• Keine Ergebnisse gefunden

Hierarchien in Studentencliquen

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Hierarchien in Studentencliquen"

Copied!
400
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Hierarchien in Studentencliquen

Dissertation

zur Erlangung des akademischen Grades des Doktors der Sozialwissenschaften

an der Universität Konstanz Geisteswissenschaftliche Sektion

Fachbereich Soziologie

vorgelegt von:

Manuel Güntert

Datum der mündlichen Prüfung: 2. Juli 2008

Referent 1: Prof. Dr. Dr. h.c. Erhard Roy Wiehn

Referent 2: Prof. Dr. Klaus Seeland

Konstanzer Online-Publikations-System (KOPS) URL: http://www.ub.uni-konstanz.de/kops/volltexte/2008/6070/

URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-opus-60700

(2)

Dank

Folgende Personen haben etwas zu dieser Arbeit beigetragen, weshalb ich mich an dieser Stelle herzlich bei ihnen bedanken möchte:

Prof. Dr. Dr. h.c. Erhard Roy Wiehn für die Gutachtertätigkeit, vor al- lem aber für die Förderung und die Toleranz.

Prof. Dr. Klaus Seeland für die Bereitschaft, ein Gutachten zu verfas- sen.

Prof. Dr. Peter Stemmer und Prof. Dr. Kay Junge für die Bereitschaft, mich zu prüfen.

Dann möchte ich mich bei sämtlichen InterviewpartnerInnen bedan- ken, die sich die Zeit genommen haben, meine Fragen zu beantworten, um dann im Rahmen dieser Arbeit auseinandergenommen zu werden.

Namentlich erwähnt seien folgende Personen:

Sandra Flügel, Yonca Bozkurt, Dorit Lasslop, Mary Abraha, Karola

Weber, Tina Sattel, Felix Tirschmann, Sebastian Dippelhofer, Thomas

Künstle, Thomas Malang, Frank Janning, Bilal Yetiskin.

(3)

Inhaltverzeichnis

Inhaltverzeichnis ...I

1. Einleitung ... 1

1.1. Problemstellung... 1

1.1.1. Allgemeine Problemstellung ... 1

1.1.2. Spezifizierung der Problemstellung ... 1

1.2. Zielsetzung ... 4

1.3. Forschungsstand ... 5

1.3.1. Vorhandene Forschungen... 5

1.3.2. Kontextualisierte Darstellungen ... 8

1.4. Gliederung ... 13

2. Die Methoden ... 14

2.1. Einleitende Erklärung zu den Methoden ... 16

2.2. Die Beobachtungen ... 19

2.2.1. Die Art der Beobachtung... 19

2.2.2. Die Vorgehensweise hinsichtlich der Beobachtungen ... 27

2.3. Die Interviews ... 31

2.3.1. Die einleitenden Interviews... 32

2.3.2. Der Hauptteil der Interviews ... 45

2.4. Literatur und Magazine ... 82

3. Die Struktur von Studentencliquen ... 85

3.1. Die Gruppenbildung ... 85

3.1.1. Die Studentencliquen ... 86

3.1.2. Das Bedürfnis zur Gruppenbildung... 88

3.1.3. Die Art des Zusammenfindens ... 96

3.2. Die Handlungsbedingungen einer Studentenclique ... 110

3.2.1. Der Vergleich mit anderen Gruppe ... 110

3.2.2. Die Studentenclique ... 114

3.3. Die Struktur von Studentencliquen ... 120

3.3.1. Die Organisation ... 120

3.3.2. Der Konflikt ... 127

3.4. Die Hierarchien in Studentencliquen ... 133

3.4.1. Macht als allgemeines eine Hierarchie konstituierendes Element ... 133

3.4.2. Die Konstitution der Hierarchie einer Studentenclique ... 139

3.5. Fazit ... 142

4. Untersuchung der Einflussnahme auf die Hierarchie... 142

4.1. Einleitung ... 142

4.2. Die informellen Kriterien ... 144

4.2.1. Das Aussehen ... 144

4.2.1.1. Die Bedeutung des Aussehens für die Allgemeinheit ... 144

4.2.1.2. Die Bedeutung des Aussehens in Studentencliquen ... 153

4.2.1.3. Fazit ... 162

4.2.2. Der Umgang mit dem anderen Geschlecht ... 163

4.2.2.1. Die Bedeutung des Umgangs mit dem anderen Geschlecht für die Allgemeinheit ... 163

4.2.2.2. Die Bedeutung des Umgangs mit dem anderen Geschlecht in Studentencliquen ... 166

4.2.2.3. Fazit ... 180

4.2.3. Das Geschlecht ... 181

4.2.3.1. Die Bedeutung des Geschlechts für die Allgemeinheit... 181

(4)

4.2.3.2. Die Bedeutung des Geschlechts in Studentencliquen ... 185

4.2.3.3. Fazit ... 189

4.2.4. Der Stil ... 190

4.2.4.1. Die Bedeutung des Stils für die Allgemeinheit ... 190

4.2.4.2. Die Bedeutung des Stils in Studentencliquen ... 198

4.2.4.3. Fazit ... 228

4.2.5. Die geografische Herkunft ... 230

4.2.5.1. Die Bedeutung der Herkunft für die Allgemeinheit... 230

4.2.5.2. Die Bedeutung der Herkunft in Studentencliquen ... 232

4.2.5.3. Fazit ... 236

4.2.6. Die Vorgeschichte ... 236

4.2.6.1. Die Bedeutung der Vorgeschichte für die Allgemeinheit ... 236

4.2.6.2. Die Bedeutung der Vorgeschichte in Studentencliquen... 240

4.2.6.3. Fazit ... 254

4.2.7. Das Auftreten ... 255

4.2.7.1. Die Bedeutung des Auftretens für die Allgemeinheit ... 256

4.2.7.2. Die Bedeutung des Auftretens in Studentencliquen... 260

4.2.7.3. Fazit ... 276

4.3. Das formelle Kriterium ... 276

4.3.1. Die studentische Leistung ... 276

4.3.1.1. Die Bedeutung der Leistung für die Allgemeinheit ... 276

4.3.1.2. Die Bedeutung der Leistung in Studentencliquen... 280

4.3.1.3. Fazit ... 301

4.4. Das Genügen an besprochene Kriterien ... 301

5. Charisma oder Organisation: Eine Gegenüberstellung ... 305

5.1. Die Herrschaftskonzepte nach Max Weber... 305

5.2. Charisma... 305

5.2.1. Die Wirkung von Charisma... 306

5.2.2. Charisma in Studentencliquen... 308

5.2.3. Fazit ... 315

5.3. Organisation ... 316

5.3.1. Organisation als allgemeines Herrschaftsprinzip ... 316

5.3.2. Organisation als Herrschaftsprinzip in Studentencliquen ... 319

5.3.3. Fazit ... 329

5.4. Fazit: Charisma oder Organisation... 329

5.5. Die Führungsposition ... 330

6. Das untere Ende der Hierarchie ... 330

6.1. Das untere Ende einer Hierarchie in der Allgemeinheit ... 330

6.1.1. Stigma... 330

6.2. Das untere Ende der informellen Hierarchie einer Studentenclique ... 332

6.2.1. Die Kriterien für das untere Ende ... 334

6.2.1.1. Die mangelnde Anpassung an die untersuchten Kriterien ... 334

6.2.1.2. Die mangelnde Anpassung an Charisma und Organisation ... 343

6.2.1.3. Die mangelnde Anpassung an die Regelwerke ... 344

6.2.2. Die nicht-integrierten Personen... 347

7. Ein kleines Nachspiel: Der Hofnarr ... 350

7.1. Der Hofnarr in historischer Darstellung... 351

7.2. Wer ist der Narr? ... 352

7.3. Der studentische Hofnarr ... 354

8. Fazit ... 373

8.1. Erkenntnisgewinn... 373

(5)

8.2. Diskussion ... 378

8.2.1. Die Bedeutung der Leistung... 378

8.2.2. Der starke Konformitätsdruck ... 380

8.3. Ausblick ... 381

9. Literaturverzeichnis... 385

(6)

1. Einleitung

1.1. Problemstellung

1.1.1. Allgemeine Problemstellung

„Ich hab gar nichts gegen dieses schillernde Kastensystem. Von mir aus können ein paar tolle Hechte ganz oben sein, aber nur, wenn ich auch einer bin, Kerry, verdammt noch mal.“1 In dieser Arbeit gilt es, die Frage zu diskutieren, ob es an einer deutschen Hochschule eben- falls Personen gibt, die mit Ambitionen ausgestattet sind, die denjenigen des jungen F. Scott Fitzgerald bei seinem Eintritt in ein amerikanisches College gleichen: „Doch in den folgenden vier Jahren waren Amorys2 Geisteskräfte ganz darauf konzentriert, Ansehen zu erringen und die verzwickten gesellschaftlichen Verhältnisse an der Universität und in der amerikanischen Gesellschaft beim Tee im Biltmore und auf dem Golfplatz in Hot Spring zu durchschauen.“3 Kommt es auch an deutschen Universitäten zur Bildung von Hierarchien4 im Gefüge von Stu- dentengruppen? Wenn ja, unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen werden sie ge- bildet? Welchen Ansprüchen muss man genügen, sofern die Ambitionen denjenigen des jun- gen Fitzgerald gleichen, um sich einen Platz an der Sonne – am oberen Ende dieser eventuell vorhandenen Hierarchie – zu sichern? Was führt dazu, dass Personen diese Ambitionen nicht oder nur bedingt verwirklichen können? Welche Personen kommen besonders gut zur Gel- tung? Wer genießt besonderes Ansehen? Weshalb ist dem so? Welchen Kriterien müssen Per- sonen genügen, um dieses Ansehen zu genießen? Wem wird es einfach gemacht, Kontakte herzustellen, wer hat Schwierigkeiten, wer wird grundsätzlich ausgeschlossen? Gibt es Un- gleichheiten oder Ungerechtigkeiten? Haben manche Personen von Anfang an bessere Chan- cen als andere? Haben Personen mit schlechteren Startbedingungen die Möglichkeit, diese Verhältnisse zu ändern? Wenn ja, wie?

