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Die Bedeutung des Aussehens in Studentencliquen

Im Dokument Hierarchien in Studentencliquen (Seite 158-168)

Fallbeispiel 1 Einengung Spielraum:

3.4. Die Hierarchien in Studentencliquen

4.2.1.2. Die Bedeutung des Aussehens in Studentencliquen

Im Folgenden soll untersucht werden, inwiefern diese für die Allgemeinheit geltenden Krite-rien für Studenten zutreffen.

Die Voraussetzungen hinsichtlich des Aussehens

Bevor die Bedeutung des Aussehens für die Position in der Hierarchie in einer Studentencli-que eruiert wird, soll auf die Voraussetzungen, die Studenten hinsichtlich dieses Kriteriums mitbringen, eingegangen werden. Als Erstes kann man davon ausgehen, dass Studenten in der Lage sein sollten, die Attraktivität einer Person zu beurteilen. Ob und in welcher Form diese Beurteilung vorgenommen wird, soll zu einem späteren Zeitpunkt untersucht werden.

Studenten sind (im Normalfall) zwischen 19 und 35 Jahre alt. Etcoff schreibt: „Mit der physi-schen Schönheit verhält es sich wie mit einem athletiphysi-schen Körper: beide erreichen ihren Hö-hepunkt bereits in jungen Jahren. Außergewöhnliche Schönheit ist selten und findet sich fast nur bei Menschen, die jünger als fünfunddreißig Jahre sind. Man sagt, die Zeit beraube uns der Schönheit, doch der Körper bleibt einfach nicht an dem idealen Punkt, an dem er seine höchste Zeugungskraft und Leistungsfähigkeit erreicht hat, stehen, sondern er büßt in der wei-teren Entwicklung zunehmend Gesundheit und Fruchtbarkeit ein. Viele Qualen mit dem Ziel, die Schönheit zu erhalten, sind lediglich Anstrengungen, diese wenigen Jahre endlos

315 Vgl. S. M. Kalick, Physical attractivness as a status cue. In Journal of Experimental Social Psychology 24.

1988: S. 469-489.

316 Vgl. R. Niketta, Das Stereotyp der physischen Attraktivität. In M. Hassebrauck/R. Niketta, Physische Attrak-tivität. Göttingen 1993: S. 190-192.

dehnen, das Aussehen ehefähiger Adoleszenz für immer zu bewahren.“317 Die Studenten be-finden sich in diesem Alter, der Körper bietet also Voraussetzungen, die das „Höchstmaß an Schönheit“ ermöglichen. Auch hinsichtlich der Kriterien, die man allgemein mit (gutem) Aus-sehen verbindet, bestehen grundsätzlich gute Voraussetzungen. Etcoff meint zum Alter: „Fan-tasieanreger wie Playboy und Playgirl sind voll mit Bildern gesunder, junger, gutaussehender Menschen“.318 Studenten nehmen aufgrund ihres Alters hinsichtlich dieses Kriteriums eine bevorzugte Stellung einnehmen.

Es ist weiter davon auszugehen, dass auch ein Interesse an der Thematik besteht. Das Maß desselben dürfte sich von Student zu Student unterschiedlich gestalten, aber ein Minimum kann bei jedem vorausgesetzt werden.

Das Tabu des Aussehens

R62: Äh, das ist ein Tabu (lacht), würde ich mal sagen, also vordergründig, das ist jetzt nur eine Vermutung, vordergründig ist es so, dass… verhält man sich so, dass da kein Wert darauf gelegt wird, äh ich denke aber, dass äh... das Aussehen, die Erscheinung, das ist zu urtümlich, das kann man nicht einfach so abstreifen, das ist ähm… das prägt einfach die Begegnung, also man muss da schon zweimal hingucken oder… oder mehr Umgang haben mit dieser Person.

Ich denke, das ist so… so was urtümliches… ja.

