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Archiv "Kritik am Forschungsstandort: „Es nützt nichts, endlos zu lamentieren“" (14.07.2003)

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T H E M E N D E R Z E I T

A

A1920 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 28–2914. Juli 2003

DÄ:Herr Prof. Dr. Brüstle, viele Nach- wuchsforscher in der Medizin verlassen Deutschland, um im Ausland ihr Glück zu suchen. Dort seien die Rahmenbedin- gungen besser. Warum sind Sie in Deutschland geblieben?

Brüstle: Auch ich stand damals nach vier Jahren in den USA vor der schwieri- gen Entscheidung, dort zu bleiben oder zurückzukehren. Bei mir haben familiäre Gründe eine Rolle gespielt, aber auch der Wunsch, das Gebiet der Stammzell- forschung in Deutschland mit aufzubau- en.Ich sah darin eine sehr große

Chance. Mir ist bewusst, dass die Situation hierzulande re- striktiver ist als in den USA und auch in vielen anderen europäi- schen Ländern, bin aber auch der felsenfesten Überzeugung, dass sich dies ändern wird. Ich

empfinde das als Herausforderung, was bereits damals mit ein Grund für meine Rückkehr war.

DÄ:Skizzieren Sie doch einmal kurz, wodurch sich die Forschungsbedingun- gen in den USA unterscheiden.

Brüstle: Was die biomedizinische For- schung anbelangt, gelingt es hierzulande oft nur bedingt, klinische Tätigkeit und Wissenschaft miteinander in Einklang zu bringen. Das ist in den USA wesentlich besser gelöst. Dort bestehen meist feste

Pläne, die es jungen Medizi- nern ermöglichen, sowohl eine fundierte klinische Ausbildung zu absolvieren, als auch genü- gend Freiraum für die Wissen- schaft zu haben. Das ist für medizinische Forschung eine ganz wichtige Vorausset- zung. Die Situation in Deutschland wird verschärft durch die prekäre finanzielle Lage, in der sich viele Universitäten be- finden. Vielerorts muss Personal einge- spart werden. Oft steht kaum genügend Personal zur Verfügung, um die Kran- kenversorgung aufrechtzuerhalten.

DÄ:Sie sagen, mancherorts ist es kaum möglich, die Krankenversorgung auf- rechtzuerhalten. Findet Forschung dann am Feierabend beziehungsweise am Wo- chenende statt? Nimmt die Wissenschaft also nur eine nachgeordnete Stellung ein?

Brüstle: Dies hängt sehr stark von den Disziplinen und auch von den ein- zelnen Häusern ab; natürlich auch von der Einstellung des jeweiligen Klinik- chefs. Es gibt durchaus Häuser mit eta- blierten Rotationsverfahren, sodass kli- nisch tätige Kollegen über gewisse Zeiträume freigestellt werden. Dies ist aber nach wie vor die Ausnahme und kommt viel zu kurz. Gerade in For- schungsgebieten mit therapeutischer Ausrichtung wie der Stammzellfor- schung ist es absolut zwingend, dass

Grundlagenwissenschaft und klinische Forschung Hand in Hand arbeiten.

DÄ:In Deutschland fließen die öffent- lichen Forschungsgelder deutlich zäher als in den USA. Auch die Finanzierung durch private Stiftungen ist weniger ver- breitet.Wie finanziert sich Ihr Institut?

Brüstle: Wir finanzieren uns einerseits über traditionelle Strukturen. Neben ei- ner großzügigen Förderung durch das Land Nordrhein-Westfalen haben wir ei- ne intensive Drittmitteleinwerbung. Wir haben mehrere Projekte, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft un- terstützt werden, andere finanziert das Bundesministerium für Bildung und Forschung.Auch die Förderung über das Forschungsrahmenprogramm der EU spielt eine wichtige Rolle.