1.1.2. Spezifizierung der Problemstellung

Um ein soziales Konstrukt wie eine Hierarchie untersuchen zu können, muss es zu Formen aufeinanderbezogenen Handelns kommen, die das Vorhandensein einer solchen überhaupt erst ermöglichen. Es setzt eine bestimmte Form von sozialer Beziehung voraus, die Max We- ber folgendermaßen beschreibt: „Soziale Beziehung soll ein seinem Sinngehalt nach aufein-

1 Vgl. F. S. Fitzgerald, Diesseits vom Paradies. Zürich 1988: S. 66.

2 So nennt sich F. S. Fitzgerald in diesem autobiografischen Roman.

3 Vgl. F. S. Fitzgerald, Diesseits vom Paradies. Zürich 1988: S. 40.

4 Eine Definition der Hierarchie findet sich an folgender Stelle: K. H. Hillmann, Wörterbuch der Soziologie.

Stuttgart 2007: S. 338. Weitere Literatur zu diesem Thema: R. Mayntz, Bürokratische Organisation. Köln 1971.

Ch. Lauterburg, Vor dem Ende der Hierarchie. Düsseldorf 1971. G. Schwarz, Die "Heilige Ordnung" der Män- ner. Opladen 1985. F. W. Scharpf, Interaktionsformen. Opladen 2000.

(7)

ander gegenseitig eingestelltes und dadurch orientiertes Sichverhalten mehrerer heißen. Die soziale Beziehung besteht also durchaus und ganz ausschließlich: in der Chance, dass in einer (sinnhaft) angebbaren Art sozial gehandelt wird, einerlei zunächst: worauf diese Chance be- ruht.“5

Bei den sozialen Beziehungen, die Gegenstand dieser Forschung sind, handelt es sich um in- formelle Beziehungen.6 Schließlich widmet sich diese Untersuchung nicht dem Studium, son- dern dem Leben, das neben diesem stattfindet und die Bildung dieser informellen Beziehun- gen überhaupt erst ermöglicht, also dem informellen Leben. Dieses informelle Leben er- scheint auf den ersten Blick ungeordnet, läuft aber genauso wie sämtliche anderen Formen des Alltagshandelns nicht zufällig und strukturlos ab, sondern ist durch Ordnungsprinzipien, Regeln, Deutungsprozeduren, Pläne und Zwecke strukturiert.7 Wenn nun informelle Bezie- hungen über einen längeren Zeitraum geführt und vertieft werden, dann entsteht eine infor- melle Gruppe.8

Das informelle Leben ist – mit einen Begriff von Goffman – die „Hinterbühne“,9 auf der das auf der „Vorderbühne“ – dem Studium – unterdrückte Verhalten zu Tage tritt. Diese „Hinter- bühne“ eines Studiums, die je nach Interessen und Möglichkeiten eines Studenten auch „Vor- derbühne“ sein kann,10 und die Verhaltensweisen, die auf dieser das soziale Handeln bestim- men, stellen den Forschungsgegenstand vorliegender Arbeit dar. Beispiele sind etwa: Die Zeit, die man an der Universität verbringt, ohne sich direkt dem Studium zu widmen, also Kaffeepausen, Mittagessen, die Zeit zwischen den Vorlesungen, kurzum: Die Zeit in der man an einer Universität „herumhängt“, aber auch die Zeit, die man außerhalb der Universität an vornehmlich von Studenten besuchten Orten wie Kneipen, Parties und diversen anderen Frei- zeitinstitutionen verbringt. Wobei immer zu berücksichtigten ist, dass das informelle und das formelle Leben, also das direkt mit dem Studium zusammenhängende, miteinander verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen.11

5 Siehe M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen 1990: S. 13.

6 Eine Definition von informellen Beziehungen findet sich an folgender Stelle: K. H. Hillmann, Wörterbuch der Soziologie. Stuttgart 2007: S. 372-373. Weitere Literatur zu diesem Thema: U. Kesten, Informale Organisation und Mitarbeiter-Lebenszyklus. Wiesbaden 1998. H-J. Lauth/U. Liebert, Im Schatten demokratischer Legitimität.

Opladen 1999. F. Böhle/A. Bolte, Die Entdeckung des Informellen. Frankfurt am Main 2002.

7 Vgl. H-G. Soeffner, Auslegung des Alltags – Der Alltag der Auslegung. Konstanz 2004: S. 15.

8 Eine Definition der informellen Gruppe findet sich an folgender Stelle: K. H. Hillmann, Wörterbuch der Sozio- logie. Stuttgart 2007: S. 374.

9 Vgl. E. Goffman, Wir alle spielen Theater. München 1967: S. 104.

10 Damit ist Folgendes gemeint: Ein Student, der sich mehr auf der „Hinterbühne“ eines Studiums aufhält als auf der „Vorderbühne“, widmet sich nicht in erster Linie dem Studium an sich, sondern er kümmert sich vor allem um die Möglichkeiten, die einem ein Studium hinsichtlich der Freizeit bietet. Also dem anderen (oder dem eige- nen) Geschlecht, Ausgang, Alkohol, Drogen, aber auch Sport.

11 Zusammenhänge, die innerhalb dieser Arbeit deutlich gemacht werden.

(8)

Die grundlegende Frage ist, ob es innerhalb dieser informellen Gruppen – den Studentencli- quen – zur Bildung von informellen12 Hierarchien und damit zu Formen von Machtausübung kommt. Der Begriff „Macht“ wird von Max Weber wie folgt definiert: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“13 Gibt es also Studenten, die aus ir- gendeinem Grund das Recht erhalten oder es sich herausnehmen können, Macht auf andere auszuüben? Und wenn ja, was sind die Gründe dafür? Welchen Kriterien müssen sie genügen, um diese Chance zu erhalten? Aber auch: Was führt dazu, dass sie jemandem verweigert wird? Was führt dazu, dass jemand, der einmal Macht ausüben konnte, diese Chance wieder einbüßt?

Den Begriff „Herrschaft“ definiert Max Weber folgendermaßen: „Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu fin- den.“14 Weiter soll also geklärt werden, ob es trotz der informellen Struktur einer Studenten- clique, der fehlenden offiziellen Rangordnung und der damit verbunden Unmöglichkeit, einer Machtausübung einen legitimen Charakter zu verpassen, nicht doch zu Formen der Macht- ausübung kommen kann, die über ein derart starkes Fundament verfügen, dass sie einer legi- timen Herrschaft gleichen, also eine quasi-legitime Herrschaft darstellen.

Den Zusammenhang dieser Begriffe und Sachverhalte stellt Weber dergestalt dar: „Der Beg- riff Macht ist soziologisch amorph. Alle denkbaren Qualitäten eines Menschen und alle denk- baren Konstellationen können jemand in die Lage versetzen, seinen Willen in einer gegebenen Situation durchzusetzen. Der soziologische Begriff der Herrschaft muss daher ein präziserer sein und kann nur die Chance bedeuten: für einen Befehl Fügsamkeit zu finden.“15 Max We- ber geht also davon aus, dass es innerhalb einer sozialen Beziehung jederzeit zu einer Macht- ausübung kommen kann. Diese Arbeit geht von einer Omnipräsenz von Macht aus, d.h. da- von, dass es innerhalb von Studentencliquen nicht bloß zu Formen von Machtausübung kom- men kann, sondern es zwangsläufig dazu kommen muss. Macht erscheint so als Prinzip der

„conditio humana“, worauf Popitz hingewiesen hat.16

12 Da es sich um eine Untersuchung des informellen Lebens handelt, ist die Hierarchie – sofern existent – eben- falls und zwar zwangsläufig von informeller Art.

13 Siehe M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen 1990: S. 28.

14 Siehe ebenda: S. 28.

15 Siehe ebenda: S. 28-29.

16 Vgl. H. Popitz, Phänomene der Macht. Tübingen 1992: S. 11-21. Dahrendorf befasst sich in folgendem Auf- satz ebenfalls mit der Unmöglichkeit derartigen Machtprozessen zu entgehen: R. Dahrendorf, Über den Ur- sprung der Ungleichheit unter den Menschen. In derselbe, Pfade aus Utopia. München 1967: S. 352-379. Auch Plessner setzt sich in seinem Standardwerk „Macht und menschliche Natur“ mit diesem Phänomen auseinander:

H. Plessner, Macht und menschliche Natur. Berlin 1931.

(9)

1.2. Zielsetzung

Die grundsätzliche Zielsetzung ist bereits im Titel dieser Arbeit beschrieben worden: Die Bil- dung von informellen Hierarchien in Studentencliquen soll beschrieben und analysiert wer- den. Damit gehen eine Reihe weiterer Zielsetzungen einher.

- Da diese Arbeit von einer Omnipräsenz von Macht ausgeht, ist es Ziel, die Existenz von Hierarchien in Studentencliquen nachzuweisen. Dieser Nachweis erfolgt im Rahmen der Strukturbeschreibung einer Studentenclique. Anhand dieser Struktur wird ebenfalls beschrie- ben und gezeigt, weshalb es zur Bildung einer Hierarchie kommt – bzw. kommen muss.

- Verschiedene Einflussgrößen sorgen dafür, dass eine Person eine höhere oder eine niedrige- re Position innerhalb einer Studentenclique einnimmt. Diese werden ausführlich besprochen und die Art und die Höhe des Einflusses dargestellt.

- Die Tatsache, dass es sich um eine informelle Hierarchie handelt und die Rangordnung nicht offiziell belegt ist, führt dazu, dass sie unter Verdeck gehalten oder sogar negiert werden kann. Erklärtes Ziel dieser Arbeit ist, dieses unterdrückte Stück Wirklichkeit transparent zu machen und auch Personen, die Zweifel an der Existenz einer derartigen Hierarchie hegen, vom Vorhandensein derjenigen zu überzeugen.