An den Anfang der Auswertung der gesammelten Daten über die Rolle des Aussehens für die Position in einer Gruppe wird eine Aussage gestellt, die das ambivalente Verhältnis der Stu-denten zu diesem Kriterium gut umschreibt. Etcoff beschreibt in einer vergleichbaren Aussa-ge das Verhältnis von Intellektuellen zur Schönheit: „Viele Intellektuelle wollen uns glauben machen, dass Schönheit unwichtig sei. Da sie weder etwas erklärt, noch Lösungen anbietet und auch nichts lehrt, solle sie im intellektuellen Diskurs keinen Platz haben. Und wir sollten einen kollektiven Seufzer der Erleichterung von uns geben. Schließlich sei der Begriff der Schönheit zur Peinlichkeit geworden. Doch an diesem Bild ist etwas falsch. Denn außerhalb des Reiches der Gedanken und Ideen regiert die Schönheit. Niemand hat je aufgehört, sie zu betrachten oder sich ihres Anblicks zu erfreuen. Sich achtlos von ihr abzuwenden ist so un-möglich, wie körperliche Bedürfnisse zu unterdrücken oder auf das Schreien von Babys nicht zu reagieren. Wir können zwar sagen, dass die Schönheit tot sei, doch damit erreichen wir nicht mehr als eine Erweiterung der Kluft zwischen der realen Welt und unseres Verständnis-ses derselben.“319

Tatsächlich lässt sich anhand der Interviews feststellen, dass für einen Großteil der Studenten das Aussehen bzw. die Bewertung anderer Menschen und auch die Selbsteinschätzung anhand

317 Siehe N. Etcoff, Nur die Schönsten überleben. Kreuzlingen/München 2001: S. 74.

318 Siehe ebenda: S. 68.

319 Siehe ebenda: S. 19.

dieses Kriteriums ein fast unantastbares Tabuthema darstellen. Aber es wird auch deutlich, dass eine derartige Bewertung hinter offenkundiger Ablehnung doch vorgenommen wird.

Deshalb sollen in einem ersten Schritt die Gründe, die zur bekundeten Ablehnung führen, dargestellt werden, daraufhin wird gezeigt, was hinter dieser wirklich steckt.

Es scheint, als verbiete einem der Studentenstatus, sich mit einer dermaßen „banalen“ Ange-legenheit auseinanderzusetzen oder sich – schlimmer noch – selbst davon beeinflussen zu lassen. Man wird der Oberflächlichkeit bezichtigt, wenn man offen zugibt, dass man Bewer-tungen anhand des Aussehens vornimmt. Das geht soweit, dass es fast als negativer Charak-terzug gewertet wird. So kommt es zu Aussagen, die zwar den Wert des Aussehens nicht ab-streiten, aber so formuliert sind, dass sie den negativen Beigeschmack verlieren (und so ge-wissermaßen studententauglich werden):

R13: Ich denke, Schönheit oder Aussehen kommt nur davon, wenn die Leute sich als Charak-ter selbst wohl fühlen, kein klassisches Schönheitsideal ist da jetzt ausschlaggebend. Die Per-son an sich als Erscheinung muss stimmen.

Es kommt auch zu Äußerungen von Personen, die der Ansicht sind, dass das Aussehen keine Rolle spielt.

R73: Das ist eher… eher halb… wenn man sich mal getroffen hat, dann ist das völlig Wurscht. Glaube ich… ja!

Stellvertretend ist hier die Aussage einer Studentin zitiert, die davon ausgeht, dass das Ausse-hen für die Hierarchien in Studentencliquen keine Rolle spielt. Sie ist sich ihrer Sache zu-nächst recht sicher, macht dann aber erst noch einmal eine Pause, in der sie das Gesagte über-denkt, bestätigt daraufhin aber ihre Aussage. Anhand dieses Beispieles zeigt sich die Ambiva-lenz ganz deutlich: Wenn man sich getroffen hat, ist es egal, aber um sich zu treffen, scheint es eine Rolle zu spielen. An der Stelle soll erwähnt werden, dass es sich bei dieser Studentin um eine attraktive Person handelt, die in einer Gruppe verkehrt, die sich fast ausschließlich aus attraktiven Personen zusammensetzt. Sie argumentiert aus einer Luxusposition heraus.

