Akademische Selbstverwaltung und Kollegialität Die Universität in ihrem Verhältnis zur Umwelt Arthur Frischkopf
Universite Catholique de Louvain, Centre pour 1’Analyse du Changement Social La gestion de facultes et la collegialite
L’ universite et son rapport ä F environnement
R e su m e: Le present article constitue une presentation succincte d’une etude empirique qui fut realisee dans le cadre d’une dissertation doctorale et qui portait sur la gestion des facultes d’une universite beige. La gestion des facultes est analysee ä la lumiere de deux problemes centraux pour toute faculte, ä savoir la gestion de l’enseigne- ment et l’allocation des ressources. A l’aide de la procedure typologique, plusieurs formes de gestion sont distin- guees. Ces diverses formes sont ensuite interpretees comme des conduites collectives, determinees par des logiques particulieres. L’existence d’une double logique de conduite, celle de la productivite et de la competitivite d’une part, celle de la notabilite d’autre part, constitue l’hypothese centrale de cette etude. Ces logiques se caracteri- sent essentiellement par le type de rapport que les facultes entretiennent avec leur environnement. Finalement, grace ä ces deux logiques, deux types ideaux sont elabores qui represented deux modes particuliers de gestion.
In halt: Es wird hier an konkreten Fällen aufgezeigt, wie sich akademische Selbstverwaltung vollzieht. Das ge
schieht anhand der Analyse zweier Probleme, nämlich der Gestaltung der Studienprogramme, sowie der Planung und der Zuteilung der Geldmittel. Dafür wird das typologische Verfahren benützt. Anschließend werden die im ersten Teil erörterten Verwaltungspraktiken auf ihre Bedeutung hin untersucht. Es wird gezeigt, daß die Umwelt- bezogenheit ein die Verhaltenslogik kennzeichnendes Merkmal ist, die ihrerseits in der Verwaltungspraxis zum Ausdruck gelangt. Aufgrund dieses Merkmals werden zwei Verhaltenslogiken unterschieden, nämlich die der Pro
duktivität und der Wettbewerbshaltung und die der „notabilite“ . Anhand dieser beiden Logiken werden schließ
lich zwei idealtypische Verhaltensweisen bzw. Verwaltungspraktiken skizziert.
Akademische Selbstverwaltung kann als kollek
tives Verhalten betrachtet werden. Dies soll im folgenden geschehen. Die Studie der akademi
schen Selbstverwaltung befaßt sich folglich mit der Analyse dieses Verhaltens und hat als Ziel, die Logik aufzuzeigen, die dieses Verhalten bestimmt.
Diese Objektbestimmung bedeutet, daß sich die Studie nicht mit dem Verhalten des ein
zelnen oder seiner Einstellung der Verwaltung gegenüber beschäftigt. Sie bedeutet des weite
ren, daß das Verhalten auf seinen kollegialen Charakter hin untersucht werden soll. Das soll anhand von typischen Problemen der aka
demischen Selbstverwaltung geschehen.
Als Handlungseinheit betrachten wir hier nicht die Universität, sondern die sie konstituieren
den Segmente, nämlich die Fakultäten. Diese Wahl ergibt sich aus der Organisationellen Eigen
art der Universität, d. h. aus ihrer Aufgliederung infolge verschiedener Erkenntnisbereiche in re
lativ autonome Organisationseinheiten. Die Fa
kultäten ihrerseits bestehen aus einem oder mehreren Fachbereichen. Dadurch, daß die Fa
kultäten als Handlungseinheiten verstanden wer
den, wird es möglich sein, verschiedene For
men kollektiven Verhaltens zu erfassen.
In einem ersten Teil wird es darum gehen, auf
zuzeigen, wie sich akademische Selbstverwal
tung vollzieht bzw. wie verschiedene Fakul
täten verwaltet werden. Wir stützen uns dabei auf die empirische Untersuchung der akademi
schen Selbstverwaltung einer belgischen Univer
sität, die wir im Rahmen der Doktoratsarbeit unternommen haben (FRISCHKOPF 1 9 7 3 ). Es handelt sich um eine Studie vornehmlich quali
tativer Art. Für die Materialsammlung benütz
ten wir einerseits Verwaltungsdokumente wie Sitzungsprotokolle der Fakultätsräte, Arbeits
dokumente und Berichte diverser Ausschüsse, Kurzstudien und Arbeitsberichte des Studien
büros der zentralen Verwaltung der Universi
tät. Andererseits führten wir Interviews durch, nämlich mit 93 Mitgliedern des ständigen Lehr
körpers1, mit 25 Mitgliedern des Mittelbaus, mit 48 Studentenvertretern von Fakultätsor
ganen und mit 9 Fakultätssekretären. Es ging
1 Der ständige Lehrkörper, auch akademisches Perso
nal genannt, umfaßt alle jene, die einen festen Lehr
auftrag haben und auf Lebenszeit ernannt sind.
dabei um Interviews mit offenen Fragen. Über
dies fanden zahlreiche Unterredungen mit dem Personal der zentralen Verwaltung statt. Diese Studie wurde im Mai 1969 begonnen und im April 1973 beendet.
In einem zweiten Teil werden wir zur Deutung der verschiedenen Formen kollektiven bzw.
kollegialen Verhaltens übergehen. Unser Deu
tungsschema beruht dabei auf der Annahme des offenen Systemmodels im Sinne von F. NASCHOLD
(1969) und J.D . THOMPSON (1967). Das bedeu
tet, daß die Verwaltung einer Fakultät nicht so sehr in Funktion des Prinzips rationalen bzw.
effizienten Handelns, sondern vielmehr als durch eine Vielzahl von Faktoren bestimmt gesehen wird, die institutionsinterner und -externer Art sind. Unsere Frage lautet also nicht, ob und in
wieweit die akademische Verwaltung den Krite
rien effizienten Handelns entspricht. Wir wer
den vielmehr zu untersuchen haben, um wel
chen Typus von Rationalität es sich handelt, ob das Handeln beispielsweise zweckrationalen oder wertrationalen Charakter aufweist, um die von MAX WEBER geprägte Unterscheidung zu übernehmen (1956: 29). Wir gehen dabei von der Hypothese aus, daß die Umweltbezogen- heit, bzw. -nichtbezogenheit ein die Verhal
tenslogik charakterisierendes Merkmal ist. Die
ses kennzeichnet einerseits die Fakultäten in bezug auf ihr Verhältnis zur Umwelt und be
einflußt andererseits — wie wir später sehen werden - ihre institutionsinternen Machtstruk
turen. In diesem Zusammenhang werden wir auch imstande sein, die Funktion der Kolle
gialität näher zu bestimmen.
Bevor zur Beschreibung konkreter Formen aka
demischer Selbstverwaltung übergegangen wird, soll kurz auf einige Besonderheiten der belgi
schen Universität hingewiesen werden, um die es sich hier handelt.
Ein erstes Merkmal dieser Universität ist ihre außerordentlich große Expansion während der letzten zehn Jahre. So hat sich die Zahl der Studenten sowie die der Hochschullehrer ver
doppelt, die des Mittelbaus gar verzehnfacht.
Während derselben Zeit sind die Sachmittel um das Fünffache gestiegen.
Diese Entwicklung hat eine stets zunehmende Heterogeneität in bezug auf die soziale Zusam
mensetzung der Hochschulangehörigen mit sich gebracht. Gleichzeitig haben sich gewisse soziale und kulturelle Probleme, unter anderem das Sprachenproblem, je länger je mehr in die Uni
versität hineinverlagert. Mit anderen Worten, die Universität ist je länger je mehr ins Ram
penlicht gesellschaftskritischer Auseinanderset
zungen gerückt worden. Die starke Expansion darf als eine der Ursachen dieses Phänomens angesehen werden.
In diesem Zusammenhang ist die Frage, wie die Universität ihre Probleme löst, besonders re
levant. Die Studie der akademischen Selbstver
waltung kann dazu beitragen, auf diese Frage zu antworten.