- Ein weiteres Ziel hängt mit dem letztgenannten zusammen: Das tatsächliche Geschehen soll beschrieben werden, diese Arbeit soll also einen Einblick in die Lebenswelt der StudentIn- nen17 geben. Das ist der Grund, weshalb immer wieder pikant oder auf den ersten Blick ab- surd erscheinende Beispiele verwendet werden.

- Die Strukturen einer Studentenclique sind zu kompliziert, um in eine Hierarchie eingeglie- dert werden zu können. Tatsächlich kann es vorkommen, dass ein Student aufgrund einer ge- wissen Begabung innerhalb derselben Clique bei einem gewissen Themengebiet eine Füh- rungsrolle einnehmen kann, während er sich bei einem anderen Gebiet aufgrund mangelnder Fähigkeiten dazu gezwungen sieht, sich unterzuordnen. Es ist vorstellbar, dass ein Student in einer gewissen Gruppe, in die er integriert ist, eine hohe Position einnehmen kann und in einer anderen, in der er ebenfalls verkehrt, eine niedrige. Weiter kann es passieren, dass auf einmal

„eine neue Größe“ ins Spiel kommt, die bis anhin nicht bedacht und berücksichtigt worden ist und eine für sicher befundene Wertordnung noch einmal gehörig „durcheinander wirbelt.“18 Es ist aber möglich, allgemeingültige Konzepte herauszuarbeiten, die tendenziell dafür sor- gen, dass jemand eine hohe oder niedrige Position in einer informellen Hierarchie einer sol-

17 Im Folgenden beschränke ich mich auf den Begriff „Student“. Überhaupt werden in dieser Arbeit aus prakti- schen Gründen männliche Formen verwendet. Wo es notwendig ist, zwischen den Geschlechtern zu unterschei- den, wird dies auch gemacht. Emanzipation findet im Kopf statt und nicht auf dem Papier.

18 Das ist mir im Verlauf dieser Forschung immer wieder passiert.

(10)

chen Clique einnehmen kann oder muss, wobei die erwähnten Wechselwirkungen19 an den entsprechenden Stellen berücksichtigt werden. Dies ist demnach ein weiteres Ziel dieser Ar- beit.

- Es kommt nicht bloß zu komplizierten Wechselwirkungen innerhalb von Gruppen, sondern die diversen Studentencliquen können sich auch erheblich voneinander unterscheiden. Im Rahmen dieser Arbeit soll also überprüft werden, ob sich die Gruppen und damit die Formen, wie sich Personen in verschiedenen Cliquen Ansehen verschaffen können, auf einen zweiten Blick genauso unterscheiden wie auf den ersten. Falls dem so ist, werden Unterschiede an entsprechender Stelle berücksichtigt, ansonsten sollen Konzepte aufgezeigt werden, anhand derer man sich in jeder Art von Studentenclique profilieren kann.

- Es kann gut sein, dass jemand eine Gruppe untersucht, die sich aus beliebigen anderen Per- sonen – also Nicht-Studenten – zusammensetzt, und ähnliche Schlüsse daraus zieht, wie sie diese Arbeit liefert. In mancherlei Hinsicht unterscheidet sich eine Clique, die sich aus Stu- denten zusammensetzt, von einer vergleichbaren Gruppe, die sich aus beliebigen Personen zusammensetzt, die nicht zwangsläufig einem Studium nachgehen, in vielerlei Hinsicht sind sie gleich. Die besonderen Voraussetzungen von Studentencliquen, die dafür sorgen können, dass es zu Unterschieden kommt, sollen daher in der Einleitung zu jedem der untersuchten Kriterien speziell erläutert werden.

1.3. Forschungsstand

1.3.1. Vorhandene Forschungen

Es gibt erstaunlicherweise keine Studien, die sich ganz direkt auf das Thema dieser Arbeit beziehen, da es bis jetzt tatsächlich keine Untersuchung über Hierarchien in Studentencliquen gibt. Diverse Studien haben sich mit den Kriterien auseinandergesetzt, die in dieser Arbeit analysiert werden, diese werden an entsprechender Stelle in den jeweiligen Kapiteln zitiert.

Allerdings gibt es eine Reihe von Untersuchungen, die sich mit dem Thema dieser Arbeit in einem übergeordneten Rahmen befasst haben. Bereits Georg Simmel befasst sich in der Aus- formung dessen, was er „Stil des Lebens“ nennt, mit der grundlegenden Thematik dieser Ar- beit: „Die ganze Geschichte der Gesellschaft lässt sich an dem Kampf, dem Kompromiss, den langsam gewonnenen und schnell verlorenen Versöhnungen abrollen, die zwischen der Ver-

19 Wechselwirkungen werden von Simmel verschiedentlich anschaulich beschrieben. Beispielsweise an folgen- den Stellen: G. Simmel, Über soziale Differenzierung. Leipzig 1890: S. 12ff. G. Simmel, Soziologie – Untersu- chungen über die Formen der Vergesellschaftung – Gesamtausgabe Band 11. Frankfurt am Main 1999: S. 19-20.

(11)

schmelzung mit unserer sozialen Gruppe und der individuellen Heraushebung aus ihr auftre- ten.“20

Deshalb wird eine Auswahl von Schriften und Aufsätzen angeführt, die sich im weitesten Sinne mit der Balanceleistung beschäftigen, die die Gruppenzugehörigkeit und das Bedürfnis der individuellen Heraushebung innerhalb dieser zum Thema haben. Schon der obenzitierte Simmel geht auf dieses Problem in verschiedenen Aufsätzen und Abhandlungen ein. Erwäh- nenswert sind in diesem Zusammenhang vor allem: „Über soziale Differenzierung“,21 „Das Problem des Stils“22 und die „Philosophie der Mode“.23

In der „Theorie der sozialen Gruppe“ geht Homans auf diese ein und beschreibt detailliert die verschiedenen Prozesse, die sich innerhalb dieser sozialen Gruppe abspielen.24

Dahrendorf untersucht Ungleichheit unter Menschen. Weil es Normen gibt und Sanktionen nötig sind, um ihre Einhaltung zu erzwingen, muss es seiner Ansicht nach zwangsläufig zu Ungleichheit des Ranges unter Menschen kommen.25

Wiehn befasst sich vor allem mit diversen Formen von sozialer Ungleichheit, die klassen- oder schichtspezifische Ursachen haben. Er wehrt sich gegen die „Entmenschlichung“ des soziologischen Denkens und sieht die Menschen als Produzenten und Patienten dieser Un- gleichheit.26

Luhmann beschreibt in einem Aufsatz verschiedene Varianten, Individualität zu gewinnen und geht dabei auf Möglichkeiten ein, die einem die Existenz als Kopie anderer oder eine Karriere bietet.27

Bourdieu spricht in diesem Zusammenhang von Distinktion und konstruiert einen sozialen Raum, in dem die Individuen eine gewisse Startposition einnehmen. Je nachdem wie sie ihre

„Karten ausspielen“, also wie sie mit den ihnen gegebenen Chancen und Möglichkeiten um- gehen, können oder müssen sie diese Positionen verlassen und eine bessere oder schlechtere einnehmen.28

20 Siehe G. Simmel, Philosophie der Mode. In derselbe Philosophie der Mode, Die Religion, Kant und Goethe, Schopenhauer und Nietzsche – Gesamtausgabe Band 10. Frankfurt am Main 1995: S. 9.

21 Vgl. G. Simmel, Über soziale Differenzierung. Leipzig 1890.

22 Vgl. G. Simmel, Das Problem des Stils. In derselbe, Aufsätze und Abhandlungen 1901-1908 – Gesamtausgabe Band 7. Frankfurt am Main 1993: S. 374-384.

23 Vgl. G. Simmel, Philosophie der Mode. In derselbe, Philosophie der Mode, Die Religion, Kant und Goethe, Schopenhauer und Nietzsche – Gesamtausgabe Band 10. Frankfurt am Main 1995. S. 7-38.

24 Vgl. G. C. Homans, Theorie der sozialen Gruppe. Minden 1964.

25 Vgl. R. Dahrendorf, Über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen. In derselbe, Pfade aus Utopia.

München 1967: S. 352-379.

26 Vgl. E. R. Wiehn/K. U. Mayer, Soziale Schichtung und Mobilität. München 1975.

27 Vgl. N. Luhmann, Copierte Existenz und Karriere. Zur Herstellung von Individualität. In U. Beck/E. Beck- Gernsheim, Riskante Freiheiten. Frankfurt am Main 1994: S. 191-200.

28 Vgl. P. Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Frankfurt am Main 1987.

(12)

Gross setzt sich in seinem Buch „Die Multioptionsgesellschaft“ wiederholt mit Kriterien aus- einander, die in dieser Arbeit untersucht werden, wobei er, wie der Titel schon andeutet, vor allem auf den ins Herz des modernen Menschen implantierten Willen zur Steigerung, zum Vorwärts und zum Mehr eingeht.29

Kudera zeigt die Komplementarität von Lebenslauf, Biographie und Lebensführung und den Einfluss, den diese Konzepte auf das Alltagshandeln nehmen.30

Brater setzt sich mit dem Thema der Schule und Ausbildung im Zeichen der Individualisie- rung anhand diverser Konzepte auseinander, wobei er sich vor allem auf Ausbildungswege beschränkt, die den universitären vorgelagert sind, die aber durchaus auch im Laufe der uni- versitären Ausbildung eine wichtige Rolle spielen.31

Gottschall untersucht den Einfluss des Geschlechtes auf soziale Ungleichheiten, ein Kriteri- um, auf das in dieser Arbeit ebenfalls eingegangen wird.32

Poschardt befasst sich mit dem Phänomen der „Coolness“ und zeigt den Siegeszug auf, den dieser Begriff, der ursprünglich einen Witterungseinfluss beschreibt, ausgehend von der Um- gangssprache unternommen hat.33

Sterbling befasst sich mit der Rolle des sozialen Kapitals in fortgeschrittenen westlichen Ge- sellschaften, wobei mit sozialem Kapital Ressourcen gemeint sind, die auf herkunftsbedingte Verbindungen oder auf sonstige soziale Beziehungen und daraus abgeleitete Unterstützungs-, Solidaritäts-, und Protektionsverpflichtungen zurückgehen und die Personen aus dem Kreis der „Dazugehörenden“ beachtliche Vorteile in der sozialen Konkurrenz, zum Beispiel um knappe Güter, Einflusschancen oder Positionen sichern.34

Krämer und Bittlingmayer untersuchen – in Abgrenzung zum letztgenannten Text – den Ein- fluss den das Wissen, als zentraler Faktor des gesellschaftlichen Wandels auf die materielle und symbolische Reproduktion der modernen Gesellschaft hat.35

Soeffner setzt sich intensiv mit Lebensstilen als Vergemeinschaftungs- und Distinktionsmus- ter jenseits von Schicht und Klasse auseinander und stellt „jene grundlegenden Handlungs-

29 Vgl. P. Gross, Die Multioptionsgesellschaft. Frankfurt am Main 1994.

30 Vgl. W. Kudera, Lebenslauf, Biographie und Lebensführung. In A. Berger./P. Sopp, Sozialstruktur und Le- benslauf Opladen 1995: S. 85-106.