Man könnte sie dem bezichtigen, was Goffman eine fromme Lüge nennt. Es handelt sich nicht um eine offensichtlich Lüge, die, sofern sie aufgedeckt wird, das Image einer Person zum Einsturz bringen kann, sondern um eine solche, die von Ärzten, Gästen und vielen ande-ren deshalb erzählt wird, um das getäuschte Publikum zu schonen. So werden solche Lügen auch nicht als besonders verabscheuungswürdig empfunden.320 Diesen Personen ist oft selbst

320 Vgl. E. Goffman, Wir alle spielen Theater. München 1969: S. 58.

nicht bewusst, dass sie nicht die Wahrheit sprechen. Allerdings handelt es sich um eher weni-ge Studenten, die der Ansicht sind, dass das Aussehen keine Rolle spielt.

R60: Leider auch.

Häufiger kommt es zu Äußerungen des Bedauerns, dass dieses oberflächliche Kriterium, das eigentlich nicht gewichtet werden dürfte, doch eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt.

Wobei man anhand dieser Aussage nicht erkennen kann, ob bloß bedauert wird, dass es im Allgemeinen eine Rolle spielt, oder ob sie persönlich auch betroffen ist, also auch bedauert, dass sie diesem Kriterium einen größeren Stellenwert zuweist, als es ihrer Ansicht nach ver-dient.

R48: Ja, also eher zweitrangig, meiner Meinung nach, aber jetzt auf die Allgemeinheit bezo-gen, so, würde ich sabezo-gen, spielt es schon eine wichtige Rolle, ja.

Bei dieser Aussage hingegen ist es klar: Dieser Student gibt zu verstehen, dass dieses Kriteri-um für ihn keine Rolle spielt, er denkt aber, dass es für die studentische Allgemeinheit durch-aus wichtig sein kann. Gendurch-auso wie in der vorherigen Aussage kommt ein gewisses Bedauern über den Stellenwert zum Ausdruck. Auffallend ist, dass er sich persönlich „aus der Affäre zieht“ – was die Tabuwirkung bestätigt.

R48: Ja, Erfolg, ja ähm… Gott, was ist da wichtig innerhalb von Cliquen, ähm, ja puh gutes Aussehen, Erfolg, Geld, Macht.

Gerade im Zusammenhang mit der Antwort auf die Frage nach allgemeinen Kriterien, die einem eine führende Position in Studentencliquen einbringen können, in der derselbe Studen-ten das Aussehen noch einmal erwähnt, wird die negative Bewertung wiederholt deutlich. Er nennt das Aussehen als ersten von vier Begriffen, die anderen drei sind Erfolg, Geld und Macht. Es handelt sich bei diesen um solche, die in gewisser Weise negativ besetzt, allerdings sehr oft Ziel diverser menschlicher Bestrebungen sind (was der Grund für die negative Beset-zung sein dürfte). Er nennt das Aussehen nicht bloß zusammen mit diesen Kriterien, er stellt es noch vor diese.

Die so argumentierenden Personen sind also der Ansicht, dass dieses Kriterium für die All-gemeinheit eine Rolle spielt, man also davon ausgehen kann, dass eine derartige Bewertung vorgenommen wird. Wenn diese auch vorgeblich nur von den „anderen“ stammen, kann ver-mutet werden, dass auch solche Personen nicht gänzlich unvoreingenommen hinsichtlich des Aussehens sind.

R4: Das ist nicht unerheblich. Das ist schon auch ziemlich wichtig. Das wollen zwar alle leugnen, ich bin selbst auch dagegen, aber es ist schon so.

In einer vergleichbaren Aussage kommt in etwa dasselbe zum Ausdruck: Man will es nicht wahrhaben, man sträubt sich dagegen, spürt aber, dass es wichtig ist. Es wird auch deutlich, dass es im untersuchten Kontext als ungerecht empfunden wird, Menschen nach ihrem Aus-sehen zu beurteilen. Ein weiterer Grund, weshalb man sich unterbewusst wehrt, diesem Krite-rium einen hohen Stellenwert einzuräumen: Ein Studium verlangt von einem verschiedene Leistungen, die anschließend aufgrund bestimmter Maßstäbe bewertet werden. Durch dieses Leistungsdenken widerstrebt es einem noch mehr, jemanden hoch einzustufen, aufgrund eines Kriteriums, für das er nie etwas tun musste – für etwas, das manchen Menschen von Geburt an mitgegeben wird und anderen nicht.

