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Die Bedeutung des Geschlechts für die Allgemeinheit

Im Dokument Hierarchien in Studentencliquen (Seite 186-190)

Fallbeispiel 1 Einengung Spielraum:

3.4. Die Hierarchien in Studentencliquen

4.2.3. Das Geschlecht

4.2.3.1. Die Bedeutung des Geschlechts für die Allgemeinheit

R15: Ah, bei so Jungs… also Männercliquen, glaube ich, geht es darum, wer die Macht hat und wer sich am besten behaupten kann oder Rudel anführen und bei Frauen schon eher, die die am hilfsbereitesten ist. Schon auch die, die die größte Klappe hat, was machen wir jetzt, jetzt machen wir das, aber ich glaube, das sind allgemein die, die am meisten gemocht wer-den, die am hilfsbereitesten und am freundlichsten sind vom Wesen her.

Goffman beschreibt die unterschiedlichen Voraussetzungen der beiden Geschlechter folgen-dermaßen: „Das Geschlecht dient in allen modernen Industriegesellschaften, und offenbar auch in allen anderen, als Grundlage eines zentralen Codes, demgemäß soziale Interaktion und soziale Strukturen aufgebaut sind; ein Code, der auch die Vorstellungen der Einzelnen von ihrer grundlegenden menschlichen Natur entscheidend prägt. Dies ist eine gängige An-sicht, doch bis vor kurzem blieb uns ihre verwirrend vielschichtige Bedeutung verborgen.

Denn die herkömmliche soziologische – scheinbar ausreichend klare – Auffassung, das Ge-schlecht sei ein ‚erlerntes, diffuses Rollenverhalten’, hat frühere Generationen von Sozialwis-senschaftlern offenbar eher gegen Erkenntnisse immunisiert, als dass sie dieser ‚Seuche’ eine Ausbreitung erlaubt hätte. Diese Forscher handelten, noch deutlicher als sie es beim Phäno-men der sozialen Klasse getan haben, einfach wie alle anderen Menschen: Sie stützten durch ihr eigenes Verhalten blindlings genau das, was wenigstens einige von ihnen hätten in Frage stellen sollen. Und wie in letzter Zeit üblich, mussten wir von den Betroffenen selbst an unse-ren eigentlichen Forschungsgegenstand erinnert werden.“362

Das Geschlecht hat nach wie vor einen Einfluss auf Positionen in formalhierarchisch aufge-bauten Strukturen. Dies betrifft berufstätige Frauen, die in gewissen Berufen nicht denselben Lohn für dieselbe Arbeit erhalten wie ihre männlichen Kollegen. Das Humphrey Institut of Public Affairs beschreibt derartige Ungerechtigkeiten folgendermaßen: „Frauen repräsentie-ren 50 Prozent der Weltbevölkerung, leisten fast zwei Drittel der Arbeitstunden, erhalten nur

362 Siehe E. Goffman, Interaktion und Geschlecht. Frankfurt am Main 1994: S. 105.

einen Zehntel des Welteinkommens und besitzen weniger als ein Prozent des Eigentums der Welt.“363

Spezielle Nachteile haben attraktive Frauen, sie haben es schwerer, in höhere Managementpo-sitionen aufzusteigen. Wohl wird vermutet, dass diese Frauen eher „feminine“ Eigenschaften aufweisen und für derartige Positionen nicht geeignet zu sein scheinen.364 Zudem müssen attraktive Frauen mit dem Vorurteil kämpfen, dass sie eine Position nicht unbedingt durch fachliche Kompetenz erworben haben, also mit dem Klischee, dass sie sich nicht hochgearbei-tet, sondern -geschlafen haben (was man, wenn man eine zynische Sicht der Dinge vertritt, auch als Vorteil attraktiven Aussehens betrachten könnte).365 Der Philosoph Immanuel Kant war sogar der Ansicht, dass der Versuch von Frauen, sich in Hierarchien nach oben zu bewe-gen, eventuell sogar negative Folgen für die naturgegebene Attraktivität haben kann: „Fleißi-ges Lernen oder quälendes Nachdenken; selbst wenn eine Frau Erfolg darin hat, zerstört sie die ihrem Geschlecht ziemenden Vorzüge (…) Sie machen sie zu einem Objekt kalter Be-wunderung und schwächen gleichzeitig den Zauber, mit dem sie ihre große Macht über das andere Geschlecht ausübt.“366

