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Auf der anderen Seite der Front waren - dies soll hier nicht unerwähnt bleiben - ähnliche Sätze und Gedichte zu lesen

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Aufsatz

Peter Tauber

Der Krieg als »welterschütternde Olympiade«.

Der Sport als Allegorie für den Krieg in Briefen und Gedichten des Ersten Weltkrieges

Einleitung

Der alte General August von Mackensen war es, der den Krieg 1917 als »welter- schütternde Olympiade«1 bezeichnet hatte und damit, obwohl er selbst dem Sport fern stand, auf eine Analogie zurückgriff, die - davon ging er anscheinend aus - das Völkerringen und den Charakter eines Weltkrieges allgemein verständlich dar- stellte. Nach den für 1916 in Berlin geplanten und aufgrund des Krieges abgesagten Olympischen Spielen war die »Olympiade« - der Begriff meint eigentlich die vier Jahre zwischen den Spielen - in dem von Mackensen verwendeten Sprachbild ihres Sinns und Zwecks vollständig beraubt. An die Stelle friedlicher Wettkämpfe im Stadion trat das blutige Ringen auf den Schlachtfeldern. Im Laufe des Krieges wur- den Metaphern und Aphorismen aus der Sprache des Sports immer häufiger zur Beschreibung und wohl auch zur Verharmlosung des militärischen Geschehens herangezogen. Zu dieser Entwicklung trugen die vielen Turner und Sportler, die Vereins- und Verbandsfunktionäre, die bei Kriegsbeginn begeistert zu den Fahnen geeilt waren, maßgeblich bei.

Als sich Anfang August 1914 mit dem Beginn des Krieges die Anspannung der vergangenen Wochen löste - so empfanden es viele Zeitgenossen -, da glaubten sowohl Deutsche und Österreicher als auch Briten, Franzosen und Russen an ei- nen kurzen Waffengang. Im Vertrauen auf die eigene Stärke, im Glauben an die Macht des Willens und die Offensive als strategisches Grundprinzip setzten sich die Armeen in Bewegung. Doch nicht nur militärisch hatten die Nationen aufge- rüstet. Auch moralisch glaubten sich alle Seiten im Recht. Das Deutsche Reich strebte danach, die diplomatische Isolierung und das für das Ende der nächsten Rüstungsrunde absehbare militärische Übergewicht Frankreichs und Russlands auf dem Kontinent zu durchbrechen, Frankreich hoffte auf Revanche und die Rück- gewinnung Elsass-Lothringens, Russland träumte von der Vormachtrolle auf dem Balkan, die Habsburger Monarchie wollte die auseinander strebenden Reichsteile durch den Krieg einigen und das Britische Empire seine Rolle als Weltmacht vor allem auf dem Meere behaupten. Nicht nur in Deutschland schwankte das öffent- liche Meinungsbild zwischen Kriegsbegeisterung und einer als ernste Pflichterfül- lung empfundenen Stimmung. Kritische und ängstliche Stimmen gab es kaum, und wenn, dann wurden sie durch die Euphorie und den Kriegstaumel übertönt.

Rede am 8.2.1917 (50. Militärjubiläum Wilhelms II.), abgedruckt in »Der Aufrechte«, Ber- lin, 9. Jg., 5.3.1927 (Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg i.Br., Ν 39/441), zit. in: Theo Schwarzmüller, Zwischen Kaiser und »Führer«: Generalfeldmarschall August von Ma- ckensen. Eine politische Biographie, 3. Aufl., Paderborn 1997, S. 207.

Militärgeschichtliche Zeitschrift 66 (2007), S. 309-330 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam

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Die spürbare Kriegsbegeisterung im August 1914 spiegelte sich nicht nur in spontanen Massenkundgebungen und dem öffentlichen Absingen patriotischer Lieder in den deutschen Städten, allen voran in Berlin, wider2. Der Ausbruch des Krieges initiierte ein zumindest in den ersten Monaten wirksames Zusammenge- hörigkeitsgefühl, das sich in den Worten des Kaisers vom »Burgfrieden« manifes- tierte und schließlich zum Mythos des Geistes von 1914 wurde. Deutsche Zei- tungen veröffentlichten in den folgenden Wochen eine wahre Flut von Gedichten, die ebenfalls Ausdruck von Kriegsbegeisterung und einer Aufbruchstimmung wa- ren, die ganz im Zeichen der »Ideen von 1914« stand3. Im Deutschen Reich ent- standen allein während des ersten Kriegsjahres weit mehr als drei Millionen Ge- dichte4.

Vom namhaften Lyriker und Schriftsteller bis hin zum Gelegenheitsdichter schrieben Hunderttausende Deutsche ihr Empfinden in Versform nieder5. Zur Fe- der griffen nicht nur zeitgenössische Dichter wie Richard Dehmel oder Heinrich Lersch, sondern auch uns heute noch bekannte Schriftsteller wie Ludwig Thoma, Rainer Maria Rilke, Hermann Hesse oder Gerhart Hauptmann. Ihre Werke sind gekennzeichnet von nationaler Begeisterung, dem Glauben an die eigene Stärke und oft martialisch in der Sprache: Sie trugen damit zur geistigen Mobilmachung bei. Im Übrigen dichteten und schrieben auch in anderen europäischen Ländern Poeten, Schriftsteller und Laien im Dienste der patriotischen Propaganda6. Jürgen Müller, Monika Hahn und Carsten Kretschmann schreiben in ihrer bisher leider unveröffentlichten Arbeit über die deutschen Kriegsgedichte im Ersten Welt- krieg:

»Das Verfassen, Publizieren und Lesen von Kriegsgedichten wurde seit dem Juli 1914 zu einem Massenphänomen, an dem breite Schichten der Bevölkerung teilhatten - anerkannte Dichter ebenso wie weniger renommierte Autoren, pro- fessionelle Schriftsteller wie literarisch ungeübte Verseschmiede, Arbeiter wie

2 Zum sogenannten Augusterlebnis vgl. auch die verschiedenen Forschungsmeinungen bei Hans-Peter Ulimann, Das Deutsche Kaiserreich 1871-1918, Frankfurt a.M. 1995, S. 228; Michael Stöcker, »Augusterlebnis 1914« in Darmstadt. Legende und Wirklichkeit, Darmstadt 1994, S. 45-50; Wolfgang J. Mommsen, Kriegsalltag und Kriegserlebnis im Ersten Weltkrieg. In: MGZ, 59 (2000), S. 125-138, hier S. 126 f.; und Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918, Bd 2: Machtstaat vor Demokratie, München 1998, S. 778-780.

3 Vgl. Jeffrey Verhey, Der Geist von 1914 und die Erfindung der Volksgemeinschaft, Ham- burg 2000, S. 22. Der Geist von 1914 beschreibt als Mythos eine kollektive deutsche Iden- tität, in der Standesschranken und soziale sowie regionale Unterschiede im deutschen Volk zu Beginn des Ersten Weltkrieges überwunden wurden. Der Krieg als Einigungs- werk der Nation - wie schon 1870/71 im Deutsch-Französischen Krieg - erfuhr dadurch eine positive Konnotation.

4 Vgl. Thomas Taterka, »Der deutsche Krieg im deutschen Gedicht.« Die deutsche Welt- kriegslyrik und ihr treuer Begleiter Julius Bab. In: Krieg und Literatur/War and Litera- ture, 5 (1999), S. 5-21, hier S. 9.

5 Angeregt zum Verfassen dieses Aufsatzes wurde ich durch Gespräche mit Herrn Dr.

Gerhard P. Groß im Rahmen eines Praktikums am Militärgeschichtlichen Forschungs- amt, Potsdam, und vor allem durch die bisher nicht publizierte Arbeit von Jürgen Mül- ler, Monika Hahn und Carsten Kretschmann, Deutsche Kriegsgedichte 1914-1918, un- veröffentl. Manuskript, Frankfurt a.M. 2003. Die drei Autoren haben 207 Gedichte zusammengetragen, die für die Dauer des Krieges einen Überblick über die Fülle der Themen, die Gegenstand der Gedichte waren, geben und zugleich die Bedeutung des Gedichts im Krieg näher untersucht.

6 Vgl. David Stevenson, 1914-1918. Der Erste Weltkrieg, Düsseldorf 2006, S. 329.

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Der Krieg als »welterschüttemde Olympiade« 311 Aristokraten, Bürger wie Bohemiens, Lehrer wie Schüler, Professoren wie Stu- denten, Soldaten wie Zivilisten, Militaristen wie Pazifisten, Kriegsenthusiasten wie Kriegsgegner, Männer wie Frauen, Junge wie Alte7

Das Gedicht war also für Menschen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten ein geeignetes Medium, um eigene Erfahrungen, aber auch Hoffnungen und Ängste auszudrücken und zu verarbeiten.

Wer seine Gedanken nicht in Versform fasste, der schrieb Briefe. Die Sehnsucht nach der Heimat, die Sorge um die Angehörigen, aber auch mit dem Brief und in der Zeit des Schreibens sich dem Krieg zu entziehen und in Verbindung mit zu Hause zu treten waren zentrale Motive des Schreibens8. Insgesamt annähernd 30 Mil- liarden Sendungen aller Art sind Ausdruck dieser Bedürfnisse, Sorgen und Wün- sche, die zwischen Front und Heimat hin und hergeschickt wurden9. Abgedruckt wurden Feldpostbriefe und Gedichte nicht nur in den Tageszeitungen in der Heimat.

In den für die Soldaten publizierten Feldzeitungen und den in den Kriegsgefan- genenlagern herausgegebenen Zeitungen tauchten ebenfalls regelmäßig Gedichte auf, teilweise wurden sogar eigene Rubriken für Gedichte und Briefe eingerich- tet10. Hinzu kamen Zeitungen, die von Unternehmen, Vereinen und Verbänden für ihre im Feld stehenden Mitarbeiter bzw. Mitglieder herausgegeben wurden. Auch hier waren Gedichte und abgedruckte Briefe fester Bestandteil des Inhalts11.