31 Vgl. M. Brater, Schule und Ausbildung im Zeichen der Individualisierung. In U. Beck, Kinder der Freiheit.

Frankfurt am Main 1997: S. 175-194.

32 Vgl. K. Gottschall, Soziale Ungleichheit und Geschlecht. Opladen 2000.

33 Vgl. U. Poschardt, Cool. Hamburg 2000.

34 Vgl. A. Sterbling, Zur Wirkung unsichtbarer Hebel. Überlegungen zur Rolle des „sozialen Kapitals“ in fortge- schrittenen westlichen Gesellschaften. In P. Berger/M. Vester, Alte Ungleichheiten – neue Spannungen. Opladen 1998: S. 189-210.

35 Vgl. K. Krämer/U. Bittlingmayer, Zur politischen Ökonomie der „Wissensgesellschaft“. In P. Berger/D. Ko- nietzka, Die Erwerbsgesellschaft. Opladen 2001: S. 313-330.

(13)

und Darstellungsformen heraus, mit deren Hilfe sich Individuen von Gruppen und anderen Kollektivformen abheben wollen (und müssen)“.36

1.3.2. Kontextualisierte Darstellungen

Nun sollen vier der obenerwähnten Schriften auszugsweise behandelt werden. Sie stehen alle in einem gewissen Bezug zum Forschungsgegenstand, es handelt sich aber um verschiedene Ansätze, die aus je unterschiedlichen Motiven an dieser Stelle dargestellt werden.

Die Gesellschaft als Kampfplatz

Eingeleitet werden sollen diese Erörterungen mit den Ausführungen, die Simmel zu diesem Thema vorgenommen hat – wobei er vom Stil des Lebens spricht. Er geht auf das im obigen Zitat erwähnte Wechselspiel zwischen Kampf und Kompromiss ein, welches das Verhältnis von Allgemeinheit und Individualität betrifft. Gleich zu Beginn seiner Abhandlung über den Stil beschreibt er den Kampf dieser beiden unversöhnlichen Pole, die einander doch so drin- gend brauchen, weshalb er wiederholt von der Gesellschaft als Kampfplatz spricht.37 Es wird daher überprüft, ob für die Gesellschaft – hier die Studentenschaft – diese Darstellung eben- falls zutrifft, ob also das allgemeine Prinzip und das individuelle, die nicht ohne einander aus- kommen können, die sich diametral entgegenstehen und einander doch benötigen,38 auch die- se Gesellschaft zu einem Kampfplatz werden lassen, oder ob die Stimmung in diesem Kontext eine vornehmlich durch Harmonie geprägte ist. Wobei zuerst geklärt werden soll, ob ein typi- scher Student überhaupt das Bedürfnis hat, sich in eine Studentenclique zu integrieren, da- nach, ob er auch das Verlangen hat, sich innerhalb dieser herauszuheben, was dazu führen würde, dass die Gesellschaft zu diesem Kampfplatz wird.

Wenn diese Kämpfe stattfinden, soll auch untersucht werden in welcher Form, ob sie offen als solche deklariert oder auf eine Art geführt werden, die es einem Individuum erlaubt, sich „zu- rückzuziehen“, also den Kampf nicht als solchen zu bezeichnen und anerkennen – was über sein Vorhandensein nicht hinwegtäuschen muss. Die Form und das Vorhandensein dieser Art von Kämpfen sind deshalb zentraler Gegenstand dieser Arbeit.

Weiter wird geklärt, ob die Studentenschaft bemüht ist, eine Person zu integrieren, inwiefern sie also in der Lage ist, eine Person zu „zähmen“ und sie so zu beeinflussen und wenn nötig auch zu verändern, dass sie in den Kontext „passt“, in den sie integriert werden soll. Im Sinne dieser Fragestellung gilt es weiter festzustellen, weshalb eine Person das Interesse des Ge-

36 Vgl. H-G. Soeffner, Zeitbilder. Frankfurt am Main 2005: S. 7-36.

37 Vgl. G. Simmel, Das Problem des Stils. In derselbe, Aufsätze und Abhandlungen 1901-1908 – Gesamtausgabe Band 7. Frankfurt am Main 1993: S. 374-384.

38 Man könnte hierbei eine Parallele zum vielbeschworenen Kampf der Geschlechter ziehen.

(14)

samtverbandes weckt und den Wunsch hervorruft, sie in diesen eingefügt zu sehen. Also wes- halb sie es sich „leisten“ kann herauszutreten, da sie dies unter Umständen im sicheren Wis- sen um die Integrationsbemühungen desselben tut. Und weshalb eine andere Person, die ge- nau weiß, was der Gesamtverband von ihr will und die sich bemüht, diesen Forderungen nachzukommen, nicht dessen Interesse auf sich ziehen kann – von diesem eventuell sogar missachtet und ausgeschlossen wird.

Der soziale Raum nach Bourdieu

Bordieu versucht zu vermeiden, in sozialen Klassen zu denken. Er geht nicht von säuberlich geschiedenen, neben- oder übereinander stehenden gesellschaftlichen Gruppen aus, sondern von einem sozialen Raum. Dieser soziale Raum39 besitzt – genau wie der geographische – eine Struktur, es gibt so etwas wie eine gesellschaftliche Topologie, einige stehen „oben“, andere „unten“, dann gibt es welche, die sind „rechts oben“ oder „rechts unten“, aber auch

„links oben“ oder „links unten“, wieder andere sind „in der Mitte“, etc. Dieser Raum übt nun starke Zwänge aus, die es schwierig machen, dass Menschen, die sich an verschiedenen „Or- ten“ in diesem Raum aufhalten, sich begegnen. Personen, die sich an einem ähnlichen Ort in diesem Raum befinden, begegnen sich dafür öfter und treten miteinander in Kontakt, zuwei- len auch in Konflikt. Die Chancen einer Beziehung erhöhen sich.

Eine der zentralen Thesen von Bourdieus Hauptwerk „Die feinen Unterschiede“40 besagt, dass zwischen dem Raum der sozialen Position und dem der Lebensstile, Lebensweisen und Geschmacksrichtungen eine Korrespondenz besteht. Dies führt zwangsläufig dazu, dass sich eine Veränderung im Bereich der sozialen Position auf die eine oder andere Weise innerhalb des Bereichs Geschmack und Lebensstil niederschlägt, eben im Bereich der Distinktion.

Er bezieht dies wieder auf den sozialen Raum und zeichnet eine Art Achsenkreuz, die vertika- le Achse hat ein „oben“ und ein „unten“, die horizontale einen intellektuellen und einen öko- nomischen Pol. Dieses Feld sozialer Positionen drückt sich in der Art der Lebensstile aus.

Nun sind die Menschen, die sich in diesem Raum aufhalten, ausgehend von der Stellung, die sie in diesem innehaben, in einen fortwährenden Kampf verwickelt. Einen Kampf, in dem es um die Veränderung des Raumes geht. Der soziale Raum ist also von einer penetranten Reali- tät, die beteiligten Personen kämpfen unablässig gegen ihn an, bestimmte Menschen kann man nicht treffen, andere, denen man lieber aus dem Weg gehen würde, trifft man. Aber – und das ist entscheidend – dieser Raum ist veränderbar.

39 Genau dieser Raum soll im Rahmen dieser Arbeit dekonstruiert und in eine lineare Form gebracht werden.

Dabei soll nicht vergessen werden, die verschiedenen Einflüsse zu berücksichtigen, die dafür verantwortlich sind, dass es sich eben um einen Raum handelt und nicht um eine Gerade.

