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Archiv "KLEINE HÄUSER: Kesseltreiben" (02.11.1978)

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a) Die zweckmäßige Regelung der Zulassung im § 25 (2) des neuen AMG wurde durch einen Nachsatz paralysiert und schließlich die Be- weislast umgekehrt, so daß die Zu- lassung eines Arzneimittels nur dann versagt werden kann, wenn von der Zulassungsbehörde dessen Unwirksamkeit nachgewiesen wird- eine Forderung, die überhaupt nicht zu erfü IIen ist.

b) Die Nachzulassung aller auf dem Markt befindlichen Arzneimittel wur- de nach Artikel 3 § 7 (3), (5) auf insgesamt 15 Jahre aufgeschoben, und damit auf die Überprüfun~ des Arzneimittelmarktes hinsichtlich Qualität, Wirksamkeit und Unbe- denklichkeit seiner Produkte für ei- ne sehr lange Zeit verzichtet.

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Der therapeutische Wert eines Arzneimittels, auf den es bei der Ver- ordnung ankommt, läßt sich nur aus einer Nutzen-Risiko-Abschätzung, d. h. aus der Relation zwischen der zu erwartenden therapeutischen Wirksamkeit und den möglichen un- erwünschten Wirkungen ermessen. Deshalb ist der Wirksamkeitsnach- weis für Arzneimittel Basis jeder ra- tionalen Therapie.

8

Arzneimittel, für die eine thera- peutische Wirksamkeit nicht nach- zuweisen ist, haben keinen thera- peutischen Nutzen und hätten auch ohne Risiko keinen therapeutischen Wert. Sie haben jedoch unter Um- ständen ein untragbares therapeuti- sches Risiko, weil

..,. sie den Patienten gefährden, da sie den Einsatz wirksamer Arznei- mittel verzögern oder verhindern können - was im übrigen für den Arzt rechtliche Konsequenzen ha- ben kann.

..,. sie dem Arzt die Möglichkeit neh- men, in schwierigen Fällen die The- rapie in seine differentialdiagnosti- schen Erwägungen einzubeziehen.

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Insulin, Antibiotika, Antimykoti- ka, Tuberkulostatika, Antiepileptika sind für Arzneimittel mit nachgewie- sener therapeutischer Wirksamkeit unbestrittene Paradebeispiele. Nie-

Arzneimittelprüfungen

mand denkt daran, an ihrer Stelle Mittel fragwürdiger Wirkung einzu- setzen. Im übrigen hat noch nie- mand, der von Arzneiprüfungen et- was versteht, gefordert, die Wirk- samkeit von Insulin beim Coma dia- beticum im Doppelblindversuch nachzuweisen, ganz abgesehen da- von, daß auch vom Gesetzgeber nur der einfache Nachweis der Wirksam- keit verlangt wird. ln einem solchen Fall kann die therapeutische Wirk- samkeit eines Arzneimittels dort, wo sie vorhanden ist, auch mit ausrei- chender Sicherheit nachgewiesen werden. Eine schematische Forde- rung nach Doppelblindversuchen wird kein vernünftiger Mensch erhe- ben (Herken und Kewitz, DEUT- SCHES ÄRZTEBLATT 37 2235, 1977), es gibt aber Therapieberei- che, in denen solche unerläßlich sind.

8

Die Nachzulassung derartig um- strittener Arzneimittel hätte - auch darüber waren sich bei der Anhö- rung 1975 die wissenschaftlichen Sachverständigen einig - keine Schwierigkeiten gemacht. Die Nach- zulassung hätte in weiten Bereichen sogar pauschal erfolgen können, wie zum Beispiel in den Vereinigten Staaten.

f) Die Bundesrepublik Deutschland benötigt ein Arzneimittelgesetz - wie es in anderen Ländern die Regel ist -, das den Nachweis von Wirk- samkeit und Unbedenklichkeit in unzweideutiger Weise fordert. Der einzelne Arzt kann bei den meisten Fertigarzneimitteln Qualität, Wirk- samkeit und Unbedenklichkeit nicht selbst feststellen. Er muß sich darauf verlassen können, daß alle auf dem Markt befindlichen und alle auf den Markt kommenden Arzneimittel das halten, was sie versprechen. Phar- makatherapie ist keine Psychothera- pie, und Patienten sind eben keine Versuchspersonen.