Darüber hinaus bemühen wir uns, Stiftungen für unsere Forschungsarbei- ten zu gewinnen. Das ist ein Gebiet, das in den USA wesentlich weiter ent- wickelt ist als bei uns. Dort gibt es sehr viel mehr Privatinitiativen und Stiftun- gen, die die akademische Forschung un- terstützen. Auch hierzulande wird diese Form der Forschungsförderung immer wichtiger. Sie erlaubt es insbesondere, rasch neue Gebiete an den Universitäten zu etablie- ren. Ein Beispiel hierfür ist die Gemeinnützige Her- tie-Stiftung, die auf dem Gebiet der Neurowissen- schaften in Deutschland eine führende Rolle spielt.

Uns ist es gelungen, die Hertie-Stif- tung für die Förderung unseres Institutes zu gewinnen. Mit ihrer Hilfe gelang es, den bundesweit ersten Stiftungslehrstuhl für Rekonstruktive Neurobiologie einzu- richten. Inzwischen haben wir ähnliche Initiativen mit weiteren Stiftern auch in anderen Bereichen des Neurozentrums der Universität Bonn angeschoben. In Zeiten, in denen die Drittmittel über die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und das Bundesministerium für Bildung (BMBF) und Forschung immer knapper

Kritik am Forschungsstandort

„Es nützt nichts, endlos zu lamentieren“

Fotos:Eberhard Hahne

I N T E R V I E W

Der Bonner

Stammzellforscher Prof. Dr. Oliver Brüstle plädiert für mehr Optimismus.

„Hierzulande gelingt es oft nur

bedingt, klinische Tätigkeit

und Wissenschaft miteinander in

Einklang zu bringen.“

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werden, gewinnen Stiftungen zuneh- mend an Bedeutung.

DÄ:Wie sieht es mit Forschungsgel- dern aus der Industrie aus?

Brüstle: Bislang beziehen wir keine Fördermittel aus der Industrie. Das hängt damit zusammen, dass unsere Forschung bislang sehr stark grundlagenori- entiert war. Doch auch hier ist ein Umdenken erforderlich. Durch die Trennung von akademischer Forschung und Wirtschaft bleiben viele interessante Entwicklungen in der Universität stecken. Eine sinnvolle Interaktion könnte bei- den Seiten helfen. Bei knapper werden- den öffentlichen Ressourcen werden al- ternative Finanzierungsquellen für die Universitäten immer wichtiger.

Auf der anderen Seite ermöglicht der Zugriff auf die akademische Forschung dem privaten Sektor eine raschere Pro- duktentwicklung. Für solche Interaktio- nen fehlen vielfach noch die Strukturen.

Hier in Bonn haben wir mit Gründung der Life & Brain GmbH eine solche Struktur geschaffen. Bei dieser Biotechnologie- Plattform werden akademische Forschung und Produktentwicklung unter einem Dach stattfinden. Insbesondere in anwen- dungsorientierten Forschungsgebieten lässt sich absehen, dass die Finanzierung der sehr teuren Geräte und Verfahren für die Universitäten bald nur noch durch eine solche Interaktion mit dem privaten Sek- tor leistbar ist. Gelingt dies nicht, könnte die akademische Forschung mittelfristig an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.

DÄ:An den Bedingungen in Deutsch- land wird auch kritisiert, dass es für For- scher zu wenig Leistungsanreize gibt. Die Universität Bonn hat 1995 ein Prämiensy- stem für die Einwerbung von Drittmitteln eingeführt.Wie funktioniert das?

Brüstle: Derartige universitätsinterne Förderinstrumente sind inzwischen an vielen deutschen Universitäten etabliert.

Sie entspringen dem Gedanken, zumin- dest einen Teil der verfügbaren Mittel nicht nach dem Gießkannenprinzip, son- dern leistungsbezogen zu vergeben und so insbesondere jüngeren Wissenschaft- lern die ersten Schritte in die Selbststän- digkeit zu erleichtern.

In Bonn wurde hierfür unter Feder- führung meines Kollegen Prof. Dr. Ot-

mar Wiestler das BONFOR-Programm etabliert. Dieses funktioniert nach dem- selben Prinzip wie die großen Förderin- stitutionen und konzentriert sich unter anderem auf die Nachwuchsförderung.

