¬
teidigte sie nicht nur, sondern führte sie auch in seinen Ubersetzungen von
altbabylonischen Rechtsurkunden konsequent durch'".
2a.3 Ansonsten stieß Müllers Theorie auf ausdrückliche Ablehnung.
Maßgeblich ist dabei vor allem die Stellungnahme von tVrthur Ungnad ,
der ihr seine eigene Ansicht entgegensetzte, die Partikel -ma, durch die ein
Satz „als Grund gegenüber abgeleiteten Folgehandlungen hervorgehoben
wird"'^, entspreche deutschem „und dann", „und somit", „und infolgedes¬
sen" usw." Müllers Erklärung sei zwar „logisch durchaus richtig" doch
sei damit nicht gesagt, daß sie auch „grammatisch richtig" sei; denn die
Syntax müsse „durchaus auf psychologische Grundlage gestellt wer¬
den"'" [vgl. § 2b.2].
2a.4 Das entscheidende Verdikt gegen Müllers Theorie wurde jedoch
von Carl Brockelmann ausgesprochen": „Da dem deutschen Sprachge¬
fühl die mit ma angereihten Sätze zumeist voneinander abzuhängen schei¬
nen, so glaubte D. H. Müller . . ., daß ma nicht bei- sondern unterordne.
Wir müßten dann aber eine im semitischen Spraehkreise sonst unerhörte
Satzbildung mit nachfolgender Partikel annehmen, die sieh auch durch
einen etwaigen Einfluß des Sumer. nicht genügend erklären ließe. . . . Daß
ma in der Tat nur bei- nicht unterordnet, zeigt am besten seine Verwendung
^'^ Vgl. F. Delitzsch: Assyrische Grammatilc. Berlin etc. 1889, S. 363 (f ) § 152 =
^1906, S. 373 § 195.
" Vgl. dazu aber D. H. Müllee: GH. 1903, S. 255 Anm. 1.
2« Gilg. XI 147f bzw. 150f
" Vgl. H. Zimmeen in: ZDMG 58 (1904), S. 955; vgl. auch ders. in: ZDMG 59 (1905) , S. 151.
^° Vgl. M. ScHOEE in: WZKM 24 (1910), S. 435f ; sowie ders.: Altbabylonische Rechtsurkunden aus der Zeit der I. babylonischen Dynastie: in: SAWW 155/2 (1907), 160/5 (1909), 165/2 (1910); ders.: Urkunden des altbabylonischen Zivil-und Proze߬
rechts. Leipzig 1913. (VAB. 5.).
^' Vgl. A. Ungnad: Die Partikel -ma im Babylonisch-Assyrischen. In: BA 5/5
(1906) , S. 713-716.
Vgl. A. Ungnad: BAG. 1906, S. 33 § 32e, vgl. S. 61 § 69c.
" Vgl. A. Ungnad in: ZA 18 (1904), S. 67; ders.: BAG. 1906, S. 33 § 32e; ders.
in: BA 5/5 (1906), S. 713.
'" Vgl. A. Ungnad in: BA 5/5 (1906), S. 714.
" C. Beockelmann: GVGSS IL 1913, S. 491 § 306a.
Umstandssätze im Akkadischen 91
zwischen Imperativen, die ja nie als einander untergeordnet zu denken sind
. . .". Das zuletzt genannte Argmnent wurde danach noch einmal von
Ungnad besonders herausgestellt'': „Diese Auffassung fällt aber . . . mit
der Tatsache, daß ma auch an Imperative antritt . . . Solange es unmöglich
ist, in sicheren Nebensätzen Imperative nachzuweisen, so lange bleibt
meine Auffassung von ma als koordinierender Partikel unerschüttert".
2a.5 Damit schien Müllers Theorie, die ohnehin „wenig Anklang gefun¬
den hat"", widerlegt zu sein'*. Jedenfalls gilt danach weitgehend dasselbe,
was Müller bereits in bezug aufseinen ersten Hinweis von 1884 feststel¬
len mußte": „. . . man wird in den assyrischen Grammatiken vergeblich
danach suchen". Lediglich an der Universität Wien, wo Müller gewirkt
hatte, hielt sich für einige Zeit noch eine mündliche Tradition darüber'"'.
Wenn aber sonst der Gedanke, daß die Sätze mit -ma dem nachfolgenden
Satz subordiniert sind, wieder erscheint, so handelt es sich offensichtlich nicht iun ein Wiederaufgreifen dieser Tradition"', sondern um unabhängige
Neuentdeckungen. Dabei sind weniger die Fälle gemeint, in denen ein Satz
mit -ma als Nebensatz übersetzt wird, sondern grammatische Abhandlun¬
gen, in denen dem Morphem -ma zumindest auch eine subordinierende
Funktion zugeschrieben wird"^.
2b. Argumente imd Kriterien
2b. 1 Derartige Feststellungen zeigen inmierhin, daß die Entscheidimg
gegen Müllers Theorie nicht als endgültig anzusehen ist. Eine Wieder¬
aufnahme der Diskussion ist aber auch dadurch voll gerechtfertigt, daß es
sich nicht um eine seltene oder belanglose Erscheinung handelt, sondern
um eine der wichtigsten Konstruktionen der akkadischen Syntax. Denn
nicht nur ist das Morphem -ma „die meistgebrauchte aller enklitischen Par¬
tikeln""', sondern die Konstruktion mit -ma ist auch „das im Akk. am häu-
" A. Ungnad: Noch einmal die Partikel -ma. In: OLZ 14 (1911), S. 343f
" A. Ungnad, l.c. [Anm. 36] 343.
'* Vgl. z.B. M. Streck: Assurbanipal. Leipzig 1916. (= VAB. 7/III.), S. 508 s.v.
ma („Festzuhalten ist jedenfalls, mit Ungnad und Brockelmann, an dem Grundcha¬
rakter des mä als einer koordinierenden, nicht subordinierenden Partikel [gegen die besonders von D. H. Müller und Schorr vertretene These]").
" D. H. Müller: GH. 1903, S. 253.
Mündliche Mitteilung von 0. Rössler mit Verweis auf V. Christian.