In Berufung auf eine obenerwähnte Studie könnte man sagen, man weigert sich, einen zuge-schriebenen Status als erworbenen zu anerkennen. Dies ist mit ein Grund, weshalb physische Attraktivität in der Forschung lange nicht berücksichtigt worden ist, was Aronson vor dem Nebraska Symposium on Motivation zu folgendem Appell veranlasste, der auf fruchtbaren Boden fiel: „Nebenbei bemerkt möchte ich erwähnen, dass physische Attraktivität kaum als Vorbedingung von Sympathie untersucht wurde – obwohl sogar ganz nebenläufige Beobach-tungen (sogar von uns experimentellen Sozialpsychologen) zeigen würden, dass wir unter-schiedlich auf hübsche und weniger hübsche Frauen reagieren. Es ist schwierig, sicher an-zugeben, warum die Wirkung körperlicher Schönheit nicht systematisch untersucht wurde.

Vielleicht zum Teil deswegen, weil wir es hassen würden, festzustellen, dass hübsche Frauen mehr als weniger hübsche gemocht werden – das scheint irgendwie undemokratisch. Wir möchten gern das Gefühl haben, dass in einer Demokratie eine Person mit harter Arbeit und einer guten Portion Motivation alles erreichen kann. Aber leider (wie die meisten von uns glauben) kann harte Arbeit eine hässliche Frau nicht hübsch machen. (Einen hässlichen Mann auch nicht. Anmerkung M.H.). Wegen dieser Vermutung ziehen es die meisten von uns Sozi-alpsychologen vor, zu glauben, Schönheit sei in der Tat nur oberflächlich – und so vermeiden sie die Erforschung ihrer sozialen Wirkungen aus Furcht, dass sie etwas anderes erfahren könnten.“ 321

Die obenzitierte Studentin bringt diese innere Zerrissenheit gut auf den Punkt: Sie sträubt sich dagegen, ist sich aber bewusst, dass sie es mit einer höheren Macht zu tun hat – mit einer, der man sich kaum entziehen kann. Man kann also festhalten, dass auch Personen, die dem

321 Siehe M. Aronson. Zitiert in M. Hassebrauck/R. Niketta, Physische Attraktivität. Göttingen 1993: S. 5.

rium bzw. der Tatsache, dass Menschen aufgrund ihres Aussehens bewertet werden, negativ gegenüberstehen, den Wert doch nicht komplett verneinen können.

Die positive Bewertung des Aussehens

Im Folgenden werden tendenziell positive, wenn auch eventuell mit einem kritischen Unter-ton versehene Bewertungen dargestellt, die über das Aussehen vorgenommen worden sind.

R52: Macht viel aus, weil, wenn dich die Leute vom Aussehen nicht mögen, das macht den ersten Eindruck und der erste Eindruck, der macht letztendlich das Bild, das man sich von dem anderen Menschen macht.

Zu obengenannten Kriterien kommen ganz einfache andere dazu: Wenn man einer Person zum ersten Mal gegenübersteht, wird man darauf achten, wie sie sich gibt, wie sie gekleidet ist, aber in allererster Linien wird man wohl wahrnehmen, wie sie aussieht. „Wir schätzen die anderen Menschen ständig nach ihrem Aussehen ein: unsere Schönheitsdetektoren sind immer und unermüdlich in Einsatz. Wir bemerken die Attraktivität jedes einzelnen Gesichts, das wir erblicken, so automatisch, wie wir erblicken, ob es uns bekannt ist oder nicht. Unsere Schön-heits-Detektoren tasten die Umwelt ab wie ein Radargerät: Wir sehen ein Gesicht nur für den Bruchteil einer Sekunde (150 Millisekunden in einem psychologischen Experiment), taxieren seine Schönheit und bewerten es dabei bereits so genauso wie nach längerer Betrachtung.

Unsere unmittelbare Reaktion auf eine Person ist noch im Gedächtnis gespeichert, wenn wir viele unwichtige Details über diesen Menschen bereits vergessen haben.“322 Es ist allzu ver-ständlich, dass die beschriebene Taxierung an einer Universität genauso stattfindet wie an anderen Orten.