Es beinhaltet verschiedene Förderinstru- mente, wie Stipendienprogramme und projektbezogene Anschubfinanzierun- gen von bis zu zwei Jahren. Es müssen Anträge formuliert wer-

den, die dann einem unabhängigen Gut- achtergremium vorgelegt werden. Dabei ist die Einbindung externer Gutachter obligatorisch. Dieses Programm ist be- sonders für junge Wissenschaftler inter- essant, die gute Ideen entwickelt haben, denen aber die Vorarbeiten zur Einwer- bung eines großen DFG- oder BMBF- Projektes noch fehlen. Intramural kön- nen solche Vorarbeiten oft nicht finan- ziert werden. Genau diese Kluft will das Programm überbrücken. So ist denn auch ein wesentliches Kriterium der Be- gutachtung die Wahrscheinlichkeit einer extramuralen Anschlussförderung.

Daneben beinhaltet das BONFOR- Programm auch den so genannten Dritt- mittelbonus. Für jedes über öffentliche Förderinstitutionen eingeworbene Dritt- mittelprojekt erhält der einzelne Wissen- schaftler einen Bonus, der je nach För-

derinstitution zwischen fünf und zehn Prozent der Gesamtfördersumme be- trägt. Bei den immer knapper kalkulier- ten Bewilligungen der großen öffentli- chen Förderprogramme ist dieser Bonus eine wertvolle und oft essenzielle Ergän- zung für die Projektfinanzierung.

DÄ: Hat das BONFOR-Programm die Attraktivität der Bonner Universität erhöht? Konnte auch das Interesse aus- ländischer Wissenschaftler geweckt wer- den?

Brüstle: Das ist ohne Zweifel der Fall.

Insbesondere für Rückkehrer aus dem Ausland ist dieses Instrument sehr wert- voll.Die kurzen Vorlaufzeiten ermöglichen eine reibungslose Fortführung der Projek- te vor Ort. So wird ein Einbruch der For- schungsaktivität verhindert. Während der Zeit, in der größere extramurale Drittmit- telprojekte vorbereitet werden,können die Arbeiten aus diesem Topf finanziert wer- den.Ich selbst habe nach meiner Rückkehr aus den USA für ein Jahr diese Fördermittel in Anspruch genommen und sie als sehr wirksa- me und effiziente Hilfe beim Aufbau einer neuen Arbeitsgruppe empfunden. In den letzten Jahren haben hier in Bonn zahlrei- che Rückkehrer – überwiegend aus den USA – über dieses Programm Fuß gefasst.

DÄ:Aus Ihren Ausführungen ist her- auszuhören, dass Sie mit den Bedingun- gen hier in Bonn, die Sie selber ja auch mit aufgebaut haben, doch recht zufrieden sind. Bleiben Sie demnach dem deutschen Standort erhalten?

Brüstle: Nun, nichts ist für ewig, aber im Moment sehe ich hier in Bonn große Herausforderungen und Chancen. Ne- ben dem weiteren Ausbau der Stamm- zellforschung zählt hierzu auch das Life

& Brain-Projekt, bei dem es letzten En- des darum geht, die traditionelle Denk- weise universitärer Forschung anwen- dungsorientierter zu gestalten. Uns ist es vielfach noch nicht gelungen, die Früchte der akademischen Forschung so effizient zu nut- zen, wie dies beispielsweise in den USA gemacht wird.

DÄ:Was muss sich sonst noch ändern?

Brüstle: Wie in der Wirtschaft hängt auch in der akademischen Forschung die Dynamik nicht nur von den finanziellen Grundlagen, sondern auch von Stimmun- gen ab.Es nützt nichts,endlos zu lamentie- ren. Wer eine wirklich gute Idee hat, dem wird es auch weiterhin gelingen,seine Pro- jekte zu finanzieren. Was jetzt gefragt ist, sind Vertrauen in die Zukunft, verbunden mit wieder mehr Technologiefreundlich- keit und – was den Forschungsstandort Deutschland anbelangt – mehr Selbstbe- wusstsein. DÄ-Fragen: Jens Flintrop T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 28–2914. Juli 2003 AA1921

„Wer eine wirklich gute Idee hat, dem wird es auch weiterhin ge- lingen, seine Projekte zu finanzieren.“

„Ein Teil der Mittel wird nicht nach

dem Gießkannenprinzip, sondern

leistungsbezogen vergeben.“

Referenzen

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