40 Vgl. P. Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Frankfurt am Main 1987.

(15)

Um diese Mechanismen zu verdeutlichen, stellt Bourdieu noch einen weiteren Vergleich an, den des Spieles. Der vorher beschriebene soziale Raum wird übersetzt in die Spielregeln, de- nen sich jeder beugen muss. Vor sich haben die Spieler verschiedenfarbige Chips aufgesta- pelt, Ausbeute der vorangegangen Runden. Die unterschiedlich gefärbten Chips stellen unter- schiedliche Arten von Kapital dar. Es gibt Spieler mit viel ökonomischem, wenig kulturellem und wenig sozialem Kapital. Diese sind in diesem Raumschema rechts angesiedelt, auf der herrschenden ökonomischen Seite. Am anderen Ende sitzen welche mit einem hohen Stapel an kulturellem, einem kleinen oder mittlerem Stapel an ökonomischem und geringem sozialen Kapital: Das sind die Intellektuellen. Wer einen großen Stapel hat, kann bluffen, kann gewag- ter spielen, risikoreicher. Mit anderen Worten: Die Spielsituation ändert sich fortwährend, aber das Spiel bleibt bestehen, wie auch die Spielregeln. Offen bleibt hier jedoch die Frage:

Gibt es Leute, die Interesse daran haben, den Tisch umzuwerfen, um dem Spiel eine Ende zu bereiten?41

Tatsächlich handelt es sich bei Bourdieus Konzept des sozialen Raums um ein Modell, das sich sehr gut auf hier den zu untersuchenden Kontext übertragen lässt. Die verschiedenen Studenten stehen zu Beginn ihres Studiums, gerade was das informelle Leben betrifft, an den verschiedensten Positionen in diesem sozialen Raum. Der eine hat materielle Vorteile, ein anderer hat seine Stärken im intellektuellen Bereich. Wieder einer sieht gut aus, ein anderer pflegt einen auffälligen Stil. Einer kommt aus einer exotischen Gegend, ein anderer hat eine attraktive Freundin. Manche haben Vorteile in sämtlichen Bereichen, andere sind in gewisser Hinsicht bevorzugt, in anderer Weise benachteiligt, dann gibt es natürlich solche, die in jegli- cher Hinsicht benachteiligt sind. So hat jeder eine gewisse, je nach persönlichen Vorzügen und Schwächen, unterschiedliche Anzahl von Chips, wenn das Spiel – das informelle Leben – beginnt. Und nun können sie je nach Taktieren, nach risikoarmen oder extrem riskanten Spiel, Chips dazugewinnen oder welche verlieren und so ihre Positionen in diesem sozialem Raum verändern. Wobei sie dann auf andere Menschen treffen und in eine neue Nachbarschaft gera- ten. Eine Person, die bis dato nicht viel zu sagen hatte, kann unter Umständen in dieser neuen veränderte Umgebung ihre Position aufwerten und ihre Nachbarschaft „verbessern“, während eine andere aufgrund mangelnder Anpassung mit einer weniger angesehenen Nachbarschaft vorliebnehmen muss. Das würde heißen, dass eine Person, die gut an die Konzepte angepasst ist, die das informelle Leben eines Studiums verlangt, seine Stellung in der informellen Hie- rarchie verbessern kann. Während eine andere, der es nicht gelingt, diesen Konzepten im ver-

41 Vgl. ebenda. Und vor allem P. Bourdieu, Die verborgenen Mechanismen der Macht. Hamburg 1997: S. 31-47.

(16)

langten Maße zu genügen, seine Chips nach und nach einbüßen wird, bis sie irgendwann nicht mehr „mitspielen darf“.

Coolness

Poschardt weist darauf hin, dass das Wort „cool“, das seine Karriere als Bezeichnung popkul- tureller Phänomene begann, schnell Eingang in die Umgangssprache besonders von Jugendli- chen fand und bis heute von der Werbung bis hin zur Politik als vage Umschreibung für etwas positiv Lässiges gilt. So hat der Begriff im umgangssprachlichen Bereich eine komplette Be- deutungsentfremdung erfahren, denn eigentlich beschreibt er nur einen Witterungseinfluss, der mitunter auch künstlich herbeigeführt werden kann. Ein Witterungseinfluss, der in nächs- ter Nähe zur Kälte angesiedelt ist. Mit der Bezeichnung „cool“ wurde die Aura einer selbst- bewussten Modernität und Stilisiertheit heraufbeschworen. Kurzum: Die ganze Welt wollte mit einem Mal „cool“ erscheinen. „Cool“ wurde zu einem der beliebtesten Komplimente und durch den inflationären Gebrauch jeder Präzision beraubt.42

Zur Abgrenzung dient der Coolness-Begriff des Autors Heinz Strunk, der diesen anders defi- niert: „Cool ist jemand, der sich im Griff hat, der Stil hat, ein Gefühl für Ästhetik, souverän ist, über sich selbst lachen kann. Aber das ist man meistens erst im Alter.“43

Der Begriff „Coolness“44 findet hier seine Würdigung, weil – Poschardts Worte deuten es an – „Coolness“ eine Voraussetzung darstellt, eine gewisse Form von Macht auszuüben. „Cool- ness“ spielt auch im Rahmen von Studentencliquen eine Rolle. Wer als „cool“ gilt, hat ein gewisses Ansehen innerhalb einer Clique, er hat etwas zu sagen, d.h. ist in der Lage eine ge- wisse Form von Macht auf einen anderen Studenten auszuüben, der als „nicht besonders cool“

oder gar als „uncool“ gilt.

Die Problemstellung der Arbeit könnte also auch lauten: Wer gilt weshalb als „cool“? Wel- chen Kriterien muss jemand genügen, um als „cool“ zu gelten? Wer gilt als „uncool“? Wes- halb ist dem so? Deshalb wird auch der Begriff „Coolness-Konzept“45 in dieser Arbeit, gerade bei der Untersuchung diverser Kriterien die einen Einfluss auf die Bildung einer Hierarchie haben können, immer wieder verwendet.

42 Vgl. U. Poschardt, Cool. Hamburg 2000: S. 9-10.

43 Vgl. H. Strunk, zitiert in Uni-Spiegel 4/2005: S. 40.

44 Auf dem Internetportal Wikipedia findet sich eine ausführliche Beschreibung dieses umgangssprachlichen Begriffes: http://de.wikipedia.org/wiki/Coolness/ Stand 23.1.2007.

45 Der Begriff geht auf eine Vorlesungsreihe zurück, die Thomas Lau im Sommersemester 1999 an der Universi- tät Konstanz gehalten hat.

(17)

Soziale Ungleichheit

An den Schluss dieser Erörterungen wird ein Ansatz gestellt, der schon etwas älter ist, aber dessen eventuell neu erworbene oder aber nie verloren gegangene Aktualität es an dieser Stel- le zu überprüfen gilt. „In den fünfziger Jahren haben viele westliche Sozialwissenschaftler einen säkularen, quasi-automatischen Trend in Richtung größerer sozialer und ökonomischer Gleichheit behauptet. Es kann nunmehr kaum ein Zweifel bestehen, dass solche optimisti- schen Zukunftsvisionen eklatante Fehlurteile waren. In vielen Bereichen nämlich haben sich die Ungleichheiten innerhalb und zwischen Gesellschaften als außerordentlich stabil erwiesen oder sogar verschärft.“46 Mit diesen Worten leitet Wiehn eine Studie über soziale Ungleich- heit ein. Er äußert berechtigte Zweifel an allzu optimistisch erscheinenden Prognosen, die besagen , dass althergebrachte Ungleichheitskonzepte47 überholt seien und die schichtspezifi- sche Herkunft in absehbarer Zeit nicht mehr die Rolle spielen sollte, die sie bis zu dem ge- nannten Zeitpunkt spielte.

Wiehn vertritt die Ansicht, dass das menschliche Gesamtverhalten unter Berücksichtigung diverser Medien verantwortlich für das Entstehen von Ungleichheiten ist: „Denkverhalten, Sprachverhalten und die übrigen Verhaltensweisen bilden also das Gesamtverhalten, das durch Realisatoren in einem Gesamtsituationskontext reguliert wird. Gleiches und ungleiches sozio-individuelles Gesamtverhalten ist somit als solches durch Teilverhalten und Regulato- ren bestimmt: durch das, was gedacht, gesagt, getan und mit Hilfe verschiedener Medien (An- sehen, Reichtum (an Besitz, Vermögen, Wissen oder Macht) über Menschen oder Mittel) rea- lisiert oder nicht realisiert wird. Diese Gleichheit oder Ungleichheit des sozio-individuellen Gesamtverhaltens führt aber unverzüglich und unweigerlich zu Gleichheiten und Ungleichhei- ten des sozio-individuellen Seins.“48

In seinem Fazit kritisiert er die Tatsache, dass viele Soziologen bei der Beschreibung der Ge- sellschaft den menschlichen Faktor nicht miteinbeziehen: „Zahlreiche Soziologen haben Gleichheit oder Ungleichheit in der sogenannten Gesellschaft gesucht, anstatt diese im sozia- len Verhalten der Menschen zu finden. Die Kritik dieser Argumentation richtet sich genau auf diese Entwicklung. Sie impliziert somit die Anregung, gesamtgesellschaftliche Gleichheits- oder Ungleichheitsanalysen entweder als Sozialstatistik oder aber als Sozialphilosophie, als Deskription oder als Postulat klar erkennbar zu machen und darüber hinaus die konzentrierte

46 Siehe E. R. Wiehn/K. U. Mayer, Soziale Schichtung und Mobilität. München 1975: S. 7.

47 Ungleichheit ist zentraler Gegenstand der Arbeit von Wiehn. Verschiedene Ansätze der Entstehung derselben werden dargestellt und besprochen. Wobei eben der Einfluss der klassen- und schichtspezifischen Herkunft auf soziale Ungleichheit im Vordergrund steht.

48 Siehe E. R. Wiehn/K. U. Mayer, Soziale Schichtung und Mobilität. München 1975: S. 85.

(18)

wissenschaftliche Aufmerksamkeit auf die Erforschung des Verhaltens der Menschen selber zu richten.“49

Derartige Diskussionen kamen und kommen regelmäßig auf und erweisen sich als dankbarer Dauergast soziologischer Forschungen. Das später entwickelte Konzept des sozialen Raumes von Bourdieu basiert beispielsweise auch auf Prämissen sozialer Ungleichheit. Immer wieder wurden derartige Ungleichheitskonzepte für überholt erklärt und neue Theorien der soziologi- schen Öffentlichkeit präsentiert. So äußert sich Soeffner im Vorwort seines Buches „Die Ord- nung der Rituale“ aus dem Jahre 1992 folgendermaßen: „Unsere Zeit unterscheidet sich in dieser Hinsicht strukturell nicht sehr von den entsprechenden vorausgegangenen. So lässt sich in den USA seit langem die Ausbildung eines gesellschaftlichen Strukturmusters beobachten, das auch für Westeuropa zunehmend an Bedeutung gewinnt: Der gesellschaftliche Auf- und Abstieg von Individuen wird immer weniger durch feste, >vererbbare< Schichten- oder Grup- penzugehörigkeit geregelt. Die Fahrstühle der >vertikalen< Mobilität können nicht mehr im Voraus ausschließlich von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen gemietet werden. Ein- und Aussteiger gehören nun auch anderen und sehr unterschiedlichen Gruppen an. Sie werden mehr nach ihrer Zukunft als nach ihrer Herkunft bewertet.“50

Im Rahmen dieser Arbeit sollen deshalb derartige Konzepte ebenfalls kritisch betrachtet wer- den. Es wird geprüft, ob das Konzept der schichtspezifischen Herkunft im untersuchten Kon- text tatsächlich überholt ist oder einmal mehr nur für überholt erklärt worden ist und dennoch einen Einfluss auf die Bildung informeller Hierarchien von Studentencliquen hat.