Ein weiteres Merkmal dieser Universität ist die Tatsache, daß alle Mitglieder des Lehrkörpers auf Lebenszeit ernannt sind, gleichgültig, ob es sich um Dozenten oder ordentliche Professoren handelt. Damit verbunden ist ein anderes Merk
mal, das das ganze belgische Universitätssystem kennzeichnet, nämlich die Abwesenheit jeglicher Mobilität des Lehrpersonals auf nationaler Ebe
ne. Es gibt, mit anderen Worten, keinen Arbeits
markt für dieses Personal. Das Lehrpersonal wird in den allermeisten Fällen aus dem Mit
telbau der jeweiligen Universität rekrutiert. Die berufliche Laufbahn des Hochschullehrers spielt sich also im Normalfall innerhalb der einen und der selben Institution ab. Daraus erklärt sich der starke Einfluß, den die Institution in gewissen Fällen auf die Verhaltensweise des Lehrkörpers auszuüben imstande ist, wie wir später sehen werden. Daraus geht auch die Wich
tigkeit der starken Autonomie und des beträcht
lichen Kompetenzbereichs der Fakultäten hervor.
Sowohl in bezug auf die Gestaltung der Studien
programme als auch hinsichtlich der Verteilung der Geldmittel kommt ihnen eine äußerst wichtige Funktion zu. Mit der Expansion nämlich ist die Dezentralisierung und damit der Aufgabenkreis der Fakultät stets größer geworden.
Diese Hinweise auf die besondere Situation der hier besprochenen Universität dürften zum bes
seren Verständnis der Probleme beitragen, die hier erörtert werden sollen.
Im folgenden wird nun die Verwaltung verschie
dener Fakultäten anhand zweier Probleme be
schrieben. Diese — nämlich die Gestaltung der
Lehrprogramme und -Veranstaltungen sowie die Verwaltung und Zuwendung der Geldmittel für Forschung und Lehre — sind für jede Fakultät von zentraler Bedeutung. Anschließend sollen die Fakultäten auf die sie kennzeichnenden Merkmale hin überprüft werden. Damit wird die soeben ausgesprochene Hypothese präziser ge
faßt werden können. Sie wird uns dann die Deutung der akademischen Selbstverwaltung als kollektives Verhalten der verschiedenen Fa
kultäten gestatten.
I. Formen akademischer Selbstverwaltung Für die Beschreibung der akademischen Verwal
tung der Lehre und des Haushalts greifen wir auf das typologische Verfahren zurück. Dieses bietet nämlich zwei wesentliche Vorteile. Erstens kann die Beschreibung auf einige wenige für die Typen repräsentative Fälle beschränkt werden.
Zweitens erlaubt dieses Verfahren aufgrund der festgelegten Kriterien, die verschiedenen Fakul
täten untereinander zu vergleichen. Damit ist auch die Möglichkeit der Verallgemeinerung ge
geben.
Wir werden uns zuerst mit dem Problem der Gestaltung der Lehrprogramme, anschließend mit demjenigen der Verwaltung des Haushalts befassen.
A. Die Gestaltung der Lehrprogramme In allen Fakultäten unserer belgischen Univer
sität haben in den letzten Jahren Veränderun
gen der Lehrprogramme stattgefunden2. Diese Neu- oder Umgestaltungen der Studienprogram
me wurden in den meisten Fällen durch die Liberalisierung der Gesetzgebung in bezug auf die Studienprogramme ermöglicht3. Jedoch sind die Veränderungen hinsichtlich ihrer Trag
2 Jede Fakultät besitzt ihre eigenen, festgelegten inte
grierten Studienprogramme, die sich auf alle Studien
jahre, d. h. auf das gesamte Curriculum einer Fach
ausbildung erstrecken.
3 Seit 1964 schreibt das Gesetz nicht mehr die ein
zelnen Vorlesungen vor, sondern beschränkt die Be
stimmungen auf die Materien, die gelehrt werden müssen. Dabei ist es den Universitäten überlassen, festzulegen, wie die Lehrveranstaltungen gestaltet werden sollen und was sie alles zu umfassen haben.
weite recht unterschiedlich. Die beiden folgen
den Kriterien werden uns gestatten, diese zu bestimmen. Wir haben sie gewählt, weil sie sich als jene erwiesen haben, die die Studien
reform der einzelnen Fakultäten am meisten differenzieren.
Das erste Kriterium ist das der A rt der Ver
änderungen. Diese können bloß formeller Na
tur sein. Es sind alle jene, die nur die Struktur, nicht aber den Inhalt der Lehrprogramme be
treffen. Die strategischen Veränderungen hin
gegen beziehen sich auf den Inhalt der Pro
gramme sowie auf die Lehrmethoden. Dabei ist noch zu bemerken, daß die Kategorie der strategischen Veränderungen solche formeller Art nicht ausschließt. Formelle Veränderungen aber schließen strategische aus.
Das zweite Kriterium bezieht sich auf den Ein
satz neuer personeller und finanzieller Mittel, sowie auf die Neubestimmung in bezug auf die Zuwendung der vorhandenen Mittel. Uns interes
siert vor allem, ob neue Mittel eingesetzt oder die vorhandenen neu verteilt worden sind.
Diese beiden Kriterien gestatten uns, folgende Typologie aufzustellen:
TABELLE 1
Neue Mittel Art der Veränderung
oder
Neuverteilung Strategische Formelle
+ Innovation Rationalisierung
- Adaptation Strukturveränderung
Wir werden im folgenden einen Fall pro Typus beschreiben.
1. Die Innovation
Im folgenden wollen wir den Fall der Agrono
mischen Fakultät behandeln. Diese zählte 1968/
69, d. h. zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Studienreform, rund 30 Mitglieder des ständigen Lehrkörpers, 60 Mitglieder des Mittelbaus, so
wie 330 Studenten. Sie war bis 1971 aus zwölf Forschungsgruppen zusammengesetzt, die an
läßlich der Strukturreform von 1971 auf sieben zurückgeführt wurden. Diesen Gruppen obliegt die Fachausbildung, d.h. die Ausbildung zwei
er Ingenieurtypen. Der erste davon ist wesentlich praxis-, der zweite mehr forschungsbezogen.
Die Studienreform fand zwischen 1966 und 1971 statt. Sie wurde in zwei Etappen durchgeführt.
Die erste betrifft die beiden ersten Studienjahre, genannt „Kandidatur“ , die zweite die drei Spe
zialisten- oder Ingenieurjahre. Die Erarbeitung der neuen Studienprogramme vollzog sich in den dazu erreichten Studienausschüssen. Diese er
statteten dem Fakultätsrat regelmäßig Bericht.
Darauf traf dieser — wenigstens formell — die Entscheidungen. Dieser Rat setzt sich aus dem Lehrkörper und, seit 1968/69, aus Vertretern der Studenten und des Mittelbaus zusammen.
Der innovative Charakter dieser Reform ergibt sich zuerst einmal aus der Neubestimmung der Ausbildung. Die Reform bezweckte nämlich, die Zahl der auf reine Wissensübermittlung aus
gerichteten Lehrveranstaltungen zugunsten der Ausbildung in wissenschaftlicher Methodenlehre zu vermindern. So wurden über 80 Vorlesungen aufgegeben und neue eingeführt, was eine deut
liche Verschiebung der Betonung des informati
ven zum formativen Charakter der Lehrprogram
me bedeutet. Außerdem wurde die Zahl der Wahlfächer erheblich erhöht, diejenige der Pflichtfächer aber vermindert. Die neuen Stu
dienprogramme gewährten damit den Studen
ten einen größeren Spielraum in der Wahl ihrer Fächer4. Zudem wurden einzelne Lehrveran
staltungen der Sozialwissenschaften in die Stu
dienprogramme aufgenommen. Die Lehrmetho
den schließlich erhielten durch das Einführen vermehrter Gruppenarbeit einen aktiveren Cha
rakter.