Eher scheint D. H. Müller einer damnatio memoriae anheimgefallen zu sein;
so wird z.B. sein Buch GH. 1903 in R. Borger: Handbuch der KeUschriftliteratur 1/
H. Berlin 1967/1975 nicht aufgeführt.
Vgl. J. Bloch in: Or. NS 9 (1940), S. 344 Anm. 3 („. . . auch für die Bedeutung von -ma von Wichtigkeit, das . . . sehr oft wenigstens den Anfang einer Subordina¬
tion darstellt"); R. Labat: L'aecadien de Boghaz-Köi. Bordeaux 1932, S. 158 s.v.
ma; L. DB Meyer: L'aecadien des contrats de Suse. Leiden 1962, S. 179-181; A.
Poebel in: AS 14 (1947), S. 32, aber S. 35f
"' Vgl. W. VON Soden, GAG. 1952, S. 177 § 123a.
figsten gebrauchte Mittel, Sätze miteinander zu verbinden""'*. Grundsätz¬
lich unstrittig ist wohl, daß dabei ein syntaktischer Komplex vorliegt, in
dem zwischen dem Satz mit -ma und dem nachfolgenden Satz eine innere
Zuordnung besteht, so daß die Handlung des ersten Satzes der des zweiten
zeitlich oder logisch vorangeht bzw. die Handlung des zweiten Satzes eine
zeitliche oder logische Folge der des ersten ist. Abgesehen jedoch von der -
flir diesen Zusammenhang unerheblichen - Divergenz der Meinungen, ob
-ma eine echte Konjunktion sei oder nur eine „satzverbindende" oder „her¬
vorhebende" Partikel, wird das syntaktische Verhältnis zwischen dem Satz
mit -ma und dem folgenden Satz allgemein im Sinne von Ungnad [vgl. §
2a.3] als Koordination bzw. Parataxe aufgefaßt"^, wobei bestenfalls eine
„logische" Subordination des Satzes mit -ma anerkannt wird'**.
2b.2 MtJLLER hatte vor allem auf das Gewicht seiner Beispiele vertraut
und gemeinf": „Wen diese nicht überzeugen, der wird überhaupt nicht
überzeugt werden können." Doch Ungnad stellte demgegenüber dennoch
fest, er finde nicht, „daß man auf irgendwelche Schwierigkeiten stößt,
wenn man verbales -ma als Partikel auffaßt, welche die Handlung des fol¬
genden Verbs als eine durch die jenes ersten Verbs bedingte darstellt" , so
daß es deutschem „und dann" usw. entspricht"*. Diese Äußerungen, die als
"" Vgl. J. Aro: Stvdienzur mittelbabylonischen Grammatik. 1955. (StOr. XX.) S.
136.
Vgl. z.B. J. Aro: l.c. [Anm. 44], S. 136-143; R. Borger: Babylonisch-Assy¬
rische Lesestüeke L Roma 1963, p. XXVII § 123a; R. Caplice: Introduction to
Akkadian. Roma 1980 (Studia Pohl SM. 9.), S. 45 f. § 40(3); E. Ebeling: Glossar zu
den neubabylonischen Briefen. München 1953. (= SBAW 1953/1), S. 125 s.v. mä; 1.
J. Gelb: Glossary of Old Akkadian. 1957. (= MAD. 3.), S. 165 s.v. M -ma, ma; G.
GiACUMAKis: The Akkadian of Alalah. The Hague - Paris 1970, S. 59f. § 9.30; K.
Hecker: Grammatik der Kültepe-Texte. 1968. (= AnOr. 44.), S. 225-230 § 135; L.
MatouS: Grammatik des Akkadischen. München [= BAG] "1964 = *1969, S. 110 §
96/1; W. Mayer : Untersuchungen zur Grammatik des Mittelassyrischen = AOATS 2
(1971), S. 101 § 87/2; Th. J. Meek in: JNES 5 (1946), S. 64-72; B. Meissner:
Kurzgefaßte Assyrische Grammatik. Leipzig 1907, S. 63 § 76 e-f; ders.: Die Keilschrift.
Berlin - Leipzig 1913 = ^922, S. 70 § 128/3; S. A. B. Merger: Assyrian Grammar.
London 1921, S. 63 § 113/1; K. Oberhuber: Die Keilschrift. Berlin 1967, S. 114 §
126; K. K. Riemschneider: Lehrbuch des Akkadischen. Leipzig ^978, S. 31 § 1.9;
G. Ryckmans: Grammaire accadienne. Louvain 1938, S. 109 § 393; V. Scheil. — C.
Fossey: Grammaire assyrienne. Paris 1901, S. 80 § 216; W. von Soden: GAG.
1952, S. 177f. § 123a 1 (a), S. 208 f. § 156, u.ö.; ders.: AHw II. 1972, S. 570 s.v. -ma B; M. Streck: Assurbanipal. Leipzig 1916. (= VAB. 7/in.), S. 507f s.v. ma2; S. S.
Ylvisaker: Zur babylonischen und assyrischen Grammatik (. . . Sargonidenzeit).
1912. (= LSS. V/6.), S. 67 f.
"' Vgl. z. B. Th. J. Meek in: JNES 5 (1946), S. 66 („. . . logically subordinate, but grammatically co-ordinate"); A. Poebel in: AS 14 (1947), S. 29 („. . . a logically
subordinated temporal clause is rendered ... by means of the co-ordinating con¬
struction").
"' Vgl. D. H. Müller: GH. 1903, S. 253.
"* Vgl. A. Ungnad: in: BA 5/5 (1906), S. 713.
Umstandssätze im Akkadischen 93
symptomatisch gelten können, zeigen deutlich, daß „Logik" und „Sprach¬
gefühl" des modemen Interpreten für das Verständnis dieser Konstmktion
nicht viel helfen können, besonders wenn eine gewisse Neigung besteht,
einer Sprache des Alten Orients wie dem Akkadischen eine einfache oder
gar „primitive" Syntax zuzubilligen'" oder syntaktische Erscheinungen als
„Stileigentümlichkeiten" einzuordnen^". Relevante Kriterien können daher
nur aus stmkturellen, insbesondere morphologischen Merkmalen gewon¬
nen werden. Dabei ist von den Argumenten der m-sprünglichen Diskussion
auszugehen, da in den neueren Darstellungen die koordinierende Funktion
von -ma bereits vorausgesetzt und deshalb nicht eigens begründet vidrd.
2b.3 Nun ergibt sich eine erhebliche morphologische Schwierigkeit, wenn
-ma im Sinne der communis opinio auf den nachfolgenden Satz bezogen imd
durch „und dann" o. ä. wiedergegeben werden soll. Denn das Morphem -ma
ist eindeutig eine Komponente des ersten Satzes; es ist stets dessen Prädi¬
kat suffigiert, das in der Regel den Satz abschließt [vgl. die Beispiele (01)-
(14) ], aber auch in Anfangsposition erscheinen kann, besonders in der
Dichtung", vgl.