Prof. Dr. med.

Walter Kreienberg Deutschhausplatz 3 6500 Mainz

Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen BRIEFE AN DIE REDAKTION

KLEINE HÄUSER

Zu dem Artikel "Leistungsfähige kleinere Krankenhäuser erhalten'" (Heft 32/1978).

Kesseltreiben

"Das Kesseltreiben gegen die klei- nen Krankenhäuser ... wird seine katastrophalen Auswirkungen in ganz kurzer Zeit unter Beweis stel- len. Die Deutsche Krankenhausge- sellschaft hat versucht, diesen Ab- sichten mit eindringlichen Appel- len an die politisch Verantwortli- chen entgegenzuwirken. Es bleibt zu hoffen, daß auch die von der DKG zur Verfügung gestellten Rechtshilfen die betroffenen Kran- kenhäuser vor dem Schlimmsten bewahren. Die Gerichte haben jetzt zu entscheiden."

BISIDIMO

Jürgen Cieslik Tersteegenstraße 9 4000 Düsseldorf 30

Zu Dr. med. Wilhelm Schulze: "Leprahil- fe im Ogaden- nicht vergebens?"' in Heft 36/1978.

Vernünftige

Entwicklungshilfe

Nicht unerwähnt sollte bleiben, daß hier beim Aufbau das Prinzip verfolgt wurde, daß die Leprösen mitanfassen mußten . . . So wur- den sie von Deutschen angeleitet, wie man ein Gebäude errichtet, ein Handwerk ausführt und den Bo- den bestellt. ln einer Schule wur- den die Kinder unterrichtet. Hier wurde endlich vernünftige Ent- wicklungshilfe geleistet und die Kranken sich nicht selbst überlas- sen. Welch anderer Anblick im na- hegelegenen Harrar, wo man bet- telnde Lepröse auf den Straßen fand ... Sie waren in einem spä- ter aufgelösten Leprasorium des Staates untergebracht, welches sie nicht zu einer, wenn auch noch so geringsten Tätigkeit anhielt.

Dr. med. Heinz Seger 3280 Bad Pyrmont Brunnenstr. 35

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft 44 vom 2. November 1978 2615

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Spektrum der Woche Aufsätze •Notizen

BLICK ÜBER DIE GRENZEN

Seit Anfang der 50er Jahre wurden fast 800 Millionen DM im Rahmen der Gesundheitshilfe an die Ent- wicklungsländer vergeben. Damit wurde jede zehnte Mark der direkten Hilfsausgaben zur Verbesserung im Gesundheitswesen verwendet. Etwa die Hälfte dieser Summe floß in Pro- jekte der kirchlichen Entwicklungs- hilfe. Trotz des hohen materiellen Aufwandes verstärkte sich in den letzten Jahren zunehmend ein allge- meines Unbehagen an der Effizienz der Gesundheitshilfe auf der Emp- fänger- wie auch auf der Geberseite.

Daß 80 Prozent aller Mittel kaum 20 Prozent der Bevölkerung erreichen, stellt die Gesamtkonzeption bisheri- ger Gesundheitshilfe in Frage.

Das Krankheitsverständnis eines Kulturkreises beeinflußt maßgeblich die Art der Gesundheitsfürsorge, die Forderung der Bevölkerung an sie und die Ziele der medizinischen For- schung. Mit den verschiedenen Kul- tureinflüssen unterliegt auch das Krankheitsverständnis einem steten Wandel. Mythisch-religiöse Lebens- inhalte wurden in der westlichen Medizin seit Ende des 17. Jahrhun- derts allmählich durch wissen- schaftlich begründbare Werte ver- drängt. Das naturwissenschaftliche Krankheitsverständnis der westli- chen Welt deutet die Krankheit als technologischen wie sozialen Unfall.