Im Mittelpunkt der folgenden Betrachtungen soll eine gesellschaftliche Perso- nengruppe stehen, die ebenfalls in großer Zahl zur Feder griff: Die Turner und Sportler, die Funktionäre und einfachen Vereinsmitglieder verarbeiteten Wahrneh- mungen und Erlebnisse jenseits offizieller Propaganda nicht nur in Briefen an Fa- milienangehörige und Vereinskameraden in der Heimat, sondern sehr oft thema- tisierten sie eigene Erfahrungen und Sichtweisen in Gedichtform, nutzten hierbei die Sprache des Sports als Allegorie für den Krieg und zur Beschreibung von Er- eignissen, stellten oft aber auch den Nutzen des Sports für die militärische Ausbil- dung und die Jugenderziehung in den Mittelpunkt ihrer Zeilen. Die Deutsche Tur- nerschaft konnte dabei auf einen letztlich auf Friedrich Ludwig Jahn zurückgehenden Wertekanon aufbauen, in dem die Kriegsvorbereitung immer schon einen wich- tigen Stellenwert eingenommen hatte. Die noch junge Sportbewegung stellte sich nicht nur aufgrund der Konkurrenz zu den etablierten Turnern und aus Opportu- nität gegenüber den staatlichen Stellen ebenfalls in den Dienst der Nation12.

7 Müller/Hahn/Kretschmann, Deutsche Kriegsgedichte (wie Anm. 5), S. 12.

8 Nikolaus Buschmann, Der verschwiegene Krieg: Kommunikation zwischen Front und Heimatfront. In: Kriegserfahrungen. Studien zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkriegs. Hrsg. von Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich und Dieter Langewie- sche, Essen 1997, S. 208-224.

9 Vgl. Bernd Ulrich, Die Augenzeugen. Deutsche Feldpostbriefe in Kriegs- und Nach- kriegszeit 1914-1933, Essen 1997, S. 40.

10 Vgl. Rainer Pöppinghege, Im Lager unbesiegt. Deutsche, englische und französische Kriegsgefangenen-Zeitungen im Ersten Weltkrieg, Essen 2006, S. 242-244.

" Vgl. Joachim S. Heise, Für Firma, Gott und Vaterland. Betriebliche Kriegszeitschriften im Ersten Weltkrieg. Das Beispiel Hannover, Hannover 2000, S. 133; und Peter Tauber, Dem Kaiser geben, was des Kaisers ist? Die Kriegszeitung des. katholischen Priesterse- minars Fulda als Spiegelbild des katholischen Selbstverständnisses im Ersten Weltkrieg.

In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte, 58 (2006), S. 215-240.

12 Vgl. Svenja Goltermann, Körper der Nation. Habitusformierung und die Politik des Tur- nens 1860-1890, Göttingen 1998, S. 225-230; und Christiane Eisenberg, »English Sports«

und deutsche Bürger. Eine Gesellschaftsgeschichte 1800-1939, Paderborn 1999.

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Gedichte, Episoden und im persönlichen Austausch auch Briefe waren neben der neu hinzutretenden Fotografie eine Möglichkeit, sich der Richtigkeit des eige- nen Handelns zu vergewissern und dienten der Selbstreflexion. Die Veröffentli- chung der Gedichte in den Zeitschriften der Vereine und Verbände bot zudem die Möglichkeit, eigene Ansichten einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu ma- chen. Es war eine Möglichkeit der Selbstlegitimierung und ein Mittel, die eigene, von Aribert Reimann beschriebene, Sprachlosigkeit zu überwinden

13

. In den von Turnern und Sportlern verfassten Gedichten ging es aber nicht nur um den Sport und den Nutzen der körperlichen Erziehung für den Krieg, auch Turner und Sport- ler schrieben Gedichte voller Pathos, idealisierten und stilisierten den Krieg, den Kampf und die Opferbereitschaft ganz im Sinne der Kriegspropaganda

14

.

Auf der anderen Seite der Front waren - dies soll hier nicht unerwähnt bleiben - ähnliche Sätze und Gedichte zu lesen

15

. Die nahezu identischen Formulierungen und Intensionen sowohl auf britischer als auch deutscher Seite, die offenkundige Bereitschaft der sportbegeisterten Männer und der Funktionäre der Tum- und Sportverbände, einen eigenen Beitrag für den sicher geglaubten Sieg zu leisten, of- fenbart neben einer offensichtlichen Polyvalenz des Sports vor allem die Durch- setzung des Sports als zentrales kulturelles Element der westlichen Welt auch im Deutschen Reich. Die Durchsetzung des sportlichen Prinzips in der Körperkultur vor allem entlang der deutschen Westfront auf den Sportplätzen in der Etappe und den Ruheräumen vollzieht sich zu einem Zeitpunkt, als deutsche Intellektuelle und die Kriegspropaganda den Konflikt noch zu einem Kampf zwischen westlicher Zi- vilisation und deutscher Kultur hochstilisieren. Oswald Spengler kritisierte den Sport ebenso wie Werner Sombart, der schrieb: »Der Sport wächst sich ähnlich wie der Komfort zu einer Weltanschauung aus, zum Sportismus, dem gemäß das ganze Leben ein Sport ist oder sich in einzelne Sportakte auflöst. Der Krieg als Sport! Wir haben von dieser eklen Ausgeburt englischen Krämergeistes schon Kenntnis ge- nommen

16

Die kriegsbegeisterten deutschen Turner und vor allem die Sportler wollten ei- nen solchen Konflikt nicht erkennen. Wenn die als Soldaten dienenden Mitglieder und Funktionäre der Turn- und Sportvereine sich explizit auf den Teil ihrer Iden- tität als Turner und Sportler bezogen und in dieser Funktion für die Angehörigen, Freunde und in der Heimat verbliebene Vereinsmitglieder dichteten, dann stan- den der Sport und die körperliche sowie mentale Erziehung durch den Sport im positiven Sinne im Mittelpunkt. Um die in diesem Kontext entstandenen Gedichte und Briefe soll es hier gehen. Die Turner und Sportler nutzten dabei die Sprache des Sports nicht nur zur Beschreibung ihrer Kriegserfahrungen und militärischen Leistungen, sondern thematisierten vielfach einen vermeintlichen Zusammenhang zwischen sportlicher Ausbildung und militärischer Leistungsfähigkeit, um so den Nutzen des Turnens und des Sports als Element der militärischen Ausbildung und der Jugenderziehung zu verdeutlichen. Die für diesen Aufsatz ausgewählten Ge-

13 Vgl. Aribert Reimann, Die heile Welt im Stahlgewitter: Deutsche und englische Feldpost aus dem Ersten Weltkrieg. In: Kriegserfahrungen (wie Anm. 8), S. 135.

14 Vgl. Anne Lipp, Meinungslenkung im Krieg. Kriegserfahrung deutscher Soldaten und ihre Deutung 1914-1918, Göttingen 2003, S. 11.

15 Vgl. Paul Fusseil, The Great War and Modern Memory, Oxford, New York 2000, S. 155-189.

16 Werner Sombart, Händler und Helden. Patriotische Bemerkungen, München, Leipzig 1915, S. 104.

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Der Krieg als »welterschütternde Olympiade« 313 dichte lassen Rückschlüsse auf das Selbstverständnis und die Eigenwahrnehmung der Turn- und Sportbewegung während des Ersten Weltkrieges zu. Die Auswer- tung der Literarisierung der eigenen Erfahrungen und Selbstsicht der als Soldaten dienenden Turner und Sportler kann so eine sinnvolle Ergänzung der Alltags- und Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkrieges darstellen17.

Die Darstellung des Krieges in der Heimat

Dass dieser Krieg anders sein, anders verlaufen würde als ursprünglich erhofft, merkten die Menschen sehr schnell. Schon die Art und Weise, wie der Krieg auf- grund von Rationierungen, einer zunächst steigenden Arbeitslosigkeit und aller- lei Einschränkungen das tägliche Leben veränderte, machte dies bald deutlich.

Kein Lebensbereich blieb durch den Kriegsbeginn unberührt: Vielerorts wurden vaterländische Abende veranstaltet, die Zeitungen kannten kein anderes Thema als den Krieg, und es kam zu einer regelrechten Bilderflut, weil viele Soldaten zu- nächst unbehelligt von der Zensur Fotografien nach Hause schickten18. Die Neu- gier und das Interesse an Bildern des Krieges wurden schließlich durch professi- onelle Fotografen, die mit Genehmigung der Militärbehörden arbeiteten und so im Gegensatz zu den privat fotografierenden Soldaten die politisch gewünschten Motive lieferten, befriedigt. Die Vielzahl an Bildern führte dazu, dass der Krieg da- heim - wenn auch nur in Auszügen und sehr selektiv - medial erfahrbar wurde19.

Obwohl zentrale Element des Kriegsalltags in den Fotografien ausgeblendet wurden, prägten diese Bilder die Vorstellungen der Menschen vom Krieg maßgeb- lich und wurden in der Heimat mit großem Interesse aufgenommen. Dies gilt auch für die Rezeption des Krieges in den Turn- und Sportvereinen: »Nach der Verschi- ckung des letzten Germaniaberichtes haben uns eine Reihe von Mitgliedern Auf- nahmen aus dem Felde gesandt. Die eingegangenen Bilder haben bereits die Zahl 100 überschritten und sind zur Erinnerung an die große Zeit mit den zahlreichen Feldpostbriefen zu einem stattlichen Band vereint20«, berichtete die Kriegszeitung der Frankfurter Rudergesellschaft »Germania« ihren Lesern. Die Segmentierung von Kriegserfahrungen mittels der Fotografien fand eine Fortsetzung in den vie- len schriftlichen Berichten und Feldpostbriefen. Das Interesse an Nachrichten war groß, und die Bilder, Briefe und Gedichte wurden im Umfeld des jeweiligen Adres- saten vor allem in der Heimat breit rezipiert21.

