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Hierarchien in Studentencliquen

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Academic year: 2022

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1 Anhang: 10. Interviews

Anzumerken ist, dass alle Interviews unter absoluter Gewährleistung der Anonymität der betreffenden Respondenten geführt worden sind. Wenn eine Satzstellung seltsam oder nicht zusammenpassend erscheint, liegt dass daran, dass die Interviews in ihrem Originalwortlaut belassen worden sind. Punkte sind nur dann gesetzt worden, wenn die Respondenten deutlich hörbar einen Satz beendet haben, auch die Kommasetzung ist an bestimmten Stellen dem Ausdruck der Respondenten angepasst worden. An der Umgangssprache, die in diesen Inter- views aus naheliegenden Gründen oft verwendet worden ist, ist ebenfalls nichts geändert worden.

Respondent Nr. 1 ist Soziologie-Student. Er steht kurz vor seinem Abschluss.

I: Also es geht um Cliquenbildung. Versuche einmal, deine Position innerhalb dieser Univer- sität zu umreißen. Und zwar nicht, was das Studium an und für sich betrifft, sondern dein Umgang, Freundeskreis,…Wo stehst du da?

R1: Meine Position in der Uni?

I: Ja, aber eben was deinen Freundeskreis oder deine Studentenclique betrifft.

R1: Ja, das ist jetzt nicht so leicht zu beantworten, da es die Studiclique nicht mehr gibt, da ich relativ lange studiere und viele meiner Freunde, mit denen ich angefangen habe zu studie- ren, entweder fertig sind mit Studieren oder weggezogen sind.

I: Greif einfach auf diese Clique zurück.

R1: Wenn ich mich zurück erinnere, war das so, dass sich diese Clique nicht nur aus Studen- ten einer Fachrichtung zusammengesetzt hat, sondern aus verschiedenen. Die Gemeinsamkeit war eher das Alter wie das gemeinsame Studium. Die Clique hat sich mehr oder weniger über gemeinsame Freizeitgestaltung definiert. Es gab gemeinsame Interessen, Musik zum Bei- spiel…

I: Zurück zur Ausgangsfrage. Definiere deine Position innerhalb dieser Clique.

R1: Das ist eine ganz schwierige Frage. Zu meiner Position innerhalb dieser Clique würde ich sagen… ich bin nicht so der Cliquentyp, ich bin nicht der Mensch, der Cliquen um sich schart.

Es gibt Leute, bei denen trifft man sich immer, die rufen dann alle an, also ich bin nicht derje- nige, der die Clique zusammenhält oder das Herz der Clique. Ich würde mich eher in der Pe- ripherie als im Zentrum ansiedeln

I: Wo siehst du dich in der Hierarchie, wenn es denn so was innerhalb von solchen Cliquen gibt?

R1: In der Hierarchie?

I: Ja, es gibt innerhalb von Cliquen nicht bloß Zentrum und Peripherie sondern auch unten und oben, es gibt Personen, die mehr zu sagen haben und solche, die weniger zu sagen haben.

Versuche, dich da einzuordnen, ausser du widersprichst dem grundsätzlich.

R1: Ich würde zu den Chefs gehören, aber ich wäre niemals der Chef einer Clique, weil ich denke, dass es immer unterschiedliche Hierarchien in Cliquen gibt, deshalb auch unterschied- liche Chefs. Meine eigene Position ist eher eine dominierende, ich gebe durchaus auch Dinge vor, das ist gut, das ist schlecht, das ist cool, das ist nicht cool, das macht man, das geht gar nicht… Ich hab das schon gemerkt, dass ich in Cliquen Vorbildfunktionen hatte, so dass ich gesagt habe: Wenn man Musik kauft, dann ist der adäquate Tonträger für Musik Vinyl, man kauft sich keine CDs. Ergo haben viele aus meinem Freundeskreis, mir fallen spontan drei ein, angefangen, sich ebenfalls Schallplatte zu kaufen, was sie vorher nicht gemacht haben.

Man könnte sagen: eine impulsgebende Kraft.

I: Weshalb hast Du diese Position gekriegt?

R1: Ich würde sagen, dadurch, dass meine Argumentation evident ist. Dass ich von Dingen, die ich gut finde, so was von überzeugt bin, dass diese Überzeugung ansteckend wirkt.

I: Kann es nicht passieren, dass da Leute sagen, was will der Idiot uns eigentlich beibringen?

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R1: Das glaube ich weniger. Sicherlich kann ich als Witzfigur erscheinen, wenn ich in der falschen Clique bin, die bestimmte Dinge nicht verstehen oder so. Innerhalb von meiner Cli- que gibt es eine bestimmte Entscheidungsfähigkeit, ein gewisses Fundament, wenn ich zum Beispiel sage, die Musik finde ich gut oder die Musik finde ich nicht gut, das Vinylformat ist besser als CD, es ist besser, bei einem kleinem Einzelhändler seine Bücher zu kaufen, dann kann ich das immer begründen und ich kann das so begründen, dass es zumindest den An- schein hat, dass es richtig ist. Die Begründung ist einleuchtend, die ist einfach, hinter der ste- he ich und deswegen hat sie, denke ich, die Funktion, dass sich Leute danach richten können.

I: Wie du selbst gesagt hast, warst du nicht Chef der Clique. Gab es einen Chef in dieser Cli- que und wenn ja, weshalb war er der Chef?

R1: Ich muss immer ganz lange überlegen, weil die Fragen sind wirklich kompliziert und nicht so einfach zu beantworten. Ich würde sagen, es gibt verschiedene Kriterien, die jeman- den zum Chef machen. Ich denke, das erste Kriterium ist das, das man Chef sein will und ich das niemals wollte.

I: Der Wille zur Macht (lachen)!

R1: Ja, es gibt immer innerhalb von einer Clique welche, die besser aussehen und welche, die schlechter aussehen und vom Aussehen her würde ich mich im oberen Mittelfeld einordnen, ich bin ein bisschen zu klein, ich bin nicht so wahnsinnig durchtrainiert, aber ich bin zufrieden damit. Es gibt andere Leute, die hübscher sind als ich, denen kommt dadurch eine andere Funktion in der Clique zu, Menschen, die ein bisschen hässlicher sind als ich, die können sich dann an diese wenden, um die Aura des Schönen anzuzapfen oder wie auch immer, das war für mich jetzt nicht so wichtig. Andere Sachen… Es gibt auch Menschen die ganz, ganz drin- gend andere Menschen um sich brauchen und dann auch Abhängigkeitsverhältnisse schaffen, damit diese Menschen um sie herum bleiben.

I: Mal ganz allgemein, in einer Gang ist der beste Hauer der Chef…

R1: …die Analogie wäre dann, in der Disco-Gang ist der Hübscheste der Chef.

I: Ja, die Frage ist aber: Was bringt jemanden in eine Chef-Position von einer Studenten- Clique? Über welche Qualitäten muss man da verfügen?

R1: Wieder eine Frage, die nicht so einfach zu beantworten ist, weil eine Studenten-Clique viel heterogener ist als eine Gang. Die Gang hat ganz klare Aufgabengebiete, da geht es dar- um, Territorialansprüche geltend zu machen, sich gegen andere Gangs durchzusetzen, auch physisch, das heißt es ist wirklich einleuchtend, dass der Stärkste die Gang anleitet. In einer Gruppe von Juristen, die alle ans oberste Bundesgericht wollen oder die alle Anwälte werden wollen und ein unglaublich hohes Jahreseinkommen haben wollen, dann könnte es sein, dass der Fleißigste der Chef wird zum Beispiel, in einer Disco-Gang dann, ich finde den Namen Disco-Gang witzig, dann ist derjenige, der viele Leute kennt, vielleicht umsonst reinbringen kann, der auch im größeren Kontext angesehen wird, der, den man kennt, ist der der Chef.

Was gibt es denn sonst für Cliquen, eine Freizeit-Clique, eine Sport-Clique, in einer Fussball- Clique ist der der Chef, der am besten Fussball spielen kann. In einer normalen Clique würde ich sagen, dass sich da diese verschiedenen Dinge kreuzen, der der sich mit bestimmten Din- gen besser auskennt, ist dann der Chef, es kann durchaus mehrere Chefs geben, es kann sogar einer Chef sein und Witzfigur, weil sich sozusagen die Kreise überschneiden, das Problem der Benennung des Chefs ist, dass diese Gruppe nicht so ein eindeutiges Aufgabengebiet hat. Um es ganz kurz zusammenzufassen: Äußerlichkeiten sind wichtig, das sozusagen biologisch ge- gebene, Körpergröße, Haardichte, Hautbild, ein hübsches Gesicht, Augen, Mund, Nase, dann Kleidung ist sehr wichtig, Kleidung als Merkmal der Markierung, Geld spielt vielleicht auch noch eine Rolle, über wie viel Geld jemand verfügt, dann natürlich auch so was wie intellek- tuelle Fähigkeiten und natürlich ein gewisses Können, wenn einer ganz toll schauspielern kann, dann kann der noch so eine Pfeife sein, das kann ihm immer wieder helfen…

I: Oder ein DJ…

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R1: Es gibt halt solche Berufsgruppen: Schauspieler, Musiker, alle die diesen Celebrity-Touch haben.

I: Lass uns mal ans andere Ende gehen, genau so wie es Chefs gibt, gibt es Personen, die fer- tig gemacht werden. Was sind Gründe, dass Personen a) zwar dazugehören, aber eigentlich nur dazu da sind, um fertig gemacht zu werden oder b) gar nicht erst irgendwo reinkommen?

R1: Wenn wir den Begriff Chef durch Souverän ersetzen, dann braucht es natürlich auch ein Gegenüber, wenn wir alle Chef sind, dann macht die Unterscheidung keinen Sinn mehr. Ent- weder gibt es in jeglicher Art Minderbemittelte in einer Gruppe, dass sich die anderen abgren- zen und besser fühlen können, um es krass zu sagen Feind, ich brauch sozusagen den Feind, um mich als besser darstellen zu können.

I: Ich muss hier kurz widersprechen. Ein Feind ist in meinen Augen jemand Ebenbürtiges mit dem man sich messen kann, jemand, der aber eine andere Ansicht vertritt, aber niemand auf den man herunterschaut. Es setzt eine gewisse Ebenbürtigkeit voraus. Sorry, aber der Begriff ist in meinen Augen falsch.