Ein erster Hinweis soll mit einem Verweis auf die aktuelle Forschung gegeben werden. Laut der jüngsten Shell-Jugendstudie jedenfalls handelt es sich dabei keinesfalls um ein Relikt aus längst vergangenen Tagen: „Jugendliche aus den sozial privilegierten Elternhäusern besuchen aussichtsreichere Schulformen und durchlaufen in der Regel hochwertige berufliche Ausbil- dungen einschließlich Hochschulgängen. Jugendliche aus der Unterschicht hingegen finden sich häufiger an Hauptschulen und Sonderschulen. Dabei erzielen sie auch im anschließenden beruflichen Ausbildungsweg nicht die Resultate, die ihrem möglichen Potenzial entspre- chen.“51

1.4. Gliederung

Nach dieser Einleitung werden im 2. Kapitel die Methoden beschrieben, die im Rahmen die- ser Arbeit verwendet werden. Weil es sich um eine Untersuchung des informelle Lebens han- delt, es daher kaum möglich ist, die Geschehnisse dieses Leben in einer „objektiven“ Art und

49 Siehe ebenda: S. 87.

50 Siehe H-G. Soeffner, Die Ordnung der Rituale. Frankfurt am Main 1992: S. 8.

51 Siehe K. Hurrelmann, 15. Shell Jugendstudie. Frankfurt am Main 2006: S. 65.

(19)

Weise zu messen, also sich auf bestehende Literatur zu verlassen, ist es wichtig, ausführlich zu zeigen, welche Methoden verwendet werden, um trotz dieser Voraussetzungen valide Re- sultate zu erhalten.

Im 3. Kapitel wird die Struktur von Studentencliquen dargestellt. Im ersten Abschnitt geht es dabei um die Art, wie eine derartige Gruppe gebildet wird. Innerhalb dieses Abschnittes wird zuerst das Bedürfnis in einer solchen Gruppe aufgehoben zu sein untersucht, danach die Zu- sammenfindungskriterien. Im zweiten Abschnitt werden die Handlungsbedingungen einer Studentenclique analysiert. Der dritte Abschnitt widmet sich der eigentlichen Struktur. Im vierten Abschnitt schließlich wird gezeigt, wie sich eine Hierarchie konkret ausbildet.

Das 4. Kapitel geht auf verschiedenen Kriterien ein, die einen Einfluss auf die Stellung einer Person in einer informellen Hierarchie haben können. Dabei geht es zuerst um den Einfluss, den diverse informelle Kriterien haben, danach um denjenigen eines formellen Kriteriums.

Der Einfluss folgender informeller Kriterien wird untersucht: Das Aussehen, der Umgang mit dem anderen Geschlecht, das Geschlecht, der Stil, die Herkunft, die Vorgeschichte und das Auftreten. Beim formellen Kriterium handelt es sich um die Leistung, die eine Person im Stu- dium bringt.

Zwei klassische Herrschaftskonzepte werden einander im 5. Kapitel gegenübergestellt und überprüft, inwiefern sie geeignet sind, Führungspositionen in Studentencliquen zu konstituie- ren. Es handelt sich bei diesen Herrschaftskonzepten um Charisma und Organisation.

Das 6. Kapitel widmet sich dem unteren Ende einer Hierarchie. Darin wird untersucht, was dazu führen kann, dass eine Person eine Position am unteren Ende der informellen Hierarchie einer Studentenclique einnimmt – bzw. einnehmen muss.

Im 7. Kapitel dreht sich alles um eine Figur, die irgendwie dazu gehört, aber trotzdem nicht richtig mitspielt. Es handelt sich um den Hofnarr, der mitten drin ist und dennoch außen vor bleibt.

Im 8. und letzten Kapitel werden die Ergebnisse zusammengefasst und kritisch diskutiert.

Beendet wird diese Arbeit mit einem Ausblick.

2. Die Methoden

Vorangehende Problemklärung

Bevor die Methoden beschrieben werden, soll noch angemerkt werden, weshalb es zur Ver- wendung eben dieser gekommen ist. Es scheint sicher und diese Sicherheit ist im Verlauf meiner Forschung bestärkt worden, dass sich jeder Student einmal Gedanken über das Thema der Arbeit gemacht hat. So würde ich behaupten und diese Behauptung, wenn der Einsatz von Lügendetektoren für die Beweisführung gestattet wäre, bei einer Befragung auch bestätigt

(20)

finden, dass alle Studenten sich im Verlauf ihres Studiums einmal gefragt haben, wo sie denn im Gefüge des informellen Lebens überhaupt stehen.

Sie werden sich solche Fragen stellen: „Mag man mich?“, „Bin ich beliebt?“ Dann auch Fra- gen wie: „Was gefällt anderen an mir?“, „Was missfällt ihnen?“. Oder auch: „Genüge ich gewissen Ansprüchen?“, „Welchen Ansprüchen genüge ich, welchen nicht?“. Nun wird der Gedanke weitergesponnen, die Studenten fragen sich, ob andere sie nicht bloß mögen, son- dern wie viel Ansehen sie bei ihnen genau genießen: „Hören die anderen auf mich, wenn ich etwas sage?“, „Habe ich Vorbildcharakter?“ Dann werden sie sich aber eben auch eher gegen- teilige Fragen stellen: „Nehmen andere mich ernst?“, „Werde ich eher belächelt?“, „Höre ich eher auf andere als sie auch mich?“.

Genauso wie sie sich über die Stellung der eigenen Person Gedanken machen, überdenken sie die Position anderer Personen und das Verhältnis, in dem sie zu diesen stehen. Das sind alles Fragen, die in irgendeiner Art auf das Vorhandensein einer Hierarchie schließen lassen. Es handelt sich beim Forschungsgegenstand um etwas, von dem alle irgendwie wissen, dass es da ist. Aber es wird nicht ausgesprochen. Und es wird nicht als das, was es ist, deklariert. Al- so ist problematisch, es als das zu behandeln, was es tatsächlich ist.

Aber im Unterbewusstsein weiß jeder, dass es da ist. Es handelt sich um ein Tabu. Nicht bloß in Bezug auf sich selbst, sondern auch was die Beurteilung anderer Personen betrifft. So wird kaum jemand offen zugestehen, dass er andere aufgrund oberflächlich wirkender Kriterien be- oder gar verurteilt. Genauso wenig, wie sich jemand eingesteht, dass er selbst von der Au- ßenwelt anhand solcher Maßstäbe beurteilt wird und sich auch Mühe gibt, aufgrund des da- durch entstehenden Druckes, diesen gerecht zu werden.

Aus diesem Grund taucht der Begrifft Tabu bei der Besprechung untersuchter informeller Kriterien immer wieder auf und wird deshalb hier definiert. Beim Tabu handelt es sich laut Wundt um den ältesten ungeschriebenen Gesetzeskodex der Menschheit. Es wird allgemein angenommen, dass das Tabu älter ist als die Götter und in die Zeiten vor jeder Religion zu- rückreicht.52 Thomas definiert den Begriff in der Encyclopaedia Brittannica folgendermaßen:

„Streng genommen umfasst Tabu nur a) den heiligen (oder unreinen) Charakter von Personen oder Dingen, b) die Art der Beschränkung, welche sich aus dem Charakter ergibt, und c) die Heiligkeit (oder Unreinheit), welche aus der Verletzung dieses Verbotes hervorgeht. Das Ge- genteil von Tabu heißt in Polynesien noa was gewöhnlich oder gemein bedeutet.“53 Freud erklärt die Ansichten, die früher über die Verletzung eines Tabu und seine Folgen bestanden:

52Vgl. W. Wundt, Mythus und Religion. Leipzig 1906: S. 308.

53 Siehe N. W. Thomas, Encyclopedia Brittannica. London 1910: S. 337.

(21)

„Die Strafe für die Übertretung eines Tabu wird wohl ursprünglich einer inneren, automatisch wirkenden Einrichtung überlassen. Das verletzte Tabu rächt sich selbst. Wenn Vorstellungen von Göttern und Dämonen hinzukommen, mit denen das Tabu in Beziehung tritt, so wird von der Macht der Gottheit eine automatische Bestrafung erwartet. In anderen Fällen, wahrschein- lich infolge einer weiteren Entwicklung des Begriffes, übernimmt die Gesellschaft die Bestra- fung des Verwegenen, dessen Vorgehen seine Genossen in Gefahr gebracht hat. So knüpfen auch die ersten Strafsysteme der Menschheit an das Tabu an.“54

Die grundsätzliche Schwierigkeit ist, dieses Tabu, wenn auch nicht zu brechen, so doch auf- zudecken. Dazu muss irgendwie das informelle studentische Leben „beleuchtet“ werden. Im Folgenden wird gezeigt, wie das gemacht worden ist. Wie schon bei der Beschreibung des Forschungsstandes erwähnt, kann sich diese Forschung nicht auf bestehende Werke oder Sta- tistiken verlassen. Es handelt sich um eine Untersuchung des informellen Lebens, das keinen festen Konstanten unterliegt – zumindest keinen messbaren – die Daten liefern, die festgehal- ten sind. So bin ich gezwungen, selbst Mittel und Wege zu finden, diese irgendwie zu erhal- ten. Vorhanden sind höchstens sekundär verwertbare Daten, die Rückschlüsse auf das infor- melle Leben zulassen. Diese werden im Rahmen dieser Arbeit auch verwendet.