Der Leidende entwickelt daraus die Forderung nach möglichst schneller Behandlung aller Unregelmäßigkei- ten. Er verlangt den Einsatz aller technisch-apparativen und medika- mentösen Möglichkeiten. Das Nah- ziel ist die normale soziale Umwelt.

Da die Kosten weitgehend von der Gesellschaft getragen werden, be- steht auch von dieser Seite keine für ihn verständliche Grenze im Einsatz aller kurativen Mittel.

Der Wunsch nach möglichst vielen naturwissenschaftlichen Einzelin- formationen und ihre Anwendung in

Verbindung mit hochperfektionier- ten medizinischen Apparaturen för- dert die Tendenz der Ärzte, im Kran- kenhaus zu arbeiten und sich dort zu spezialisieren. Damit rückt das Krankenhaus als Institution in den Mittelpunkt des westlichen Gesund- heitswesens. Die Idee der Gemein- schaftspraxis entspricht ihm im am- bulanten medizinischen Versor- gungsbereich. Hier konzentrieren sich medizinische Erkenntnisse, Wissen, Technik und oft auch Erfah- rungen. Hier glaubt der Patient, die intensivste Diagnostik und die schnellste Heilung zu erlangen.

Damit waren über Jahrzehnte die Ziele des Gesundheitswesens in der westlichen Welt abgesteckt und werden es auch trotz einigen Unbe- hagens vieler Ärzte vorerst bleiben:

möglichst viele Betten in möglichst hoch entwickelten Krankenhäusern der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen; möglichst viele Ärzte zur Versorgung der Bevölkerung auszu- bilden, diese zu optimalen techni- schen Praxeneinrichtungen zu ver- anlassen.

Daß auf diesem Wege große medizi- nische Erfolge in den Industrienatio- nen errungen worden sind, ist nicht zu übersehen. Warum aber bewirkte trotz eines hohen materiellen Ein- satzes das westliche Gesundheitssy- stem keine sichtbare Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszu- standes der Bevölkerung in der Drit- ten Welt?

Seit Jahren orientieren sich die Ent- wicklungsländer am Lebensstan- dard der Industrienationen. Auch die Zielsetzungen auf dem Gesund- heitssektor sollten den Idealen der westlichen Welt entsprechen. Daß damit nur punktuelle Hilfe gegeben und nur ein kleinster Teil der Bevöl- kerung erreicht wurde, erkannten viele Entwicklungsländer erst sehr spät. Anfang dieses Jahrzehnts je-

Medizinische Entwicklungs- hilfe in der Form der einfa- chen Übertragung der Syste- me westlicher Industrieländer mußte scheitern, weil sie än- thropologisch inadäquat war.

Das Krankheitsverständnis in vielen Entwicklungsländern ist anders, der westliche Arzt kann im Auge der Einheimi- schen nur Symptome kurie- ren, nicht aber die Krankheits- ursachen beseitigen. Gesund- heitshilfe muß deshalb darin bestehen, an der Schaffung von Strukturen mitzuwirken, die auf das Krankheitsver- ständnis der jeweiligen Bevöl- kerung ausgerichtet sind. Ei- ne wichtige Rolle — allerdings ganz anders, als im Westen gewohnt — fällt dabei dem All- gemeinarzt zu.

doch begannen die Führungsgrup- pen der Dritten Welt, sich auf ihre religiösen, sozialen und kulturellen Eigenheiten, ihre Tradition, und da- mit auf die Masse ihrer Bevölkerung zu besinnen. Sie begannen, ihre Zie- le neu zu sehen und zu artikulieren.