R1: Ja, o.k., sagen wir ein Antagonist, ein Gegenüber. Um den Chef als Chef in Erscheinung treten zu lassen, müssen gewisse asymmetrische Erscheinungen da sein, die sich natürlich gestalten können. Das beste Beispiel ist ja die supergeile Frau, die eine fette Freundin hat. Die Fette wird mitgeschleift, und die Hübsche wird dadurch noch hübscher. Die stehen auch nicht in Konkurrenz zueinander und so funktioniert es, während es nicht funktionieren würde, wenn beide sozusagen Chefinnen wären, es wird instabil, du brauchst eine gewisse Asymmetrie, um Stabilität herzustellen. Und Stabilität ist ja eine Grundvoraussetzung, dass sich jemand als Chef etablieren kann. Diese Leute, die an den Rand gedrängt werden, üben also eine ganz wichtige Funktion aus. Ohne sie würde eine Clique gar nicht funktionieren. In einem gewis- sen Maße sind die also wichtiger als der Chef oder, blöd gesagt, das Mittelfeld.

I: Ich will ein paar Punkte für die Bedeutung der Rangvergabe innerhalb solcher Studenten- cliquen abklären, ein paar sind schon angeschnitten worden. Als Erstes würde ich mal die Persönlichkeit, Charisma oder auch extravagante Charakterzüge nennen.

R1: Was soll ich damit?

I: Was diese Punkte für eine Rolle bei der Rangvergabe spielen.

R1: Charisma ist ja nichts, das man hat, sondern etwas, das man bekommt. Ich denke, dass das Ganze viel komplizierter ist, dass man Zentrum und Peripherie nicht als Gegensätze sehen sollte, sondern dass wir uns alle in der Differenz dazwischen befinden und dieses Zentrum- Peripherie ist vielleicht als Beschreibung zu einfach, es gibt so Figuren, wo das Zentrum aus- serhalb liegt, um innen drin etwas zu festigen. Man könnte ja auch sagen, dass der Depp oder der Gast, dass der das Zentrum ist und die Clique die Peripherie, so rum funktioniert es näm- lich auch. Man müsste das von Fall zu Fall oder von Clique zu Clique überlegen und dann empirisch überprüfen. Es gibt natürlich schon gewisse Grundvoraussetzungen, die jemanden eher zum Chef werden lassen, wie jemand anderes, wobei es auch das Phänomen gibt, das mich persönlich schon sehr lange beschäftigt und worüber ich mir schon lange Gedanken ma- che, nämlich, dass der Chef einer Gruppe gebrochen sein muss, er kann seine Chefposition gewissermaßen damit behaupten, dass er unter der Gruppe steht und nicht über der Gruppe.

Da habe ich zum Beispiel jemanden wie Eminem, der ist weißer als weiß, der hat sogar noch weiße Haare, der wird dann zum schwärzesten Schwarzen. Ich hab Bob Marley, der ist nicht viel dunkler wie wir, der hatte eine weiße Mutter oder eine weiße Großmutter, der wird dann zum Anführer der Rasta-Revolution, die die Schwarzen wieder nach Afrika zurückführen will.

I: Muhammad Ali stellt den dunkleren George Foreman als Verräter der schwarzen Sache hin…

R1: Ja, das sind ganz, ganz komplizierte Wechselwirkungen, die dann dazu führen, wahr- scheinlich läuft es schlussendlich darauf hinaus, auf das, was Max Weber die charismatische Herrschaft genannt hat, das ist ja das, was den Chef zum Chef macht, das heißt ich kann nicht

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einfach sagen: Ich bin jetzt Chef, sondern ich brauche eine Legitimation durch die anderen, die anderen machen mich zum Chef. Wenn in einer Gang so eine Ablösung stattfindet, dann kann das über Vatermord laufen, ich bring den anderen um, oder aber über Meuterei, dass ich die anderen hinter mich stelle und dem Chef die charismatische Herrschaft entziehe, indem ich ihm das Charisma entziehe, das ihm von anderen gegeben ist, was er selbst nicht hat, was nichts Eigenes ist.

I: Was für eine Rolle spielt Frisur, Kleidung, allgemein der Stil?

R1: Ganz, ganz wichtig, meiner Meinung nach. Das ist aber wieder eine schwierige Frage. Ich bin ja schon relativ lange hier. Wenn ich so zurückblicke… Ich habe bis jetzt einen Skinhead entdeckt, und dann habe ich gedacht, das gibt es doch gar nicht, dass es so was überhaupt gibt, mit Ranger-Boots, weißen Schnürsenkeln, wie aus dem Bilderbuch, was der innerhalb der Uni für eine Stellung hat… Ich weiß es nicht, es ist nicht so, dass er geschlagen wird oder so, ich glaube, den kann man nicht schlagen, der ist ja so schon… die meisten Nazis sind ja unattrak- tiv. Während der Punk an und für sich schon fast so etwas hat, wie eine erotische Komponen- te hat, er hat eine Komponente, die mit Geschlechtsdifferenzen und Geschlechtszuschreibun- gen spielt, die auch den Körper ausstellt, während die anderen hinter dicken Bomberjacken verschwinden, zeigt sich der Punk im Muskelshirt. Was auch reinspielt ist ja auch, dass das von der Haute Couture aufgenommen worden ist. Heute kann man als Punk rumlaufen und muss kein Punk sein. Vielleicht lässt das wieder ein bisschen nach, aber als Beckham mit dem Irokesenschnitt rumgelaufen ist, wenn dann auch Olli Kahn mit den Irokesen kommt, dann hört es halt auf.

I: Und was für eine Rolle spielen solche Merkmale nun für die Positionsvergabe?

R1: Ich weiß es nicht. Man muss natürlich auch bedenken, dass die Universität ein ganz hete- rogenes Umfeld bietet und du die Universität nicht mit einer Schule vergleichen kannst. In der Schule ist es mit diesen Rollenzuschreibungen ein bisschen leichter, da sieht man sofort, wer ist der Depp, wer ist der Anführer, wer ist Mitläufer, wer ist Stichwortgeber, wer ist Prinzes- sin, die fette Nudel, die keiner will. Spätestens nach 10 Minuten teilnehmender Beobachtung kann man das feststellen, während es an der Uni sehr schwierig ist.

I: Und wo stecken diese Leute nun drin?

R1: Der Punk äußert sich…

I: Es muss nicht unbedingt ein Punk sein, jemand mit auffälligen Äußeren…

R1: Jetzt als Beispiel, das ist ein schönes Beispiel. Er hat eine gewisse Einstellung, er zeigt diese Einstellung in Kleidung oder so was, er hört eine bestimmte Musik, er hat bestimmte Filme lieber als andere Filme, er liest bestimmte Bücher, er ist eher links als rechts und will vielleicht auch so was wie soziale Verantwortung übernehmen. Der Punk ist an einem ähnli- chen Ort anzusiedeln wie der Rasta oder so, man kann davon ausgehen, dass er sich auch en- gagiert, dass er bei Attac arbeitet, beim Asta was macht oder wie auch immer, soziales Enga- gement oder in der Ecke könnte man das etwa ansiedeln. Der Skinhead würde sich kaum beim Asta engagieren.

I: Die Position in einer, ich sage mal, Cliquen-Hierarchie.

R1: Ich tue mich schwer mit dem Begriff Hierarchie. Ich nehme jetzt Hierarchie mal als wechselseitige Anerkennung, je mehr Anerkennung ich kriege, desto höher stehe ich in der Hierarchie. Der Skinhead hier, der kriegt keine Anerkennung, mit dem will keiner reden, mit dem will keiner spielen, mit dem will keiner sein Pausenbrot teilen. Während beim Punk da kommen dann Leute, die sagen: ich bin auch so ein bisschen drauf wie du. Umso mehr An- knüpfungspunkte ich an die anderen finde, desto eher lassen sich auf Leute auf dich ein. Der Skinhead hier, den sehe ich immer alleine rumstehen, der steht also gewissermaßen in einem Hierarchiekonzept weiter unten, als jemand, um den eine Gruppe Menschen rumsteht. Neh- men wir eine Gruppe von Studentinnen, da gibt es sicher immer eine, die als Erstes auf einen neuen Modezug aufspringt, die sagen dann, hey, wir wollen nicht der Mode hinterher rennen, aber die eine macht’s halt und kriegt somit irgendwie Vorbildcharakter in der Art.

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I: Oder sie wird deswegen fertiggemacht.

R1: Das kommt dann halt darauf an, was das für Menschen sind. Wenn das Menschen sind, die eine starke Persönlichkeit haben, die eh schon anerkannt sind, dann wird das funktionie- ren, wenn das Leute sind, die in der Hierarchie weiter unten sind und krampfhaft probieren, sich hochzuarbeiten durch solche Sachen, durch solche Attribute, durch ungewöhnlichen Kleidungsstil, durch Modeaccessoires… dann scheitert das Ganze. Die Hierarchie kann nicht von außen bestimmt werden, sondern muss über die Binnendynamik der einzelnen Cliquen eruiert werden. Man kann aber gewisse Indikatoren bilden, wenn das und das für den und den zutrifft, dann wird er der Chefund auf der anderen Seite kann man schon sagen, dass wenn einer ganz, ganz dick ist oder üble Akne hat, dann hat es der einfach schwerer, der wird nicht zum Chef gemacht, ganz einfach, dem sind einfach gewisse Aufstiegschancen verwehrt. Oder wer starken Dialekt hat, kein Dialekt, der irgendwie witzig ist oder so sächsisch oder so.

I: Passiert das auch aufgrund freiwillig gewählter Merkmale?

R1: Davon bin ich überzeugt. Das heißt wir haben keine offene Gesellschaft mehr, wo jeder dahin kommen kann, wo er will. Bei freiwillig angenommen Merkmalen ist das auch so.

Wenn jemand zum Beispiel sagt, ich bin dagegen, dass Menschen so riechen wie sie riechen und bin dagegen, dass Menschen so aussehen, wie sie aussehen, das heißt ich rasiere mich nicht mehr, ich schneide nicht mehr die Haare, ich wasche mich nicht mehr, ich benutze kein Deodorant, ich möchte endlich wieder wie ein Mensch riechen, das ist jemandem seine per- sönliche Entscheidung, aber es wird jemand damit ganz, ganz schnell an eine Grenze stossen, wo er nicht weiterkommt.

I: Wie wird denn mit Personen umgegangen, die nicht mitmachen wollen, die sich nicht integ- rieren lassen wollen.

