DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
BEKANNTMACHUNG DER BUNDESÄRZTEKAMMER
Von Endokrinologen und Phar- makologen wurde in jüngster Zeit zunehmend auf die Diskre- panz zwischen der von den Herstellerfirmen geltend ge- machten Unschädlichkeit des an Polyvinylpyrrolidon gebun- denen Jods einerseits und den Risiken der bei äußerer Anwen- dung von PVP-Jod nachweis- baren, unter bestimmten Be- dingungen beträchtlichen Jod- Resorption andererseits hinge- wiesen. Diese Hinweise müs- sen um so ernster genommen werden, als die mit großem Werbeaufwand angebotenen PVP-Jod-Präparate frei ver- käuflich sind und zudem nicht nur von einigen großen phar- mazeutischen Firmen, sondern auch von verschiedenen Klein- herstellern produziert werden, gegen deren Qualitätskontrolle Bedenken bestehen, da sie nicht an die GMP-Richtlinien gebunden sind.
Ausgehend von dieser Sachla- ge hat der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer eine interdisziplinäre Kommis- sion mit dem Auftrag gebildet, 1. Nutzen und Schädigungsrisi- ko der PVP-Jod-Anwendung in den verschiedenen Indikations- und Gebrauchsbereichen ab- zuwägen und die Schlußfolge- rungen in entsprechenden Empfehlungen an die Ärzte- schaft zusammenzufassen, 2. hierdurch das Bundesge- sundheitsamt zu einer umfas- senden Überprüfung der Indi- kationsgebiete, der Werbung
durch die Hersteller und deren Argumente anzuregen, die ge- gen eine freie Verkäuflichkeit der PVP-Jod-Präparate und für eine Bindung ihrer Anwendung an die ärztliche Verordnung sprechen.
Der aus Pharmakologen, Endo- krinologen, Chirurgen, Päd- iatern, Hygienikern, Mikrobio- logen, Dermatologen und Ver- brennungstherapeuten sowie Angehörigen der Arzneimittel- kommission der Deutschen Ärzteschaft zusammengesetz- te Arbeitskreis hat unter Feder- führung von Professor Reben- tisch die nachfolgende Stel- lungnahme abgegeben.
Professor Dr. H. P. Wolf Vorsitzender des
Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer
1. Vorbemerkung
Die Anwendung von PVP-Jod an der intakten Haut (1)*), an Wunden (2, 4, 5, 15, 30), Schleimhäuten (11, 21, 28, 31, 34) sowie in Körperhöhlen (13, 33) führt zum Übertritt von Jo- did in die Blutbahn. Dabei ist der Anstieg des Gesamtjod- spiegels und damit die Menge des verfügbaren Jods beson- ders ausgeprägt bei intraperi- tonealer Anwendung, bei Ap- plikation an Schleimhäuten, bei großflächigen und/oder wiederholten Applikationen.
`) Die in Klammern stehenden Ziffern be- ziehen sich auf das Literaturverzeichnis des Sonderdrucks.
Eine gesunde Schilddrüse ist in der Lage, sich an ein ver- mehrtes Jodangebot, zumin- dest über kürzere Zeit, ohne er- kennbaren Schaden anzupas- sen (15, 17, 28).
Bei Jodüberangebot (36) kön- nen sich in Abhängigkeit vom Funktionszustand der Schild- drüse und vom Lebensalter Störungen entwickeln (19), die von der Hypothyreose bis zur thyreotoxischen Krise reichen.
Das Risiko der Auslösung einer Hyperthyreose durch einen Jodüberschuß, der unter ande-
rem auch durch PVP-Jod be- dingt sein kann, besteht bei prädisponierten Personen:
CD Patienten mit autonomem Adenom bzw. disseminierten autonomen Bezirken in der Schilddrüse, die insbesondere bei älteren Menschen und bei Kropfträgern in Jodmangelge- bieten vorkommen.