(15) iSmihma anniam qabääa „indem sie diese Rede von ihr hörten"^^;
(16) ülik-ma ana Simätu awilütim „weil er zum Geschick der Menschheit
ging"".
Deshalb kann -ma - im Unterschied zu der Konjunktion ü/ü, die stets den
nachfolgenden Satz einleitet, - auch nur für den ersten Satz funktionell
relevant sein^'', was gegen die Annahme einer koordinierenden Funktion
und eine Wiedergabe durch „und dann" o. ä. spricht. Im Hinblick darauf,
daß auf jeden Fall eine „Satzverbindung" anzunehmen ist [vgl. § 2b. 1],
kann die Funktion von -ma somit nur subordinierend sein.
2b.4 Gegen eine solche Funktion wendet aber Ungnad ein^^: „Daß man in
-ma keine untergeordnete postpositive Partikel sehen darf, geht aus der
ganzen Auffassung des Nebensatzes im Babylonischen hervor, der . . .
nominalen (fast stets genitivischen) Charakter hat, also regelmäßig ein
Nomen vertritt; auch haben in allen Nebensätzen sonst vokallos auslau¬
tende Verbalformen den Auslaut mit -u. In diesen beiden Punkten würden
die Sätze mit -ma, wenn sie nach babylonischem Empfinden Nebensätze
wären, eine sehr befremdliche Ausnahme bilden." Bei dem ersten dieser
Vgl. z.B. A. Poebel in: AS 14 (1947), S. 31 („. . . syntactical categories ofa concrete - or if one prefers, of a simple or even primitive nature - . . ."), aber Anm.
13.
5° Vgl. z.B. W. VON Soden: GAG. 1952, S. 210 § 158b, S. 241 § 186d.
^' Die Frage, inwieweit -ma bei Anfangsposition des Prädikats durch „und darm"
usw. wiedergegeben werden kann, wird offenbar nirgends erörtert.
" Atr. S. 60: E 244.
" Güg. M ü 4.
Vgl. auch D. H. Müller: GH. 1903, S. 254f.
" A. Ungnad in: BA5/5 (1906), S. 713; vgl. auch W. von Soden: GAG. 1952, § 158 b.
beiden „Punkte" verkennt Ungnad indessen, daß die von ihm charakteri¬
sierten „Nebensätze" die relative Subordination eines Verbalsatzes unter
ein Nomen oder Pronomen im Status constructus darstellen^', während ein
Satz mit -ma die sjrntaktische Unterordnung eines Verbalsatzes in bezug
auf einen anderen Verbalsatz realisiert [vgl. auch § 3.2]. Was aber den
zweiten „Punkt" betrifft, so fmden sich tatsächlich Fälle einer Verwendung
des Morphems -ma auch bei relativ subordinierten Sätzen, und zwar
besonders nach Verbalformen mit einem suffigierten Morphem, das den
Gebrauch des Relativ- oder Subjunktivmorphems -u ausschließt"; dies
sind vor allem Formen des Ventivs, vgl. z.B.
(17) Sa taSpur^am^ma „was du mir geschrieben hast"'*;
(18) kima tattallcam=ma „sobald du hierher kommst"^';
(19) adi akaSSad^am-ma „sobald ich ankomme"'";
oder Formen des Stativs, vgl. z.B.
(20) iStu sehherenu=ma „seit wir ganz jung waren"".
Vereinzelt wird -ma sogar an Stelle von -u zur Bezeichnung der relativen
Subordination verwendet, vgl. z.B.
(21) iStu sähum kibittum . . . ilUjik^ma „nachdem eine 'Haupttruppe' . . .
gegangen ist"'^;
(22) aSSum sähum ipallahrmM „weil die Truppe sich fürchten wird"".
Wenn auch diese Beispiele, die alle aus altbabylonischen Briefen stam¬
men, wohl als fehlerhaft anzusehen sind'", zeigen sie doch, daß nach dem
„Empfinden" der Verfasser das Morphem -ma in ähnlicher Weise wie das
Morphem -u eine syntaktische Unterordnung bezeichnete und deshalb
ersatzweise für -u gebraucht werden konnte. Umgekehrt werden z. B. im
Mittelbabylonischen an Stelle von subordinierten Sätzen mit -ma „echte"
NeTjensätze mit der „Konjunktion" kixmA einem relativ subordinierten Ver¬
balsatz gebraucht". Aufschlußreich ist ferner die vereinzelte Entlehnung
von -mo in das Elamische", vgl. z.B.
Vgl. W. Eilers: Der sogenannte Suhjunktiv des Akkadischen. In: Gedenkschrift für WUhelm Brandenstein. Innsbruck 1968. (= Innsbrucker Beiträge zur Kulturwis¬
senschaft. 14.), S. 241-246.
" Vgl. die Relativformen mit -nibzw. -na [vgl. z.B. W. von Soden: GAG. 1952, S. 108 § 83 b-c].
5* AbB IX Nr. 64,15.
" AbB IX Nr. 68,13.
ARM II Nr. 69,10.
" AbB IX Nr. 14,7.
" ARM II Nr. 22,2-6.
" ARM II Nr. 48,19.
" Vgl. aber A. Finet: L 'accadien des lettres de Mari. Bruxelles 1956, S. 239 § 85 e, S. 243f § 85n, S. 281 § 100g.
" Vgl. J. Bloch in: Or. NS 9 (1940), S. 344 § 18/2.
" Vgl. F. W. König: Die elamischen Königsinschriften. In: AID Beiheft 16 (Graz 1965), S. 72 Arun. 7 („Akkadismus").
Umstandssätze im Akkadischen 95
(23) sijan '^N~me sunki=p uripwpi SuSun imme kuSiM(i)=7na u alumelu
kuSih „indem/während die früheren Könige einen Tempel des (Got¬
tes) N in Susa nicht bauten, baute ich (ihn) auf der 'Akropolis'"''
in der Funktion bzw. an Stelle des subordimerenden Morphems =a, vgl.
z.B.
(24) kukunnum sunkv=p uripufpi imme kuSihS-a u kuSih „indem/während
die früheren Könige einen 'Hochtempel' nicht bauten, baute ich
(ihn)"'*.