R1: Da würde ich sagen, das ist ein Ding der Unmöglichkeit, zu sagen, ich gehöre nirgendwo dazu. Wenn ich mich mit Stilfragen beschäftige, dann kann ich nicht sagen, ich habe keinen Stil. Ich kann sagen, ich bin Nazi und hab dieselben Sachen an wie jetzt, es würde niemand sagen, ich hätte einen Nazistil oder so etwas. Worauf ich hinaus möchte, wenn ich sage, ich möchte keinen Stil haben, werde ich trotzdem von außen, dann werden ich von außen trotz- dem als einer wahrgenommen, der diesen und diesen Stil verfolgt, in diesem Fall eben kein Stil, denn kein Stil ist auch Stil, das meine ich, selbst wenn ich auf alle Merkmale des Stils verzichte und nackt herumlaufe, dann bin ich ein Flitzer, ich kann mich dem gar nicht entzie- hen. Du hast ja nach dem Außen gefragt, gibt es kein Außen.

I: Jemand, der selbst sagt: Ich will außen sein. Wie wird mit dem umgegangen?

R1: Wenn du wirklich außen sein willst, dann musst du auswandern oder im Wald leben, sonst gibt es kein Außen, es gibt kein Außen. Es gibt eine Gruppe von Leuten, die außen sein wollen, bei Foucault heißt es, dass sind Einschließ- und Ausschlussprinzipien, es gibt Struktu- ren, die gewisse Lebensformationen ausschließen, das eine wird einbezogen, das andere wird ausgeschlossen, um Normalität zu konstituieren, kann ich alle Verrückten und Irren in eine Klinik sperren und kann dann definieren, alle die, die nicht in der Klinik sind, die sind nor- mal, oder ich kann die Klinik durch was anderes ersetzen.

I: Das wurde ja schon ein bisschen angesprochen. Was für eine Rolle spielt das Aussehen und die Figur?

R1: Würde ich sagen, seit den 60er-Jahren immer mehr. Das kommt durch den Fitness-Wahn, durch Models… Du bekommst ja ganz konkrete Vorgaben, was geht und was nicht geht, an- gefangen mit Diätshows, die dir vorgaukeln, dass du nicht dick sein darfst, dass das eine Krankheit ist, ein Fehler, wie auch immer, dann gibt es noch so was wie Baywatch, das ist einfach, das ist klar.

I: Eine Figur: Gibt es den dicken schwitzenden Cliquenchef?

R1: Jerry A. (lacht) Kommt natürlich darauf an. Ein cooler Schläger in einer Motorradgang, dass der der Chef ist.

I: Und bei Studenten?

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R1: Ja, bei Studenten, in irgendwelchen Burschenschaften, der Dicke, der kann ganz viel sau- fen und der hat dann noch mal einen Bändel mehr um den Hals oder so und dann ist das der Chef. Würde ich schon sagen, das schließt sich nicht aus.

I: So die wichtigste Frage überhaupt (lachen). Was für eine Rolle spielt denn das Vorhanden- und Nichtvorhandensein von Sexualpartnern für die Positionsvergabe (lachen).

R1: Eine spannende Frage über die natürlich immer wieder diskutiert wird. Ich habe zum Bei- spiel viele… (lacht). Ne, ernsthaft, es gibt ja auch in der Literatur hervorragende Beispiele dafür, es gibt einen gesellschaftskritischen Roman, der sich genau mit dieser Thematik be- schäftigt, das ist die Ausweitung der Kampzone von Houllebecq, die Kernthese ist ja die, dass die Potenz, also Potenz als Möglichkeit jetzt und auch die Anzahl, also Anzahl der tatsächli- chen und die Potenz zu, dass das der Indikator ist für, er nennt das auch Hierarchie.

I: Und jetzt zum richtigen Leben.

R1: Ich weiß es nicht, ich bin immer noch irritated and confused. Aber warte mal, ich denke für die Hierarchie ist das ein ganz entscheidender Indikator, lass uns mal zusammenfassen, was die Hierarchie ordnet, das biologische Aussehen mal außen vor, dann das Aussehen, das ich mir selbst gebe, die Position, die ich mir selbst gebe, die Wahl, was für Musik ich höre, über was ich mich identifiziere, ob etwas gut oder schlecht ankommt, ob das dazu führt, dass ich eine hohe oder niedrige Position einnehme, kann ich an den Sexualpartnern ablesen.

I: Ich habe vorher gesagt, dass in einer Gang der beste Schläger eine Chefposition innehat.

Kann einem so was auch in Studentencliquen hilfreich sein?

R1: Es spielt eher wieder in diese Fitness-Sache hinein, das gehört zum guten Aussehen, dass man eben körperlich fit ist. Wobei das für die Clique wohl schon hilfreich sein kann, wenn sie wissen, da ist einer, der kann hinlangen, wenn es sein muss. Das kann denjenigen durchaus in eine höhere Position bringen.

I: Gehen wir einmal davon aus, dass jemand hat sich eine Chefposition gesichert hat, steht der immer noch unter Druck, also muss der weiter Sexualpartner vorgeben?

R1: Nicht zwingend, wenn man einmal einen bestimmten Status erreicht hat, dann muss man was dafür tun, dass sich das hält, aber wenn die Zahl der Sexualpartner abnimmt, dann kann das ja Gründe haben, zum Beispiel, jemand geht nicht mehr so oft weg oder so, deshalb muss er die Chefposition nicht aufgeben.

I: Da will ich gleich nachhaken, sagen wir das passiert so, jemand verschwindet immer mehr von der Bildfläche, muss der dann seine Chefposition aufgeben oder wird die wenigstens in Frage gestellt?

R1: Ich denke, ein Chef mit einer einigermaßen gesicherten Position kann sich das erlauben.

I: Was für eine Rolle spielen Noten und Abschlüsse?

R1: Das spielt keine so große Rolle. Einfach aus dem Grund, ein hohes Bildungsniveau ist eigentlich kein Statussymbol, es hebt deine Position nicht, wenn man es hat, ist es in Ord- nung, aber es ist eher sekundär.

I: Kann es die Position drücken?

R1: Es kann die Position durchaus drücken. Es gibt ganz viele negative Begriffe für jeman- den, der viel weiß, Besserwisser, Schlaumeier, der, der überall seinen Senf dazugibt, der Stre- ber, alles negativ, ein positiver Begriff fällt mir gar nicht ein.

I: Spielt die Herkunft eine Rolle?

R1: Die Herkunft spielt auf jeden Fall eine Rolle. Wir hatten das vorher angesprochen mit dem Dialekt, wenn jemand einen argen Dialekt spricht, sind ihm gewisse Bereiche verschlos- sen. Und natürlich, wie man mit anderen Menschen umgeht, es gibt sicherlich die eine oder andere Erziehung, die einem für die Chefposition fit macht oder eine andere oder keine Erzie- hung, die einem für keine Position fit macht.

I: Das Geschlecht? Heute noch?

R1: Das Geschlecht spielt auch eine Rolle. Ich selbst habe noch nie eine Clique gesehen, die heterogeschlechtlich war, wo eine Frau eine Chefposition hatte. Das habe ich noch nie mitbe-

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kommen, ich weiß auch nicht, ob es das überhaupt gibt. Wir haben vorher gesagt, dass der Chef derjenige ist, der Befehle geben kann, ich weiß nicht ob die Frau wirklich den Männern Befehle geben kann. Schließe ich nicht aus, habe ich aber selbst nicht erlebt.

I: Das Auftreten.

R1: Das Auftreten ist natürlich sehr, sehr wichtig. Wer mit Pauken und Trompeten auftritt und nichts dahinter steckt, das wird nichts. Man kann auch leise auftreten und gar nicht wahrge- nommen werden, das wird auch nichts. Die richtige Taktik und das Kalkül beim Auftreten sind auch sehr wichtig.

I: Ich habe mir einmal vier Pfade aufgelistet, was das Auftreten betrifft. Wenn jemand selbst- sicher bis arrogant auftritt, dann wird das akzeptiert und die Person in dieser eher selbster- nannten Chefposition belassen oder versucht man, an diesem Image zu kratzen und die Person herunterzuholen? Und falls jemand offensichtlich unsicher auftritt, wird diese Person noch weiter in die Ecke gedrängt oder versucht man, sie zu stützen?

R1: Da gibt es natürlich alle Möglichkeiten, diese Möglichkeiten schließen sich nicht gegen- seitig aus. Wir können diese Möglichkeiten nacheinander durchgehen, jemand der arrogant auftritt und in Ruhe gelassen wird, er wird wohl von denen in Ruhe gelassen, die selbst auch selbstsicher sind, das heißt er tritt dann gar nicht arrogant in Erscheinung, weil dann das Ar- rogante auch von außen herangetragen wird, wenn die anderen auch arrogant sind, dann funk- tioniert das.

I: Wenn sich die Person in einem unsicheren Umfeld bewegt?

R1: Das ist schwierig. Um jemanden runterzuholen, muss man selbst relativ selbstsicher sein.

Wenn mir jemand komisch vorkommt und ich denke, den muss ich runterholen, dann muss ich das relativ geschickt machen, dann dürfen mir nicht die Argumente ausgehen. Dann muss ich schlagkräftig sein, muss ich schlagfertig sein, muss ich selbst auch dastehen. Und dafür brauche ich ein gewisses Potential.

I: Und die Schwachpunkte?

I: Irgendein Schwachpunkt lässt sich doch immer finden. Aber der Chef wäre nicht der Chef, wenn er sich seiner Schwachpunkte nicht bewusst wäre, also hat er Strategien und Lösungen bereit, um auf Situationen zu reagieren, in denen er auf seine Schwachpunkte angesprochen wird.

I: Die unsicheren Personen.

R1: Die unsicheren Personen, man kann sie in der Clique aufnehmen und trösten, dadurch fühlen sich alle besser, man kann sie aber auch runtermachen, dadurch fühlen sich auch alle besser, je nachdem, was besser passt, das, was die Clique stärkt, diejenige Variante wird ge- wählt.

I: Um mal einen Schluss zu ziehen: Die sind für die Existenz eine Clique sehr wichtig.

R1: Wer, die Arroganten oder die Unsicheren?

I: Die Unsicheren.

R1: Die Unsicheren sind sehr viel wichtiger als die Arroganten, das ist das, was ich vorher gesagt habe, mit diesen Gästen, die man braucht, das sind die, die Asymmetrien einführen und dadurch die Figuration stabilisieren. Die brauchst du, die sind zwingend notwendig.