© Personen mit einer floriden, aber auch abgelaufenen Schilddrüsenerkrankung, wie Zustand nach Schilddrüsen- operation, Radio-Jod-Behand- lung und antithyreoidaler Schilddrüsenbehandlung.
Ein Risiko kann auch für kli- nisch und laborchemisch eu- thyreote Personen bestehen.
Diese Gefahr ist in der Bundes- republik Deutschland (alimen- tärer Jodmangel) größer als in Ländern mit ausreichender nutritiver Jodzufuhr. In der Bundesrepublik Deutschland ist der Anteil an manifesten oder latenten Hyperthyreosen, der durch autonome Adenome bedingt ist (16, 18), deshalb hö- her als zum Beispiel in den USA. Daten zur Pathophysiolo- gie von Hyperthyreosen aus an- deren Ländern sind somit nicht ohne weiteres auf die Bundes- republik Deutschland übertrag- bar, insbesondere, soweit sie MITTEILUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN
BEIRATES DER BUNDESÄRZTEKAMMER
Zur Anwendung von
Polyvinylpyrrolidon -Jod- Komplexen (Povidonjod: PVP-Jod)
1434 (76) Heft 19 vom 8. Mai 1985 82. Jahrgang Ausgabe A
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sich auf das Risiko von Jodap- plikationen und auf die Behan- delbarkeit jodinduzierter Hy- perthyreosen beziehen.
Das Risiko einer PVP-Jodappli- kation läßt sich pauschal nicht quotieren, weil dieses nicht nur durch den vorbestehenden Schilddrüsenfunktionszustand vorgegeben ist. Auch die Kon- zentration der verwendeten Zu- bereitung, Größe und Beschaf- fenheit der resorbierenden Oberflächen spielen eine wich- tige Rolle für die Nutzen-/Risi- ko-Abwäg u ng.
Das Risiko der Auslösung einer Hypothyreose besteht beson- ders für Feten im letzten Schwangerschaftstrimenon so- wie für Säuglinge, insbesonde- re Früh- und Neugeborene. Für Erwachsene besteht zum Bei- spiel nach Radiojodbehand- lung und bei chronischen
Schilddrüsenentzündungen ein allerdings deutlich geringe- res Hypothyreoserisiko. Die Hormonsekretion der fetalen Schilddrüse beginnt zwischen der 18. und 24. Schwanger- schaftswoche. Eine Erhöhung des Gesamtjodspiegels der Schwangeren, wie sie zum Bei- spiel nach vaginaler Anwen- dung PVP-jodhaltiger Präpara- te vorkommen kann, führt zu einer entsprechenden Vermeh- rung des Gesamtjods in der Amnionflüssigkeit (10, 24). We- gen der größeren Empfindlich- keit der fetalen Schilddrüse hemmt der Jodidüberschuß die fetale Schilddrüsenhormon- synthese. Fetale Hypothyreo- sen sind wegen ihres nachteili- gen Effektes auf die intellektu- elle und somatische Entwick- lung des Kindes besonders ge- fährlich. Bei Neugeborenen, insbesondere bei Frühgebore- nen, kann die Jodinkorporation sub partu zu einer vorüberge- henden Erhöhung der TSH-
Spiegel führen (24, 27, 32).
Nach postnataler Anwendung jodhaltiger, unter anderem auch PVP-jodhaltiger Präpara- te sind Hypothyreosen bei den Kindern beschrieben worden (6-8, 20, 25, 26, 37). Auch die Muttermilch kann Quelle ei- ner exzessiven Jodzufuhr wer- den (29).