Für das Gesundheitswesen hat sie der tansanianische Präsident Nyere- re formuliert: „Im Gesundheitswe- sen wie bei anderen Dingen müssen wir uns zuerst auf die grundlegend- sten Bedürfnisse konzentrieren. Wir können es uns nicht leisten, Einrich- tungen zu haben, mit denen wir eini- gen wenigen Menschen mit speziel- len Herzkrankheiten eine fortschritt- liche Behandlung angedeihen las- sen können, während die Massen unseres Volkes nicht in der Lage sind, ganz gewöhnliche Krankheiten behandeln zu lassen, die ihr Leben elend machen."

Wurde das westliche Abendland in allen Lebensbereichen wesentlich durch die dualistischen Denknor- men „Gott—Mensch" in den christli- chen Religionen geprägt, so fühlen sich die meisten Afrikaner und Asia- ten eingebettet in einen vorbe- stimmten Weltablauf. Der einzelne

Wem hilft die Gesundheitshilfe?

Wolfgang Kruse

2616 Heft 44 vom 2. November 1978 DEUTSCHES ÄRZ ILBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Wem hilft die Gesundheitshilfe?

kann nur unwesentlich seine indivi- duellen Lebenskräfte und -hinter- gründe beeinflussen.

Der kranke Afrikaner stellt weniger die Frage nach der Art des Leidens, als vielmehr nach der Ursache und dem Verursacher. Die Krankheit wird zu einem Symptom einer Stö- rung seines persönlichen Verhält- nisses zu den überlegenen Kräften.

Diese werden zumeist in den Ver- storbenen der engeren oder Großfa- milie personifiziert, denn die Vorfah- ren leben weiter in ihren Nachkom- men und nehmen Einfluß auf deren Leben. Heilung ist der Versuch, die- se Störungen zu beseitigen und die vorgeschriebenen Verhältnisse zu den lebens- und weltablaufbestim- menden Kräften wiederherzustellen.

Die asiatischen Religionen sind durch kontemplative Meditationen geprägt. Ist die Welt eine Gegeben- heit, mit und in der man leben muß, so ist die individuelle Verinnerli- chung und zunehmende Unabhän- gigkeit von dieser Welt bis zur Gott- gleichheit das Streben nach menschlich-göttlicher Vollendung.

In dieser Welt wird das körperliche Leiden zu einem Symptom eigenen Identitätsverlustes, eines Rückfalls in eine scheinbar überwundene Ver- menschlichung. Heilung bedeutet Wiederherstellung des besterreich- ten Zustandes, Wiedererlangung des eigenen Identitätsverständnis- ses.

Diesen mythisch-religiös geprägten Krankheitsvorstellungen und Le- bensanschauungen entsprechen kaum die rein naturwissenschaftlich orientierten westlichen Gesund- heitsprojekte. Es würde hier zu weit führen, die Reaktionen der verschie- denen Großkulturkreise der Dritten Welt auf die westliche Gesundheits- hilfe aufzuzeichnen. Deshalb wer- den sich die nachfolgenden Ausfüh- rungen auf die afrikanischen Ver- hältnisse konzentrieren, zumal in Afrika die Schwerpunkte deutscher Entwicklungshilfe liegen.

Den entwicklungspolitischen Ein- richtungen westlicher Gesundheits- hilfe kam über Jahrzehnte das Stre-

ben der Entwicklungsländer nach westlichem Lebensstandard entge- gen. Die Entscheidungen über Art, Ort und die Durchführung solcher Projekte, die Anforderungen an die Geberländer wurden von Regie- rungsmitgliedern entwickelt und ar- tikuliert, die in den meisten Fällen ihre fachliche Ausbildung, wenn nicht sogar ihre gesamte Erziehung, im westlichen Kulturbereich genos- sen oder zumindest nach den Maß- stäben westlicher Welt erhalten ha- ben. Damit war lange Zeit eine Miß- achtung der eigenen traditionellen Kulturen und Religionen verbunden.

Die entscheidenden Persönlichkei- ten waren von westlichen Idealen und Vorstellungen geprägt.