2b.5 Als entscheidendes Argiunent gegen eine unterordnende Funktion
von -ma wird indessen von Brockelmann und Ungnad die Verwendung
bei Imperativen angeführt [vgl. § 2a. 4]. Richtig ist daran, daß sich ein
derart untergeordneter Imperativ nicht wörtlich in z. B. das Deutsche über¬
setzen läßt. Als weniger schwierig erscheint dies aber schon bei Verbots¬
und Aufforderungsformen der 1. und 3. Person; und im Akkadischen
konnte eben ein Imperativ als Auflforderungsform der 2. Person" syntak¬
tisch wie die anderen Aufforderungsformen behandelt werden. Die Erklä¬
rung für diese tatsächlich auflallige Konstruktion von Imperativen bietet
jedoch ein anderes Phänomen, das Benno Landsberger festgestellt
hat'": „Bilden 2 Verben, im babylonischen Dialekt durch -ma verbunden,
einen Handlungs-(Vorgangs-)komplex, wobei das zweite Verbum ventivi-
schen Charakter hat, so wird das erste Verb attrahiert und tritt gleichfalls
in den Ventiv." Da nämlich ein Imperativ bzw. eine andere Aufforderungs¬
form mit -ma in der Regel vor einem Satz mit einer weiteren Aufforderungs¬
oder auch Verbotsform erscheint, handelt es sich hier offensichtlich eben¬
falls um eine Attraktion des „Modus"". Eine Angleichung der Verbalkate¬
gorie des Satzes mit -ma an die des nachfolgenden Satzes, sei es ein
„Modus" wie Ventiv oder Aufforderungs- bzw. Verbotsform, oder das „Tem¬
pus"''^, kann aber geradezu als Indiz für die syntaktische Abhängigkeit des
Satzes mit -ma gelten. Denn eine solche Attraktion z. B. des Ventivs findet
sich analog bei relativ subordiiüerten Sätzen", vgl. z.B.
(25) kima artiq-am anäkü ana serika aUah-am „sobald ich mich frei
gemacht habe, werde ich zu dir kommen"''*.
" L.c. [Anm. 66], S. 68: Nr. 14 II; vgl. ähnlich S. 72: Nr. 18III-IV,S. 180:Nr. 12 M-l-N II-III.
L.c. [Anm. 66], S. 66: Nr. 13 B V; vgl. ähnlich S. 64f : Nr. 13 III-IV, Nr. 13a III-IV, Nr. 13 A IV.
" Vgl. z.B. W. VON Soden: GAG. 1952, S. 107-109 § 82.
Vgl. B. Landsberger in: ZA 35 NP 1 (1924), S. 116 § 5.
" Vgl. auchTu. J. MBEKin: JNES 5 (1946), S. 69 („. . . imperative in agreement with the verb of the clause to which it is logically circumstantial").
" Vgl. Th. j. Meek in: JNES 5 (1946), S. 66-68.
" Vgl. B. Landsberger in: ZA 35 NF 1 (1924), S. 116 § 5; W. von Soden:
GAG. 1952, S. 107 § 82c.
VS XVI Nr. 174, 15-17.
2c. Analogien im Sumerischen
2c.l Es sprechen somit relevante strukturelle Kriterien'^ dafür, die Ver¬
balsätze mit -ma als dem nachfolgenden Satz syntaktisch subordiniert auf¬
zufassen, während die wesentlichen Argumente gegen diese Auffassung
nicht stichhaltig sind. Allerdings bleiben noch zwei Einwände zu berück¬
sichtigen, nämlich einerseits die Frage der Identität des verbalen Mor¬
phems -ma mit der „hervorhebenden" Partikel -ma, die an sich offensicht¬
lich ist", jedoch nach Meinung Ungnads auszuschließen wäre, wenn -ma
unterordnende Funktion hätte", andererseits die, wie Brockelmann
meinte, „im semitischen Sprachkreise sonst unerhörte Satzbildung mit
nachfolgender Partikel"'*. Beide lassen sich jedoch, und zwar zugleich,
durch eine analoge Konstruktion im Sumerischen erklären.
2c.2 Bereits Müller hatte versucht, seine Auffassung von der unterord¬
nenden Funktion von -ma durch den Vergleich mit einem sumerischen Mor¬
phem zu stützen, und zwar dem Verbalpräfix /ü=/ (damals auch /äa=/
gelesen)", was jedoch damals nicht überzeugen koimte*" und nach heutiger
Kenntnis des Sumerischen nicht zutreffen kann*'. Es gibt indessen ein
sumerisches Morphem, das nicht nur in seiner Morphologie und seiner
Konstruktion, sondem auch in seiner Bedeutung eine so deutliche Analogie
zu akk. -ma bietet, daß ein Zufall auszuschließen ist. Dies ist das enkli¬
tische Morphem /=am/, geschrieben /-am^/ oder /-äm/*^, das übrigens
auch in alt- und neubabylonischen lexikalischen Listen mit akk. -ma gleich¬
gesetzt wird*', vgl.
(26) am = Am = ma-a*"
2c.3 Offensichtlich - und wohl auch unstrittig - ist die gleichartige Funk¬
tion zur „Hervorhebung" einzelner Satzteile für sum. /-am/*' und akk.
" Ein weiteres Kriterium ist der Bezug eines Adverbs am Anfang eines Komple¬
xes mit -ma auf den zweiten Verbalsatz, z. B. assuri „vielleicht" [vgl. A. Finet: L'ae¬
cadien des lettres de Mari. Bruxelles 1956, S. 231 § 81 i].
Vgl. W. VON Soden: GAG. 1952, S. 177 f § 123a.
" Vgl. A. Ungnad: in: BA 5/5 (1906), S. 715.
Vgl. C. Brockelmann: GVGSS II. 1913, S. 491 § 306a; aber auchD. H. Mül¬
ler: GH. 1903, S. 259 („. . . eine Konstruktionsfähigkeit . . ., wie sie die anderen semitischen Sprachen nicht haben").
" Vgl. D. H. Müller: GH. 1903, S. 256f
Vgl. A. Ungnad: in: BA 5/5 (1906), S. 713f
*' Vgl. aber ü = (ma-a AN.TA) [MSL IV S. 146:437]
ü = ma-a u ma-ri-tum [MSL IV S. 147 :455]
Sowie A. Poebel: GSG. 1923, S. 152 f §§ 412-413.