Diese Reform aber war bloß erfolgreich, weil es der Fakultät gelang, sich die nötigen Geld
mittel zu verschaffen, um neues Lehrpersonal anzuwerben. Zwischen 1968 und 1972 wurde nämlich die Zahl des Lehrkörpers um ein Drit
tel erhöht. Nur so konnten die Beschlüsse be
züglich der neuen Lehrveranstaltungen und -me- thoden verwirklicht werden.
Schließlich muß aber auch festgehalten werden, daß es bei dieser Studienreform, die deutlich innovativen Charakter hat, viele Widerstände zu überwinden galt. Nicht alle Mitglieder waren mit den Veränderungen einverstanden. Einige befürch
4 Die Wahl der Fächer muß aber immer innerhalb der von einem Lehrprogramm festgesetzten Gren
zen geschehen.
teten nämlich, Lehraufträge einzubüßen, damit nicht mehr die vorschriftsgemäße Stunden
zahl zu erreichen und so eine Einbuße nicht bloß hinsichtlich ihrer Stellung, sondern auch ihres Prestiges zu erleiden. Wir werden später noch darauf zurückkommen. Wichtig aber ist, daß es der Fakultät gelungen ist, diese Wider
stände zu überwinden.
2. Die Adaptation
Wir führen hier als Beipiel die Geisteswissen
schaftliche Fakultät an. Diese umfaßt die Phi
lologie, Geschichtswissenschaft, Archäologie und die Schönen Künste. 1968/69 zählte sie rund
110 Mitglieder des akademischen Personals, 65 Mitglieder des Mittelbaus und 2800 Studenten.
Während der ersten zwei Studienjahre umfassen die Lehrprogramme gewisse Pflichtfächer, die allen Fachrichtungen der Fakultät gemeinsam sind. Die Zahl dieser Fächer wurde nun durch die Reform vermindert. Dafür wurden die Pro
gramme ab dem ersten Ausbildungsjahr mehr spezialisiert. Überdies wurde die obligate Vor
lesungsstundenzahl stark vermindert.
Die Programme der eigentlichen Spezialisierungs
jahre wurden wenig verändert. In einigen Fällen wurde die Zahl der Wahlfächer erhöht und die der Pflichtfächer vermindert. Zum Teil wurden Vorlesungen umbenannt. Wie es sich aber nach
her herausgestellt hat, war diese Umbenennung in den meisten Fällen bloß nomineller Art, d. h.
ohne Folge in bezug auf den Inhalt der betreffen
den Vorlesungen. Schließlich wurden einige neue Vorlesungen in die Programme aufgenommen.
Die Lehrmethoden blieben unverändert.
Die durchgeführten Veränderungen wurden von den Fachbereichen dem Fakultätsrat zur Ge
nehmigung vorgelegt. Obwohl es hier einige Ver
änderungen strategischer Art gab, handelt es sich bei dieser Reform doch vor allem um partiel
le Anpassungsversuche und keineswegs um eine Neubestimmung der Ausbildungsziele. Das ist be
sonders deutlich zutage getreten, als die Studen
ten das Problem der Lehrerausbildung aufwarfen und vorschlugen, zwei verschiedene Lehrprogram
me zu entwerfen, das eine auf die Lehrtätigkeit, das andere auf die Forschung hin ausgerichtet.
Die Mitglieder des Lehrkörpers lehnten diesen
Vorschlag grundsätzlich ab, ohne eine andere Lö
sung vorzuschlagen. Diese Haltung des Lehrkör
pers ist insofern bedeutend, als rund 80% der Diplomträger dieser Fakultät im Unterricht tätig sind und sich, wie eine Umfrage gezeigt hat, über mangelhafte Ausbildung beschweren5.
Schließlich hätte auch ein anderes Problem zu einer Neubestimmung der Ausbildungsziele füh
ren können, nämlich das der steigenden Arbeits
losigkeit der Diplomträger dieser Fakultät und insbesondere das der zunehmenden quantitativen und qualitativen Unterbenützung der fachlichen Qualifikation6. Doch konnte sich diese Fakultät zu keiner tiefgreifenden Umorientierung der von ihr vermittelten Ausbildung entschließen.
Das Ausbleiben einer Neubestimmung der vor
handenen personellen und finanziellen Mittel, etwa die Neuverteilung der Lehraufträge, wie dies in anderen Fällen geschehen ist, hat die Mög
lichkeit strategischer Veränderungen zweifelsohne erheblich vermindert. Die bei den Auseinander
setzungen zutage getretenen Widerstände gegen tiefgreifendere Veränderungen sind der Grund für dieses Ausbleiben.
Der folgende Typus, zu dessen Besprechung wir jetzt übergehen, ist noch stärker durch Widerstän
de geprägt.
3. Die Strukturveränderung
Die Umgestaltung der Lehrprogramme des Philo
sophischen Instituts, das mit der Geisteswissen
schaftlichen Fakultät zwar zusammenarbeitet, verwaltungsmäßig aber autonom ist7, kann als typischer Fall einer bloßen Strukturveränderung betrachtet werden.
Das Institut zählte 1968/69 15 Mitglieder des akademischen Personals, 5 Mitglieder des Mittel
baus und rund 250 Studenten.
5 Es geht hier um eine vom Studienberatungsdienst der Universität durchgeführte Umfrage.
6 Es handelt sich hier ebenfalls um eine Feststellung der oben erwähnten Umfrage.
7 Dieses Institut verfügt faktisch, wenn auch nicht verfassungsmäßig, über dieselbe Autonom ie wie eine Fakultät.
Die Veränderungen wurden durch den Instituts
rat erörtert und beschlossen. In diesem sind seit 1968 auch Studenten und Mitglieder des Mittel
baus vertreten.
In bezug auf die zwei Kandidatenjahre, d.h. der beiden ersten Ausbildungsjahre, bestand die Ver
änderung im Festlegen bestimmter spezialisierter Studieneinrichtungen und gemeinsamer Pflicht
vorlesungen. Die Studienprogramme wurden also umgestaltet. Der Inhalt der Lehrveranstaltungen blieb aber unverändert.
Die Studienprogramme der auf die ersten zwei Ausbüdungsjahre folgenden eigentlichen Fach
ausbildung wurden ebenfalls umgestaltet. Gewisse Pflichtfächer wurden in Wahlfächer umgewan
delt. Diese wurden thematisch gruppiert. Lehr
inhalt und Lehrmethoden aber blieben unverän
dert. Das Drängen der Studenten auf eine tief
greifendere Reform blieb dabei ergebnislos. Auch in diesem Fall war die Umbenennung einiger Vor
lesungen bloß nomineller Art. Damit sind also die durch dieses Institut vorgenommenen Ver
änderungen an den Lehrprogrammen nicht über eine Strukturveränderung hinausgegangen. Über
dies haben diese Strukturveränderungen das Pro
blem der Ausbildungsziele völlig unberührt gelas
sen. Auch ist es weder zum Einsatz neuer Mit
tel noch zu einer Neuverteilung der vorhandenen Mittel gekommen. Die Grenzen dieser „Reform“
sind deutlich.
4. Die Rationalisierung
Diesem vierten Typus, nämlich der Rationalisie
rung der Lehrprogramme, sind wir in unserer Studie nicht begegnet. Wir gehen deshalb auch nicht weiter darauf ein.
Abschließend können wir hier festhalten, daß die drei erörterten Typen drei Studienreformen mit unterschiedlicher Tragweite darstellen, wie dies aus der Darstellung hervorgegangen sein dürf
te. Wir können damit zur Prüfung der Haushalts
praxis der Fakultäten übergehen.
B. Die Verwaltung des Haushalts
Seit 1966 ist die Haushaltsplanung und die Zu
wendung der Geldmittel an die Forschungs- und
Lehreinheiten den Fakultäten übertragen. Die Art und Weise der Verwaltung ist bedeutend, da sie uns gestattet, die dem kollektiven Handeln zugrunde liegende, vorherrschende Verhaltens- logik besser zu erfassen8.