Die unterschiedliche Sozialisation

Solche Unterschiede werden schon von Grund auf festgemacht, wie Goffman feststellt: „In allen Gesellschaften bildet die anfängliche Zuordnung zu einer Geschlechtsklasse den ersten Schritt in einem fortwährenden Sortierungsvorgang, der die Angehörigen beider Klassen einer unterschiedlichen Sozialisation unterwirft. Von Anfang an werden die der männlichen und die der weiblichen Klasse zugeordneten Personen unterschiedlich behandelt, sie machen ver-schiedene Erfahrungen, dürfen andere Erwartungen stellen und müssen andere erfüllen. Als Folge davon lagert sich eine geschlechtsspezifische Weise der äußeren Erscheinung, des Han-delns und Fühlens objektiv über das biologische Muster, die dieses ausbaut, missachtet oder durchkreuzt. Jede Gesellschaft bildet auf diese Weise Geschlechtsklassen aus, wenn auch jede auf ihre je eigene Art. Aus der Perspektive des Forschers, der Individuen typisiert, kann dieser Komplex als ‚soziales Geschlecht’ bezeichnet werden, soll eine Gesellschaft charakterisiert werden, kann dieser Komplex ‚geschlechtsspezifische Subkultur’ genannt werden. Obwohl das soziale Geschlecht (‚gender’) keine biologische, sondern nahezu völlig einen soziale Fol-ge der Funktionsweise einer Gesellschaft ist, findet diese FolFol-ge einen sichtbaren Ausdruck.

363 Siehe N. Etcoff, Nur die Schönsten überleben. Kreuzlingen/München 2001: S. 92-93.

364 Vgl. M. E. Heilman/M. H. Stopeck, Being attractive, advantage or disadvantage? In Organizational behaviour and human performance 35. 1985: S. 202-215.

365 Vgl. E. Hatfield/S. Sprecher, Mirror, mirror: The importance of looks in everyday life. New York 1986.

366 Siehe I. Kant, Observations on the feeling of the beautiful and the sublime. Berkeley 1960.

Sicherlich kann eine ganze Population im Unwissen über einen bestimmten Geschlechtsunter-schied leben oder sogar eine falsche Auffassung davon haben, und dennoch kann dieser Un-terschied vorhanden sein, nicht aufgrund der Biologie, sondern aufgrund der sozialen Erfah-rungen, die die Angehörigen der jeweiligen Geschlechtsklassen miteinander teilen.“367

Anhand des Geschlechts werden Menschen unterschiedlich behandelt: „Das andere Prinzip ist die Bewertung gemäß des Geschlechts, wenn etwa dem männlichen Kind, ‚weil es ein Junge ist’ beim Essen die größere Portion oder dem weiblichen, ‚weil es ein Mädchen ist’, das wei-chere der beiden Betten zugeteilt wird; oder wenn dem männlichen Kind härtere Strafen zu-gemutet werden als dem weiblichen, weil es von ,Natur aus’ robuster ist und weil es härtere Strafen braucht, um davon beeindruckt zu werden. Und diese auf das Geschlecht gegründeten Bewertungen dienen auch weiterhin als ein handliches Mittel sowohl zur Erklärung einer Ver-teilungspraxis, deren eigentliche Grundlage anderswo zu finden ist, wie zur Vermeidung einer Form der Verurteilung, die Missstimmung auslösen könnte, oder schließlich sogar zur ein-leuchtenden Erklärung für verschiedene Versäumnisse bei der Erfüllung von Erwartun-gen.“368