I: Ich stelle eine Behauptung auf und du sagst etwas dazu. Die unsicheren Personen befinden sich im Mittelfeld und die arroganten sind oben oder unten.

R1: Ich gebe dir da vollkommen unrecht, ich stimme dir überhaupt nicht zu, weil ich denke, dass ein lineares Schema da überhaupt nicht greift, weil ich davon ausgehe, dass jeder zugleich Zentrum und Peripherie ist, gleichzeitig oben und unten ist, dass jeder gleichzeitig draußen und drinnen ist, dass jeder in sich, dass sich innen drin so viele Dinge kreuzen, dass sich die unterschiedlichen Hierarchien kreuzen, ich sehe das eher so, ich habe hier einen und da laufen ganz viele Dinge durch, das eine läuft halt so und das andere geht halt so und das ist einmal oben und einmal unten, so sehe ich das eher, das kann man eben so nicht in ein linea- res Schema einfügen, ich glaube nicht, dass das stimmt.

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I: Was spielt die Vorgeschichte einer Person für eine Rolle? Die Karten werden ja an der Uni gewissermaßen neu gemischt.

R1: Das hängt ja von der Person ab. Ich kann auch irgendwo neu hinkommen und mir eine vollkommen andere Vergangenheit zulegen. Ich kann mich zu dem machen, der ich immer sein wollte, ich kann lügen, ich kann betrügen oder ich kann weitermachen, wie ich vorher war, die Möglichkeiten gibt es. Die Herkunft ist ein bisschen so was wie eine Hypothek, so- zusagen: You can take the boy out of the white trash, but you can’t take the white trash out of the boy. Deine Herkunft wird immer bei dir sein. Wenn du vorher schon eine höhere Position hattest, dann ist die Wahrscheinlichkeit ganz groß, dass du in deinem neuen Umfeld eine hohe Position haben wirst, wenn du am Rande standest oder unten warst, dann wird es eher so sein, dass du auch im neuen Umfeld eher wieder unter anfangen wirst.

I: Moment, anfangen tun alle in der gleichen Position.

R1: Das ist korrekt, das stimmt. Aber das ist so, alle kommen neu irgendwohin, die hocken eine Stunde in der Einführungsveranstaltung, dann haben sich schon die ersten Gruppen ge- bildet. Der Zeitpunkt, zu dem alle noch gleich sind, der ist minimal, ein paar Minuten, würde ich sagen.

I: Da wären wir bei der Hierarchie.

R1: Ja klar, ich beobachte das ja auch, es gibt innerhalb von Cliquen Leute, die höher stehen und solche, die niedriger stehen. Mir gefallen halt die Begriffe hoch und niedrig nicht, weil sie eben eindimensional sind, es geht nach oben und nach unten, es geht nach links und nach rechts und es geht auch nach halblinks und nach halbrechts. Die Strukturen sind einfach zu komplex für eine Hierarchisierungsachse, ich glaube, dass man mit oben und unten nicht so- weit kommt. Auf der anderen Seite kannst du es natürlich dreidimensional modellieren oder x-dimensional, es gibt einen Raum, in dem sich die Elemente positionieren, aber dieser Raum hat kein oben und unten.

I: Hast du auch eine, ich sag mal Sekundär-Clique, die sich aus vornehmlich Nicht-Studenten zusammensetzt und kannst einen Vergleich zu deiner Studentenclique ziehen. Oder vielleicht ist es ja sogar die primäre.

R1: Ich kann aktuell nicht so viel dazu sagen. Ich kann höchstens dazu sagen, wo ich ange- fangen habe zu studieren, da hatte ich so eine Studiclique, das ging relativ zügig, die haben alle studiert, das war zwar eine Studentenclique, aber wir haben uns kaum über das Studieren definiert. An der Uni habe ich mich eher schwer getan mit allen Leuten, als ich hier angefan- gen zu studieren, habe ich echt gedacht, hier sind nur die Leute, die halt vorher die Deppen waren, die studieren jetzt und normale Leute gibt es hier gar nicht.

I: Was unterscheidet denn eine, in Anführungszeichen, normale Clique von einer Studenten- clique?

R1: Wenn ich zum Beispiel, meine Studentenclique mit der Clique vergleiche, die ich in der Schule hatte, dann sind die Unterschiede nicht so wahnsinnig groß. Ich kann die Frage schlecht beantworten.

I: Wenn du dir zum Beispiel eine Clique ansiehst, die vornehmlich aus Nicht-Studenten be- steht, ob da grundsätzlich andere Verhaltensweisen an der Tagesordnung sind.

R1: Die Themen, über die man redet, sind andere, also da wird schon… das hört sich jetzt schon doof an, aber da wird auf einem höheren Niveau diskutiert, da werden auch Probleme angesprochen, die in normalen Cliquen nicht angesprochen werden. So ein Gespräch wie jetzt würde ich mit meinen Nachbar nicht führen, mit dem führe ich andere Gespräche. Das Studie- ren hat mich gelehrt, über bestimmte, über abstrakte Dinge nachzudenken und darüber eben auch diskutieren zu können. Das ist dadurch geprägt, die Thematik, die Weltsicht, dass sich diese Themen einfach ein bisschen unterscheiden.

I: Ich will noch mal auf die Positionsvergabe zurückkommen und zwar auf eine ganz speziel- le, nämlich diejenige des Hofnarren. Ein Hofnarr zeichnet sich ja dadurch aus, dass er unge-

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straft Regeln brechen darf, er darf den Chef lächerlich machen… Wer hat solche Positionen in einer Studentenclique inne?

R1: Die Position des Hofnarren ist für mich fast die reizvollste. Vielleicht ist der Hofnarr der Chef, weil er nicht dazugehört.

I: Nein, er gibt keine Verhaltensanweisungen.

R1: Historisch kenne ich mich nicht so genau aus, was der Hofnarr genau ist, ob der den Kai- ser zum lachen bringt…

I: Er darf eben auch über ihn lachen

R1: Er darf über ihn lachen, der Hofnarr ist ja so was wie ein Parasit im positiven Sinne, er ist… er heftet sich irgendwo an, er ist draußen und drinnen, ich weiß nicht so genau. Warum darf er es machen? Ich denke… (überlegt recht lange) leicht ist die Frage nicht zu beantwor- ten, was für eine Funktion er übernimmt, er spricht aus, was sonst nicht ausgesprochen wer- den darf, es geht in die Richtung. Er darf es machen, weil er die Fähigkeit dazu hat. Du brauchst ein gewisses Gespür, nicht jeder kann das machen. Du brauchst ein Gespür, um zu wissen, wo kann ich den Hebel ansetzen, um etwas zum Einstürzen zu bringen, wo sind die Knackpunkte. Der Hofnarr ist ein Zwitterwesen zwischen Charmeur und Denunziant, der darf dich runtermachen, aber das passiert auf eine nette Art. Er ist nicht der, der lästert, er ist auch nicht der, der wirklich jemanden fertigmacht, er haut ans Glas, es schwappt ein bisschen, aber es kippt nicht um... sag du mal was.

I: Er darf es machen, weil er es einfach macht. Er nimmt sich die Freiheit dazu einfach selbst- ständig raus. Wobei es auch gut sein muss.

R1: Wieso darf er Regeln brechen? Der Hofnarr muss natürlich sehr fit sein und aufgeweckt, das ist auch was, was nicht jeder kann, ich sage, der Hofnarr macht es, weil er es machen kann, weil er die Fähigkeit dazu besitzt. Die Fähigkeit besteht darin, an den Dingen zu krat- zen, gut, man kann jetzt schauen, ob er wirklich an allen Sachen kratzt oder ob es doch die Sachen sind, die einigermaßen verträglich sind oder so.

I: Der Hofnarr kratzt am Heiligen.

R1: Am Heiligen, das ist schön. Aber er muss vorsichtig sein, es ist ein Balanceakt zwischen Beleidigen, Denunzieren, den Finger in die Wunde legen, Imagekonstruktionen zum Einsturz zu bringen, diese aber gleichzeitig wieder aufzufangen.

I: Es kann auch für ihn gefährlich werden. Er gefährdet unter Umständen auch seine eigene Person.

R1: Da könnte man jetzt auch tautologisch argumentieren, er kratzt an einem Image, weil sein Image das des Zerkratzten ist, der Hofnarr darf nicht beleidigt sein, wenn mal ein Witz auf seine Kosten geht, er kann an jemanden kratzen und kann dies dann gewissermaßen selbst grade biegen, indem er einen Witz über sich selbst macht. Der Hofnarr macht einen Witz über den König, danach knallt er sich eine Torte ins Gesicht, er darf sich selbst nicht zu ernst neh- men, er muss damit ein bisschen jonglieren. Die Frage ist jetzt, ob es in jeder Clique einen Hofnarr gibt.

I: Gefährdet der Hofnarr die Chefposition?

R1: Ich glaube, dem Chef ist derjenige gefährlich, der auch Chef sein will. Der Hofnarr will ja gar nicht Chef sein. Wenn der Hofnarr Chef wäre, dürfte er nicht mehr Hofnarr sein, so funk- tioniert das nicht. Aber der Chef, der Chef werden will, kann sich als Hofnarr ausgeben und dann darüber Chef werden, so vielleicht, aber der Hofnarr will das gerade eben nicht. Das wäre vielleicht eine Figur, die außerhalb steht. Da wir sie benennen können, ist sie trotzdem nicht ganz außen vor. Diese Funktion, ich überlege gerade, braucht die Clique ihn, braucht er die Clique. Er braucht die Clique wohl mehr als die Clique ihn.

I: Für die Clique fast schon ein undankbares Element. Es ist ja niemanden wirklich wohl, wenn er anwesend ist.

R1: Es hat auch noch einen edukativen Charakter, es geht ja auch um Erziehung, es geht auch darum, den Leuten mal zu zeigen, also so jetzt gerade mal nicht. Keiner lässt sich gerne auf

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seine Fehler hinweisen auf eine provokant offensive Art. Man muss den Hofnarren auch mö- gen. Man kann nicht in eine andere Clique gehen, alle wunderbar herunterputzen und wieder gehen, das ist dann auch wieder was anderes.

I: Das ist ja der Balanceakt.

R1: Wenn wir in diesen Kategorien bleiben, also in den Gruppen, in denen ich mich bewege, wenn ich meine Freunde ankucke, dann ist jeder gleichzeitig Chef und Hofnarr

I: Das kann nicht sein.