17 Vgl. Wolfram Wette, Militärgeschichte von unten. In: Der Krieg des kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten. Hrsg. von Wolfram Wette, München 1992, S. 9-47, hier S. 9.

18 Vgl. Gerhard Paul, Bilder des Krieges - Krieg der Bilder. Die Visualisierung des moder- nen Krieges, Paderborn 2004, S. 105.

19 Vgl. Almut Lindler-Wirsching, Patrioten im Pool. Deutsche und französische Kriegsbe- richterstatter im Ersten Weltkrieg. In: Augenzeugen. Kriegsberichterstattung vom 18. bis zum 21. Jahrhundert. Hrsg. von Ute Daniel, Göttingen 2006, S. 113-140, hier S. 126 und 131.

20 Kriegsmitteilungen der Frankfurter Rudergesellschaft »Germania« e.V. 1869, Frankfurt a.M., Oktober 1915, 2, S. 1.

21 Vgl. Ulrich, Die Augenzeugen (wie Anm. 9), S. 40.

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Die Soldaten selbst nahmen die dabei stattfindende Stilisierung des solda- tischen Alltags, die das Leiden und den Tod weitgehend ausklammerte, durchaus wahr. Das in der Liller Kriegszeitung abgedruckte Gedicht »Der Soldat im Bilde«

ironisiert treffend die vielfältigen Verwendungsmôglichkeitën des Soldaten als Fo- tomotiv, das vom »Kanonier« bis zum »Trompetenbläser« reicht, den Soldaten bei allen erdenklichen Tätigkeiten zeigt, z.B. »wie er den Tornister packt« oder »wie er Schach spielt oder Skat«, nur eben nicht beim Kämpfen oder Sterben22. Es liegt nahe, dass solche Bilder nicht im Sinne der Propaganda gewesen wären, wollte man die Angehörigen daheim nicht zusätzlich verunsichern. Doch auch in den Briefen der Soldaten wird deutlich, dass man dort die eigentlichen Kriegserleb- nisse, das Leiden und Sterben in den Schützengräben, weitgehend ausklammerte.

Gemeinsame Erinnerungen auszutauschen, um zusätzliche Essensrationen oder warme Kleidung zu bitten, von lustigen Episoden zu berichten, war unverfänglich und diente der gegenseitigen Beruhigung. Das Erlebte war nur schwer in verständ- liche Worte zu fassen.

Allgemein gilt, dass die Propaganda im Ersten Weltkrieg erstmals eine wich- tige Rolle spielte. Die Aufrechterhaltung der Moral, die Verbesserung des Stim- mungsbildes, die Vermittlung der eigenen Kriegsziele und die Verunglimpfung des Gegners waren dabei die zentralen wiederkehrenden Motive23. Während die deutschen Soldaten seitens der Briten schnell als »Hunnen«, als plündernde und mordende Barbaren dargestellt wurden, zeichnete die deutsche Propaganda das Bild eines im tiefsten Frieden Überfallenen Landes, das sich nun gegen das »per- fide Albion« zu behaupten hatte. Auf das russische Reich schaute man mit einer gewissen Verachtung und Überheblichkeit herab, und Frankreich war und blieb für die Deutschen schlicht der »Erbfeind«24. Die von allen beteiligten Mächten mit viel Aufwand betriebene Propaganda nahm dabei auch die eigenen Soldaten in den Blick. Der deutsche Soldat wurde als unerschrockener Kämpfer beschrieben, der das Vaterland vor den unerbittlichen Feinden schützt, die dabei auch nicht da- vor zurückschreckten, mit fremdrassigen Kolonialtruppen anzugreifen. Mit emster Pflichterfüllung kämpfe hingegen der deutsche Soldat und mit entsprechender Verpflegung und gutem Kriegsmaterial sei es eine Frage der Zeit, bis der Gegner die Waffen strecken werde, so die Propaganda25.

Den in der Heimat verbliebenen Männern und natürlich auch den Frauen, den Familien und Angehörigen, von denen immer mehr Opfer und Verzicht verlangt wurden, präsentierten die Medien ein propagandistisch aufgewertetes Bild vom Alltag der Soldaten, das nur bedingt mit den realen Kriegserfahrungen der Män- ner übereinstimmte. Doch im Sinne der Propaganda boten sich Turnen und Sport nicht nur an, um die besondere Leistungsfähigkeit und die Einsatzbereitschaft der deutschen Soldaten zu unterstreichen, vielmehr konnte man so lachende und fröh- liche Männer zu zeigen, die noch die Kraft und die Muße hatten, zu turnen oder Fußball zu spielen. Der Verweis auf sportliche Betätigung diente in der Tat auch

22 Liller Kriegszeitung, Nr. 47, 7.5.1915, S. 4.

23 Vgl. Thorsten Loch, »Aufklärung der Bevölkerung« in Hamburg. Zur deutschen In- landspropaganda während des Ersten Weltkrieges. In: MGZ, 62 (2003), S. 41-70, hier S. 57 und 63.

24 Vgl. Walter Seib, 1914-1918. Feind-Bilder. Ausstellung zum 75. Jahrestag des Kriegsbe- ginns im Historischen Museum Frankfurt am Main, Frankfurt a.M. 1989, S. 26.

25 Vgl. Ulrike Oppelt, Film und Propaganda im Ersten Weltkrieg. Propaganda als Medien- realität im Aktualitäten- und Dokumentarfilm, Stuttgart 2002, S. 14-17.

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Der Krieg als »welterschütternde Olympiade« 3 1 5 der Beruhigung der Angehörigen in der Heimat. So schrieb Wilhelm Bettenhäuser seiner Mutter in einem Feldpostbrief: »Wegen mir brauchst Du Dich eben nicht zu ängstigen, mir geht es soweit noch gut. Wir sind hier alles junge Leute und vertrei- ben uns die Zeit durch allerlei Dummheiten. So haben wir z.B. einen Athleten-Club gebildet26

Diese Darstellung des soldatischen Alltags, die von den Turn- und Sportver- bänden unterstützt wurde - konnte man so doch die Bedeutung und Notwendig- keit der körperlichen Ausbildung und Erziehung der Jugend und der Soldaten do- kumentieren -, verfehlte ihre Wirkung auf die in der Heimat verbliebenen Angehörigen und die unter dem Versorgungsmangel leidende Bevölkerung nicht.

Schließlich entstand so der gewünschte Eindruck, dass die Entbehrungen in der Heimat den Soldaten an der Front halfen, zu siegen. Selbst das neue Propaganda- medium Film wurde entsprechend genutzt, und in den Feldkinos und den vielen neuen Kinotheatern in der Heimat wurden Bilder von Sportfesten hinter der Front und in der Etappe gezeigt27. Der Sportbetrieb in der vom preußischen Kronprinzen geführten Armee wurde sogar Gegenstand eines Films mit dem Titel »Sport in der Kronprinzenarmee«, der ihm Rahmen der Truppenbetreuung immer wieder ge- zeigt wurde28.

Doch nicht nur das Medium Film rückte im Laufe des Krieges stärker in den Brennpunkt der Propaganda. Die militärische Führung wusste um den Stellenwert der Feldpost zur Aufrechterhaltung der Moral und Einsatzbereitschaft sowohl an der Front als auch in der Heimat29. Wenn zu Hause Feldpostbriefe und Gedichte der im Feld stehenden Soldaten abgedruckt wurden, dann spiegelten diese in der Regel genau die von der Propaganda vorgegebenen Werte wider. In den in der Heimat erscheinenden zeitgenössischen Publikationen wurde nur selten ein rea- listisches Bild des Alltags an der Front gezeichnet. Die eigentlichen Erlebnisse der Soldaten waren zu Hause auch gar nicht vermittelbar. So schrieb der Lehrer Carl Hartjen an seinen ehemaligen Seminarleiter:

»Allein der Kampf ist schon aufregend genug. Wenn man da die Todesschreie hört, die Blicke sieht, die ein Sterbender auf dich richtet, den man vielleicht selbst in den Tod schickte, so ist das etwas, was man nicht erzählen kann. Das empfindet jeder für sich selbst und das ist es, was die Soldaten oft zurückhält, von ihren Erlebnissen zu erzählen30

Ähnlich formulierten es auch andere Soldaten. Gerade aus den von Philipp Wit- kop herausgegebenen Briefen gefallener Studenten kann man des Öfteren einen solchen Tenor herauslesen31. Dass Soldaten in den Briefen nach Hause das eigent- lich unbeschreibbare Erleben in Worte zu fassen versuchten, war die Ausnahme.

Meistens ging es in den Briefen um andere Aspekte, wie die Verpflegung und das Wohlbefinden der nahestehenden Menschen und der Familie in der Heimat.

26 Wilhelm Bettenhäuser, Feldpostbrief vom 2.11.1915, Privatbesitz Peter Tauber.

27 Vgl. Hans Joachim Teichler und Wolfgang Meyer-Ticheloven, Film und Rundfunkrepor- tagen als Dokumente der deutsche Sportgeschichte von 1907-1945, Schondorf 1981, S. 19-21; und Paul, Bilder des Krieges (wie Anm. 18), S. 114.

28 Zeitung der 10. Armee, Nr. 546,17.4.1918, S. 4.

29 Vgl. Ulrich, Die Augenzeugen (wie Anm. 9), S. 39 f.

30 »Man kann sagen, daß der Krieg ein lebensgefährlicher Sport ist«. Oldenburgische Leh- rer und Seminaristen erleben den Weltkrieg 1914-1918. Hrsg. von Gerhard Wiechmann, Oldenburg 2002, S. 119.