Vgl. z.B. A. Falkenstein: GSGL I. 1949, S. 147f § 45; ders.: Sum. 1959,
S. 43 § 26; E. Sollberger: SV. 1952, S. 214 § 42.
" Vgl. auch A. Poebel: GSG. 1923, S. 153 f § 416; W. von Soden: AHw IL
1972, S. 569a s.v. -ma lex.
*" MSL n S. 127: 22; IV S. 197: (diri 3:121).
*5 Vgl. A. Falkenstein: GSGL II. 1950, S. 32-35 § 89d, S. 77 § 100b; ders.:
Sum. 1959, S. 57f § 43; A. Poebel: GSG. 1923, S. 73 § 195b.
Umstandssätze im Alikadischen 97
-ma^^. Das sumerische Morphem /=am/ dient jedoch auch, und zwar bis
zum Erlöschen des Smnerischen als lebende Sprache am Ende des 3. Jahr¬
tausends V. Chr. , dazu, einen Verbalsatz in bezug auf einen anderen, in der
Regel nachfolgenden Verbalsatz als syntaktisch untergeordnet zu charak¬
terisieren*', vgl. z.B.
(27) gü d6-a-n6 gi§ ba-tuk-äm . . . siskur rä,-l-zu-n6 gü.de-a-ä,§
en ''nin.gfr-t-su-ke4 äu ba-ti „indem sein Rufen erhört wurde,
nahm ... der 'Herr' Ningirsuk sein Opfer (und) Gebet von Gudea an"**
[vgl. § 2C.4 (30c)l
Allerdings ist die Konstruktion mit /=am/ im Sumerischen nicht so häu¬
fig wie die entsprechende Konstruktion eines Verbalsatzes mit -ma im
Akkadischen, da sie hier mit anderen Möglichkeiten ziu- Bezeicimung der
syntaktischen Unterordnung eines Verbalsatzes in bezug auf einen anderen
konkurriert. Die wichtigste dieser Möglichkeiten ist ein Verbalsatz mit Prä¬
dikat im Imperfektivum (sog. Präsens-Futur), vgl. z.B.
(28) ensik-ke4 uru-na lü a§a-gim na.rigj ba-ni-gar / ki la-
gaä'"-e dumu ama a§-a(k)-gim §ag4 mu- na-a§-e „der
'Regent' erteilte seiner Stadt wie einem einzigen Mann Weisung, wäh¬
rend das Land Lagaä wie die Kinder einer einzigen Mutter für ihn den
Sinn vereinte"*' [vgl. § 2c.4 (30b)].
Da ein Imperfektivum (Präsens-Futur) nur von transitiven Verben gebildet
werden kann'", findet sich die Konstruktion mit /=am/ ganz überwiegend
bei intransitiven Sätzen; als solche gelten auch absolute Nominalsätze, da
das Sumerische im Gegensatz zum Akkadischen eine verbale Kopula /me/
hat"; vgl. z.B.
(29) biH-lUj-l-da ud-bi-ta(k) e-me-am^ ud ''nin.glr-Hsu(k) . . . =e
uru.KA.gine,-na(k)-ra nam. lugal . . . e-na-sum-ma-a . . .
nam tar-ra ud-bi-ta(k) e-äe-gar „indem/während (dies) die
Gepflogenheiten von früher waren, hat, als Ningirsuk . . . Uru. inim.gi-
nak das Königtum . . . gegeben hatte, ... er die Schicksalsbestim¬
mung von früher (wieder) eingesetzt"'^ [vgl. § 2c.4 (30c)].
Vgl. W. VON Soden: GAG. 1952, S. 178 § 123a (y).
" Vgl. (mit anderer Auffassung) A. Falkenstein: GSGL II. 1950, S. 76 § 100 mit Anm. 1; E. Sollberger: SV. 1952, S. 219f. § 4222, bes. a (ß). - Ein Akkadis¬
mus ist dagegen der „nachsumerische" Gebrauch von -ma in sumerisch abgefaßten
Rechtsurkunden der altbabylonischen Zeit und literarischen Texten [vgl. A. Poe¬
bel: GSG. 1923, S. 153 § 415; A. Falkenstein in: WO 1/3 (1948), S. 176; ders. in:
Genava n.s. 8 (1960), S. 307].
** TCL VIII pl. II: Zyl. A ü 20-22.
TCL VIII pl. XII: Zyl. A xü 21-23.
Vgl. A. Falkenstein: GSGL I 1949, S. 151-159 § 49 („Präsens-Futur des
transitiven Verbums"), II. 1950, S. 154 § III mit Anm. 3 (sinngemäß).
" Vgl. A. Falkenstein: GSGL I. 1949, S. 179 § 55; E. Sollberger: SV. 1952, S. 213f § 41.
E. Sollberger: Corpus des inscriptions «royales» prisargoniqites de LagaA.
Genfeve 1956, S. 51: UKG. 5 vü 9-22.
2c.4 Die syntaktische Unterordnung eines Verbalsatzes in bezug auf einen
anderen Verbalsatz ist auch im Sumerischen verschieden von der relativen
Unterordnung eines Verbalsatzes unter ein Nomen. Denn diese wird druch
das Relativmorphem /=a/" bezeichnet, was wiedermn eine Analogie zu
dem akkadischen Relativ- bzw. Subjunktivmorphem -u ergibt'". Damit
aber wird die Analogie der Konstruktionen mit sum. /=am/ und akk. -ma
indirekt bestätigt; denn es verhält sich jeweils in der sjmtaktischen Funk¬
tion sum. /=a/ zu /=am/ wie akk. -u zu -ma; vgl.
(30a) 6 mu-dü-a bit ipuS'U „das Haus, das er baute"
(30b) 6 mu-dü-e(!) bitam ijmS'ma „indem er das Haus baute" [vgl.