Nutzen-/Risiko-Beurteilung von PVP-Jod
Die möglichen Risiken machen eine differenzierte Bewertung des Nutzens von PVP-Jod je nach Anwendungsgebiet erfor- derlich. Dabei ist auch zu be- rücksichtigen, daß die Wirk- samkeit von PVP-Jod als Desin- fektionsmittel nicht für jede, bisher empfohlene Anwen- dungsart als gesichert anzuse- hen ist. Die Wirksamkeit gegen Staphylococcus aureus ist in jüngster Zeit angezweifelt wor- den (9, 35). Klinische Studien haben bei speziellen Indika- tionen (Vaginalspülung vor Hysterektomie [3, 24], Wund- spülungen [22]), den Nachweis überlegener Wirksamkeit von PVP nicht erbracht. Peritoneal- spülungen zur Behandlung der experimentell erzeugten Peri- tonitis waren mit unerwünsch- ten Wirkungen verbunden, die den fraglichen Nutzen überwo- gen (12, 14, 23).
II. Empfehlung zur Anwen- dung von PVP-Jod-Komplexen
• Da wirksame, jodfreie Prä- parate für die chirurgische
Händedesinfektion zur Verfü- gung stehen, kann die Anwen- dung PVP-jodhaltiger Präpara- tionen hierfür nicht empfohlen werden.
• Bei der präoperativen Haut- desinfektion Erwachsener ist die Wirksamkeit von PVP-Jod
belegt. Dennoch zeigen PVP- Jod-Komplexe unter bestimm- ten Voraussetzungen eine mangelhafte Wirkung gegen- über Staphylococcus aureus, Escherichia coli, Pseudomonas aerug inosa.
O PVP-Jod ist für Hautdesin- fektion vor Inzisionen, Punktio- nen, bei intravenösen und -ar- teriellen Verweilkathetern und zur Prophylaxe iatrogener Gas-
brandinfektionen geeignet. Ei- ne Sporidizie ist jedoch frühe- stens nach einer Einwirkungs- zeit von 10 bis 15 Minuten ge- geben.
el
Bei oberflächlichen Wun- den kann PVP-Jod trotz erhöh- ter Jod-Resorption durch offe- ne Wundflächen gelegentlich oder auch wiederholt ange- wendet werden.(I)
Spülungen von Wund- und Körperhöhlen mit PVP-Jod oder dessen Instillation sind wegen der Gefahr erhöhter Jodresorption nicht indiziert.Die Trägersubstanz PVP kann überdies resorbiert werden so- wie Verwachsungen verursa- chen.
• Routinemäßige Patienten- waschungen auf Intensivstatio- nen sollen unter dem Gesichts- punkt der Nutzen-/Risiko-Ab- wägung vermieden werden.
fj)
PVP-Jod zur vaginalen An- wendung bei Entzündungen oder aus hygienischen Grün- den sind nicht zu empfehlen.Bei Schwangeren besteht zu- dem das Risiko der Jodbela- stung des Feten. Der Nutzen von Vaginalspülungen mit PVP- Jod vor und während der Ge- burt ist bisher nicht hinrei- chend beurteilbar; das Risiko der transienten Hypothyreose bei Neugeborenen ist dagegen belegt.
Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 19 vom 8. Mai 1985 (79) 1435
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BEKANNTMACHUNG DER BUNDESÄRZTEKAMMER FÜR SIE GELESEN
o Wegen der besonderen Ge- fährdung von Frühgeborenen, Neugeborenen und Säuglin- gen ist in diesen Altersstufen die Anwendung von PVP-Jod kontraindiziert. Dies gilt auch für die prophylaktische Nabel- desinfektion.
(;) Der klinische Nutzen von PVP-Jod bei Verbrennungen der Haut ist durch seinen des- infizierenden und gerbenden Effekt gut belegt. Der thera- peutische Nutzen überwiegt die Gefahr der Jodbelastung.
Während und nach der Be- handlung mit PVP-Jod ist die Schilddrüsenfunktion des Pa- tienten wiederholt zu kontrol- lieren.
0 Mundantiseptika mit lokaler Wirkung sind ohne therapeuti- schen Nutzen. Dies gilt auch für PVP-Jod-Zubereitungen.
Wegen der zusätzlichen Jodbe- lastung ist auf seine Anwen- dung generell zu verzichten.