31 Vgl. Philipp Witkop, Kriegsbriefe gefallener Studenten, München 1928, S. 47.

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Aribert Reimann hat beschrieben, wie sich englische Soldaten mittels des Sports ihrer Identität vergewisserten und durch den Rückgriff auf die Sprache des Sports eine Möglichkeit zur Beschreibung ihrer Kriegserfahrungen fanden. Schon bei der Rekrutierung griff man auf metaphorische Formulierungen, die den Krieg als Wett- kampf schilderten, zurück32. Dieses Sprachbild wurde auf beiden Seiten der Front zunehmend beliebter und tauchte nicht nur in offiziellen Verlautbarungen der Ver- eine und Verbände, sondern auch in Briefen und Gedichten immer wieder auf. Ei- nerseits überwanden die Soldaten so die eigene Sprachlosigkeit, und andererseits konnten sie an einen aus Friedenszeiten sowohl dem Absender als auch dem Adres- saten vertrauten Handlungsrahmen anknüpfen33. Auch auf deutscher Seite gab es einen intensiven Schriftverkehr der Mitglieder der Turn- und Sportvereine, die den Kontakt mit ihren Vereinen in der Heimat meist aufrechterhielten, der vielfältig dokumentiert ist. Es ist davon auszugehen, dass nicht nur durch die Schilderung von sportlichen Ereignissen hinter der Front, sondern auch durch den Rückgriff auf die Sprache des Sports zur Beschreibung militärischer Sachverhalte die Tren- nung zwischen Front und Heimat aufgebrochen werden sollte. Zudem waren die Berichte über Turn- und Sportfeste in der Armee dazu angetan, die Angehörigen und Freunde zu Hause zu beruhigen. Zentraler Bezugspunkt war hier nicht allein die Familie, sondern eben der Turn- bzw. Sportverein. Die Herausgeber der Zeit- schriften verfolgten nicht nur das Ziel, mit solchen Publikationen zu informieren und den Austausch der an allen Fronten eingesetzten Adressaten untereinander durch das Abdrucken sämtlicher Feldpostadressen zu ermöglichen, sondern diese weiterhin an die eigene Institution zu binden.

Der Krieg wurde in den Publikationen der Tum- und Sportverbände auf viel- fältige Weise thematisiert. In eigenen Rubriken wurden militärische Operationen geschildert, politische Hintergründe dargestellt sowie Bilder abgedruckt. Die Ver- einsmitglieder berichteten zudem in Feldpostbriefen von ihren Kriegserlebnissen.

Unter der Überschrift »Was unsre Turner aus dem Felde schreiben« in der Deut- schen Turnzeitung (DTZ) erschienen Aufsätze und Texte mit Überschriften wie

»Wettumen hinter der deutschen Front im Westen« oder »Sie vergessen ihr gelieb- tes Turnen auch nicht an der Front«34. Die Turn- und Sportverbände entwickelten ein Bild des Krieges, in dem der Sport einen eigenen herausgehobenen Stellenwert einnahm.

In den Vereinsnachrichten für die Mitglieder an der Front berichtete beispiels- weise der Frankfurter Fußball-Verein (FFV) daher zunächst von den in der Heimat verbliebenen Mitgliedern, um dann aus den zahlreich eingesandten Erfahrungs- berichten von der Front und aus der Etappe zu zitieren. Das Aufrechterhalten der Verbindung war für beide Seiten wichtig. Der Turner Alfred Ganz dankte seinem Verein, dem Mainzer Turnverein von 1817, für die Herausgabe einer eigenen Zei- tung in Reimform. Dabei thematisierte er die positive Wirkung und die dadurch fortwirkende Verbindung zwischen Verein und Mitglied:

32 Vgl. Colin Veitch, »Play up! Play up! And Win the War!« Football, the Nation and the First World War 1914-1915. In: Journal of Contemporary History, 20 (1985), 3, S. 363-378, hier S. 371.

33 Vgl. Reimann, Die heile Welt im Stahlgewitter (wie Anm. 13), S. 135.

34 Deutsche Turnzeitung (DTZ), 1915, Nr. 30, S. 610; und DTZ, 1915, Nr. 36, S. 719.

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Der Krieg als »welterschütternde Olympiade« 317

»Die >Feldpost< die doch Ihr erdacht, Wird von den Franzosen jetzt nachgemacht.

Die >französische< kommt durch die Lüfte geflogen, Ihr ganzer Inhalt ist erlogen.

Die Eure fliegt zu Turnerherzen, Sie lindert Not, sie lindert Schmerzen;

Sie knüpft mit der Heimat ein inniges Band Und dient dem uns heiligen Vaterland35

Mittels des Abdrucks der eingesandten Berichte bot man den Mitgliedern zudem die Gelegenheit, ihre Erfahrungen mit anderen Turnern und Sportlern zu teilen bzw. diese weiterzugeben. Das von Aribert Reimann beschriebene diskursive Schweigen in Bezug auf die Schrecken des Krieges wurde hier ergänzt durch ein Zurückziehen auf die vertrauten Inhalte des Sports und des Wettkampfs, wie auch Gedichte allgemein eine Form waren, um die Sprachlosigkeit im Hinblick auf die Kriegserlebnisse zu überwinden. Selbst Berichte über militärische Aktionen wur- den vielfach in die Sprache des Sports gekleidet36. Auf diese Weise fand in den viel- fältigen Mitteilungen über Turn- und Sportfeste hinter der Front eine Selbstverge- wisserung zwischen den Mitgliedern der Turn- und Sportvereine statt, die nicht nur die individuellen Beziehungen zwischen Vereinsmitgliedern untereinander festigte.

Ein weiterer Aspekt war bei der Darstellung des Krieges in den Verbandszeit- schriften und Kriegsnachrichten der Turn- und Sportbewegung ebenfalls von Be- deutung: Berichte über die militärischen Leistungen von Turnern und Sportlern dienten als Nachweis dafür, dass sowohl in der Heimat als auch an der Front die Vereinsmitglieder den an sie gestellten Anforderungen besonders gerecht wurden.

Darüber hinaus definierten die verantwortlichen Funktionäre die Rolle des Sports in seiner gesellschaftlichen Bedeutung und prägten damit den Sport über den Krieg hinaus37.

Turner und Sportler im Krieg

Die Turn- und Sportvereine stellten aufgrund ihrer Altersstruktur, aber auch aufgrund ihres Selbstverständnisses von allen gesellschaftlichen Gruppen des Kaiserreichs so- wohl die größte Zahl an Kriegsfreiwilligen als auch an eingezogenen Soldaten. Die

35 Feldpost für die feldgrauen Mitglieder des Mainzér Turnverein von 1817, Nr. 10, April 1917, S. 87.

36 Vgl. Reimann, Die heile Welt im Stahlgewitter (wie Anm. 13), S. 131.

37 Vgl. DTZ, 1916, Nr. 13, S. 234. Die zitierten Zeitungen der verschiedenen Tum- und Sport- vereine und Verbände dienten sowohl der Darstellung der Verbands- und Vereinstätig- keit während des Krieges als auch der Aufrechterhaltung des Kontakts zu den im Felde stehenden Vereinsmitgliedern, um diese nach Kriegsende wieder für eine Fortsetzung ihrer Vereinstätigkeit gewinnen zu können. Daher sandten nicht nur die Vereine die ei- genen Schriften an die Vereinsmitglieder an der Front, sondern die Verbände forderten ihrerseits die Vereine auf, die Verbandszeitschriften nach dem Lesen gemeinsam mit Lie- besgaben und Briefen weiterzuleiten.

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Deutsche Turnerschaft (DT) berichtete von mehr als 800 000 Verbandsmitgliedern, die des Kaisers Rock trugen, und von den gut 180 000 Mitgliedern des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) waren nach Angaben des Verbandes immerhin sogar 85 Pro- zent Soldat geworden. Andere Verbände, wie der Deutsche Ruder-Verband (DRV) und die Arbeiterturner (ATB), führten ebenfalls einen statistischen Nachweis über die Zahl ihrer im Feld stehenden Mitglieder. Neben allen theoretischen Erörte- rungen über Sinn und Zweck des Sports war die Zahl der Soldat gewordenen Mit- glieder der augenfälligste Kriegsbeitrag der Turn- und Sportbewegung. Neben dem individuellen Bedürfnis der Mitglieder, in Briefen und Gedichten Erfahrungen zu verarbeiten und sich mitzuteilen, gaben die Funktionäre solchen Gedanken in prosaischer und lyrischer Form gerne Raum, drückte sich darin doch auch die Leis- tungsfähigkeit der »feldgrauen Turner- und Sportsleute« aus. Dies folgte dem Ziel, durch Bilder, Berichte und Gedichte die gesellschaftliche Bedeutung der Turn- und Sportbewegung zu dokumentieren und daraus gesellschaftspolitische Forderungen abzuleiten.

Die Thematisierung des Sports und des Turnens in Bezug auf den Krieg ent- sprach einerseits dem Bedürfnis der Verfasser, ihre Verbundenheit zur gemeinsa- men Sache zum Ausdruck zu bringen, aber auch die generelle gesellschaftspoli- tische Bedeutung der Körperkultur aus der eigenen Sicht heraus zu unterstreichen38. Die bereits erwähnte Analogie von Krieg und Sport prägte dadurch auch das in der Heimat entstehende Bild des Krieges - vor allem in der Turn- und Sportbewe- gung. Während die Studenten zur Beschreibung des Krieges die Mensur als Me- tapher wählten, griffen die Mitglieder der Turn- und Sportvereine auf vertraute Begrifflichkeiten aus der Welt des Sports zurück, wenn sie mit ihrem Verein von der Front aus kommunizierten39.