So standen den westlichen Zielset- zungen der Gesundheitshilfe keine wesentlichen Hindernisse von offi- zieller Seite in den Entwicklungslän- dern entgegen. Das krankenhausbe- zogene Gesundheitssystem des We- stens wurde nahezu unverändert in die Dritte Welt übertragen. Ein ein- zelnes Krankenhaus konnte zum Symbol für die Fortschrittlichkeit des Gesundheitswesens eines Ent- wicklungslandes werden, auch wenn es praktisch den gesamten für das Gesundheitswesen ausgewiese- nen Anteil eines Staatshaushaltes verschlang.

Das Krankenhaus wurde institutio- nell, der Arzt personell das Zentrum gesundheitspolitischer Planungen.

Bau und Ausstattungen von Kran- kenhäusern, die aufwendige Aus- und Weiterbildung von Ärzten aus der Dritten Welt an westlichen Uni- versitäten und Kliniken wurden zu entwicklungspolitischen Schwer- punkten. Die Hospitäler wurden in Städten und größeren Marktflächen angesiedelt. Ihre medizinische Ver- sorgung konnte nur die wenigen Einwohner in unmittelbarer Nähe er- reichen. Kleinere basisnahe Ge- sundheitseinrichtungen wurden weitgehend vernachlässigt. Darin kam die geringe Einschätzung der Gesundheitsarbeit außerhalb der Krankenhäuser allgemein zum Aus- druck. Die Entwicklungsländer for- derten für sich eine hochentwickelte Medizin ersten Ranges und verach-

teten lange Jahre einen Basisge- sundheitsdienst als schlechtere bzw. als zweitklassige Gesundheits- hilfe.

Erst in den letzten Jahren wurde auch den Entwicklungsländern die mangelnde Effizienz eines solchen Gesundheitswesens für die breite Bevölkerung ihrer Länder bewußt.

Die hohen und immer weiter wach- senden Kosten erreichten die Gren- zen jeder konkreten Möglichkeit.

Der medizinische Dienst westlicher Prägung erreichte nicht 20 Prozent der gesamten Bevölkerung. Trotz jahrelanger Bemühungen war nicht einmal eine geringe Anhebung des Gesundheitsstandards der Landbe- wohner und marginalen Stadtbevöl- kerung zu erkennen. Die Geberlän- der stellten mit Enttäuschung fest, daß erhebliche Projektmittel zwar ihr missionarisches Denken und Handeln nach Verbesserung des Le- bensstandards im westlichen Sinne befriedigt, das Elend der Armen und Ärmsten der Dritten Welt, das sind 90 Prozent der Bevölkerung, aber nicht konkret verbessert hat.

Westliche Gesundheitshilfe in der Konfrontation

Haben die Grundlagen und Zielset- zungen westlicher Medizin mit ihren großen Erfolgen in der Dritten Welt keine Gültigkeit? Sind Millionenbe- träge in falschgeplante Projekte ge- pumpt worden? Haben die Entwick- lungsländer die entsprechenden Hil- femaßnahmen boykottiert? Diese Fragen traten vor einigen Jahren in den Vordergrund des entwicklungs- politischen Interesses und erschie- nen vorerst unlösbar. ,Daraus resul- tierte für die Bundesrepublik Deutschland eine Zeit bewußter Ver- nachlässigung bilateraler Gesund- heitshilfe.

Im afrikanischen Krankheitsver- ständnis und -ablauf spielen mehre- re Personen ihre bestimmte Rolle, die wir hier kurz skizzieren wollen:

Mit der Hauptfrage des Leidenden, wodurch bzw. wer die Krankheit ver- ursacht hat, sucht der Afrikaner den ihn betroffenen Zauber zu erkennen und den Zauberer zu entlarven. Er

DEUTSCHES ARTIEBLATT

2618 Heft 44 vom 2. November 1978

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Wem hilft die Gesundheitshilfe?

wird meistens im eigenen Clan zu suchen sein, aber kann nur in äu- ßerst seltenen Fällen identifiziert werden. Der Zauberer verursacht die Krankheiten, die Schäden und Un- annehmlichkeiten. Er stört das in ei- ner durch Riten geregelten Gefühls- welt geordnete Verhältnis zu den überlegenen, das Leben beeinflus- senden Machtträgern. Er betreibt die schwarze Magie.