Wir benutzten hier wiederum das typologische Verfahren. Zu diesem Zweck müssen wir die entsprechenden Kriterien kurz erörtern.
Die beiden Aspekte, die wir hier festhalten, sind einerseits die Kriterien der Zuwendung der Geld
mittel für Lehre und Forschung und anderer
seits die Natur der Entscheidungsstrukturen. Die
se beiden Aspekte haben sich in der Analyse als Merkmale ausgewiesen, die die Haushalts
praxis der verschiedenen Fakultäten am besten charakterisieren.
Was den ersten Aspekt betrifft, so unterscheiden wir zwei Typen von Kriterien. Der erste betrifft die Leistung und die Produktivität der Forschungs
und der Lehreinheiten, der zweite die institutions- odergruppeninternen Bedürfnisse und Anforderun
gen. Wir werden sehen, daß in gewissen Fällen die Kriterien des ersten Typus, in anderen die des zweiten die Haushaltspraxis maßgeblich be
stimmen.
Hinsichtlich der Strukturen lautet die Frage, ob die Entscheidungsgewalt durch die „Peergruppe“
als solche, d. h. durch die Gesamtheit der Ange
hörigen des ständigen Lehrkörpers, oder durch einen eigens dazu bestimmten Ausschuß, d. h.
durch eine zahlenmäßig geringe Vertretergruppe, ausgeübt wird.
Diese beiden Aspekte ermöglichen es uns, folgen
de Typen zu unterscheiden:
TABELLE 2 Zuwendungs- kriterien
Struktur Ausschuß Peergruppe Produktivität Bürokratische
Beurteilung
Peerkontrolle
Institutionelle Maximierungs Kompromiß
Bedürfnisse strategie strategie
Anhand dieser Typologie werden wir im folgen
den die Haushaltspraxis der Fakultäten analysie
ren, deren Studienreformen wir im vorigen Para
graphen beschrieben haben. Wir werden dabei die Bedeutung der verschiedenen Typen erläu
tern.
1. Die bürokratische Beurteilung
Die bürokratische Beurteilung beruht wesentlich auf dem Kriterium der Produktivität. Das bedeu
tet, daß die Geldmittel aufgrund der Bewertung der gelieferten Leistung einerseits, der erhofften Leistung andererseits zugeteilt werden. Die Be
wertung ist also das kennzeichnende Merkmal dieser Haushaltspraxis.
Diese Bewertung zeigt bürokratischen Charakter.
Dies aus einem doppelten Grund. Erstens beruht sie auf expliziten Kriterien, die allgemeingültig sind und die dementsprechend unpersönlichen Charakter haben. Zum zweiten wird diese Be
urteilung von einem Ausschuß unternommen und nicht von der Peergruppe selber. Diese Zentrali
sierung trägt ebenfalls zur Entpersönlichung der Beurteilung bei, da dadurch die Beziehungen ihren kollegialen Charakter verlieren und eine hierarchi
sche Form annehmen.
Die Agronomische Fakultät darf als typischer Fall dieser Haushaltspraxis angesehen werden.
Der Haushaltsplan und die Zuteilung der Geld
mittel ist dabei Aufgabe des Fakultätsbüros. Die
ses Organ besteht aus dem Dekan, dem Fakul
tätssekretär und je einem Vertreter der sieben Fachbereiche, sowie aus zwei Studenten- und zwei Mittelbauvertretern. Es besitzt beschluß
fassende Kraft. Seine Entscheidungen sind also bindend.
Die in diesem Fall benutzten Kriterien sind die folgenden. Für die Lehre werden die Geldmit
tel in Funktion der Anzahl Studenten einerseits, der Anzahl des Lehrpersonals andererseits zuge
teilt. Für die Forschung ist die Zahl der wissen
schaftlichen Veröffentlichungen ausschlaggebend, und zwar die Anzahl der im „Current Content“
8 Wir sprechen hier von vorherrschender Logik, da es natürlich nicht anzunehmen ist, daß sich das Handeln aller Mitglieder einer Fakultät durch diesel
be Logik kennzeichnet. Dabei kann eine Logik vor
herrschend sein, weil sie von der Mehrheit vertreten wird, oder aber, weil sie von der Minderheit, die die Macht innehat, der Mehrheit aufgezwungen wird.
aufgenommenen Artikel, sowie die Anzahl Ver
weisungen, die im „Science Citation Index“
festgehalten sind. Durch diese Kriterien wird also sowohl der qualitative als der quantitative Aspekt der Produktivität berücksichtigt. Diese strenge Bewertung hatte dann auch mehr als einmal zur Folge, daß gewissen Einheiten keine neuen Geld
mittel zugeteilt worden sind. Dies zeigt im übri
gen deutlich, daß die Mittel in Funktion festge
setzter Ziele eingesetzt werden, oder mit ande
ren Worten, daß die Fakultät eine Politik ver
folgt.
Es muß hier allerdings beigefügt werden, daß die
se Haushaltspraxis bloß für die universitätsinter
nen Mittel Geltung hat. Die Geldmittel anderer Herkunft werden ausschließlich durch die be
treffenden Forschungseinheiten selbst verwaltet, ohne daß die Fakultät dazwischen kommt.
Wir können abschließend festhalten, daß sich die
se Form von Verwaltung durch eine starke Pro- duktionsbezogenheit kennzeichnet.
2. Die Maximierungsstrategie
Dieser zweite Typus ist, im Gegensatz zum er
sten, stark institutionsbezogen. Die Geldmittel dienen zur Erhaltung der bestehenden Forschungs
und Lehreinheiten. Das bedeutet, daß die insti
tutioneilen Bedürfnisse denen der Produktivität gleichgesetzt werden oder sogar übergeordnet sind. Die Zielstruktur wird somit als gegeben vorausgesetzt. Das zentrale Problem dieser Haus
haltspraxis ist dementsprechend das Festlegen der Bedürfnisse der einzelnen Forschungs- und Lehreinheiten.
Inwieweit diese Praxis bürokratischen Charakter hat, hängt davon ab, ob die Zuteilungskriterien formell definiert und somit explizit sind, oder ob sie implizit, situationsgebunden und damit nicht allgemeingültig sind. Im ersten Fall ist der bürokratische Charakter umso ausgeprägter, als die Verwaltungsstrukturen zentralisiert sind. Im zweiten Fall hat die Zentralisierung die Maxi
mierungsstrategie zur Folge. Dabei spielt das Ver
handlungsgeschick und die „bargaining-power“
der Fachbereichvertreter eine wichtige Rolle. Die
se versuchen dann, die Entscheidungen so zu beeinflussen, daß die von ihnen vertretenen Grup
pen ein Höchstmaß von Vorteilen erhalten.
Entscheidend also für diesen Typus ist, daß die Mittelzuwendung wesentlich in Funktion der be
stehenden und als legitim betrachteten Bedürf
nisse vollzogen, und daß sie dementsprechend nicht Anlaß zur Neubestimmung der Zielstruk
tur wird.
Die Geisteswissenschaftliche Fakultät kann als typischer Fall der sich durch die Maximierungs
strategie kennzeichnenden Haushaltspraxis ange
sehen werden. Das Fakultätsbüro, bestehend aus dem Dekan, dem Fakultätssekretär und den Ver
tretern der verschiedenen Fachbereiche, ist mit dem Aufstellen des Haushaltsplanes beauftragt.
Formell hat es jedoch keine Entscheidungsgewalt.
Diese liegt beim Fakultätsrat. Faktisch aber übt das Büro auch das Entscheidungsrecht aus, da der Fakultätsrat infolge seiner Größe und sei
ner Heterogenität außerstande ist, dieses Recht selber auszuüben.
Das Büro bestimmt den Anteil jedes Fachbe
reichs. Die Fachbereiche ihrerseits verteilen die Geldmittel unter ihre Lehr- und Forschungsein
heiten. Die Geldmittel werden also nicht an die Einheiten direkt verteilt, wie das etwa im Fall der Agronomischen Fakultät geschieht.