In einem »Hindernisrennen« habe der Musketier Grünewald, Mitglied im FFV, seine starke Seite zeigen können, so hieß es in den Kriegsmitteilungen des Vereins,

»denn er rückte vor feindlichen Granaten in seinem Unterstand aus. Seiner An- sicht nach bedeutete die Zeit dafür einen neuen Rekord.« Von einem weiteren Mit- glied wurde berichtet: »Richard Russmann ist gerade noch zur rechten Zeit vom Start gelassen worden, um am Stafettenlauf nach Petersburg teilzunehmen; möge er immer bei der Spitzengruppe bleiben40.« Das Jahrbuch des Kaiserlichen Yacht- Clubs, die Kriegsmitteilungen der Frankfurter Rudergesellschaft »Germania« und andere Vereinszeitschriften stillten also einerseits das Informationsbedürfnis der im Felde stehenden Vereinsmitglieder bezüglich Nachrichten aus der Heimat, an- dererseits waren diese Schriften zugleich eine Kommunikationsplattform der Ver-

38 Im Rahmen meiner von Herrn Prof. Dr. Lothar Gall betreuten Dissertation »Vom Schüt- zengraben auf den grünen Rasen. Der Erste Weltkrieg und die Entwicklung des Sports in Deutschland« (in Drucklegung) untersuche ich u.a. die Darstellung des Krieges in den Publikationen der Tum- und Sportverbände. Das Gedicht ist hier eine beliebte Form, um die Bedeutung des Sports und des Turnens für die Wehrhaftmachung und die lugend- erziehung zu thematisieren. Mit diesem Aufsatz versuche ich diesen Aspekt näher zu vertiefen. Die bereits vorhandene und fortwirkende enge Verbindung von Sport und Mi- litär im Kaiserreich, der Sportbetrieb während des Krieges in der Heimat, hinter der Front und in der Etappe sowie die daraus resultierenden Folgen für die weitere Entwick- lung des Sports steht im Mittelpunkt meiner Arbeit.

39 Vgl. Ute Wiedenhoff, »... dass wir auch diese größte Mensur unseres Lebens in Ehren bestehen werden«: Kontinuitäten korporierter Mentalität im Ersten Weltkrieg. In: Kriegs- erfahrungen (wie Anm. 8), S. 189.

40 Kriegsmitteilungen des FFV, 18.6.1915, S. 6 und 9.

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Der Krieg als »welterschütternde Olympiade« 319 einsmitglieder untereinander. Mit Berichten von Sportwettkämpfen und der Über- nahme sozialer Aufgaben durch die Vereine wurde zudem die gesellschaftspolitische Bedeutung des Sports erneut dokumentiert. Hinzu kam, dass die Darstellung von Sportveranstaltungen hinter der Front, die teilweise noch durch Bilder ergänzt wurden, augenfällig die enge Verbindung von Sport und Militär vermittelte.

Der Anteil der Sportberichterstattung über Turn- und Sportfeste an der Front und in der Etappe in den Publikationen der Turn- und Sportverbände nahm im Laufe des Krieges deutlich zu. Dies war nicht den spärlicher werdenden Berichten aus dem heimatlichen Übungsbetrieb und der propagandistischen Instrumentali- sierung des Sport geschuldet, sondern lag letztlich auch daran, dass der Sport erst langsam in der Armee Verbreitung fand und schließlich zu einem festen Bestand- teil im Alltag in der Etappe und im Rahmen der Truppenbetreuung wurde. Regel- mäßig druckten die Zeitschriften Berichte von im Felde stehenden Vereinsmitglie- dern ab, die von Turnfesten und sportlichen Wettkämpfen hinter der Front berichteten. Diese Berichte erfüllten ihren Zweck: Auf der einen Seite schilderten die als Soldaten an der Front stehenden Turner und Sportler ihre Kriegserlebnisse, auf der anderen Seite berichteten sie von ihren turnerischen und sportlichen Ak- tivitäten im Krieg. Damit kam der militärische Nutzen von Turnen und Sport für die Kriegstauglichkeit und Einsatzbereitschaft zum Ausdruck. So berichteten Münchner Tageszeitungen in unregelmäßigen Abständen unter der Rubrik

»Münchner Sportleute im Felde« in Wort und Bild von den Kriegserlebnissen nam- hafter lokaler Sportgrößen41. Hinzu kam, dass die Familie, aber auch andere sozi- ale Strukturen, wie eben Vereine, vielfach an die Stelle der zu Kriegsbeginn wir- kungsmächtigen, aber abstrakten Größenordnungen wie Vaterland und Ehre traten42.

Die Kriegserlebnisse kamen dabei quasi einer Leistungsschau der im Felde ste- henden Vereinsmitglieder gleich. Es galt den besonderen Mut, die Tapferkeit und.

die militärischen Erfolge zu betonen, zu denen die »feldgrauen Tumer und Sports- leute«43 eben erst durch die in der Friedenszeit erfahrene sportliche Ausbildung befähigt worden waren. Das, was die Verbände vor dem Krieg immer wieder er- klärt hatten, ließ sich nun anhand von Berichten, Fotografien von Sportlern in Uni- form und Listen von ausgezeichneten Vereinsmitgliedem belegen44. Damit wurde die Darstellung des Sports im Felde unmittelbar in den Kontext der Kriegspropa- ganda gestellt. Es standen dabei nicht Tod und Verwundung im Mittelpunkt, son- dern, wie beschrieben, militärische Erfolge und die Betreuung der Truppen, bei der Sport eben mehr und mehr eine größere Rolle spielte. Militärische Leistungen, wie die Abschusserfolge der Jagdflieger, wurden damit wie Sportergebnisse in den Zeitungen abgedruckt45.

Die Jagdflieger der jungen Luftwaffe wurden schnell zu Helden. Einer der er- folgreichsten deutschen Piloten war Max Immelmann, ausgezeichnet mit dem Ei-

41 Vgl. Peter Heimerzheim, Karl Ritter von Halt - Leben zwischen Sport und Politik, St. Augustin 1999, S. 40.

42 Vgl. Anne Lipp, Heimatwahrnehmung und soldatisches »Kriegserlebnis«. In: Kriegser- fahrungen (wie Anm. 8), S. 241.

43 Emst Kohlrausch, Turnen, Spiel und Sport unserer Feldgrauen. In: Kriegsjahrbuch für Volks- und Jugendspiele 1917, S. 102-106, hier S. 102.

44 Jahrbuch der Turnkunst, 1918, S. 70-72; und DTZ, 1915, Nr. 21, S. 459.

45 Vgl. Jürgen Busche, Heldenprüfung. Das verweigerte Erbe des Ersten Weltkriegs, Mün- chen 2004, S. 156.

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sernen Kreuz und dem Pour le Mérite. Er fiel im Juni 1916 bei einem Luftkampf, erfuhr aber weiterhin große Verehrung. Bereits vor seinem Tod wurde er gerade auch in der Turnbewegung besonders gefeiert, war er doch Mitglied des Akade- mischen Turnvereins Dresden. Auch hier wurde ein Zusammenhang zwischen sei- ner turnerischen Ausbildung und seinen militärischen Erfolgen hergestellt.

»Es lebe Leutnant Immelmann, Der Turnkunst höchster Sohn, Und fährt zu hoch er himmelan, Sankt Peter öffnet schon:

>Noch kann ich dich nicht brauchen, Laß die Propeller fauchen,

Und bleib der Erde nah!

Du sollst für Deutschlands Waffen Noch viel Erfolge schaffen!

Gut Heil! Victoria*46

In anderen Gedichten wurden die Luftkämpfe und der Wettbewerb der deutschen Piloten untereinander auch als »Sport« bezeichnet, »den unsere Flieger üben«. Und Immelmann, so der Dichter, habe hier - zumindest vorübergehend - den »Weltre- kord« irtne47. Deutlicher kann die Gleichsetzung von Sport und Krieg mittels der Sprache nicht erfolgen. Sie setzte sich in den Schilderungen des Kampfes, die gleich einem Wettkampf beschrieben wurden, fort.

Ergänzt wurden die Berichte vom Turnen und Sport im Felde durch eine wahre Flut von Gedichten und Kriegslyrik in den Zeitungen der Vereine und Verbände.

Dabei kann man zwei große Gruppen unterscheiden. Die erste Gruppe themati- sierte den Krieg selbst und beschäftigte sich mit den für Soldaten elementaren The- men wie Tod, Abschied von der Heimat sowie den Angehörigen, mit dem Feind und dem Sinn und Zweck des Kampfes. Hier wurden in der Presse der Turn- und Sportverbände auch allgemein bekannte Gedichte zeitgenössischer Autoren abge- druckt, und meist folgten diese inhaltlich einer Idealisierung des Sterbens und dienten der Propaganda. Die zweite Gruppe befasste sich - wenngleich die Zahl dieser Gedichte deutlich geringer war - mit der Bedeutung von Turnen und Sport vor dem Hintergrund des Krieges, mit der Leistung von Turnern und Sportlern im Krieg und setzte sich mit den eigenen Körpererfahrungen auseinander. Die veröf- fentlichten Gedichte brachten zum Ausdruck, dass sowohl die körperliche Vorbe- reitung, als auch die geistige und moralische Erbauung mittels des Turnens und des Sports wichtige Aufgabe waren, denen sich die Turn- und Sportvereine sowie begeisterte Turner und Sportler stellten. Diese Form der Auseinandersetzung mit dem Krieg und die Darstellungsform des Krieges aus Sicht von Turnern und Sport- lern sollen hier anhand einiger Beispiele näher betrachtet werden.