2.1. Einleitende Erklärung zu den Methoden Der Geistesarbeiter

Im Folgenden will ich die Herangehensweise an den Forschungsgegenstand und die Rolle beschreiben, die ich als Forscher55 selbst dabei einnehme. Charles Wright Mills rühmt in die- sem Zusammenhang den Geistesarbeiter. Der Geistesarbeiter wehrt sich gegen die Bürokrati- sierung der Welt, indem er in einem Forschungsprojekt seine Instrumente, nämlich die Me- thode und die Theorie, zu handhaben und zu personalisieren weiß. Er ist alles gleichzeitig:

Feldforscher, Methodologe und Theoretiker, er setzt sich dagegen zur Wehr, sich vom kon- kreten Terrain, der Methode oder der Theorie beherrschen zu lassen, denn dies würde gleich- bedeutend damit sein, sich wenig um das, was in der Welt vorgeht, zu kümmern.56 Daraus ergibt sich auch, was das wichtigste Instrument zur Verfassung dieser Arbeit ist, nämlich der Verfasser selbst, die weiteren Instrumente sind ja von diesem bestimmt. Dies bietet die Mög- lichkeit, bereits im Kopf vorhandene Daten abzurufen oder sie während des Forschungspro- zesses wieder zu erlangen.57

54 Siehe S. Freud, Totem und Tabu. In derselbe, Fragen der Gesellschaft, Ursprünge der Religion – Studienaus- gabe Band 9. Frankfurt am Main 1982: S. 311.

55 Und da ich so direkt involviert bin, ist es unumgänglich diese Beschreibung der Methoden in der Ich- Perspektive vorzunehmen.

56 Vgl. C. W. Mills, Kritik der soziologischen Denkweise. Darmstadt 1973: S. 164.

57 Vgl. A. Strauss/F. Corbin, Grounded Theory – Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Weinheim 1996:

(22)

Das zu behandelnde Thema sind Hierarchien in Studentencliquen. Es ist ein Forschungsge- genstand, in den ich zwangläufig in einer gewissen Weise involviert bin. Ob ich nun in einer oder mehrerer solcher Cliquen in einer gewissen Form integriert bin oder nicht, spielt keine große Rolle, der von vielen Soziologen verlangte immense Abstand zum Gegenstandsbereich ihrer Wissenschaft ist ohnehin nicht gegeben. Es hat aber für diese Forschung keine negative Konsequenzen, allein die obenerwähnte Möglichkeit, bereits Geschehenes im Kopf abzurufen und im Lichte dieser Forschung eventuell neu zu bewerten, bietet ganz klar eher Vor- denn Nachteile.

Filstead beschreibt diese Vorteile folgendermaßen: „Wir entfalten technische Spezialisierun- gen und denken dabei kaum daran, ob sie eigentlich dazu taugen, die Realität der empirischen sozialen Welt zu erfassen. Der wachsende Trend zur Quantifizierung hat zu einem verminder- ten Verständnis der empirischen sozialen Welt geführt. (…) Wenn sie menschliches Verhalten besser verstehen wollen, müssen die Soziologen, statt einen immer größer werdenden Abstand von den Phänomenen der empirischen sozialen Welt herzustellen, in direkten Kontakt mit ihnen treten.“58

Die „Grounded Theory“

Es folgt eine exakte Beschreibung der Methoden, anhand derer die Hierarchien in Studenten- cliquen nachgewiesen werden und die aufzeigen sollen, wie diese gebildet werden. Dieser Nachweis wird sich nicht an eine einzige Methode halten, da damit das Thema ungenügend behandelt wäre. Die Arbeit würde zu einseitig ausfallen, die erhaltenen Resultate wären mit Vorsicht zu genießen. Schließlich soll es nicht zu von Elias erkannten Gefahren wie einer

„Verengung der soziologischen Perspektive“ oder einer „Verkümmerung der soziologischen Vorstellungskraft“ 59 kommen.

Das Vorgehen gleicht der von Strauss/Corbin entwickelten „Grounded Theory“, also eine in den Daten begründete Theorie. Legewie definiert eben diese: „Grounded Theory ist ein wis- senschaftstheoretisch begründeter Forschungsstil und gleichzeitig ein Arsenal von Einzel- techniken, mit deren Hilfe aus Interviews, Feldbeobachtungen, Dokumenten und Statistiken schrittweise eine in den Daten begründete Theorie (eben eine ‚grounded Theory’) entwickelt werden kann. (…) Überall dort, wo eine komplexe soziale Wirklichkeit nicht allein durch Zahlen erfassbar ist, sondern wo es um sprachvermittelte Handlungs- und Sinnzusammenhän-

S. 197-200.

58 Siehe W. J. Filstead, Soziale Welten aus erster Hand. In K. Gerdes, Explorative Sozialforschung. Stuttgart 1979: S. 30.

59 Vgl. N. Elias, Über sich selbst. Frankfurt am Main 1990: S. 171.

(23)

ge geht, lassen sich die Techniken der Grounded Theory zur Modell- bzw. Theoriebildung einsetzen.“60

Das Hauptaugenmerk zur Datenerhebung liegt auf den für die Grounded Theory gebräuch- lichsten Methoden, nämlich Interviews und Beobachtungen.61 Es werden aber noch weitere hinzugefügt, die aber nicht den gleichen Stellenwert wie diese beiden hauptsächlich verwen- deten Methoden haben.

Dadurch entstehen verschiedene Vorteile: Während es sich bei einer statistischen Erhebung um eine sehr eindimensionale Angelegenheit handelt, bietet einem diese Vorgehensweise den Vorzug, hinter ein Phänomen blicken zu können und auch Dinge zu bewerten, die einem auf den ersten Blick nicht ersichtlich sind. Die Datensammlung, Analyse und die Theorie stehen in einer wechselseitigen Beziehung zueinander, der Untersuchungsbereich wird offen gehal- ten. Was relevant ist, wird sich während der Erhebung zeigen. Die Offenheit sorgt also dafür, dass sich die Strukturierung erst während des Forschungsprozesses ergibt. Der Forscher ist flexibel und jederzeit in der Lage, sich auf Veränderungen einzustellen und entsprechend dar- auf zu reagieren. Er kann aus den erhobenen Daten erkennen, was wichtig ist und weiter ver- folgt werden sollte, aber auch welche Daten eher unnütz sind. So kann auch eine falsche Vor- annahme durchbrochen und während des Forschungsprozess korrigiert werden – die Vorge- hensweise erfordert allerdings stets eine gewisse Kreativität.62

Diese Einleitung möchte ich mit den Worten des Sozialanthropologen Malinowskis beenden, der zwar auf einem anderen Gebiet tätig war, dessen Aufruf aber auch Soziologen – und nicht bloß diese – Folge leisten sollten: „Wir brauchen ganz unzweifelhaft eine neue Methode für das Sammeln von Beweisen. Der Anthropologe muss seine bequeme Position im Sessel auf der Veranda der Missions- und Regierungsstation oder einer Plantage aufgeben, wo er, be- waffnet mit Block und Bleistift und zuweilen mit einem Whisky und Soda, die Erklärungen von Informanten entgegennimmt, Geschichten niederschreibt und Seiten mit Texten füllt. Er muss hinausgehen in die Dörfer und den Wilden bei der Arbeit in Gärten, am Strand und im Dschungel zusehen. Die Information muss aus dem vollen, direkt beobachteten Leben der Eingeborenen kommen und nicht als spärliche Erzählung zögernden Informanten entlockt werden. Sogar bei den Wilden, inmitten von Pfahlbauten und nicht weit von Kannibalismus und Kopfjägerei entfernt, kann man Feldforschung direkt oder indirekt betreiben. Die Anthro- pologie in freier Wildbahn, im Gegensatz zur Aufzeichnung von Gerüchten und Geschichten,

60 Siehe Legewie. Zitiert in A. Strauss/F. Corbin, Grounded Theory; Grundlagen qualitativer Sozialforschung.

Weinheim 1996: Vorwort.

61 Vgl. ebenda: S. 5.

62 Vgl. ebenda: S. 3-19.

(24)

ist schwere Arbeit, aber sie macht auch viel Freude. Und nur diese Art der Anthropologie kann uns zu einem abgerundeten Bild von primitiven Menschen und primitiven Kulturen ver- helfen.“63

2.2. Die Beobachtungen

Eine der wichtigsten Methoden, die zur Datenerhebung verwendet werden, sind Beobachtun- gen. Es handelt sich um Beobachtungen von alltäglichem zwischenmenschlichem Verhalten, anhand dessen versucht wird, Rückschlüsse hinsichtlich des zu bearbeitenden Themas zu er- halten. Die Beobachtung gilt als wissenschaftlich gültiges Verfahren, sofern sie folgende Be- dingungen erfüllt: 1) Sie dient einem gewissen Forschungszweck. 2) Sie ist systematisch ge- plant und wird nicht dem Zufall überlassen. 3) Sie wird systematisch aufgezeichnet und auf allgemeine Urteile bezogen und stellt nicht eine Sammlung von Merkwürdigkeiten dar. 4) Sie wird wiederholten Prüfungen hinsichtlich der Gültigkeit, Zuverlässigkeit und Genauigkeit unterworfen, so wie andere wissenschaftliche Beweise.64

Diese Bedingungen werden folgendermaßen erfüllt: 1) Der Forschungszweck ist das Thema dieser Arbeit. 2) Die Beobachtung ist so geplant, dass ich im Zeitraum von einem Jahr an ausgesuchten Stellen zu ausgesuchten Zeiten systematisch anwesende Personen beobachten werde. Eine exaktere Beschreibung folgt noch in diesem Kapitel. 3) Ich werde die gemachten Beobachtungen an Ort und Stelle oder leicht zeitverschoben notieren und danach Beobach- tungsprotokolle anfertigen. 4) Ich werde versuchen, Muster zu erkennen und Personen, die mir aufgrund Beobachtungen aufgefallen sind, an den Fersen zu bleiben. Diese Beobachtun- gen werden anhand vergleichbarer Ereignisse und Interviews überprüft. Eine genauere Be- schreibung des Kontrollmechanismus folgt an anderer Stelle in diesem Kapitel.