R1: Ja, nicht gleichzeitig. Es ist kompliziert, darüber nachzudenken, was kann denn ein Chef für Befehle geben. Sind das Handlungsanweisungen?

I: Ja. (Pause) Lassen wir mal den Hofnarr Hofnarr sein.

R1: Ist aber eine spannende Figur.

I: Auf jeden Fall. Wie sicher sind Positionen? Sagen wir, der Chef dreht den anderen den Rü- cken zu. Ist er immer noch Chef?

R1: Auf gar keinen Fall. Sobald irgendeiner dem anderen den Rücken zudreht, dann reden die anderen schlecht über einen. Der Chef wird nicht wirklich geliebt, er muss über Machtver- hältnisse seine Position sichern, er muss sich ein bisschen abheben von den anderen und so- bald er dann weg ist, gibt es dann keinen Chef mehr, kennt man von der Arbeit, sobald der Chef weg ist, geht es los, das ist immer so.

R2 hat Verwaltungswissenschaften studiert. Er steckt seit kurzem im Berufsleben.

I: Beschreibe mal das Erscheinungsbild der Studenten.

R2: Es gibt nicht den Studenten, es gibt unterschiedliche Typen von Studenten, es gibt den Jurastudenten, den gepflegten mit großen Erwartungen an die Zukunft und Seidenschal und Abwandlungen davon. Dann gibt es den verwirrten Physiker mit Cordhose, der manchmal auch Soziologe studiert und lange Haare hat, dann gibt es den Snowboard-, Skateboard-, sportlichen Verwaltungs- und Medienstudenten. Die Sportstudenten sind dann ein bisschen kerniger, fast schon Richtung FH-Student.

I: Du machst das an der Fachrichtung fest.

R2: Vielleicht nicht 100%, aber tendenziell signifikant, ich denke schon, du wirst nicht so viele Sportstudenten finden, die den Jura-Studenten entsprechen. Bei den Jura-Studenten gibt es sicher viele, auf die dieses dämliche Vorurteil, Blueprint, einigermaßen zutrifft.

I: Was für ein Bild dominiert außerhalb der Fachrichtungen?

R2: Es dominiert nicht ein Bild, es gibt unterschiedliche. Ich habe das vorher grob den Fach- richtungen zugeordnet, aber dann gibt es halt auch noch den ganz gutbürgerlichen, gerade hier in Baden-Württemberg, evangelischen, sparsamen, rationalen Schellstudenten, der es durch- zieht.

I: Hat sich das Erscheinungsbild geändert?

R2: Ein bisschen schon, ich glaube schon, dass man auch bei den Studenten ein bisschen mehr merkt, dass Studieren nach und nach ein bisschen weniger selbstverständlich wird, ein biss- chen weniger Spaß wird, gerade auch mit den Studiengebühren und es nach und nach wieder ein bisschen eine elitärere Sache wird.

I: Wie verändert sich dadurch das Erscheinungsbild?

R2: Die Studenten werden eher wieder aus wohlhabenderen Familien kommen, die Studenten werden gepflegter.

I: Was ist für die Cliquenbildung maßgebend?

R2: Über die Fachrichtung, über gemeinsame Seminare, man sieht sich in der Vorlesung. Bei mir früher war das auch so, dass sich über die Fachrichtung hinweg, dass ich dann tatsächlich Leute in der Bibliothek getroffen habe, die da auch immer gesessen sind. Nicht nur die Fach- richtung, sondern auch über die Fachrichtung hinweg, Leute, die in einem ähnlichen Stadium des Studiums sind. Später habe ich gesehen, ah ja, die gehen jetzt auch aufs Diplom zu.

I: In was für Cliquen hast du verkehrt?

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R2: In mehreren.

I: Im Lauf der Zeit?

R2: Auch gleichzeitig. Ich denke, das Maßgebliche bei Studentencliquen ist schon die Fach- richtung. Und dann gibt es kommunikative Charaktere, die zwischen verschiedenen Fachrich- tungen hoppen, was aber nicht unbedingt so üblich ist. Ich glaube, dass es viele gibt, die in ihrer Fachrichtung bleiben. Du hast eine Gruppe von Biologen, da sind dann noch ein Physi- ker dabei oder zwei, aber da sind dann doch 60-80 Prozent Biologen. Bei Juristen ist es auch so und bei Sportlern ebenso. Ich glaube eher noch, dass sich diese Geisteswissenschaften, wie Soziologie, Philosophie oder Politologie unterscheiden, das ist auch so, weil die verschiedene Kombinationen studieren, dass es sich da noch am meisten mischt. Man sitzt halt zusammen in einer Vorlesung oder in einem Seminar und lernt sich so kennen, so entsteht dann eine Cli- que.

I: Das hört sich ein fast ein bisschen wie ein Zwangsverband an.

R2: Ne, kein Zwangsverband. Die Chance ist einfach höher, dass man sich kennenlernt, wenn man gemeinsam in Vorlesungen hockt. Die Gelegenheit, Leute derselben Fachrichtung ken- nenzulernen ist einfach öfter und häufiger gegeben. Wenn man in so einer Clique ist, hat man ja auch Anschluss gefunden, das ist ja auch ein hauptsächlicher Antrieb, man kommt in eine fremde Stadt und kennt erstmal niemanden, außer vielleicht vom Wohnheim oder die drei, vier Wohnpartner, von denen du zwei eh schräg findest und dann sucht man sich Kontakte und da ist es ganz natürlich, dass man mit den Leuten zusammenkommt, mit denen man sich die Kurse teilt.

I: Gibt es eine Struktur in solchen Cliquen?

R2: Ich glaube nicht, dass bei Studenten… es gibt sicher eine Struktur in den Studentencli- quen, aber ich glaube nicht, dass sich die Struktur unterscheidet von der Struktur in anderen Cliquen. Es gibt im Fussballclub eine Struktur, eine Hierarchie und eine Rollenverteilung und die gibt es auch in einer Studentenclique.

I: In einer Gang ist der beste Hauer der Chef.

R2: Im Vergleich mit einer Gang, würde ich sagen, dass eine hierarchische Struktur viel we- niger ausgebildet ist.

I: Gibt es sie?

R2: Es gibt in jeder Gruppe von Menschen ein Alpha-Tierchen, wie ausgeprägt, dass es ist, ist die andere Frage, aber in jeder Gruppe von Menschen, egal, ob es zwei, fünf oder zehn sind, gibt es tendenziell solche, die sogenannte Führungspersönlichkeiten sind, dann die, die eher mitmachen und dann gibt es überall auch in jeder größeren Gruppe den Pausenclown oder was in diese Richtung geht, diese Rollenverteilung gibt es überall auf der Welt, auch in Stu- dentencliquen, aber weniger stark als in anderen.

I: Was ist denn das, ein Soziologie-Professor von mir hat das mal Coolness-Konzept genannt, Coolness-Konzept, das jemanden an die Spitze einer Studentenclique bringt?

R2: Das ist eben nicht so eindimensional, bei einer Gang ist es eben klar, der, der am schnells- ten und am besten aufs Maul gibt, ist der Boss, es gibt bei Studenten sicher verschiedene Coolness-Faktoren. Ein Coolness-Faktor ist sicher, auch wenn das viele Studenten so gar nicht sehen wollen, ist sicher auch, wie hat es jemand im Studium drauf. Ich glaube nicht, dass es cool ist unter Studenten nichts drauf zu haben, zu versagen in Anführungsstrichen im Studium. Es gibt bestimmt Studentencliquen, die sich aus Losern, wenn ich das so sagen darf, aus verschiedenen Fächern zusammensetzen, die sich dann quasi Gleichgesinnte suchen, um das Versagen besser zu erleben. Also ein Faktor wäre mal, jemand, der es auf die Reihe kriegt. Dann ist halt ein Faktor, so wie es bei verschiedenen Cliquen ist, wer fucking coole Klamotten anhat, so die übliche Show, cool auf dem Skateboard stehen, die schickste und beste Plattensammlung haben, eine heiße Freundin, vielleicht ein Auto und dann auch nicht unbedingt das dickste Auto vom Papi, nicht unbedingt den BMW-Cabrio vom Papi, das ist gar nicht so cool, cooler ist vielleicht ein 70er Taunus, den er sich selbst gekauft hat.

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I: Ich nenne mal ein paar Merkmale und du kannst sagen, was du denkst, was die zur Positi- onsvergabe beitragen. Also Persönlichkeit, Charisma, extravagante Charakterzüge.

R2: Ja gut, Persönlichkeit, Charisma ist natürlich bei jeder Gruppe überall in der Welt, dieses Ding, Selbstbewusstsein, man stellt sich hin, muss vielleicht gar nicht unbedingt der Intelli- genteste sein, darf aber auf keinen Fall der Dümmste sein. Wer so was hat, ist in jeder Gruppe mittendrin, zumindest mittendrin, oder gar oben.

I: Kann er aufgrund solcher Eigenschaften auch unten landen?

R2: Denke ich nicht, dass das bei einer Studentenclique passieren wird.

I: Vielleicht ein Interessenkonflikt.

R2: Du willst darauf hinaus, dass sich ein Student seiner charismatischen Unterlegenheit mehr bewusst ist und den mit dem Charisma bewusst oder unbewusst angreift?

I: Oder es sind zwei Charismatische vorhanden.

R2: Ich weiß nicht. Studentencliquen sind, auch wieder im Gegensatz zu einer Gang, ein rela- tiv loser Verband, weil, so eine typische Universität ist ziemlich groß, es sind auf einem Fleck ziemlich viele Leute mit einem ähnlichen Alter, du wirst ziemlich viele Leute finden, die dei- ne Hobbies und weltanschauliche Ansichten, etc… teilen. Und wenn es dir in so einer Clique stinkt und du mit den Leuten dort nicht mehr so richtig klarkommst, hast du in einem norma- len Studentenleben kein großes Problem, in eine andere Clique zu wechseln, wenn du nicht ohnehin schon in mehreren Cliquen bist. Ich glaube, jetzt auch nicht beobachtet zu haben, in Studentencliquen, die ich kenne oder kannte, dass es da so richtig ausgeprägte Alpha- Tierchen gibt, sondern, wie ich vorher schon gesagt habe, ist das viel abgeschwächter. In ei- ner Clique, wo ich drin war, da gab es eher Chefpersonen, aber es gab nicht den, da gab es vielleicht drei Alpha-Tierchen.