R1: Würde ich sagen, seit den 60er-Jahren immer mehr. Das kommt durch den Fitness-Wahn, durch Models… Du bekommst ja ganz konkrete Vorgaben, was geht und was nicht geht, an-gefangen mit Diätshows, die dir vorgaukeln, dass du nicht dick sein darfst, dass das eine Krankheit ist, ein Fehler, wie auch immer, dann gibt es noch so was wie Baywatch, das ist einfach, das ist klar.

Letztendlich handelt es sich um eine normale Erscheinung: Studenten haben genau die gleiche Prägung erfahren wie sämtliche andere Gesellschaftsmitglieder auch. Genauso wie überall anders sitzen Studenten an belebten Plätzen an der Universität, schauen sich um, erblicken eine attraktive Person, der Blick bleibt hängen, das Gesicht wird „gespeichert“, der Blick bleibt weiter hängen oder schweift wieder umher. Das Aussehen ist genauso Dauergesprächs-thema in informellen Gesprächsrunden. Personen, die irgendwo vorbeilaufen, werden von den

322 Siehe N. Etcoff, Nur die Schönsten überleben. Kreuzlingen/München 2001: S. 14.

einzelnen Mitgliedern der jeweiligen Runde taxiert, jeder gibt seine Wertung ab, danach wird diskutiert. Wobei es üblicherweise zu einem Konsens323 kommt, was den Einfluss gesell-schaftlicher vorgegebener Maßstäbe zur Beurteilung bestätigt.

Zum erwähnten Fitnesswahn lässt sich noch sagen, dass Fitness mittlerweile fast schon als gesellschaftliche Norm gilt, als unabdingbares Fundament eines gesunden Gemeinwohles.

Der Überbau zum abgespeckten Körper, zu den durchtrainierten Muskeln und den frische Bergluft atmenden Lungen orientiert sich an einem autonomistischen Hedonismus, wie ihn das bürgerliche Individuum im 19. Jahrhundert als Konsumhaltung entwarf. Mittlerweile hat der Fitness- und Sportkult so weite Kreise gezogen, dass auch vornehmlich geistig arbeitende Menschen – also beispielsweise Studenten – sich einer Bewertung anhand dieses Kriteriums kaum mehr entziehen können.324

Angemerkt werden soll noch, dass nicht einmal unbedingt bloß die sexuelle Anziehung eine Rolle spielen muss, so bewerten sich durchaus auch Mitglieder des gleichen Geschlechts.325 Genau diese Bewertungen zementieren die Bedeutung des Aussehens für die Position einer Person in einer Hierarchie. Die von Etcoff hinsichtlich der Schönheit beschriebene Kluft der Intellektuellen zur realen Welt ist also in der Realität nicht wirklich vorhanden.326 Das Ausse-hen dürfte eigentlich nicht gewichtet werden, spielt aber letztendlich doch eine ganz wichtige Rolle. Dazu die Aussage eines Studenten, der gutaussehenden Personen auch gleich die Posi-tion in einer Hierarchie zuweist:

R2: Das Aussehen spielt bei Menschen immer eine Rolle und auch bei Studenten, auch wenn Studenten im Gegensatz zu anderen Bevölkerungsschichten, den sogenannt niederen Bevölke-rungsschichten, die diese Sachen vielleicht schneller sagen, wie: die ist hässlich wie die Nacht, das wird nicht so geäußert, das wird nicht verbalisiert, aber das Aussehen ist ganz klar ein wichtiges Merkmal. Wer gut aussieht, ist immer tendenziell begehrter oder eben oben, in dem Fall aber kann das auch zum Problem werden, wenn jemand gut aber exzentrisch aus-sieht, ist das vielleicht auch mal die Jura-Schwuchtel oder so, beim Aussehen mag das schon der Fall sein, anders als beim Charisma. Tendenziell ist ja jemand mit gutem Aussehen, mit anziehendem Aussehen, wenn jemand zu gut aussieht, weckt er vielleicht Neid, wenn jemand schlichtweg gut aussieht, dann wirkt er sympathisch.