Da das Büro den Haushaltsplan nicht aufgrund fester, eindeutiger und expliziter Kriterien erstellt, ist die Zuteilung der Geldmittel hauptsächlich das Ergebnis langwieriger und oft konfliktvoller Unterhandlungen. Jeder Fachbereich erstrebt nämlich die ihm günstigste Verteilung, d. h. die Maximierung seiner Vorteile, um seine inter
nen Bedürfnisse optimal zu befriedigen. Dadurch aber, daß die Zuteilung nicht durch die Gesamt
heit der Peergruppe, sondern durch ein zentrales Organ gehandhabt wird, und die Vertreter dem
entsprechend nicht ihre eigenen Interessen, son
dern die ihrer Fachbereiche verteidigen, entwik- keln sich die Konflikte nicht zu persönlichen Konflikten, sondern bleiben Sachkonflikte. Ent
scheidend für das Austragen solcher Konflikte und damit auch für die Verteilung der Geldmit
tel ist die Verhandlungstaktik und, in man
chen Fällen, eine geschickte Bündnispolitik. Auch erworbene Rechte spielen dabei oft eine wichti
ge Rolle. Grundsätzlich aber hängt der Ausgang solcher Unterhandlungen von vielen, oft nur we
nig kontrollierbaren Faktoren ab, im besonderen von den fakultätsinternen Machtverhältnissen.
Wir werden im folgenden nun sehen, wie die Verteilung vor sich geht, wenn die Gesamtheit der Peergruppe an der Haushaltspraxis beteiligt ist.
3. Die Kompromißstrategie
Die Kompromißstrategie hat mit der soeben be
schriebenen Maximierungsstrategie die Abwe
senheit expliziter, allgemeingültiger Kriterien ge
meinsam. Was sie aber von dieser zweiten unter
scheidet, ist der Umstand, daß die Entscheidun
gen einen unmittelbaren Einfluß auf die kolle
gialen Beziehungen haben können. Die Gefahr der Auslösung persönlicher Konflikte ist damit groß. An die Stelle der Maximierungsstrategie tritt deshalb die Kompromißstrategie. Diese beruht grundsätzlich auf dem Prinzip der Gegenseitig
keit. Das bedeutet, daß die Interessen der einen Einheit von der Gruppe nur soweit anerkannt werden, als diese Einheit zu Zugeständnissen andern Einheiten gegenüber bereit ist. Dieser Tausch und Austausch von Vorteilen ist für die
se Haushaltspraxis kennzeichnend. Dabei wirkt dieses Tauschsystem als regulierender oder aus
gleichender Mechanismus und trägt damit zum Erhalten des inneren Gleichgewichts der Peer
gruppe und zu ihrer Kontinuität bei.
Die Komp/omißstrategie findet sich vor allem in kleinen Fakultäten sowie auf Instituts- und Fachbereichsebene vor. Sie kennzeichnet unter anderem auch die Haushaltspraxis des Philoso
phischen Instituts.
Die Verteilung der Geldmittel geschieht im Fal
le dieses Instituts durch den Institutsrat, d. h.
durch den „Peerrat“ , Dieser entscheidet im Rah
men der Haushaltsplanung über die Zahl* der Assistenten einer Einheit, über die Höhe ihres Bücherbudgets, über die Größe ihrer Forschungs
gelder, usw. Nun geschieht es oft, daß infolge der Mittelknappheit die Ansprüche der verschie
denen Einheiten bloß teilweise berücksichtigt werden können, vor allem, was die Forderungen nach Assistenten und wissenschaftlichen Mit
arbeitern betrifft. Die Folge davon ist das Ab
wägen und Verhandeln gegenseitiger Zugeständ
nisse, das Ergebnis das Schließen konfliktvermei
dender Kompromisse. So kommt es zum Beispiel vor, daß das Bücherbudget einer Einheit erhöht wird, weil der Peerrat deren Forderung nach einer
neuen Assistentenstelle nicht nachkommen zu können glaubt, die Forderung aber als gerecht
fertigt anerkennt. Da die Gegenseitigkeit als Grundregel kollegialen Verhaltens gilt, kommt es in diesen Fällen sozusagen nie zu Konflikt- ausbrüchen. Konflikte können eben im Fall der Kompromißstrategie umso leichter vermieden werden, als die Verteilung der Geldmittel nie auf der Beurteilung der Leistung einer Einheit beruht und damit nicht zur Infragestellung des persönlichen Prestiges der Forscher und Lehren
den führt, sondern wesentlich Funktion ist der von den einzelnen Forschern und Lehrenden er
klärten Bedürfnisse, die zumindest als ebenso sach- als personenbezogen gelten können. Übri
gens stellt man fest, daß auch in anderen Grup
pen die Haushaltsplanung und das Verteilen der Geldmittel selten Ursache, mitunter aber wohl Anlaß des Ausbruchs bereits bestehender Konflik
te ist.
Es bleibt uns schließlich die Darstellung unseres vierten Typus.
4. Die Peerkontrolle
Das entscheidende Zuteilungskriterium ist jenes der Produktivität. Die Bewertung und die Kon
trolle der Leistung der Einheiten wird dabei von der Peergruppe selbst durchgeführt.
Nun haben wir aber keine Fakultät und keine Gruppe angetroffen, die sich durch diese Haus
haltspraxis kennzeichnet. Kollegialität als Ent
scheidungsmodalität scheint nur in bestimmten Grenzen möglich zu sein. Diese Grenzen sind, wie die beiden vorherigen Typen von Haushalts
praxis gezeigt haben, institutsinterner Art und werden vor allem sichtbar, wenn den sozialen Beziehungen innerhalb einer Gruppe, und damit
auch ihrem inneren Gleichgewicht, Gefahr droht.
Am Schluß dieses deskriptiven Teils möchten wir in einer zusammenfassenden Tabelle zeigen, wie sich die hier angeführten Fakultäten hin
sichtlich der Gestaltung der Lehrpläne sowie be
züglich der Haushaltspraxis kennzeichnen. Bei dieser Darstellung werden wir auch die anderen Fakultäten erwähnen, die wir in unserer Studie über die akademische Selbstverwaltung analysiert haben, auf deren Beschreibung wir aber im Rah
men dieses Artikels verzichten mußten.
TABELLE 3
Haushaltspraxis Studienreform
Innovation Adaptation Strukturveränderung
Bürokratische Beurteilung
Fakultäten:
Agronomie Ingenieur
wissenschaften Medizin Maximierungs
strategie
Fakultäten9 : Geistes
wissenschaften Naturwissen
schaften Kompromiß
strategie
Fakultät:
Rechts
wissenschaften
Fachbereiche:
Geistes
wissenschaften Naturwissen
schaften
Philosophisches Institut
Wir möchten im folgenden Teil nun zur Deutung der hier festgehaltenen Verwaltungsformen über
gehen.
II. Deutung der Formen akademischer Verwal
tung und Funktion der Kollegialität
Zuerst werden wir die eingangs formulierte Hy
pothese genauer bestimmen. Anschließend wer
den wir anhand dieser Hypothese die verschiede
nen Verwaltungsformen deuten.
A. Zwei Verhaltenslogiken
Wir gehen von der Hypothese aus, daß das Ver
hältnis zur Umwelt ein die Verhaltenslogik kenn
zeichnendes Merkmal ist. Das bedeutet, daß die Verwaltung als kollektives Verhalten wesentlich durch das Umweltverhältnis bestimmt ist. Wir werden deshalb die verschiedenen Fakultäten zuerst auf ihre Umweltbezogenheit hin prüfen.
Um diese empirisch zu erfassen, benützen wir die folgenden zwei Indikatoren: der erste be
trifft das Ausmaß der praxisbezogenen For
schung, der zweite die Wichtigkeit universitäts
externer Forschungsgelder.
9 Wie wir gesehen haben, vollzieht sich die Zuteilung der Geldmittel in zwei Etappen. In der ersten wer
den die Mittel den Fachbereichen zugeteilt, in der zweiten werden die Mittel innerhalb der verschiede
nen Fachbereiche den Einheiten zugeteilt.