I: Was für eine Rolle spielt das Aussehen?

R2: Das Aussehen spielt bei Menschen immer eine Rolle und auch bei Studenten, auch wenn Studenten im Gegensatz zu anderen Bevölkerungsschichten, den sogenannt niederen Bevölkerungsschichten, die diese Sachen vielleicht schneller sagen, wie: die ist hässlich wie die Nacht, das wird nicht so geäußert, und das wird nicht verbalisiert, aber das Aussehen ist ganz klar ein wichtiges Merkmal. Wer gut aussieht, ist immer tendenziell begehrter oder eben oben, in dem Fall aber kann das auch zum Problem werden, wenn jemand gut aber exzentrisch aussieht, ist das vielleicht auch mal die Jura-Schwuchtel oder so, beim Aussehen mag das schon der Fall sein, anders als beim Charisma. Tendenziell ist ja jemand mit gutem Aussehen, mit anziehendem Aussehen… wenn jemand zu gut aussieht, weckt er vielleicht Neid, wenn jemand schlichtweg gut aussieht, dann wirkt er sympathisch.

I: Was für eine Rolle spielen freiwillig angenommene äußere Merkmale wie Frisur oder die Kleidung?

R2: Natürlich zählen die auch, ich glaube aber, das ist auch keine studentische Erscheinung, sondern eine allgemeine Erscheinung, dass im Gegensatz zu früher in den 70er-Jahren, als viele Frisuren und andere äußere Merkmale fast schon ein politisches Statement waren und ein Bekenntnis zu gewissen Dingen. Lange Haare ein Bekenntnis zu... weiß nicht... RAF- Sympathie, Haschisch, Kommunismus, dass das heute nicht mehr unbedingt so ist, sondern dass da sehr viele optische Eigenschaften mehr und mehr modisch werden. Der Punk- Haarschnitt ist bei Bayern München angesagt und auch bei den Juristen. Das war von zehn Jahren nicht so, vor zehn Jahren hatten die sicher nicht so wilde Frisuren. Und vor zwanzig Jahren schon gleich gar nicht.

I: Wieder die Rolle für die Rangvergabe. Ich gebe ein Beispiel dazu: Kann der Punk eine Ju- ra-Studenten-Clique anführen?

R2: Der Gucci-Punk schon. Der echte Punk nicht, beim echten Punk ist das Äußere noch ein Statement und der echte Punk kann wahrscheinlich nicht Jura studieren, weil er nicht ernsthaft mit den Juristen und dem Lebensentwurf, den die haben… der ist da nicht kompatibel, der darf gar nicht kompatibel sein, der kann auch gar nicht kompatibel sein und die typischen

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Jura-Studenten und die nicht ganz typischen Jura-Studenten, die dürfen ebenso wenig mit dem Punk kompatibel sein.

I: Warum?

R2: Dürfen schon, aber können kaum. Was ist die Ambition, Jura zu studieren? Bei einem von zehn ist die Ambition tatsächlich Aufbegehren gegen die Rechtssprechung, aber norma- lerweise wird jemand… warum wird jemand Zahnmediziner? Man will Anwalt werden, weil man sich ein gutes Leben und ein gutes Einkommen davon verspricht. Warum studiert jemand Sport? Er studiert Sport, weil er sehr viel Wert auf Körperlichkeit legt, wenn da jemand kommt, der nicht dieses Weltbild und diesen Zukunftsentwurf hat, den der Großteil der Grup- pe hat, dann kann der sehr schlecht Anführer dieser Gruppe sein. Ein Anführer einer Gruppe muss ein großes Maß an Übereinstimmung, jetzt nicht detailgenau dasselbe, aber grundsätzli- che Übereinstimmung mit Werten oder Aussichten und Ansichten mit dieser Gruppe haben und es ist dann vielleicht von Vorteil für ihn, wenn er sich in ein paar Punkten unterscheidet und zwar auf auffällige und in Anführungsstrichen coole Art und Weise. Zum Beispiel der, der bei Jura alles auf die Reihe kriegt, sich nicht in die Hose macht vor Klausuren und noch am Abend vorher drei Bier trinkt und sagt, hey wisst ihr was, wenn ich es dieses mal nicht schaffe, schaffe ich es beim nächsten mal und es aber dann trotzdem schafft und so was würde ihn dann von anderen unterscheiden und ihn dann vielleicht in die Leaderposition bringen können.

I: Muss man sich extra behaupten, wenn man über extreme äußere Merkmale verfügt?

R2: Was sind extreme äußere Merkmale? Das ist natürlich wieder so eine Sache. Ich finde Piercings eine ziemlich krasse Angelegenheit, aber im Prinzip ist das so wie ein blondes Strähnchen haben, es gehört teilweise sogar bei bestimmten Kreisen… bei gewissen Kreisen ist man fast schon ein bisschen angemuffelt, wenn man kein Piercing hat. Oder wahlweise ein Tattoo oder wahlweise eine verhältnismäßig krasse Frisur oder irgendwas in diese Richtung.

I: Was ist zum Beispiel mit einem Nazi-Skinhead?

R2: Ein Nazi-Skinhead hätte ein großes Problem, ich glaube, er wird ein Problem haben, weil er inmitten einer großen, großen Menschenmenge ist, die ihm das aus Furcht nicht offensicht- lich ins Gesicht schreien, aber er merkt es jeden Moment, er merkt jeden Moment, dass er nicht dazugehört, und auch wenn er nicht dazugehören will, glaube ich nicht, dass es einen Menschen gibt, der es gut findet, dass er zwischen ein paar tausend Menschen rumläuft und immer merkt, dass er hier nicht erwünscht ist.

I: Wenn jemand tatsächlich nicht mitmachen will?

R2: Meinst du Eigenbrötler?

I: Zum Beispiel.

R2: Ich glaube, dass die Eigenbrötler Eigenbrötler gelassen werden. Man kennt sich halt, aber im Prinzip ist es eine ziemlich unpersönliche Gemeinschaft, nicht so wie eine Klasse von 30 Personen, wo jeder jeden kennt und einer hält sich raus und 29 kriegen das mit und sagen, der will mit uns nichts zu tun haben, aber bei einer Gemeinschaft von ein paar tausend, wenn es da letztendlich welche gibt, die sich mit niemandem treffen, das merkt einfach keiner und es interessiert auch kaum jemanden. Man merkt es vielleicht, wenn man in einem Seminar sitzt und da sind nur 10 oder 15 Figuren und nach einem halben Jahr denkt man sich, mit 6 oder 7 von denen habe ich schon mal richtig gequatscht, mit 2 mal ein bisschen, aber offensichtlich gibt es da einen, der mit niemanden Kontakt hat, dann fällt das schon auf, aber ich denke, dass man weder großartige Rückschlüsse zieht, weil man in vielen Kursen sitzt, aber Vorhaltungen so jemanden gegenüber macht niemand.

I: Das hat aber zwangsläufig zur Folge, dass auch diejenigen auf der Strecke bleiben, die mitmachen wollen, aber keinen Anschluss finden.

R2: Es gibt mit Sicherheit immer mehr Leute, die irgendwo dazugehören wollen, aber es nicht schaffen.

I: Was sind Gründe dafür?

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R2: Dass sie auf irgendeine Art und Weise anders sind. Dass sie irgendein Merkmal oder mehrere Merkmale nicht erfüllen beziehungsweise ein Merkmal haben, das zum Ausschluss führt. Zum Beispiel das Nazi-Sein, ich glaube, es gibt relativ viele Studenten, bei denen, wenn man mal genau nachbohrt, vielleicht schon denken könnte, ups, die vermeintlich geistige Elite ist nicht frei von Vorurteilen, ist nicht frei von rassistischen Vorurteilen, aber ich glaube, dass es wenig gibt, die so richtig durch und durch extrem und radikal sind und dass einem das schon ausschließt aus fast allen Studentencliquen, richtig nationalsozialistisches Gedankengut schließt einem aus mehr oder weniger aus allen Studentencliquen aus, auch richtig offensives kommunistisches Gedankengut, offensiv vertreten, nicht wenn man weiß, ah, der liest seinen Karl Marx, wäre in Wirklichkeit am liebsten Kommunist und liest anarchistische Thesen, aber wenn einer die Leute angeht und sagt, dass du hier mit dem Golf Cabrio kommst, ist eine Frechheit und total uncool, wenn er das so vertritt, dann ist er raus. Auch andere Merkmale, so richtig schwere persönliche Makel, Pädophilie, richtig offensiv vorgetragene Pädophilie oder religiöser Extremismus, aber das trifft natürlich nicht nur auf Studentencliquen zu. Wenn du bei Bosch am Band bist, sind die Unterschiede dann vielleicht noch größer, weil da die Leute von überall herkommen, im Gegensatz zu den Studenten, die alle aus zumindest geord- neten Verhältnissen kommen und halbwegs moderate Ansichten haben. Aber auch dort würde jemand mit richtig offensivem Gedankengut, wenn er es offensiv vorträgt, auch rausfallen.

I: Was für eine Rolle spielt denn das Vorhanden- oder Nichtvorhandensein von Sexualpart- nern?

R2: Sexuell aktive und somit offensichtlich auch attraktive Menschen sind, über den Daumen gepeilt, eher Winner, ich glaube aber, dass es einen Punkt gibt, also ich meine sexuell attrak- tiv zu sein, interessante Sexualpartner zu haben, zwei, drei im Jahr zwischen den festen Freundinnen stärkt die Position, wenn es aber darüber hinausgeht, deutlich darüber hinaus- geht, eins nach dem anderen, gibt es sicher Cliquen, wo es die Position noch mal stärkt, aber in der Mehrheit der Studentencliquen ist das dann eher schwächend.

I: Weshalb?

R2: In den Studentencliquen, wo ich war, ist das sicher erstmal ein Vorteil, der hier, der hat drei, vier Puppen im Jahr im Bett, aber wenn er jedes Wochenende irgendeine x-beliebige Schnalle durchbumst, ist das sicher eher ein Makel als ein Vorteil.

I: Zu einem gewissen Punkt und nicht weiter.

R2: Bis dahin und nicht weiter, wobei das eben in verschiedenen Cliquen unterschiedlich ist, aber es ist nicht so linear, dass man sagen kann, je mehr, desto höher. In einer Fussball-Clique ist es dann schon so, dass je mehr Frauen einer ins Bett kriegt, desto stärker ist er, desto höher ist seine Position. Während bei einem Studenten, der dermaßen viele Sexualpartner hat, eher davon ausgegangen wird, dass er einen Komplex oder eine Schwäche hat.