Eine Studentin formuliert es noch wesentlich direkter:

323 In den Fällen, in denen es zu keinem Konsens kommt, handelt es sich meist um eine gemischtgeschlechtliche Gruppe. Wenn der Mann das Aussehen einer vorbeilaufenden Frau hoch einschätzt, kommt es manchmal zu Protesten der anwesenden Frauen – und umgekehrt. Diese Proteste dürften einen anderen Grund haben als eine tatsächliche Meinungsverschiedenheit.

324 Vgl. U. Poschardt, Cool. Hamburg 2000: S. 382.

325 Am häufigsten bewerten allerdings klar die Männer die Frauen, Frauen bewerten andere Frauen etwa genauso oft wie Männer, und Männer bewerten Männer am Seltensten.

326 Vgl. N. Etcoff, Nur die Schönsten überleben. Kreuzlingen/München 2001: S. 10.

R11: Gutes Kommunikationsverhalten, gutes Aussehen und… ein gewisser IQ vielleicht. Ich glaube, heutzutage ist es das Wichtigste, du siehst gut aus und kannst dich gut verkaufen.

Dann hast du eigentlich immer einen Weg nach oben.

Anhand dieser und anderer Aussagen wird deutlich, dass die meisten Studenten der Ansicht sind, dass gutes Aussehen einem eine höhere Position in der Hierarchie einer Studentenclique einbringt. Im Gegensatz zur allgemeinen Einschätzung von gutaussehenden Personen hängt die Stellung in dieser Hierarchie kaum mit dem Stereotyp der physischen Attraktivität zu-sammen – also bedeutend für die Stellung ist nicht unbedingt der Leitsatz: „Wer schön ist, ist auch gut“ oder das von Niketta korrigierte: „Wer schön ist, kann auch gut sein, er/sie ist vor allem aber sozial kompetent“.327 Aus den abgegebenen Statements kann man unterschwellig – manchmal auch sehr klar – herauslesen, dass gutes Aussehen von Vorteil ist, aber der Zu-sammenhang mit zugeschriebener sozialer Kompetenz ist nicht festzustellen. Diese Stellung in der Hierarchie kommt also nicht aufgrund der zugeschriebenen Eigenschaften zustande, sondern es ist das gute Aussehen an sich, das dafür verantwortlich ist. Tom Wolfe in einem dazu passenden Zitat: „Im Innersten der feinen Gesellschaft existiert etwas zutiefst Vulgäres:

die Gewohnheit, Menschen nach Normen zu beurteilen, die keine notwendige Beziehung zu ihrem Charakter aufweisen. Dabei ertappt zu werden, dass man sich auf dieses Vulgäre näher einlässt, davon gefesselt zu werden ist – das ist, wie beim Ansehen eines Pornofilms ertappt zu werden.“328

Fallbeispiel über die Wirkung des Aussehens:

Die genaue Rolle, die das Aussehen für Studenten in etwa spielt, verdeutlicht ein immer wie-der beobachtbares Standardbeispiel: Studenten sitzen an einem Tisch in wie-der Caféteria. Es sind sechs Männer und vier Frauen anwesend. Sie unterhalten sich über die Möglichkeiten der Abendgestaltung. Eine gutaussehende Studentin kündigt den Besuch einer Party an. Diese Ankündigung hat zur Folge, dass Männer, die sich für diese Studentin interessieren, ins Auge fassen, diese Party ebenfalls zu besuchen. Auf der Party sind sämtliche Personen anwesend, die an diesem Tisch gesessen sind – auch die Frauen. Eventuell weil sie an einem der Männer,

Die genaue Rolle, die das Aussehen für Studenten in etwa spielt, verdeutlicht ein immer wie-der beobachtbares Standardbeispiel: Studenten sitzen an einem Tisch in wie-der Caféteria. Es sind sechs Männer und vier Frauen anwesend. Sie unterhalten sich über die Möglichkeiten der Abendgestaltung. Eine gutaussehende Studentin kündigt den Besuch einer Party an. Diese Ankündigung hat zur Folge, dass Männer, die sich für diese Studentin interessieren, ins Auge fassen, diese Party ebenfalls zu besuchen. Auf der Party sind sämtliche Personen anwesend, die an diesem Tisch gesessen sind – auch die Frauen. Eventuell weil sie an einem der Männer,

Im Dokument Hierarchien in Studentencliquen (Seite 158-168)