Was den ersten Indikator betrifft, ist zu bemer
ken, daß die nähere Bestimmung der Natur der Forschung nicht immer leicht fällt. Doch ist die
ser Indikator durchaus brauchbar, wenn es darum geht, Tendenzen freizulegen, und wenn sich die Unterscheidung auf zwei Kategorien beschränkt, wie dies hier geschieht, nämlich Grundlagenfor
schung einerseits, praxisbezogene Forschung an
dererseits.
Was den zweiten Indikator betrifft, wäre eine genauere Bestimmung der Herkunft wünschens
wert. Leider gestatten die zur Verfügung stehen
den Angaben dies nicht. Überdies ist hier eine Einschränkung zu machen. Die Höhe der uni
versitätsexternen Geldmittel kann auch durch Faktoren wie das Prestige der Forscher mitbe
einflußt sein. Deshalb messen wir diesem zwei
ten Indikator bloß ein halb so großes Gewicht bei wie dem ersten.
Für den ersten Indikator berechnen wir den Pro
zentsatz der praxisbezogenen Forschungsprogram
me bezüglich der Gesamtzahl der Forschungspro
gramme. Für den zweiten Indikator berechnen wir den Prozentsatz der Forschungsgelder uni
versitätsexterner Herkunft hinsichtlich der To
talsumme der Forschungsgelder. Wir benützen dafür die uns zur Verfügung stehenden Angaben, die sich auf die Jahre 1969 und 1971 erstrecken10 *
10 Als Quelle haben wir die Jahresberichte der Einhei
ten für die Jahre 1969 und 1971 benützt, die verfaßt
TABELLE 4
Fakultät Praxisbez. Forschung
1969 1971
Univ. externe Mittel 1969 1971
Punktzahl
Agronomie 56% 73% 61% 79% 18,5
Medizin 72 55 51 72 18
Ingenieurwissenschaften 67 55 37 64 15,5
Rechtswissenschaften 69 38 19 63 12,5
Naturwissenschaften 18 28 48 55 7,5
Geisteswissenschaften 23 4 50 43 6,5
Philosophie 0 0 80 6 4
Die Punktzahl vermittelt den Durchschnittswert der Jahre 1969 und 1971. Sie ergibt sich aus der mit zwei geteilten Summe der für praxisbezoge
ne Forschung und externe Geldmittel zugeteilten Punkte. Die Punkte werden folgendermaßen zuge
teilt: 0 -10% : 0 Punkt, 11-20% : 1 Punkt, 2 1 - 30%: 2 Punkte, usw. Die Punktzahl für Forschung wird doppelt gezählt.
Um die Umweltbezogenheit qualitativ besser zu erfassen, benützen wir folgende Kategorien11.
TABELLE 5
Umweltbezogenheit Punktzahl
Sehr schwach 0 - 5
Schwach 5 ,5 - 1 0
Mittelmäßig 1 0 ,5 -1 5
Stark 15,5 und mehr
Somit kennzeichnen sich die Fakultäten folgen
dermaßen:
TABELLE 6
Umweltbezogenheit Fakultäten
Sehr schwach Philosophie
Schwach Geisteswissenschaften
Naturwissenschaften
Mittelmäßig Rechtswissenschaften
Stark Ingenieurwissenschaften,
Medizin, Agronomie
sind für: Les Service^ de la Programmation Scienti- fique du Ministere de TEducation Nationale et de la Culture.
11 Diese Vierteilung ist natürlich nur insofern von Inter
esse, als sie erlaubt, die Fakultäten in bezug auf die Umweltbezogenheit voneinander zu unterscheiden.
Es kommt ihr also durchaus kein absoluter Wert zu.
Die Bedeutung dieser Ergebnisse tritt noch deut
licher zutage, wenn diese in den Zusammenhang mit dem vorherrschenden Wissenschaftskonzept der Fakultäten gebracht werden. Die Dokumen
tenanalyse12 * sowie die Interviews haben nämlich zur Feststellung geführt, daß die vorherrschende Auffassung bezüglich der Zweckbestimmung der Wissenschaft in den Fällen des Philosophischen Instituts, der Geisteswissenschaftlichen und der Naturwissenschaftlichen Fakultät einen stark aus
geprägten wertrationalen Charakter hat, während sie im Fall der Rechtswissenschaften und vor al
lem der Medizin, der Agronomie und der Ingeni
eurwissenschaften überwiegend zweckrationaler Art ist. Im ersten Fall wird der Wissenschaft un
bedingter Eigenwert zuerkannt und Wissenschaft als edle, dem Nutzgedanken abholde Beschäfti
gung verstanden. Im zweiten Fall wird sie vor allem als im Dienste ihr äußerer Zwecke und an
derer Werte wie etwa Fortschritt, Technik usw.
begriffen.
Die Feststellung nun bezüglich der Verschieden
artigkeit der Umweltbezogenheit einerseits, des Wissenschaftskonzepts andererseits, veranlassen uns, die Hypothese einer zweifachen Verhaltens
logik aufzustellen. Im Fall starker Umweltbezo
genheit und zweckrationaler Wissenschaftsauf
fassung ist die vorherrschende Logik jene der Produktivität und der Wettbewerbshaltung. Die
se Logik bekundet sich durch den Willen, den Forderungen der Umwelt zu entsprechen und somit einen für die Umwelt sozial nützlichen Beitrag zu liefern. Im Fall schwacher Umwelt
bezogenheit und wertrationaler Wissenschafts
auffassung hingegen verselbständigen sich die
12 Es handelt sich um eine Reihe Dokumente, die von den verschiedenen Fakultäten anläßlich der 1968 in Gang gekommenen Diskussion bezüglich der Uni
versitätsreform verfaßt worden waren.
mstitutionsinfernen Forderungen (inneres Gleichgewicht und Überleben der Gruppe, gu
tes Einvernehmen der Mitglieder untereinan
der) denen der Umwelt gegenüber. Die Institu
tion (Fakultät, Institut usw.) erhält Eigenwert, insofern sie ihren Mitgliedern Status und Presti
ge verleiht. Die vorherrschende Logik ist die der „notabilite“ 13. So sehr also das Verhalten im ersten Fall umweit- und produktionsbezogen ist, so sehr ist es im zweiten Fall institutions- und statusbezogen.
Diese Hypothese wird uns nun gestatten, die aka
demische Selbstverwaltung der Fakultäten zu deuten. Dabei wird sich die Hypothese bezüglich ihrer Relevanz und ihrer Nützlichkeit ausweisen müssen. Gleichzeitig werden wir auch die Mög
lichkeit haben, ihre Tragweite besser aufzuzeigen.
B. Die Akademische Selbstverwaltung im Licht der beiden Verhaltenslogiken
Die Logik der Produktivität und der Wettbewerbs
haltung kann uns das Verhalten der ersten Grup
pe von Fakultäten erklären, nämlich der Fakul
tät der Agronomie, der Medizin und der Inge
nieurwissenschaften.
Die starke Umweltbezogenheit und die zweck
rationale Wissenschaftsauffassung können zunächst einmal für den innovativen Charakter der Studien
reform als verantwortlich angesehen werden. Die Wichtigkeit der Veränderungen, die, wie wir ge
sehen haben, nicht ohne Widerstand zustande ge
kommen waren, ist gleichsam der Ausdruck der Unterordnung der institutionsinternen Bedürf
nisse und Forderungen unter jene der Berufspra
xis. Diese Veränderungen, die die Lehrtätigkeit der meisten Lehrenden dieser Fakultäten be
troffen haben, waren bloß darum möglich, weil die Einzelinteressen einer durch die Forderun-
13 Es soll hier der französische Begriff beibehalten wer
den, da er besser als etwaige deutsche Übersetzungen die auf gehobener sozialer Stellung beruhende An- dersgeartetheit hervorhebt. Der „notable“ kennzeich
net sich vornehmlich durch seine Nähe hinsicht
lich der zentralen Werte des sozialen Systems. Die Logik der „notabilite“ charakterisiert eine Verhal
tensweise, die vor allem vom Wissen um die soziale Sonderstellung und von der Sorge, diese Stellung zu bewahren, geleitet wird. Der Leistungsgedanke ist von sekundärer Bedeutung.
gen der Umwelt weitgehend bestimmten Gesamt
politik Platz gemacht hatten.