Diese Zuschreibungen haben zur Folge, dass Männer, die in einer sozialen Hierarchie eher in den unteren Regionen anzusiedeln sind, daraus entstehende Kompensationsbedürfnisse im kleinen sozialen Rahmen ausleben können. Goffman deckt dabei auf, dass derartige Verhal-tensmuster und Hierarchien auch dort existieren, wo sie es eigentlich nicht dürften: „Wie hoch der soziale Status einer Familie auch immer sein mag – ihre Töchter können lernen, dass sie anders als die Söhne und ihnen ein wenig untergeordnet sind; und wie niedrig der soziale Sta-tus einer Familie auch immer sein mag – ihre Söhne können lernen, dass sie anders als die Töchter und ihnen ein wenig übergeordnet sind. Es ist, als ob die Gesellschaft Schwestern einen Bruder an die Seite stellt, damit Frauen von Anfang an ihren Platz kennenlernen, und sie stellt eine Schwester neben Brüder, damit Männer den ihren finden. Jedes Geschlecht wird zum Übungspartner des anderen, ein mitten ins Haus gestelltes ‚Anschauungsmittel’. Das was dem ganzen sozialen Leben eine Struktur verleiht, wird also in einem sehr kleinen und trauten Kreis eingeübt. Und daraus folgt ebenso, dass sich die tiefste Schicht dessen, was wir sind – nämlich die eigene Geschlechtsidentität – in ihrer ursprünglichen Gestalt aus Zutaten zusam-mensetzt, die nicht der ethnischen Zugehörigkeit oder dem sozio-ökonomischen Status ent-nommen sind. Infolgedessen erwerben wir alle die beachtliche Fähigkeit, uns von dem, was wir dank unserer Verortung in der gesamten sozialen Rangordnung gewinnen oder verlieren, deutlich zu distanzieren. Brüder bekommen die Möglichkeit, sich selbst in Absetzung von

367 Siehe E. Goffman, Interaktion und Geschlecht. Frankfurt am Main 1994: S. 109.

368 Siehe ebenda: S. 129-130.

Personen wie ihren Schwestern zu definieren, und Schwestern steht es offen, sich selbst in Absetzung von Personen wie ihren Brüdern zu bestimmen – wobei in beiden Fällen das Au-genmerk davon abgelenkt wird, dass die Geschwister der einen Familie sich in einer grundle-gend anderen sozialen Lage befinden als die einer anderen. Das Geschlecht, nicht die Religi-on, ist das Opium des Volkes. Auf jeden Fall haben wir es hier mit einem bemerkenswerten organisatorischen Hilfsmittel zu tun. Obwohl ein Mann am Tage unter seinem Vorgesetzten leiden mag – und er kann auf jeder gesellschaftlichen Stufe in diese Lage geraten -, kehrt er dennoch jeden Abend nach Hause in einen Sphäre zurück, in der er dominiert. Und wohin auch immer er außer Haus geht, können Frauen anwesend sein, die seine zur Schau gestellte Kompetenz bestärken. Und nicht genug damit, dass der typische männliche Angestellte eine weibliche Sekretärin hat; wie sich jetzt immer deutlicher zeigt, wird auch sein aus dem bür-gerlichen Leben ausgestiegener Sohn, der die Karriereleiter im alternativen Verlagswesen oder in Protestbewegungen hinaufsteigt, eine weibliche Hilfskraft haben; und sollte er gar so sehr ausgestiegen sein, das er in einer Landkommune beigetreten ist, so wird ihn vermutlich auch dort eine entsprechende Arbeitsteilung erwartet haben. Wollten wir gar die Alltagswelt verlassen und uns in eine ihrer fiktiv konstruierten Alternativen begeben, in einen Sciene-Fiction-Kosmos, so würden wir auch dort Männer finden, die die Führungsaufgaben über-nehmen, und Frauen, die sie nach der Art ihres Geschlechts dabei unterstützen. Wohin auch immer der Mann geht, kann er, wie es scheint, eine geschlechtspezifische Teilung der Arbeit

uch in Berufen behaupten zu können, die traditionell eher von Männern ausgeübt werden.

u in der Wirtschaft muss nach wie vor mehr leisten, um

die-archie nach oben zu bewegen. Dennoch ist die abso-lute Gleichberechtigung nicht gegeben.

mit sich nehmen.“369

Trotz dieser Feststellungen ist auch der größte Laie von Grund auf geneigt, der These zuzu-stimmen, dass der Charakter kulturell und nicht biologisch determiniert ist. Selbst Personen, die Männer tatsächlich höher bewerten als Frauen, werden zustimmen, dass Frauen sowohl gute Zahnärzte als auch gute Feuerwehrleute abgeben.370 Es wird ihnen zugestanden, sich a

6: Ja, zum Teil schon. Eine Fra R

selbe Anerkennung zu erhalten.

Deshalb sollte es jeder Frau relativ problemlos möglich sein, einen Beruf auszuüben, dem man normalerweise nach einem Studium nachgeht – also einen, in dem man eher mit dem Kopf arbeitet als mit den Händen und/oder dem Körper. Weiter sollte sie grundsätzlich in der Lage sein, sich in einer beruflichen Hier

369 Siehe ebenda: S. 130-132.

370 Vgl. ebenda: S. 108.

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