Die Mitglieder des Arbeitskrei- ses empfehlen, die Frage der Verschreibungspflicht zu prü- fen, um den unkontrollierten Einsatz der Substanz außer- halb medizinischer Indikations- bereiche auszuschließen.
Ausgewählte Literatur
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Ausführliche Literatur im Son- derdruck.
Mitglieder der Arbeitsgruppe
Prof. Dr. E. Rebentisch, Deisenhofen (Federführender) Prof. Dr. H. Brandis, Bonn Prof. Dr. H. Helge, Berlin
Prof. Dr. J. Herrmann, Düsseldorf Prof. A. M. Holschneider, München Prof. Dr. F. H. Kemper, Münster Dr. K.-H. Kimbel, Köln
Prof. Dr. H. Knothe, Frankfurt Prof. Dr. J. Köbberling, Göttingen Prof. Dr. G.-W. Korting, Mainz Prof. Dr. P. Naumann, Düsseldorf Priv.-Doz. Dr. H. Ochsenfahrt, Köln
Frau Prof. Dr. C. R. Pickardt, München
Prof. Dr. P. S. Schönhöfer, Bremen Frau Dr. H. Sourgens, Münster Prof. Dr. P. Stubbe, Göttingen Priv.-Doz. Dr. H. Wacha, Frankfurt
Prof. Dr. Dr. R. Zellner, Ludwigshafen
Für die Verfasser:
Prof. Dr. E. Rebentisch Ganghoferstraße 4 8024 Deisenhofen
Metabolische und immu- nologische Wirkungen von Cyclosporin bei Diabetes- mellitus-Typ-1-Erstmanife- station
12 frisch diagnostizierte Diabeti- ker des Typs I erhielten 2 bis 8 Mo- nate lang 5-10 mg/kg KG Cyclo- sporin im Mittel 49 ± 14 Tage nach Beginn der Insulin-Therapie. Die mittlere erforderliche Insulindosis fiel von 46±5 Einheiten/Tag vor der Cyclosporin-Therapie auf 16±
4 Einheiten/Tag bis zum 7. Monat.
Bei vier Patienten trat eine völlige Remission ein; bei weiteren vier Patienten fiel der Insulinbedarf um 50 Prozent. Bei den restlichen vier Patienten zeigte sich keine Remission.
Die initialen Basal- und Glycogen- stimulierten C-Peptid-Konzentra- tionen waren bei den Patienten, bei denen eine Remission eintrat, höher als bei den Patienten, die keine Reaktion zeigten, und die C- Peptid-Konzentration stieg unter Cyclosporin-Therapie bei der Re- missions-Gruppe, jedoch nicht bei den auf die Therapie nicht an- sprechenden Patienten.
Bei allen Patienten waren die OKT4÷-Lymphozyten-Funktionen supprimiert und der OKT4/OKT8- Quotient war niedriger. Bei allen Patienten, bei denen Remissio- nen auftraten, ging die Anti-Beta- Zell-Autoimmunität — wie bei der Lymphozyten-induzierten Hem- mung der Insulin-Freisetzung aus Inselzellen bei Mäusen — zurück.
Ein entsprechender Trend bei den Anti-Inselzell-Antikörpern wurde nicht beobachtet. Bei 44 ähn- lichen Fällen kürzlich frisch dia- gnostizierter Diabetiker, die nicht zufällig ausgewählt wurden, be- trug die Remissionshäufigkeit bei alleiniger Insulintherapie 6 Pro- zent. dpe
Assan, R., et al.: Metabolic and immunological effects of Cyclosporin in recently diagnosed Type 1 Diabetes mellitus, The Lancet 1 (1985) 67-71.
Dr. R. Assan, Diabetologie, Höpital Bichat, 46 rue H. Huchard, 75018 Paris, Frankreich.
1436 (80) Heft 19 vom 8. Mai 1985 82. Jahrgang Ausgabe A