I: Kann ein Chef seine Position halten, wenn er eine, sagen wir mal Durststrecke, hat, seine Position halten?

R2: Ob er immer noch Chef ist, wenn er nicht mehr so viele Frauen ins Bett kriegt?

I: Jetzt nicht bloß, was das Sexuelle betrifft (lachen). Allgemein, ob er die Position halten kann, wenn er Schwäche zeigt.

R2: Ein Chef und zwar egal wo, darf eine gewisse Zeit schwächeln, muss dann aber irgend- wann in die Pushen kommen. Das ist übrigens, denke ich auch im Berufsleben so, auch wenn einer von der Position her Chef ist, wenn er sich gehen lässt und nicht mehr ordentlich arbei- tet, dann ist er zwar von der Position her noch Chef, wird aber von seinem Team irgendwann nicht mehr als Chef angesehen.

I: Wenn du in der Armee einmal Oberst bist, wirst du den Rang nie wieder verlieren.

R2: Trotzdem. Sagen wir, du hast eine Werbeagentur mit 30 Mitarbeitern. Du bist der Chef.

Ich glaube aber, dass es zwei unterschiedliche Chefpositionen gibt, einmal dieser hierarchi- sche Chef, dann aber den, der den Laden tatsächlich am Laufen hält. Und diese formalhierar- chische Chefposition gibt es natürlich in einer Studentenclique nicht. Und wenn jemand da

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eine Weile nicht mehr präsent ist, ist er nicht mehr der Chef. Allerdings ein Chef, wenn wir wieder in den studentischen Kontext zurückkehren, der hat Prüfungen und muss echt was ma- chen, muss sich ein bisschen zurückziehen, kann nicht bei den Studentenparties 25 Tequilas trinken, er hat nicht soviel Zeit, sich um die neusten Scheiben zu kümmern, an seinem Auto ist die Nockenwelle kaputt, hinter den Röcken kann er gerade auch nicht hersteigen, das geht schon mal eine Weile, das geht eine Weile, wenn er dann zurückkommt und wieder der Alte ist, dann geht das auch. In der Zwischenzeit wird es eine Art Übergangsleader geben.

I: Bleiben wir da gleich: Noten und vor allem der Lernaufwand dazu.

R2: Es ist natürlich gut, wenn einem alles zufliegt, man tut nichts, aber es gelingt einem alles.

Ich glaube aber, dass es sich mit der Dauer des Studiums verschiebt. Im ersten Semester ist es nicht so wichtig, ob einer die Scheine schafft, es ist höchstens ganz cool, man merkt, ah mein Nebenmann hat es drauf, mit dem kann ich lernen, wenn man mit dem noch in einer Clique ist, dann festigt das seine Position schon, aber das kommt schon ein bisschen nach hinten raus, wenn es um den Ausblick in die berufliche Zukunft… wenn man auch mal eine Ahnung hat, um was es in der beruflichen Zukunft geht. Wenn man eine Ahnung hat, was wird denn der oder die nach seinem Studium erreichen. Weil dann kommt ja eine ganz neue Welt. Dann wird Erfolg viel, viel mehr und ganz, ganz arg in Geld bemessen. Wer ist erfolgreich? Der, der am meisten verdient. Nicht unbedingt der, der den vernünftigsten oder sozialsten Job macht. Ich glaube, dass diese Ahnung von dem, was sein wird, auch dann auf die höheren Semester abfällt und dass es dann plötzlich auch, dass es dann auch cool sein kann, zumindest bei manchen Studenten, zu sehen, dass einer Disziplin hat und richtig viel lernt.

I: Hilft das dann auch in anderen Gebieten?

R2: Gutes Aussehen, sexuelle Attraktivität ist immer wichtig, das ist auch später wichtig, selbst wenn du später nicht soviel Geld verdienst, wie ein anderer, aber die heißen Puppen hast, dann bist du trotzdem immer noch darüber. Wenn du mit weniger Geld trotzdem die heißeren Puppen nach Hause bringst, wie ein anderer, dann hast du gewonnen. Gut, ein Auto hat dann wieder mit Geld zu tun, wenn man Geld hat, desto einfacher hat man ein dickes Au- to, hat man Geld oder sonst etwas, schon klar, die Statussymbole kommen natürlich mit dem Geld, das schon, aber wenn man die persönlichen Merkmale, ein Auto ist für mich kein per- sönliches Merkmal, sondern eine Habe, wenn zwei Leute viel Geld haben, ist da noch ein Unterschied, was sie sich kaufen, der eine kauft sich einen prolligen Porsche Cayenne, der andere kauft sich etwas schickes mit scheinbarem Understatement, nicht unbedingt den neus- ten Porsche, sondern was Älteres. Aber die persönlichen Merkmale wie gutes Aussehen, Cha- risma sind immer wichtig, verhelfen aber auch zum beruflichen Erfolg.

I: Wir haben vorher den Vergleich mit der Gang gehabt und festgestellt, dass der beste Hauer der Chef ist. Kann das in Studentencliquen eine Rolle spielen?

R2: In der Form nicht, aber ich glaube, dass Körperlichkeit und Charisma ziemlich Hand in Hand gehen. Wirklich charismatische Menschen, außer vielleicht Adolf Hitler und Napoleon und noch ein paar Zwergen, aber im alltäglichen Leben haben es stattliche, eindrucksvolle Persönlichkeiten auch aufgrund ihrer körperlichen Erscheinung eindrucksvoll, die sind eher charismatisch als Leute, die körperlich dagegen zurückstehen. Das hat ja auch mit Aussehen zu tun. Und von daher glaube ich schon, dass so eine gewisse körperliche Kraft… in der Stu- dentenclique musst du sie nicht beweisen, indem du dem anderen aufs Maul haust.

I: Wenn man versucht, gewissermaßen, sich in die Chefposition zu schlagen.

R2: Ich denke, dass man sich aus Cliquen nur rausschlagen kann, nicht reinschlagen.

I: Wenn der Chef eine draufkriegt…

R2: Kommt drauf an. Wenn der Chef umgenietet wird, eine Platzwunde hat, da könnte je nachdem was passiert, wie es passiert, wie er sich benimmt, da könnte jemand nachrücken.

I: Der, der geschlagen hat?

R2: Eher der auf der Warteposition. Wenn du umgenietet wirst, dann liegst du da. Das ist ja per se nicht schlimm. Aber je nachdem, wie du dich verhältst, kannst du Schwächen zeigen.

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Die Situation ist dazu angetan, Schwächen zu zeigen. Zum Beispiel nicht damit umgehen zu können, dass man halt eine aufs Maul gekriegt hat. Man kriegt eine aufs Maul und droht dem anderen mit Anwalt, das kommt nicht so cool oder man kommt selbst nicht damit klar und zieht sich zurück. Dann kann der Chefposten in der Studentenclique in Gefahr sein. Das gilt aber auch für andere Situationen, nicht nur für eine aufs Maul kriegen, wo irgendetwas pas- siert, wo man Schwäche zeigen kann. Man kriegt eine Abfuhr, man knallt in einer wichtigen Prüfung durch oder so eine Sache. Oder man verliert ein Bein beim Motorradunfall.

I: Die Rolle der Herkunft.

R2: Das ist schwierig. Also einerseits glaube ich, dass Herkunft bei Studenten nicht so eine Rolle spielt. Aber mit der Herkunft gehen halt Dinge einher, die dann wieder indirekt eine große Rolle spielen, zum Beispiel, habe ich die Kohle, um mitzugehen, fünf Mal im Winter auf das Snowboard-Wochenende. Kein Mensch würde sagen, du, der kommt nicht mit, dem sein Vater ist Bergarbeiter, das ist eigentlich egal, aber wenn derjenige, der Bergarbeitersohn ist, nicht das Fett hat, wenn es der selbst auf die Reihe kriegt, genug Geld zu haben, um fünf Mal mit Snowboarden zu gehen, dann ist alles cool, wenn er es nicht schafft, dann war er halt fünf Mal nicht dabei. Es gibt natürlich auch Cliquen, die so einen von vornherein ausschlie- ßen, das ist klar. Wenn jemand aus einem Arbeitermilieu kommt und nicht die Sprache von anderen spricht, dann hat er auch ein Problem, aber dadurch, dass jemand Student werden konnte, glaube ich, dass solche Anzeichen von Herkunft… der hat Abitur und so weiter, der hat… geistig und verbal kann der größtenteils schon mithalten mit den meisten anderen Stu- denten, von daher fallen solche Faktoren raus, die im sonstigen, normalen Leben eine ganz, ganz große Rolle spielen. Auch Kleidung, wenn jemand mit 19 an die Uni kommt und aus einer Ecke kommt, wo man sich einfach anders anzieht, dann hat der normalerweise nach einem halben Jahr gespannt, wie es läuft an der Uni und wie man sich gibt, um Kontakt zu bekommen und wenn er dann finanziell in der Lage ist, sich die Klamotten zu kaufen und sich die Nikes zu ziehen, dann kann er sich da auch ganz schnell reinfinden.

I: An der Uni werden die Karten neu gemischt…

R2: Die Karten werden überall neu gemischt.

I: Was ich wissen will, was spielt die Vorgeschichte einer Person für eine Rolle? Hat der Trot- tel die Chance…

R2: Es gibt einen Grund, warum er vorher der Trottel war. Wie ich ja schon gesagt habe, die Uni ist ja nicht ein Biotop, wo alles total anders ist, sondern es ist nur manches ein bisschen anders. Jemand, der vorher der Trottel war aus bestimmten Gründen, wird in neunzig Prozent der Fälle wieder der Trottel sein. Was sein kann: Du bist der kleine hässliche mit der Brille, du kannst kein Sport und nix und kriegst im Gymnasium aufs Maul, weil du der Streber bist.

Dann kann es natürlich sein, dass du an der Uni in die Kernphysikgruppe kommst und dort der Beste von allen bist, dann o.k., aber dann ist er halt auch in einer bestimmten Studenten- clique der Chef.

I: Besteht denn die Möglichkeit eine Geschichte als Verlierer hinter sich zu lassen?

R2: Die Geschichte schon, aber deine Persönlichkeit kannst du halt nicht hinter dir lassen.