46 Jahrbuch der Tumkunst, 1916, S. 129.

47 Vgl. www.jastaboelcke.de (besucht am 18.2.2007)

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Der Krieg als »welterschüttemde Olympiade«

Sport und Kampf in Gedichten während des Krieges

321

Die Verse, die den Sport, die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper thema- tisieren, sich zumindest der Sprache des Sports bedienten, knüpften an andere zen- trale Aspekte im Wertekanon der bürgerlichen Turn- und Sportbewegung an. Im Mittelpunkt standen dabei eine nationale Grundüberzeugung und die Opferbe- reitschaft für Volk und Vaterland. Das von Fritz Knieling aus Dresden verfasste Gedicht mit dem Titel »Durch!« griff nicht nur die Verbindung von Wehrhaftig- keit und Turnen auf, sondern nahm auch auf die anderen für die bürgerliche Turn*·

und Sportbewegung und das Bürgertum allgemein konstitutiven Werte wie Na- tion und Gott Bezug. Das »Gott mit uns« auf den Koppelschlössern der Soldaten war keine rhetorische Floskel. Der Glaube, einen gerechten Krieg zu kämpfen, war im Bürgertum und darüber hinaus im deutschen Volk zunächst weit verbreitet.

Neben den gängigen Argumentationen wurden historische Anknüpfungspunkte aufgegriffen: Der »an deutschen Marken« tobende Kampf bedrohe das Reich, und die durch das Turnen gestählten deutschen Männer zögen in die »Germanen- schlacht«, um ihre Heimat zu verteidigen. Nicht Napoleon und die Befreiungs- kriege, sondern sogar Hermann der Cherusker, der die Germanen gegen die Rö- mer geeint und die römischen Legionen in der Schlacht im Teutoburger Wald vernichtet hatte, wurde hier bemüht.

Damit sprach Knieling indirekt auch die Aufgabe der Turn- und Sportvereine in der Heimat an. Diese müssten den Soldaten auf den Kampf vorbereiten, was ne- ben der körperlichen Ausbildung - »gestählt sind unsre Glieder« - ebenfalls die charakterliche Erziehung - »der Sinn ist frei und stark« - umfasste. Während man- che Gedichte sich auf diese Sinngebung für die Leibesübungen in der Heimat be- schränkten, nahmen andere Autoren das Kriegsgeschehen selbst in den Blick und schilderten den Opfermut und die Tapferkeit des Turners und Sportlers im Kampf.

Das vorliegende Gedicht schlägt hingegen einen Bogen von der Ausbildung und Kriegs Vorbereitung in der Heimat bis zu einem Kriegsziel: Dass auch über der

»fernsten Zone« bald die Reichskriegsflagge wehen sollte, zielt nicht nur auf ein aus deutscher Sicht siegreiches Ende der Kämpfe, sondern auch auf die im Laufe des Krieges öffentlich diskutierte Frage möglicher Annexionen ab. Dabei genos- sen alldeutsche Phantasien im Turnerlager, wie das Gedicht zeigt, durchaus ge- wisse Sympathien. Hier stand der Kampf der als Soldaten im Feld stehenden Tur- ner und Sportler im Mittelpunkt:

»Frisch auf! Ihr deutschen Turner, Jetzt gilt es treue Wacht,

Es tobt an deutschen Marken, Die wilde Völkerschlacht!

Gestählt sind unsre Glieder;

Der Sinn ist frei und stark.

Lasst brausen die alten Lieder, Den Feinden bis ins Mark!

Die Augen glänzen und glühen Voll Siegeszuversicht,

(14)

Die Waffen blitzen und sprühen Im neuen Morgenlicht.

Ein Tag ist angebrochen Mit flammendem Morgenrot.

Verrat wird jetzt gerochen Und edler Fürsten Tod.

Nicht wollen die Heimat wir grüßen, Noch raste unser Arm;

Es muss uns liegen zu Füßen Der Feinde tück'scher Schwärm.

Bis dass Germaniens Krone Im neuen Glänze steht Und über der fernsten Zone Das deutsche Bariner weht!

Drum auf, ihr deutschen Turner!

Hört ihr's, wie's tobt und kracht?

Auf, lasst uns jubelnd eilen In die Germanenschlacht.

Lasst rasen des Kampfes Wetter Es hilft in Todesnot

Der Deutschen steter Erretter:

Der alte treue Gott

48

Das zweite hier zitierte Gedicht mit dem Titel »Tat bringt Rat«, das von einem Mitglied der Turngemeinde Zwickau stammt, thematisierte ebenfalls die Be- deutung der nationalen Idee für die Deutsche Turnerschaft. Gleichsam stand

»die Tat« im Mittelpunkt, die wirkungsmächtiger als das Wort vorbildhaft und prägend sei. Dabei fungierte die Turnbewegung als das einigende Band der Männer aus allen Schichten des Volkes, die - geprägt durch die Ideale des Tur- nens - ihre ganze Kraft in den Dienst des Vaterlandes stellten. Die turnerischen Übungen befähigten den Mann, so der Tenor, im Kriegsfall zur Tat. Der gut aus- gebildetete Turner sei immer auch eine »Tatnatur«

49

, hieß es beispielsweise in der Monatsschrift für das Turnwesen. Der Krieg als aktuelles Ereignis war eine Möglichkeit, das grundsätzliche Bekenntnis, sein eigenes Tun in den Dienst des Volkes zu stellen, in die Tat umzusetzen. Dabei wurde die hierfür notwendige turnerische Grundüberzeugung und Geisteshaltung, die man durch die erzie- herische Wirkung des Turnens erworben hatte, zur entscheidenden Vorausset- zung stilisiert, um dann im Krieg zur entscheidenden »Tat«, zum Kampf, befähigt zu sein.

48 Der Turner aus Sachsen, 1915, Nr. 8, S. 176.

49 Monatsschrift für das Tumwesen, 1915, 4, S. 125.

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Der Krieg als »welterschütternde Olympiade« 323

»Was nütz's, dass man im Mundè führt Das große Wort vom Vaterland.

Was nützt es, dass man Bücher schafft Und darin schwärmt von Volkes Kraft, Von deutscher Treu und starker Hand.

Das Wort alleine tut es nicht.

Das Wort befeuert nur zur Tat.

Doch es verrauscht, das Beispiel bleibt.

Die Tat allein zu Früchten treibt, Die Tat, gepaart mit gutem Rat.

Ihr Männer alle, die ihr wisst,

Was unserm deutschen Volke frommt, Tut selbst, was andern ihr gesagt.

Ein Beispiel gebet unverzagt,

Sucht, dass auch ihr zu Kräften kommt!

Kommt in die Deutsche Turnerschaft, Aus Lieb' zum Volk, zum Deutschen Reich.

Und stellt euch frisch, fromm, fröhlich, frei Mit arm und reich in eine Reih'.

Der Dienst fürs Vaterland macht gleich50

Die Macht des Willens, dem mehr noch als materiellen Aspekten kampfentschei- dende Bedeutung zugemessen wurde, leistete der Betonung der Tat als charakter- lichem Wesensmerkmal des Turnens und auch des Sports zusätzlich Vorschub51. Eine mit der körperlichen Erziehung einhergehende charakterliche Prägung galt dem Autor als Grundlage, und er formulierte als Forderung die Notwendigkeit, viele Menschen dem Turnen zuzuführen: »Sucht, dass auch ihr zu Kräften kommt!«

Das Gedicht benennt mit der DT die Organisation, die die deutschen Männer ent- sprechend der turnerischen Tradition auf den Kampf vorbereiten sollte, in dem dann »arm und reich in eine Reih« treten würden, um das Vaterland zu verteidi- gen. Hier wurde eine Gemeinschaft beschworen, die sich in der Idee von der Volks- gemeinschaft und dem »Geist von 1914« manifestierte. Für die Turn- und Sport- bewegung wurde dieser Volksgemeinschaftsgedanke zu einem konstitutiven Element im Wertekanon und prägte die politische Grundhaltung der Verbände nach dem Krieg maßgeblich.

Als drittes Beispiel sei das Gedicht »An der Aisne im Dezember 1914« von Hans Geisow, dem späteren Vorsitzenden des DSV und bekennenden Nationalsozia- listen, erwähnt52. Geisow thematisierte den Sport nicht direkt, aber »frischer Saft«, der »das Kranke neu belebt«, kann durchaus als Allegorie auf den Körper, den

50 DTZ, 1916, Nr. 1, S. 1.

51 Vgl. Modris Eksteins, Tanz über Gräben. Die Geburt der Moderne und der Erste Welt- krieg, Reinbek bei Hamburg 1990, S. 309.

52 Vgl. Hans-Georg John, Die Affäre Geisow und der Deutsche Schwimm-Verband - Auf dem Weg ins Dritte Reich? In: Festschrift für Hajo Bernett, Sport zwischen Eigenständig- keit und Fremdbestimmung. Red.: Giselher Spitzer und Dieter Schmidt, Schondorf 1986, S. 154-170.

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Sport als ein Mittel zur Stärkung von Geist und Körper verstanden werden. Prä- gend war für Geisow außerdem das Bewusstsein, dass kommende Generationen - »unser Enkel« - ihm nachfolgen und dabei nicht nur auf den Leistungen der Vä- ter aufbauen und sich dieser »in Demut und mit festem Sinn« erinnern, sondern den Blick in die Zukunft richten sollten. Dieses Bild entsprach durchaus dem Selbst- verständnis der Sportbewegung, die ihre Legitimation - im Gegensatz zu den Tur- nern - nicht aus einer langen Tradition heraus ableiten konnte, sondern nach vorne schaute.

»Hohl wie die hungrige Hyäne heult hinter mir das Mordgewühl.

Hier spielt das Mondlicht auf der Aisne sein lachend leuchtend Kinderspiel, ich bin allein - und drück' die Schenkel fest in mein treues Pferd hinein ...

Mög' einst im Frieden unser Enkel der großen Zeiten würdig sein.