§ 2c.3 (28)]
(30c) 6 ba-dü-äm bitum innepiS'ma indem das Haus gebaut wm-de"
[vgl. § 2C.3 (27), (29)]
2c.5 Akk. -ma und sum. /=am/ entsprechen sich somit sowohl strukturell
als auch funktionell, jedoch trotz der lautlichen Ähnlichkeit wohl nicht ety¬
mologisch. Sum. /=am/ stellt eine modifizierte Form der Kopula /me/ dar,
ist also verbalen Ursprungs". Dagegen dürfte akk. -ma primär eine prono¬
minale Form sein, und zwar, wie schon Müller vermutete", der Pronomi¬
nalstamm *mä „was" in einer spezialisierten Funktion"; derm auch sonst
hat sich der Stamm *mä im Aldsadischen als redeeinleitende Partikel mä
erhalten'*. Da sich -ma als enklitisches Morphem bereits im Altakkadi¬
schen mit denselben Funktionen nachweisen läßt wie in der gesamten
Sprachgeschichte des Akkadischen", fallt die Ausbildung der Konstruktio¬
nen mit -ma in die sprachliche „Vorgeschichte". Zwar findet sich -ma mit
ähnlicher Funktion wie im Akkadischen auch im Eblaitischen""*, doch
steht das Eblaitische ebenfalls unter einen starken Einfluß der sumeri¬
schen Tradition und ist wahrscheinlich überhaupt nur eine Variante des Ost¬
semitischen, d. h. des Akkadischen. Der Gebrauch eines enklitischen Mor¬
phems /-m/ im Ugaritischen"" bietet auch keine Möglichkeit fiir einen
innersemitischen Vergleich, da er erst aus dem 14. Jahrhundert v.Chr.
überliefert ist und, soweit er mit einer Funktion von akk. -ma überein-
" Vgl. A. Falkenstein: GSGL II. 1950, S. 26f. § 89b; H. Limet in: RA 69
(1975), S. 5-18; A. Poebel: GSG. 1923, S. 97-101 §§ 268-279.
Vgl. auch A. Falkenstein: GSGL II. 1950, 8. 27 Anm. 2.
'5 Vgl. A. Falkenstein: GSGL I. 1949, 8. 147 § 45; A. Poebel: GSG. 1923, 8.
72 f. § 195 a.
" Vgl. D. H. Müller: AAWW XXI/1884 (1885), 8. 47 = GH. 1903, S. 252.
" Vgl. aber A. Ungnad in: BA 5/5 (1906), S. 713 f
Vgl. B. Kienast in: ZA 54 NF 20 (1961), 8. 90-99; W. von Soden: AHw ll.
1972, 8. 570b s.v. mä.
" Vgl. I. J. Gelb: Glossary of Old Akkadian. 1957. (= MAD. 3.), S. 165 s.v. M -ma, ma.
Vgl. G. Pettinato: Ebla - Un impero inciso neü'argüla. Milano 1979, S. 71 § 5 („l'enclitica -ma"); sowie z.B. ARET II (1981) Nr. 34 passim.
Vgl. z.B. C. H. Gordon: Ugaritic Textbook. 1965. (= AnOr. 38.), S. 103 § 11.4 („Suflixed -m"), 8. 429f. Nr. 1402 -m I.
Umstandssätze im Akkadischen 99
stimmt, eben dadurch beeinflußt sein kann. Im Sumerischen dagegen sind
die Konstruktionen mit /=am/ zwanglos zu erklären. Denn sie sind hier
lediglich ein Sonderfall des Gebrauchs der verbalen Kopula /me/ in einer
defektiven enklitischen Form; /-am/ ist dabei die Form der 3. sg., neben
der es auch Formen fiir die 1. und 2. Person sowie für die 3. pl. gibt . Dem¬
nach dürfte die Funktion von -ma als Merkmal der verbalen Subordination
im Akkadischen vde auch im Eblaitischen als syntaktische Entlehnimg aus
dem Sumerischen auf der Basis einer gemeinsamen Grundfunktion von
/=am/ und -ma zu erklären sein.
3. Das Wesen der Sätze mit -ma
3.1 Die sumerischen Konstruktionen mit enklitischer Kopula sind Nomi¬
nalsätze, allerdings nicht, wie meist angenommen wird, absolute Nominal¬
sätze „A ist B"'°', sondem relative, nämlich „A, der/das B ist" oder „der/
das B ist"'"'*, wobei das Beziehungswort A durch die in der enklitischen
Kopula enthaltene Pronominalform vertreten vdrd. Somit bedeutet z.B.
lugal-äm nicht „er ist König", sondem „(er,) der König ist". Dementspre¬
chend sind auch Verbalsätze mit /=am/, und zwar sowohl finite"" als auch infinite"", als relative Nominalsätze aufzufassen, wobei der Verbalsatz das
Prädikatsnomen darstellt"". Die Konstmktion gü d6-a-n6 giä ba-tuk-
äm [s. § 2c. 3 (27)] bedeutet also „(was)/sein Rufen wurde erhört/ ist", d. h.
„indem (o. ä.) sein Rufen erhört vrarde". Für akk. -ma wird ebenfalls eine
spezielle Funkion als „Kopula" in einem Nominalsatz angenommen"**.
Doch handelt es sich auch hierbei nicht um absolute, sondern um relative
Nominalsätze, d.h. z.B. Sarmm=ma bedeutet nicht „er ist König", sondem
„der König ist", wodurch sich in der Regel ein Effekt der „Hervorhebung"
ergibt"". Setzt man dieselbe Stmktur fiir die Verbalsätze mit -ma voraus,
so entspricht wiedenim der Verbalsatz dem Prädikatsnomen; es bedeutet
demnach z.B. innabit^ma [s. § 2a. 1 (13)] „was /er floh/ ist" oder „indem
(o.ä.) er floh". In analoger Weise sind auch Infinitivkonstraktionen mit
-ma"" zu analysieren.
3.2 Die Herleitung aus einem syntaktischen Typ des Sumerischen erklärt
somit nicht nur die „unsemitische" Art der akkadischen Verbalsätze mit
'"2 Vgl. A. Falkenstein: GSGL I. 1949, S. 147 § 45; ders.: Sum. 1959, S. 43 §
26, S. 57f. § 43; A. Poebel: GSG. 1923, S. 70f. §§ 192-193.
"" Vgl. A. Falkenstein: GSGL II. 1950, S. 76f. § 100a; A. Poebel: GSG.
1923, S. 71 § 194; E. Sollberger: SV. 1952, S. 214-219 § 42 (-4221).
Vgl. auch A. Poebel in: AS 3 (1932), S. 5f.
Vgl. die Beispiele bei A. Falkenstein: GSGL II. 1950, S. 77 § 100a 3, c; E.
Sollberger: SV. 1952, S. 220 § 422 a (ß).
Vgl. die Beispiele bei A. Falkenstein: GSGL II. 1950, S. 76 § 100a 2.
Vgl. auch V. Christian: Beiträge zur sumerischen Grammatik. Wien 1957. (=
SÖAW 231/2), S. 103f.
"" Vgl. W. VON Soden: GAG. 1952, S. 180 § 126c, u.ö.