2.2.1. Die Art der Beobachtung

Die Beobachtungen sind so gestaltet, dass ich an gewissen Orten präsent bin und mir das Ver- halten der ebenfalls anwesenden Personen anschaue. Und zwar so, dass diese nicht auf die Idee kommen, dass sie von mir in irgendeiner Form beobachtet werden. Ich bin entweder ein- fach nur da und nehme selbst überhaupt keine Handlung vor, beobachte das Verhalten und mache mir nachträglich Notizen. Oder ich mache mir an Ort und Stelle Notizen, versuche aber den Eindruck zu erwecken, dass ich mich mit irgendeinem beliebigen Thema beschäfti- ge, so dass höchstens Eingeweihte (z.B. ehemalige Interviewpartner) erkennen können, womit ich tatsächlich beschäftigt bin.

63 Siehe B. Malinowski, Magic, Sciene and Religion. New York 1954: S. 146.

64 Vgl. M. Jahoda/M. Deutsch/S. W. Cook, Beobachtungsverfahren. In R. König, Beobachtung und Experiment in der Sozialforschung. Köln 1956: S. 77-97.

(25)

Natürlich greife ich ins Geschehen ein, wenn z.B. eine der von mir beobachteten Personen eine Frage an mich richtet, also wenn ich in irgendeiner Form in das Geschehen involviert werde. Es kommt aber dadurch zu keiner Verfälschung, da es sich um eine normale Beteili- gung handelt, die kaum anders aussähe, wäre ich aus einem anderen Grund anwesend. Ich greife allerhöchstens soweit ein, als ich die Gelegenheit nutze und nachdem ich die an mich gerichtete Frage beantwortet habe, eine Frage stelle, die mir bei der Datenerhebung behilflich sein kann. Was der beobachteten Person in keiner Art und Weise „verdächtig vorkommt“, da es sich um eine alltägliche und banale Angelegenheit handelt, eine Frage zu beantworten und daraufhin selbst eine zu stellen.

Diese Frage wird ohnehin so gestellt, dass keine der anwesenden Personen merkt, was genau der eigentliche Grund für diese Frage gewesen ist. König formuliert es folgendermaßen: „Die wesentliche Verschiedenheit in der Stellung des Beobachters bleibt in diesem Fall die Teil- nahme oder Nicht-Teilnahme am beobachteten Geschehen. Diese „Teilnahme“ ist jedoch un- ter keinen Umständen im Sinne einer Manipulation der Vorgänge zu verstehen, wie sie für das Experiment bezeichnend ist, sondern einzig im Sinne der Übernahme einer wirklichen Rolle (oder mehrerer) im zu untersuchenden Geschehen, wobei sich die Aktivität des Beobachters grundsätzlich auf der gleichen Ebene wie die der anderen bewegt. Selbst wenn der Beobach- ter in erster Linie Forscher ist, nimmt er dennoch am Geschehen nicht teil, insofern er For- scher ist, sondern genau wie die der anderen auch. Der Grad der Teilnahme kann natürlich sehr verschieden sein: er reicht von einer gelegentlichen Einmischung in die zu beobachten- den Vorgänge bis zur integralen Teilnahme während längerer Zeit.“65

Er unterscheidet genau zwischen diesen beiden Methoden. Während die Person, die die Daten erhebt, bei einer Beobachtung einfach nur anwesend ist, greift dieselbe Person bei einem Ex- periment aktiv in das Geschehen ein und versucht, einen gewünschten Zustand künstlich her- beizuführen, manipuliert also das Geschehen.66 Da ich bemüht bin, unauffällig zu bleiben und nicht „ertappt zu werden“, ist also erst einmal festzuhalten, dass es sich bei diesen Daten nicht um solche handelt, die über Experimente, sondern ganz klar anhand von Beobachtungen er- mittelt werden. In Ausnahmefällen kommt es zu Erhebungen, die minimale Züge eines Expe- rimentes tragen.

Ich greife nicht bloß nicht manipulierend in das aktive Geschehen ein, sondern die anwesen- den Personen sind über meine Rolle (bis auf Ausnahmen67) nicht informiert. Die Beobach-

65 Siehe R. König, Beobachtung und Experiment in der Sozialforschung. Köln 1956: S. 36.

66 Vgl. ebenda: S. 11.

67 So zum Beispiel ehemalige Interviewpartner, die den Forschungsgegenstand der Arbeit zwangläufig kennen.

(26)

tungen sind deshalb in jedem Fall verdeckt.68 Falls es zu meiner Teilnahme kommt, handelt es sich um eine Art, die nicht zu unterscheiden ist von meiner ganz normalen Teilnahme.

König stellt nun die Frage, wie weit die Beobachtung gehen muss, bis verwertbare Resultate zu erwarten sind, ob es also notwendig ist, eine beobachtete Gruppe zu infiltrieren.69 Auf der einen Seite werde ich es bei oberflächlichen Beobachtungen von Gruppen belassen, da es dar- um geht, Muster zu erkennen, die ganz allgemein für solche Gruppen gültig sind. Dazu reicht es, eine Handlung einer Gruppe aufzunehmen (und dann aber zu schauen, ob es in anderen Gruppen ebenfalls zu ähnlichen oder widersprechenden Handlungen kommt). Auf der anderen Seite werde ich das Geschehen in beispielhaften Gruppen weiter beobachten. Dabei werde ich ebenfalls versuchen, Muster zu erkennen, also eine systematische Beobachtung vorzuneh- men.70 Die Methode hat den Vorteil, dass sie sowohl in die „Tiefe“ als auch in die „Breite“

geht. Die Akzeptanz ist für die Forschung ebenfalls nicht vonnöten. Ich muss mich nicht um Assimilation in die Gruppe, geschweige denn um eine besondere Position innerhalb dieser, bemühen. Es ist also nicht nötig, Anerkennung zu erlangen.

Mit anderen Worten, die Beobachtungen sind sowohl teilnehmend als auch nicht teilnehmend, aber es ist jederzeit eine Absicht dahinter, also sie sind strukturiert. Es handelt sich einerseits um nicht teilnehmende strukturierte Beobachtung, die Grümer folgendermaßen definiert: „Der Beobachter bleibt außerhalb des Handlungsablaufes und hält das ihm sichtbare Handeln nach einem bestimmten Plan fest“.71 Andererseits ist es teilnehmende strukturierte Beobachtung, die Girtler dergestalt beschreibt: „Es handelt sich also um teilnehmende strukturierte Beo- bachtung; der Beobachter nimmt hier selbst an den Aktionen teil. Durch den Einsatz von Be- obachtungsschemata wird versucht, die Beobachtung zu standardisieren und den einzelnen Beobachteten zu kontrollieren.“72 Laut Filstead haben beide Arten der Beobachtung ihre Vor- teile: „Objekte kann man ausschließlich von außen erkennen, während geistige und soziale Prozesse nur von innen erkannt werden können (…) durch die Bedeutung und Interpretatio- nen, die wir den Objekten geben und die wir mit anderen teilen.“73

Trotz der „lockeren Art“ der Beobachtung kann man – wiederum mit Königs Worten – sagen, dass es sich keineswegs um eine naive Beobachtung handelt, sondern um eine Art der Beo-

68 Vgl. R. Girtler, Methoden der qualitativen Sozialforschung. Wien 1988: S. 44-45.

69 Vgl. R. König, Beobachtung und Experiment in der Sozialforschung. Köln 1956: S. 37.

70 Vgl. M. Jahoda/M. Deutsch/S. W. Cook, Beobachtungsverfahren. In R. König, Beobachtung und Experiment in der Sozialforschung. Köln 1956: S. 90-91.

71 Siehe K. W. Grümer, Beobachtung. Stuttgart 1974: S. 126.

72 Siehe R. Girtler, Methoden der qualitativen Sozialforschung. Wien 1988: S. 45.

73 Siehe W. J. Filstead, Soziale Welten aus erster Hand. In K. Gerdes, Explorative Sozialforschung. Stuttgart 1979: S. 33.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Ulipristalacetat (UPA) Dieser Arzneistoff schiebt ebenfalls den Eisprung nach hinten und sollte schnellstmöglich, nicht jedoch später als fünf Tage (120 Stun­?. den) nach

gegen bahnt sich die Erkältung über zwei bis drei Tage an, wobei sich die Symptome nach und nach verstärken bevor sie nach etwa einer Woche wieder nachlassen. Die Erkältung sowie

Trockenshampoos bieten sich als probate Alterna- tive zum täglichen Waschen an und belasten Haar und Kopf- haut nicht.. Wichtige Stylingtipps Nach dem Waschen Haare nicht rub-

1 Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr.. 2 Und ich sah die heilige Stadt, das

sagen, dass das russische Vorgehen in der Ukraine nicht gefährlich ist, aber ich glaube, die größte Bedrohung für den Westen ist die Korruption des eige­.

Aber es gibt einzelne Schätzungen, zum Beispiel über die Sum- men, die jährlich illegal aus den USA nach Mexiko gelangen.. Die Vereinten Nationen haben die

Das Irak-Abenteuer wirft eine Frage auf, welche die zahlreichen Anhänger des „Multikulturalismus“ auf der ganzen Welt verstören wird – jener Idee, dass alle Kulturen

Mehr als ein halbes Jahr nach Ausbruch der Krise sind der Interbankenmarkt und viele Verbriefungsmärkte für strukturierte Finan- zierungen noch immer nicht wieder voll