Ein frischer Saft ist aufgestiegen der auch das Kranke neu belebt, das sei die Frucht von uns'ren Siegen, dass unser Enkel sich erhebt;

mit stolzem Mut und frohem Wagen, in Demut und mit festem Sirtn soll auf der Väter Grab er sagen:

Dank Gott, dass ich ein Deutscher bin53

Gerade die Schlusszeile zeigt, dass auch im Lager der Sportfunktionäre nationa- listisches Gedankengut durchaus verbreitet war, wenngleich Hans Geisow - wie auch sein weiterer Werdegang in der Weimarer Republik zeigt - sicherlich eine ex- ponierte Meinung vertrat. Ein Einzelfall war er aber keineswegs, und patriotische und nationale Töne waren, wie an anderer Stelle gezeigt, auch in der Sportbewe- gung fester Bestandteil des Weltbildes. Die vorherrschenden ideologischen Prä- gungen waren bei Tum- als auch bei Sportfunktionären ähnlich. Das in der DTZ veröffentlichte Gedicht von Paul Schirrmacher fasst vor diesem Hintergrund alle grundlegenden Überzeugungen, die in der bürgerlichen Turnbewegung prägend waren, zusammen. Das »Auf Turner zum Streit!« knüpft dabei an das Turnerlied

»Turner auf zum Streite« an, das mit Streit allerdings den turnerischen Wettkampf meint. Die Erinnerung an die Einweihung des Völkerschlachtdenkmals, an dem die Turner maßgeblich beteiligt waren, soll die Wehrbereitschaft der DT dokumen- tieren. Der Verweis auf das »arische Blut« macht deutlich, dass auch rassistisches und sozialdarwinistisches Gedankengut in der Turnbewegung verbreitet war. Das Gedicht schließt mit einer Idealisierung des Todes für das Vaterland und appel- liert damit an die Opferbereitschaft der Turner.

Deutschland Deutschland über alles. Ein vaterländisches Hausbuch für jung und alt zur Verherrlichung deutscher Heldenkraft und Herzensgüte, deutscher Kultur und Wesens- art. Hrsg. von Maximilian Bem, Berlin 1916, S. 289 f.

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Der Krieg als »welterschüttemde Olympiade« 325

»Auf deutsche Turner, das Vaterland ruft.

Vom Feldschrei und Waffenklang zittert die Luft!

Nun stellt den friedlichen Wettkampf beiseit', Jetzt in den Krieg! Auf Turner zum Streit!

Der Welsche jauchzt wieder in rächender Gier, Doch allein zu feig! Sie kommen zu vier!

Und die Freundschaft des slavischen Friedenszaren, Muss mit arischem Blut gegen uns sich paaren.

So stürmen sie an von West, Ost und Nord, Nun deutsche Kraft, sei du unser Hort!

Und ihr, deutsche Turner, schlagt deutschen Schlag!

Steht ihr wie die Mauern, dann komme, was mag!

Vor Jahresfrist zogt ihr zum Völkerschlachtplan, Nun rückt ihr zur blutigen Völkerschlacht an!

Und wie ihr vor Jahresfrist frisch, froh und frei, Im blutigen Ernst es wiederum sei!

Frisch, froh in den Kampf, doch frei nach der Schlacht, Und fest steht am Rhein, an der Weichsel die Wacht!

Und füllt auch nach blutigem Sieg ihr die Gruft, Auf deutsche Turner, das Vaterland ruft54

Mit Edmund Neuendorff griff ein weiterer Turnfunktionär selbst zur Feder. Der folgende Auszug aus einem Gedicht Neuendorffs thematisiert Turnen und Sport nicht direkt, vermittelt aber mit der Sichtweise des Turnfunktionärs eine Grund- haltung, die vor allem bei Turnlehrern und anderen Funktionären auf breite Zu- stimmung gestoßen sein dürfte. Zunächst präsentierte sich Neuendorff in dem Ge- dicht selbst als besonnener Krieger, der seine Pflicht dort tut, wo ihn das Vaterland hinbefehle. Die Pflicht als weiteres Element des turnerischen Wertekanons gebiete denn auch den kampfeswilligen Männern, sich dem übergeordneten Zweck zu fü- gen, so Neuendorff. Sich dabei als »Teil der deutschen Kraft« zu sehen, unter- streicht den in der Turn- und Sportbewegung verbreiteten Gedanken der Volksge- meinschaft. Dieses Motiv steht im Zentrum des Gedichts und kehrt am Ende noch einmal wieder. Neuendorff erinnert die Soldaten daran: »Wir alle sind ein Glied der Riesenhand.« Im Gegensatz zur offiziellen Kriegspropaganda solle diese »Rie- senhand« aber nicht bloß den Feind abwehren und das angegriffene Reich schüt- zen, sondern Neuendorff gibt hier seinen alldeutschen und sozialdarwinistischen Überzeugungen Raum, indem er seine Vorstellungen einer neu zu schaffenden Weltordnung unter deutscher Vorherrschaft ausbreitet. Alles, »was nicht des Le- bens wert« sei, wird von ihm »zermalmt«, also der Vernichtung anheim gestellt.

»Ich möchte im Osten sein und Russen jagen.

Ich wollt, ich kämpft im blutgetränkten Flandern Und hülf die gottverdammten Briten schlagen!

Still, still, Kam'raden, neidet nicht die andern.

Wer weiß, welch Morgen uns das Schicksal schafft?

Wir alle sind ein Teil der deutschen Kraft.

54 DTZ, 1914, Nr. 34, S. 635.

(18)

Wo an der Front zu stehen uns beschert, Wir alle sind ein Glied der Riesenhand, Die rau zermalmt, was nicht des Lebens wert, Und wirkt der Weltgeschichte neu Gewand

55

Edmund Neuendorff hatte für Patrouillengänge während seines Einsatzes an der Westfront Anfang des Jahres 1916 das Eiserne Kreuz erhalten

56

. Militärische Leistungen wie diese, vollbracht von Turnern und Sportlern, wurden ebenfalls breit rezipiert. Die Auszeichnung des Unteroffiziers und aktiven Schwimmers Jo- hann Michael, der zweimal als erster Mann seines Regiments unter feindlichem Feuer einen Fluss durchschwömmen und die feindlichen Stellungen erkundet hatte, war sowohl der Zeitung des DSV als auch der Zeitschrift Körper und Geist einen Bericht wert

57

. Beispiele wie dieses finden sich oft in den Publikationen der Turn- und Sportverbände, und die Verbindung von sportlicher und militärischer Leistung ist augenfällig. Dies gilt auch für die gefallenen Turner und Sportler. Als Hans Kersten, einer der erfolgreichsten deutschen Turner im Herbst 1916 fiel, ge- dachte die DTZ seiner mit einem eigenen Artikel, in dem vor allem seine aufgrund

»seiner turnerischen Fähigkeiten« erfolgreiche Betätigung als Handgranatenwer- fer hervorgehoben wurde

58

.

Neben der körperlichen Erziehung war die besondere charakterliche und sitt- liche Eignung der Turner für den Soldatenstand oft Gegenstand von Erörterungen und Inhalt von Gedichten. So auch in der ersten Strophe des folgenden Gedichts, ebenfalls abgedruckt in der DTZ, verfasst von Karl Lorenz, Mitglied des Turnver- eins Camburg. Der notwendige Mut und die Tapferkeit des Turners befähigten ihn, laut Lorenz, im Kampf seinen Mann zu stehen:

»Wenn deutsche Turner ziehn ins Feld, Dann ist die Heimat treu bewacht, Und wenn zum Kampf die Trommel gellt Zu hartem Streit, zu blut'ger Schlacht.

Dann stellt der Turner seinen Mann.

Er kämpft für Freiheit, Ehr' und Recht.

Ihm kommt kein feiges Zagen an,

Denn Feigheit steht dem Turner schlecht

59

Das Gedicht des Leichtathleten Adolf Petrenz thematisierte ebenfalls die Opfer- bereitschaft der Sportler. Petrenz stellte den Sport als Vorbereitung auf den ent- scheidenden Wettkampf, den Krieg dar. Anders als im Sport, im freien Spiel, sei im Krieg für den Sportler nicht das Erringen eines Pokals, »Medaillen nicht und Becher« Motivation für den Einsatz, sondern auf dem »Weg vom Start zum Ziel«

gehe es um Höheres, um den Sieg des Vaterlandes und damit verbunden um die eigene »ewige Seligkeit«, die dem Kämpfer als Lohn des Sieges winken würde.

55 Edmund Neuendorff, Das Deutsche Heer. In: Monatsschrift für das Tumwesen, 1916,10, S. 289.

56 Vgl. Monatsschrift für das Turnwesen, 1916, 2, S. 54.

57 Vgl. Körper und Geist, 1916, Nr. 8, S. 128.

58 Vgl. DTZ, 1917, Nr. 12, S. 157.

59 Vgl. Ebd., 1915, Nr. 8, S. 171.

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Der Krieg als »welterschüttemde Olympiade« 327

»Holt jetzt herein die letzten Reste!

Kurzstreckenläufer, auf zum Siegesfeste, Heute hält euch keine Stoppuhr mehr!

Ihr liegt mit bleichen, sanften Händen, Auf eure Jugend scheint der Mond.

Ihr lächelt froh. Ihr braucht nicht Dankesspenden.

Längst hat sich jeder selig selbst belohnt.

Heut ging es um Medaillen nicht und Becher.

Heut ging es um die ewige Seligkeit.

Vom Start zum Ziel zogt ihr als deutsche Rächer.