Vgl. z.B. W. VON Soden: GAG. 1952, S. 180f. § 126 e.i.
"° Vgl. W. VON Soden: GAG. 1952, S. 202 § 150a.
-ma, sondern auch ihr Wesen. Es sind, wie letztlich alle Konstruktionen
mit dem Morphem -ma, relative Nominalsätze'". Als solche sind sie, struk¬
turell gesehen, nicht selbständige Sätze, sondern Komponenten eines
Satzes. Jedoch sind sie im Unterschied zu den relativen Verbalsätzen (mit
Morphem -u), die einem Nomen oder Pronomen im Status constructus
subordiniert und deshalb syntaktisch unselbständig sind"^ innerhalb des
übergeordneten Satzes syntaktisch selbständige Komponenten [vgl. auch §
2c.4].
3.3 Die semantische Funktion der Verbalsätze mit -ma im Akkadischen
wie auch der analogen Konstruktionen mit /=am/ im Sumerischen ist ent¬
sprechend ihrer Grundbedeutung „was . . . ist" oder „indem (o.ä.) . . . ist"
die Bezeichnung eines temporalen oder kausalen Umstands"' für den
durch den übergeordneten Satz dargestellten Vorgang. Sie lassen sich des¬
halb am besten als „Umstandssätze" charakterisieren, womit zugleich -
zumindest in der deutschen Terminologie"'' - eine Verwechslung mit dem
strukturell ganz andersartigen Typ der „Zustandssätze" vermieden wird,
auch wenn es solche Sätze im Akkadischen nicht gibt [vgl. § 1.5]. Denn die
Analogie des Sumerischen erklärt auch den Grund und den Mechanismus
der Bildung und des Gebrauchs der akkadischen Umstandssätze. Es sind
offenbar Ersatzkonstruktionen für fehlende Formen oder fehlende Funktio¬
nen von Formen des Verbalsystems. Im Sumerischen können untergeord¬
nete Sätze als Umstandssätze nur bei transitiver Konstruktion durch die
Verbalkategorie des Imperfektivums (Präsens-Futiu-s) gebildet werden;
bei intransitiver Konstruktion ist daher auf jeden Fall eine Ersatzbildung
erforderlich [vgl. § 2c. 3]. Zwar werden im Akkadischen grundsätzlich alle
Formen der Verbalkategorien von allen Verben gebildet. Doch kann offen¬
bar keine dieser Kategorien, auch nicht das Präsens-Futur (Iterativ-Dura¬
tiv), zur Bezeichnung der syntaktischen Unterordnung eines Verbalsatzes
in bezug auf einen anderen verwendet werden; die unbefriedigende Bestim¬
mung der - vermeintlichen - „Zustandssätze" [vgl. § 1] zeigt dies deutlich
genug. Somit bestand auch für das Akkadische die Notwendigkeit einer
Ersatzkonstruktion für die verbale Realisierung eines „Umstands". Das
Prinzip dieser Ersatzkonstruktion wiu"de wohl aus dem Sumerischen ent¬
lehnt; ihr Anwendungsbereich wurde jedoch im Akkadischen auf der
"' Vgl. auch A. Poebel in: AS 14 (1947), S. 32 („. . . »la-fct-ir-ma represents a subordinate temporal clause, which in English is best rendered by means ofthe rela¬
tive clause 'which had revolted'").
"2 Vgl. die Erklärung als „Genitivsätze" o.ä. [A. Ungnad in: ZA 18 (1904/05),
S. 58, 59-65; ders. in: BA 5/5 (1906), S. 713; W. von Soden: GAG. 1952, S. 108 §
83 a].
"' Vgl. auch D. H. MtJLLER [s. § 2 a.l] („temporelle oder causative Adverbial¬
sätze"); sowie (mit anderer sjmtaktischer Grundauffassung) Th. J. Meek in: JNES 5 (1946), S. 64-72.
"'' Allerdings entspricht der englische bzw. französische Terminus [s. Anm. 1]
beiden Satztypen [vgl. die Literatur Anm. 2; Th. J. Meek in: JNES 5 (1946), S. 64 f mit Aiun. 7].
Umstandssätze im Akkadischen 101
Grundlage eines andersartigen Formenbestandes des Verbalsystems aus¬
geweitet und systematisiert.
3.4 Die erstmals von David Heinrich Müller vorgetragene Theorie,
daß das enklitische Morphem -maim Akkadischen syntaktisch untergeord¬
nete Verbalsätze bezeichnet, ist damit in der Hauptsache bestätigt. Nun
könnte man aber noch einwenden, ob es denn nicht in erster Linie um den
„logischen" Sinn einer Aussage gehe, und daß die Frage, ob ein Satz einem
anderen syntaktisch koordiniert oder subordiniert ist, letztlich nicht
viel mehr sei als ein Streit „um des Kaisers Bart". Daß dies nicht so ist, hat
Ungnad immerhin unmißverständlich eingeräumt'": „Die Wichtigkeit
dieser Frage läßt eine Verständigung als dringend wünschenswert erschei¬
nen." Tatsächlich kann es nicht gleichgültig sein, ob eine hochentvdckelte
Schriftsprache wie das Akkadische nur eine im wesentlichen parataktische
verbale Syntax aufweist"', bestenfalls eine Art „Subordination durch
Koordination""', oder die Möglichkeiten einer differenzierten verbalen Hypotaxe"*.
3.5 Wichtig ist dabei allerdings, daß für die Art der syntaktischen Kon¬
struktion relevante morphologische Kriterien berücksichtigt werden, so
daß also nicht etwa ein Satz, der nach dem subjektiven „Sprachgefühl"
eines Interpreten die „logische" Voraussetzung für einen nachfolgenden
Satz darstellt, in jedem Fall, also auch ohne Kombination mit dem Mor¬
phem -ma'", als diesem untergeordnet aufgefaßt werden kann. Die hierfür
maßgeblichen Gesichtspunkte hat jedoch wiederum bereits Müller aus¬
geführt'^": „Ob das Verhältnis zweier Sätze zueinander ein beigeordnetes
oder über- und untergeordnetes ist, hängt freilich oft vom subjectiven
Ermessen ab. Bei der Interpretation fremder Texte aber kommt es darauf
an, den Gedankengang des Autors zu erkennen und nicht unsere Auffas¬
sung hineinzutragen. Deswegen ist es nicht ganz ohne Werth, zu wissen,
dass, während sonst in den übrigen semitischen Sprachen Sätze einander
beigeordnet werden, wo wir ein Satzgefüge erwarten, im Assyrischen [d. h.