Diese Politik kommt in der Haushaltspraxis noch stärker zum Ausdruck. Die Haushaltsplanung so
wie die Mittelzuteilung geschieht nämlich im Fall dieser Fakultäten nicht in Funktion insti
tutions- und statusorientierter, sondern leistungs
orientierter Kriterien. Die Tatsache etwa, daß es in diesen Fakultäten immer wieder vorkommt, daß gewissen Einheiten keine neuen Forschungs
gelder zugeteilt werden, weil sie den Kriterien nicht entsprechen, zeugt von der Wirklichkeit dieser auf Produktivität ausgerichteten Politik.
Dabei muß im Fall dieser Fakultäten noch auf ein anderes Phänomen hingewiesen werden. Es ist dasjenige des leadership14. Die Analyse des Kompetenzbereichs der Dekane dieser Fakultä
ten hat gezeigt, daß die Dekane über große Macht
befugnisse verfugen und daß ihnen eine stark politisch geprägte Rolle zukommt. Sie üben näm
lich auf die durch ihre Fakultäten verfolgte Po
litik einen entscheidenden Einfluß aus. In der Gestaltung des Lehrplans und der Verwaltung des Haushalts wird dies besonders deutlich sicht
bar. Die Zentralisierung der Verwaltungsstruktu
ren, die in diesen Fakultäten stattgefunden hat, kommt dieser Einflußnahme weitgehend entge
gen. Während also die auf Produktivität ausgerich
tete vorherrschende Verhaltenslogik die Führungs
rolle des Dekans ermöglicht, trägt das Ausüben dieser Rolle durch den Dekan entscheidend zum Gelingen der leistungsorientierten Politik und da
mit auch zur Verstärkung der auf Produktivität und Wettbewerbshaltung ausgerichteten Verhal
tenslogik bei.
Die Logik der „notabilite“ ihrerseits ist in der Lage, die Verwaltungspraxis der Fakultäten zu erklären, die sich durch eine Studienreform mit beschränkter Tragweite (Adaptation, Struktur
veränderung) und durch eine institutionsorien
tierte Haushaltspraxis kennzeichnen. Es geht hier um die Geistes- und die Naturwissenschaftliche Fakultät sowie um das Philosophische Institut.
Die Studienreform weist in diesen Fällen wenige
14 Wir gebrauchen hier den Begriff „leadership“ im Sinne von PH. SELZNICK (1957), wonach dem leader nicht bloß eine verwaltende, sondern auch vor allem eine politische Rolle zukommt.
oder teilweise sogar keine tiefgreifenden Verän
derungen auf. Diese Tatsache erklärt sich vor
wiegend durch die schwache Umweltbezogenheit und die damit verbundene Verselbständigung der gruppeninternen Forderungen gegenüber denen der Umwelt, d. h. der Berufspraxis. Der starke Widerstand vieler Lehrenden den Erneuerungen der Lehrpläne gegenüber hat nicht bloß das Be
stehen vieler partikularer Interessen sichtbar wer
den lassen, sondern diesen Interessen auch zum Durchbruch verholfen. Die Tatsache etwa, daß in diesen Fällen keine bestehenden Lehrveranstal
tungen umgestaltet oder aufgehoben worden sind, erklärt sich weitgehend durch die Sorge der Leh
renden um ihre Stellung in der Institution. So konnte man feststellen, daß die Befürchtung, nicht mehr die reglementär festgesetzte Stunden
zahl zu erreichen, eine wichtige Rolle gespielt hat. Dabei ging es aber nicht bloß um den ma
teriellen Aspekt des Status (Besoldung), sondern auch um den symbolischen Aspekt. Viele Lehren
de betrachteten nämlich die Eingriffe in den Lehrplan, sofern diese ihre eigenen Lehrveran
staltungen betrafen, als eine Infragestellung ihres Prestiges. Dies wurde unter anderem sichtbar, wenn es darum ging, Pflichtfächer in Wahlfächer zu verwandeln. Somit waren diese Studienrefor
men vielmehr das Ergebnis der Sorge um die Beibehaltung der Stellung der Lehrenden als der Beantwortung der Forderungen der beruflichen Ausbildung. Mit anderen Worten, nicht die Sor
ge um die Produktivität, sondern die um die
„notabilite“ hat die Tragweite dieser Reformen bestimmt.
Auch die Haushaltspraxis kann in diesen Fällen durch das Vorherrschen der status- und institu
tionsorientierten Verhaltenslogik erklärt werden.
Bei schwacher Umweltbezogenheit und wertratio
naler Wissenschaftsauffassung wird nämlich das An wenden leistungsorientierter Kriterien äußerst
schwierig, und dies sowohl im Fall der Maxi
mierungsstrategie als der Kompromißstrategie.
Die Beurteilung bezüglich der Leistung würde in diesen Fällen unverweigerlich zu vielen per
sönlichen Konflikten Anlaß geben, die das in
nere Gleichgewicht und somit auch das Überle
ben einer Gruppe bedrohen würden. Deshalb wer
den in diesen Fällen vornehmlich Kriterien an
gewendet, die vor allem als sachbezogen gelten können, wie etwa die Anzahl der zu betreuenden Studenten, die Kosten der Einrichtungen usw.
Damit erleidet die Stellung der Betroffenen, selbst
wenn ihren Forderungen nur teilweise nachgekom
men wird, keine unmittelbare Einbuße. Denn die Beschränkung in der Mittelzuteilung kann weitgehend durch die Beschränktheit der Mittel und unabhängig von der Leistung und der Kom
petenz der betroffenen Personen gerechtfertigt werden.
Überdies konnten wir in diesen Fällen feststel
len, daß die Dekane nur in sehr geringem Maße imstande sind, eine Führungsrolle zu übernehmen.
Ihre Rolle ist vielmehr die eines Vermittlers und, in Konfliktfällen, die eines Schiedsrichters. Ihre Aufgabe besteht vor allem darin, das innere Gleich
gewicht der Gruppe und das gute Einvernehmen unter den Mitgliedern zu sichern. Sie stehen damit wesentlich im Dienst eines durch die Sorge um die „notabilite“ gekennzeichneten Wertsystems.
Schließlich müssen wir noch kurz auf den Fall der Fakultät der Rechtswissenschaften einge- hen. Ihre Studienreform hatte innovativen Charak
ter, ihre Haushaltspraxis hingegen ist die der Kompromißstrategie. Diese widersprüchliche Ver
haltensweise kann durch die Anwesenheit der beiden Verhaltenslogiken erklärt werden, genau
er, durch den Umstand, daß keine der beiden Logiken vorherrschend ist. Die mittelmäßige Um
weltbezogenheit darf als Bekräftigung dieser Hy
pothese angesehen werden. Im übrigen konnten wir feststellen, daß diese Doppeldeutigkeit auch in der Rolle des Dekans zum Ausdruck kommt, insofern diese Rolle vor allem durch die Person des Dekans, und nicht durch eine vorherrschen
de und die Fakultät kennzeichnende Verhaltens
logik bestimmt wird. Mit anderen Worten, diese Rolle ändert sich in entscheidendem Maße mit der Person des Dekans, ein Phänomen, das wir in andern Fakultäten nur in viel geringerem Maß angetroffen haben.
Abschließend können wir festhalten, daß unsere Hypothese der doppelten Verhaltenslogik die Verhaltensweisen der auf die akademische Selbst
verwaltung untersuchten Fakultäten kohärent und befriedigend zu deuten imstande ist. Ihre Relevanz kann somit als genügend ausgewiesen betrachtet werden.