Zielrichter war Gott selbst am Rand der Ewigkeit60

Die hier zitierten Gedichte verdeutlichen dabei eine große Ubereinstimmung in den vermittelten Werten und Uberzeugungen. Auch das als letztes Beispiel hier wiedergegebene und in der DTZ abgedruckte Gedicht, das der Redaktion von einem als Soldat dienenden Turnvereinsmitglied zugeschickt worden war, offen- bart den engen Zusammenhang zwischen Kriegsbereitschaft und turnerischer bzw.

sportlicher Ausbildung und Erziehung. »Der Turner im Felde«, so der Titel des Ge- dichts, genügte voll und ganz den an ihn gestellten Ansprüchen, da er seine tur- nerische Ausbildung praktisch eins zu eins zur Erfüllung seiner militärischen Auf- gaben nutzen konnte. Die Handgranate wird im Gedicht zum Ball, und statt der Keulen schwingt er nun den Kolben seines Gewehres. Das Endergebnis dieser Neu- interpretation der sportlichen Betätigung kann nur die heillose Flucht des Feindes sein. Die körperliche Ausbildung wird damit nicht nur als Element der militä- rischen Erziehung für sinnvoll erklärt, am Schluss steht wieder das einigende Band des Turnens. Sowohl »Jugendwehr« als auch »Landsturmmann«, also Jung und Alt, werden durch das Turnen zu gut geschulten Verteidigern des Vaterlandes:

»Im Felde lobt man den Soldat Der Übung in der Turnkunst hat.

Im Liegestütz er vorwärts schleicht, Hat bald den Drahtverhau erreicht, Und mit der Schere schneidet er Entzwei die Drähte kreuz und quer.

Indessen wird im Schutz der Nacht Die Kompanie herangebracht.

Man schleudert Ball mit Handgranaten, Da muss der Sturmlauf wohlgeraten, Und an dem Graben fängt man dann Mit Kolben - Keulenschwingen an.

Das fechten mit dem Bajonett Der Turner auch famos versteht.

Da hält der Franzmann nicht mehr Stand, Er wirft die Flinte aus der Hand.

macht kehrt und muss zur Flucht sich wenden, - Der Graben ist in deutschen Händen.

Drum scheuet nimmer Zeit und Müh

60 Zit. in: Heimerzheim, Karl Ritter von Halt (wie Anm. 41), S. 37.

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Und übt die Turnkunst spät und früh, Ob Jugend wehr, ob Landsturmmann:

Am Turnplatz tretet alle an61

Gedichte wie die hier zitierten waren fester Bestandteil sämtlicher Publikationen der Turn- und Sportverbände. Die hier ausgewählten Beispiele können nur einen kleinen Einblick in das dichterische Schaffen der Turner und Sportler während des Ersten Weltkrieges und die hierbei thematisierte Verbindung von Turnen und Sport auf der einen sowie Krieg und Militär auf der anderen Seite geben. Die Darstel- lung des Krieges als ein dem sportlichen Wettkampf entsprechendes Kräftemes- sen, wie es auch im Gedicht von Adolf Petrenz deutlich wird, war dabei ein allge- mein verständlicher und gerade für die Mitglieder der Turn- und Sportvereine nachvollziehbarer metaphorischer Sprachstil, der sich ähnlich in den Kriegszei- tungen der Vereine sowie der Verbände wiederfand. Dies spiegelt das Bedürfnis vieler Soldaten wider, vertraute Lebensgewohnheiten in den Kriegsalltag zu inte- grieren62. Bei diesen Gedichten waren es oft Turner und Sportler, die selbst zur Fe- der griffen, und damit nicht nur das Bild des Krieges prägten, sondern Turnen und Sport in einen folgenreichen Kontext stellten.

Die oft erwähnten Sportfeste, Theateraufführungen und ähnliche Veranstal- tungen hinter der Front, die in den Publikationen der Turn- und Sportverbände dargestellt wurden, beschrieben den Krieg auf eine Art und Weise, die im krassen Gegensatz zum Alltag im Schützengraben stand. Die offizielle Propaganda zeich- nete also kein realistisches Bild des Kriegsalltags, indem sie Tod und Leiden weit- gehend ausklammerte. Stattdessen druckten die Zeitungen Briefe der im Feld ste- henden Vereinsmitglieder ab und veröffentlichten Namenslisten der mit militärischen Orden ausgezeichneten Turner und Sportler. Veröffentlicht wurden die oft seitenlangen Listen der gefallenen Turnbrüder und Sportkameraden in den Vereins- und Verbandszeitschriften63. Die soldatischen Leistungen, die Opfer der gefallenen Vereinsmitglieder sowie die Beschwörung des »Geistes von 1914«, die mit zunehmender Dauer des Krieges immer häufiger zu finden war, wurden da- bei in einen unmittelbaren Kontext zu Turnen und Sport gesetzt, wie auch die an- deren Gedichte deutlich machen.

Der Glaube an und das Vertrauen auf die eigene Stärke waren - bei Turnern und Sportlern auch und gerade basierend auf der körperlichen Ausbildung - zu- nächst nicht zu erschüttern. Die körperliche Erziehung sei Grundlage für das er- folgreiche Bestehen und Durchhalten der Soldaten im Kampf, ja, für den bevorste- henden Sieg, erklärte nicht nur der Sportarzt Albert Mallwitz64. Das Bild des bereits im Frieden vor allem durch das Turnen für den Kampf gestählten Mannes wurde auf vielfältige Weise beschrieben, so auch im Jahrbuch der Turnkunst:

61 DTZ, 1914, Nr. 18, S. 380.

62 Vgl. Nikolaus Buschmann, Der verschwiegene Krieg: Kommunikation zwischen Front und Heimat. In: Kriegserfahrungen (wie Anm. 8), S. 217.

63 Vgl. hierzu auch DTZ, 1915, Nr. 52, S. 1041-1044 und Jahrbuch des Kaiserlichen Yacht- Clubs für das 31. Clubjahr, Kiel 1918, S. 125. Auf insgesamt 14 nicht nummerierten Sei- ten bildete der Yacht-Club die gefallenen Vereinsmitglieder ab. Auch andere Vereine und Verbände wählten verschiedene Formen der Darstellung und Auflistung ihrer gefallenen Mitglieder.

64 Albert Mallwitz, Sport und Kriegstüchtigkeit. In: Körper und Geist, 1915, Nr. 3, S. 33-36, hier S. 34.

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Der Krieg als »welterschütternde Olympiade« 329

»Beim Abrücken der Truppen fiel dem Kaiser die stramme Haltung mehrerer älterer Landwehrleute auf. Auf Befragen antworteten die Wehrleute, dass sie deut- sche Turner wären. Der Kaiser belobte die Turnersoldaten und äußerte zu seinem Stabe: >Das sind die schönen Folgen unserer deutschen Friedensarbeit! < Von den Wehrleuten verabschiedete sich Seine Majestät mit dem Rufe: >Lebt wohl, deut- sche Turner! < Voller Freude stimmte die Abteilung das Lied an: >Turner auf zum Streiten Der Kaiser winkte den Soldaten noch einige Male freundlich zu65

Die Turner sahen im Kriegsdienst eine aus der eigenen Tradition heraus not- wendige Bringschuld gegenüber der Nation. Das Turnen als Erziehungsmittel so- wohl des Geistes als auch des Körpers wurde nicht nur von Turnfunktionären, son- dern auch von Politikern und Pädagogen als ein wesentlicher Beitrag zum erwarteten deutschen Sieg erklärt. Der Sport nahm eine ähnliche Bedeutung für die körperliche Erziehung der Jugend für sich in Anspruch66.

Innerhalb der Turn- und Sportbewegung prägte die Darstellung des Sportbe- triebs während des Krieges in der Heimat und an der Front das Selbstverständnis der Funktionäre und zahlreicher Mitglieder über das Jahr 1918 hinaus. Nach dem Ende des Krieges entstand vor diesem Hintergrund nicht nur eine breite Diskus- sion, wie die deutsche Jugend künftig wehrhaft erzogen werden sollte, sondern der Sport wurde ganz generell als Element der Erziehung aufgewertet und erfuhr deutlich mehr Aufmerksamkeit seitens der Politik. Das Militär, traditionell an der Jugenderziehung interessiert, hatte bereits lange vor dem Ende des Krieges eigene Vorstellungen entwickelt und beteiligte sich aufgrund der Kriegserfahrungen eben- falls an dieser Debatte. Dabei konnten die Beteiligten durchaus an die eigenen Er- fahrungen, aber auch an die Entwicklung des Sports in der Armee vor 1914 an- knüpfen.

Zusammenfassung

Die Briefe und Gedichte der Turner, Sportler und Funktionäre lassen die inhalt- liche und ideologische Ausrichtung der bürgerlichen Turn- und Sportbewegung erkennen, in deren Mittelpunkt die Bereitschaft zum Kriegsdienst, eine staatstra- gende und obrigkeitsorientierte Haltung aber auch der eigene Nutzen, die gesell- schaftliche Anerkennung, die gesellschaftspolitische Bedeutung standen, erken- nen. Bereitwillig stellten die Vereine und Verbände der Turn- und Sportbewegung dabei vorhandene Strukturen in den Dienst der Kriegsvorbereitung. Die zur Schau gestellte Loyalität gegenüber der Nation und dem wilhelminischen Staat wurde, getragen von den Ideen von 1914, besonders betont.

Die Turner und Sportler trugen so dazu bei, die innere Front zu stabilisieren.

Turnen und Sport wurden damit nicht nur unmittelbar durch die körperliche Aus- bildung von Soldaten, sondern auch durch eine inhaltliche Bejahung des Krieges zur Aufrechterhaltung der Einsatz- und Kriegsbereitschaft an Front und Heimat instrumentalisiert. Das Bekenntnis zum Krieg, das besonders auffällig Ausdruck

65 Jahrbuch der Tumkunst, 1915, S. 95.

66 Vgl. Christoph Schubert-Weller, »Kein schönrer Tod...« Die Militarisierung der männ- lichen Jugend und ihr Einsatz im Ersten Weltkrieg 1890-1918, München 1998.

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