Akkadischen] auch dort öfters ein Satzgefüge vorliegt, wo wir selbst eine
Satzverbindung erwarten würden. Durch diese Erkenntnis wird nicht nur
ein tieferer Einblick in die assyrische Syntax gewoimen, sondern auch eine
große Menge ungeschickter Wendungen aus den Texten beseitigt, ja sogar
das Verständnis vieler Stellen erst erschlossen." - Dem ist nichts hinzu¬
zufügen.
A. Ungnad in: BA 5/5 (1906), S. 713.
Vgl. Anm. 45.
"' Vgl. z.B. A. Finet: L'aecadien des lettres de Mari. Bruxelles 1956, S. 228-231
§ 83 („La coordination pour la subordination"); sowie Anm. 42.
Vgl. auch D. H. Müller in: AAWW XXI/1884 (1885), S. 47 = GH. 1903, S.
252 („Der ass5Tische Kunststyl bediente sich dieses ma, um recht verwickelte, aber regelrecht gebaute Perioden zu schaffen"), vgl. GH. 1903, S. 259 [s. Anm. 78].
So sind z.B. nicht ahe „circumstantial clauses" nach Th. J. Meek [JNES 5
(1946), S. 64-72] als untergeordnete Sätze aufzufassen, sondern nur die mit -ma
gebUdeten.
D. H. Müller in: AAWW XXI/1884 (1885), S. 46 = GH. 1903, S. 252.
Spezielle Abkürzungen AAWW
AHw BAG GH GSG GSGL GVGSS Sum.
SV
Anzeiger der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien, phU-
hist. Klasse
W. VON Soden: Akkadisches Handwörterbuch. Wiesbaden 1965-1981.
A. Ungnad: Babylonisch-Assyrische Grammatik. München 1906 = ^1926.
D. H. Müller : Die Gesetze Hammurabis und ihr Verhältnis zur mosaischen Gesetzgebung sowie zu den XII Tafeln. Wien 1903.
A. Poebel: Grundzüge der sumerischen Grammatik. Rostock 1923.
A. Falkenstein: Grammatik der Sprache Gudeas von LagaS I/II. Roma
1949/1950. (= AnOr. 28/29.).
C. Brockelmann: Grundriss der vergleichenden Grammatik der semiti¬
schen Sprachen I/IL Berlin etc. 1908/1913.
A. Falkenstein: Das Sumerische = Handbuch der Orientalistik, 1. Abt.
II/ 1-2, Lfg. 1. Leiden 1959.
E. Sollberger: Le systime verhal dans les inscriptions «royales»prSsargo- niques de LagaS. Genfeve 1952.
103
ZUM PROBLEM DES UGARITISCHEN AUSDRUCKS INR
Von Kjell Aartun, Oslo
Bekanntlich gibt es in der seit 1929 ständig anwachsenden Fülle von
sprachlichen Denkmälern aus Ugarit zahlreiche strittige Fragen, die
immer noch der Klärung bedürfen. Neben besonderen Schvnerigkeiten von
grammatisch-morphologischem Charakter treten dabei vomehmlich
solche lexikalisch-semantischer Art auf
Ein besonderes Problem letzterer Kategorie soll hier einer genaueren
Prüfung unterzogen werden, nämlich die Frage nach dem dokumentierten
Sinn sovrie der Herkunft des öfters vorkommenden Ausdmcks inr. Dabei
präsentieren wir zuerst die Textstellen, die in Frage kommen, mit Anfüh¬
rang der bisherigen Deutungsversuche. Dann gehen wir ziu- kontextlich-
sachlichen sowie der genaueren sprachlichen Überprüfung der Belege.
Zum Schluß nehmen wir die etymologische Frage als ein besonderes Pro¬
blem auf
In den bisher veröffentlichten literarischen Überliefemngen aus Ugarit
findet sich das betreffende Wort inr nur in poetischen Zusammenhängen.
Einzeln angegeben erscheint es an drei Stellen im Epos, genauer im Krt-
Gedicht, d. h. im Text 125 :2, : 16, : 101 (nach dem Verzeichnis Gordons) =
CTA 16:1:2, : 16; :II:101; KTU 1.16:1:2, : 16; :II:39. Femer taucht der¬
selbe Ausdmck einmal im Text 601 recto 13 = KTU 1.114:13 auf. Dem
Inhalt zufolge ist letzterer Text, wie auch schon allgemein erkannt, mytho¬
logisch-liturgischer Art.
Wie schon angedeutet, ist die herrschende Auffassung vom besonderen
Ausdruck inr nicht einheitlich. Mehrere z.T. sehr abweichende Lösungs¬
versuche liegen vor. Bisher sind gmndsätzlich insgesamt vier Hauptdeu¬
tungen vertreten.
Meist sieht man darin einen Tiernamen, und zwar den Begriff „Hund u.
dgl."; so schon Ginsberg: Keret, S. 26 („hound"); id. in: ANET^ S. 147
(„cur"); ebenso z.B. Driver: Mt/iÄs, S. 135; Aistleitner: Wb, S. 28 u.ö.
(„Köter"). Letzterer betrachtet genauer die Form inr als einen Pluralis
fractus; ferner im Anschluß an Ginsberg z.B. Gordon: Textbook, S. 362
U.Ö.; Dahood in: UF 1 (1969), S. 28; Loewenstamm in: UF 1, S. 75; fer¬
ner Margulis in: UF2 (1970), S. 135 („mongrel"); desgleichen Hillers
in: BASOR 198 (1970), S. 46; Margalit in: UF 8 (1976), S. 147; ähnlich
Dietrich und Loretz in: UF 12 (1980), S. 189f mit Verweis auf J. C. de
Moor („Welpen"); und andere.
Demgegenüber faßt Gray: Krt-', S. 64 den Ausdmck inr als eine Perso¬
nalbezeichnung auf und gibt denselben - gleichfalls als einen Pluralis frac¬
tus verstanden - mit „temple servitors" wieder.
Ähnlich verfahren Sauren und Kestemont in: UF 3 (1971), S. 209
(Anmerkung 80), die in der ugaritischen Wortform inr ausdrücklich auch
einen Pluralis fractus, nämlich von nr „Feuer", sehen.
Schließlich hat schon de Moor in: UF 1 (1969), S. 171, sowie UF 2
(1970), S. 349 mit Verweis auf hethitisch innarä die ugaritische Form inr