Zum Schluß möchten wir noch kurz die zwei hier festgehaltenen Verhaltensweisen idealtypisch und somit schärfer gegeneinander abgrenzen. Da
durch werden wir Gelegenheit haben, gewisse
bisher nicht berücksichtigte Probleme noch zu erörtern. Wir denken hier besonders an jenes der Kollegialität. Anderseits bietet uns das Skiz
zieren zweier Idealtypen die Möglichkeit der Ver
allgemeinerung.
C. Zwei idealtypische Verhaltensweisen Die Logik der Produktivität kommt in einem Verhalten zum Ausdruck, das wesentlich auf Veränderung und Innovation hin angelegt ist.
Diese nämlich werden als adäquate Mittel ange
sehen, um den Forderungen der Umwelt zu ent
sprechen. Sie werden dabei im Rahmen einer ganzheitlichen, d.h. alle Probleme einer Fakul
tät betreffenden Politik vorgenommen. Dies im
pliziert auch, daß sich die Entscheidungen, die getroffen werden, nicht auf institutionsinterne Probleme beschränken, sondern vielfach auch politischen Charakter haben, d. h. sich auf die Zielstruktur der Institution erstrecken.
Die Kontrolle ist überwiegend bürokratischer Art, d. h. sie wird anhand expliziter, unpersön
licher Kriterien und durch ein zentrales, zahlen
mäßig beschränktes Organ ausgeübt. Die Zentra
lisierung der Entscheidungs- und Kontrollgewalt beruht dabei auf dem Prinzip der Repräsentation.
Die Peergruppe delegiert aus Gründen der Funk
tionalität und der Effizienz die Gewalt an ein oder an mehrere durch Vertreter zusammengesetz
te Organe.
Die leistungsorientierte Logik hat zur Folge, daß die statuäre Gleichheit der Mitglieder der Peer
gruppe ein der Produktivität untergeordneter Wert bleibt. Damit wird das Ausüben von leader
ship im Sinne von PH. SELZNICK möglich. Die Institution gibt sich so die Möglichkeit, ihre Po
litik auf effiziente Weise zu verfolgen.
Diese Verwaltungs- bzw. Verhaltensweise stellt somit eine leistungsbezogene und auf Tausch
funktion ausgerichtete Herrschaftsform dar.
Die Logik der „notabilite“ ihrerseits bestimmt ein Verhalten, das wesentlich institutionsbezogen ist. Die Entscheidungen sind nur wenig auf Ver
änderung, vor allem aber auf Anpassung und Be
friedigung der gruppeninternen Bedürfnisse hin ausgerichtet.
Die Kontrolle ist vor allem sozialer Art. Sie be
steht im Druck, den die Gruppe ausübt, um ihre Mitglieder zur Konformität gegenüber den Wer
ten und Normen der Gruppe zu verpflichten.
Diese Werte sind - da es sich um eine Peer
gruppe handelt, deren Verhalten institutions- und statusorientiert ist — die der statuären Gleichheit, der individuellen Autonomie und des guten Einvernehmens. Sie äußern sich da
durch, daß die Kollegialität zur Norm wird, die die gruppeninternen sozialen Beziehungen re
gelt. Kollegialität ist somit nicht bloß Ent
scheidungsmodalität. Sie ist wesentlich eine die Beziehungen zwischen den Mitgliedern der Peer
gruppe bestimmende Verhaltensregel. Diese be
inhaltet das gegenseitige Anerkennen durch die Mitglieder in Form der Bestätigung von Rechten, die ihnen aufgrund der zentralen Werte der Grup
pe zukommen. Kollegialität kennzeichnet sich hier also vor allem durch die Reziprozität. Somit bezieht sich die durch die Gruppe ausgeübte Kontrolle vor allem auf den Respekt gegeüber dieser Verhaltensregel15.
Die Verwaltungsstrukturen sind dezentralisiert.
Die Dezentralisierung nämlich gestattet den Mit
gliedern der Peergruppe, ihren Einfluß geltend zu machen und ihre Interessen zu verteidigen.
Somit ist die Dezentralisierung wesentlich im Dienst der Grundwerte der Gruppe, nämlich der Erhaltung der statuären Gleichheit, der individu
ellen Autonomie und des gegenseitigen guten Einvernehmens.
Schließlich läßt die Logik der „notabilite“ das Ausüben eines eigentlichen leadership nicht zu.
Der im Amt des Dekans oder des Präsidenten Stehende ist wesentlich ein primus inter pares, aber kein mit großen Machtbefugnissen ausge
statteter und hierarchisch übergeordneter Leader.
Die Rolle des primus inter pares ist in erster Li
nie die eines Vermittlers, der für das institutions
interne Gleichgewicht und das gute Einvernehmen unter den Mitgliedern bemüht ist.
Dieser Verwaltungstyp kennzeichnet sich also wesentlich durch eine institutionsbezogene, kol
15 Der Begriff „Kollegialität“ hat hier eine wesentlich andere Bedeutung als jene ihm von M. WEBER (1956: 2 0 1 - 2 1 1 ) zugeschriebene. Danach nämlich hat die Kollegialität eine die monokratische Gewalt einschränkende Funktion.
legiale (im oben beschriebenen Sinn) Herrschafts
form.
Diese beiden Idealtypen können gleichsam als die beiden Pole eines Kontinuums betrachtet werden, auf dem die konkreten Fälle einzustu
fen sind. Das bedeutet, daß sich die konkreten Fälle den Polen bloß annähern, nie aber mit einem der beiden identisch sind. So können wir fest
stellen, daß die Agronomische Fakultät dem er
sten hier skizzierten Ideal typ am nächsten kommt, die Medizinische und die Ingenieurwissenschaft
liche Fakultät sich davon aber bereits etwas wei
ter entfernen. Ebenso hat sich gezeigt, daß das Philosophische Institut sich dem zweiten Ideal
typus sehr stark annähert, während die Geistes
wissenschaftliche und die Naturwissenschaftliche Fakultät etwas mehr davon ab weichen.
Abschließend können wir feststellen, daß sich die Hypothese der zwei Verhaltenslogiken als fmchtbar erwiesen hat. Sie hat uns nämlich ge
stattet zu zeigen, daß akademische Selbstver
waltung wesentlich durch die Haltung den For
derungen der Umwelt gegenüber bestimmt ist.
Das Verhältnis zur Umwelt kommt dabei sowohl in der Verwaltungspraxis als auch in den Ent- scheidungs- bzw. Machtstrukturen zum Ausdruck.
Die Funktion der Kollegialität macht dies sicht
bar. Während die Kollegialität im Fall der Logik der Produktivität und der Wettbewerbshaltung nur soweit Strukturen und Verhalten bestimmt,
als die Werte der Produktivität und der Wettbe
werbshaltung dies zulassen, wird sie im Fall der Logik der „notabilite“ zur zentralen Verhaltens
norm und prägt auf ebenso entscheidende Weise die Entscheidungsstrukturen. Damit ist auch sicht
bar geworden, daß akademische Selbstverwaltung und Kollegialität zwei Begriffe sind, die inhalt
lich klar voneinander zu trennen sind. Es ist grund
sätzlich Aufgabe der Analyse, das Verhältnis auf
zuzeigen, das diese beiden Begriffe miteinander verbindet.
Literatur
FRISCHKOPF, A., 1973: Modes de gestion facultaire et transformation ä l’universite. Fonctions et dys- fonctions de la collegialite. Louvain, dissertation doctorale, (these non publiee).
NASCHOLD, F., 1969: Systemsteuerung. Stuttgart:
Kohlhammer Verlag.
THOMPSON, J. D., 1967: Organization in Action.
New York: Mc Graw Hill.
SELZNICK, P., 1957: The Leadership in Administra
tion. Evanston, 111.: Row. Peterson.
WEBER, M., 1956: Wirtschaft und Gesellschaft. Köln:
Kiepenheuer und Witsch (Studienausgabe).
Anschrift des Verfassers:
ARTHUR FRISCHKOPF, Lie. sc. pol. et soc.
463 Bochum, Hustadtring 43