Insofern stimmt das schon, die Karten werden von daher neu gemischt, es ist nicht so… deine Vorgeschichte ist egal, dich kennt ja keiner, aber deine Geschichte und du, deine Persönlich- keit, das sind nicht Dinge, die sich voneinander trennen lassen, das ist ja verwoben.

I: You can take the boy out of the Ghetto…

R2: …but you can’t take the Ghetto out of the boy. Aber das meine ich in dem Zusammen- hang jetzt gar nicht so, das ist jetzt ein Spruch, natürlich kannst du einen jungen Mann aus Mannheim rausholen und du kannst dann auch Mannheim aus ihm rausholen, Arbeiterviertel Mannheim, das geht schon, aber wenn er halt unselbstständig und nicht selbstbewusst und verpickelt und sonst was ist, dann wird er halt weiterhin so sein. Ich glaube aber schon, dass sich viele Leute an der Uni so nach und nach verändern, in einer bestimmten Art und Weise.

Ich glaube, dass viele sich auch als Studenten ziemlich cool finden und „Student-sein“ fast

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schon als akademischen Ehrentitel verwenden, so: oh, ich bin Student, da ziehen viele ein gewisses Selbstbewusstsein raus, was manchen vielleicht sehr gut tut und manchen halt auch nicht gut tut. Ich denke schon, dass die Uni die Leute verändert. Eher positiv, denke ich.

I: Zum Auftreten, man tritt selbstsicher bis arrogant auf, wird das akzeptiert oder wird ver- sucht, so jemanden runterzuholen?

R2: Selbstbewusstes bis teilweise leicht arrogantes Auftreten wird (Pause)… akzeptiert.

I: Und wenn die Leute anderen den Rücken zudrehen?

R2: Selbstbewusstsein wird auch dann akzeptiert. Es ist ja ein großer Unterschied, ob jemand selbstbewusst ist oder ein arrogantes Arschloch ist. Viele Leute an der Uni sind selbstbewusst bis arrogant.

I: Gut und der andere Fall, wenn Leute offensichtlich unsicher sind, werden die gestützt oder werden die weiter in die Ecke gedrängt?

R2: Glaube ich nicht, eher bemitleidet, weil man selbst ja selbstsicher ist und alles auf die Reihe kriegt, das darf man eben nicht unterschätzen, es ist kein Zufall, dass die Leute, die an der Uni sind, an der Uni sind, die sind schon mal, ganz breit mit der Gießkanne gestreut, die sind schon mal nicht dümmer als der Rest der Bevölkerung. Wenn man sich an der Uni rum- guckt, dann sind da nicht so viele, es sind schon eher von der Natur bevorzugte Menschen, eher, du findest nicht so viel, wahnsinnig viel richtig fette, du findest woanders prozentual mehr wahnsinnig fette, dann sind es tendenziell eher Leute aus gut situierten Elternhäusern, also lauter Leute, die allen Grund dazu haben, eher selbstbewusst zu sein als unsicher. Es gibt die anderen, aber die meisten sind selbstbewusst. Und ich glaube, dass viele von diesen selbstbewussten, wohl auch selbstverliebten, Menschen an der Uni Schwache und Unsichere nicht unterdrücken, sondern eher bemerken, da ist einer unsicher, da ist einer schwach und dass es nur wenige gibt, die die bewusst unterdrücken und dass die wiederum, glaube ich, dass deren ihr Verhalten, Schwache zu buckeln, eher negativ wahrgenommen wird von den anderen Selbstbewussten. Da gibt es sicher andere Cliquen, aber bei uns wurden die eher un- terstützt.

I: Durch Mitleid?

R2: Das kann man auch negativ sehen. Aber sicher nicht, wie es das woanders gibt, wenn jemand schwächelt, gleich noch einen draufgeben, das ist, glaube ich, eher die Ausnahme.

I: Was mich interessiert wenn wir von so einer fest etablierten Clique mit einer gewissen Struktur ausgehen. Es gibt eine Chefposition, ein Mittelfeld und Untergebene. Gibt es da eine Position, die einem Hofnarren ähnlich ist und wenn ja, wer führt die aus?

R2: In einer gewissen Weise schon, es gibt schon so Hofnarren, die sind so das, was ich unter Kaputtnick einer Clique verstehe. Wobei das nicht unbedingt diejenigen sein müssen, die es mit ihrem Studium nicht auf die Reihe kriegen, das sind dann eher die tragischen Figuren, die Hofnarren sind eher nicht die tragischen Figuren, sondern die fatalistischen Figuren (lacht).

Ich glaube aber, dass die Hofnarren in verschiedenen Cliquen total anders aussehen, dass der Hofnarr ganz unterschiedliche Züge haben kann. Der Hofnarr kann vielleicht, wenn wir noch mal auf die sexuellen Aspekte zu sprechen kommen, das kann derjenige sein, der ständig ei- nem neuen Rock hinterher hechelt und auf Parties die Weiber immer ganz krass anmacht und nach neun Abfuhren die zehnte mitnimmt, alle anderen stehen drumherum und sagen: hihi, er probiert es schon wieder, und er probiert noch mal und hey, er hat es geschafft. Es kann aber auch derjenige sein, der den fünfundzwanzigsten Tequila trinkt und dann nach hinten um- kippt, es kann aber auch der sein, dem es immer egal ist, der ins Auto steigt, egal wie viel er gesoffen hat, egal, ich fahre euch alle heim, irgendeiner mit so, irgendeiner mit so einem kras- sen Verhaltensmuster, wobei das Verhaltensmuster sehr verschieden sein kann.

I: Wenn der Chef eine unausgesprochene Legitimation hat, Chef zu sein, von wem erhält der Hofnarr die Legitimation?

R2: Von der Gruppe, sicher nicht vom Chef, diese Rollen in einer Studentenclique unter- scheiden sich natürlich ganz arg vom Hofe eines Kaisers. Ich könnte mir sogar vorstellen,

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dass der Hofnarr vom Chef mit seinem krassen Verhaltensmuster zurechtgewiesen wird, der sagt dann, ich finde das nicht witzig, dass du jedes Wochenende fünfundzwanzig Bongs rauchst, ich finde das doof, wenn der Chef das sagt zum Hofnarr, kann sein, dass die Clique den Hofnarr anders wahrnimmt, der Hofnarr wird nicht dadurch Hofnarr, dass der Chef sagt, der darf so sein, der Hofnarr gibt sich die Position selbst. Ich glaube, dass sich in so einer Gruppe die Rollen selbst konstituieren. Der Chef wird Chef weil das seine Rolle ist, darauf passt er, der Hofnarr wird Hofnarr, weil es seine Rolle ist, darauf passt er, die Mieze der Cli- que ist die Mieze der Clique, weil sie in diese Rolle passt. Ich glaube, dass sich die Personen und die Rollen gegenseitig finden, dann gibt es da noch den 1B-Chef, der auch so ein halbes Alpha-Tierchen ist und es gibt in diesen Cliquen auch nicht so den Wettbewerb, sondern da werden so Rollen eingenommen, ich glaube, das ist relativ soft, sanft und entspannt, das ist kein harter Wettstreit, es gibt auch nicht so den 100% Chef, so, das ist der Chef, sondern es gibt verschiedene Rollen und Leute, die diesen Rollen entsprechen.

I: Sektionschefs.

R2: Das kann auch zeitlich gehen. 10 Minuten habe ich eine große Klappe und dann eine Stunde der nächste. Je nachdem, wie viel Chef jemand ist, hat er halt verschieden lange Sprechzeit. Du hast vielleicht da den Weiberhelden, dann den, der am meisten saufen kann, so quasi die Abteilungsleiter. Aber die Abteilungsleiter werden nicht vom Chef legitimiert. Der Hofnarr ist der Abteilungsleiter der Abteilung: krass.

I: Ein Hofnarr darf aber auch den Chef in Schmutz ziehen, ohne dafür sanktioniert zu werden.

R2: Das ist im klassischen Sinne richtig, aber ich spreche jetzt weniger von einem Hofnarr, ich spreche mehr von einem Klassenkasper.

I: Der Hofnarr ist aber keine Witzfigur!

R2: Dann spreche ich auch nicht wirklich von einem Klassenkasper, sondern ich spreche von einem, vielleicht einer Mischung aus diesen Hofnarr, wie es ihn in diesem kaiserlichen Hof gibt, den gibt es nicht, weil es eben keinen Kaiser gibt.

I: Das ist die Frage.

R2: Ich sage nein. Es gibt ein Alpha-Tierchen mehr nicht.

R3 ist ein studierender Punkrocker.

I: Sag mal was zum Erscheinungsbild der Studenten.

R3: Heutzutage sind die Studenten so drauf, dass jeder probiert, sich möglichst individuell zu kleiden, vor zehn Jahren konnte man noch unterscheiden, das ist ein Punkrocker, das ist ein Jura-Student, das verschwindet heute ein bisschen. Jeder darf alles machen, es ist alles er- laubt, du kannst einen Irokesenschnitt haben, das macht nichts, es interessiert niemanden mehr, es ist völlig normal.

I: Wie funktioniert die Cliquenbildung?

R3: Ich gehe grundsätzlich schon davon aus, dass sich gleich und gleich gern gesellen.

I: Nach dem vorher Gesagten würde es dieses gleich und gleich nicht geben.

R3: Es ist ja nicht so, dass… es gibt immer noch gewisse Schichten, bei denen konservative Kleidung angesagt ist, ich sage einfach, dass es erlaubt ist, dass es keinen Unterschied macht, es gibt Leute, die holen sich äußere Merkmale, die man nicht unbedingt mit ihnen in Verbin- dung bringt, das Cliquengehabe kommt meiner Meinung nach auf verschiedene Art und Wei- se zustande. Dass Leute, die die gleiche Musik hören, sich zusammenraufen, dass man die gleichen Interessen hat, zusammen Sport macht. Oder man studiert ganz einfach zusammen oder spielt zusammen Computer. Ich wollte einfach sagen, dass es erlaubt ist, individuell rumzulaufen, jeder kann es tun. Die Cliquenbildung funktioniert nicht nur über Äußerlichkei- ten, kann aber über Äußerlichkeiten funktionieren. Man ist schon eher mit Leuten zusammen, die einem ähnlich sind, wenn man ein Punk ist, hat man eher mit einem anderen Punk zu tun, halt auch zusammen ein bisschen das Outlawtum zur Schau stellen. Heutzutage siehst du je-

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