Die Symptome einer Krankheit sind der Ausdruck für das gestörte Ver- hältnis zu den verstorbenen Vorfah- ren. Mit dem Wunsche, wieder in geregelte Verhältnisse zu ihnen zu gelangen, wendet sich der Kranke oder ein Familienangehöriger, der die gleichen Ahnen verehrt, an einen Witch-doctor seines Vertrauens. In jedem Dorf, in jeder größeren Ge- meinschaft lebt und wirkt ein sol- cher Witch-doctor, der sich oftmals auf verschiedene Krankheiten, auf religiöse Schwierigkeiten, soziale Probleme, Fragen des Okkultismus und dergleichen spezialisiert hat.

Meistens beherrscht ein Witch-doc- tor mehrere Spezialgebiete, in de- nen er durch mündliche Überliefe- rungen und jahrelanges Training ausgebildet worden ist. Aus diesen Gründen kann der Witch-doctor des Vertrauens auch weit entfernt vom Ort des Geschehens leben. Er hat den notwendigen Zugang zu den überlegenen Machtträgern. Er ver- körpert die weiße Magie. In der Funktion als Mittelsmann für die Le- benden zu den Toten nimmt der Witch-doctor eine zentrale Position besonders in der traditionellen Me- dizin, aber auch im gesamten So- zialgefüge ein. Vom westlichen Ver- ständnis her wird der Witch-doctor oft dem Zauberer gleichgesetzt. Im Verständnis der Einheimischen wür- de der Zauber jedoch auf ihn zu- rückfallen können und würde sich leicht gegen seine eigenen magi- schen Mittel wenden. Ein Witch- doctor spielt eine fast so entschei- dende Gegenrolle zum Zauberer wie

„ein Kriminalbeamter zu einem Ein- brecher". Bodenstein hat den Witch-doctor treffend als Arzt-Prie- ster bezeichnet, worin seine Stel- lung und Funktion deutlich zum Ausdruck kommen.

Der Feldscher ist der Heiler von Kno- chenbrüchen und Verletzungen. Er beseitigt organische Symptome. Der Wahrsager hat weniger mit Vorher- sagen zu tun, er hilft unlösbare per- sönliche Probleme, die Unfruchtbar- keit einer Frau, Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche, Zwistigkeiten in- nerhalb der Familie usw. zu lösen.

Die beiden letzteren spielen im Hei- lungsverständnis eine wichtige, aber untergeordnete Rolle.

Der Arzt-Priester ist die herausra- gende Persönlichkeit in der traditio- nellen afrikanischen Heilkunst. Er spielt nicht nur in den ländlichen Sozialstrukturen eine führende Rol- le, sondern er wird auch immer häu- figer in den Stadtgebieten angetrof- fen. Denn nicht nur körperliche Krankheit, sondern auch Arbeitslo- sigkeit, persönliche Isolation von der Großfamilie, mangelhafter Ver- dienst und viele andere soziale Schwierigkeiten, die in den Städten gehäuft auftreten, werden als ein ge- störtes Verhältnis zu den Vorfahren und damit als Krankheit empfunden.

Der Arzt-Priester wird deshalb in all diesen Fällen zu Rate gezogen.

Die westliche wissenschaftliche Me- dizin traf in Afrika auf ein traditionel- les mythisch-religiös orientiertes Krankheitsverständnis, das die mei- sten Mitarbeiter in den Entwick- lungshilfe-Projekten kaum durch- schauten, keinesfalls aber akzeptier- ten. Steht für den westlich ausgebil- deten Arzt die Heilung der körperli- chen Gebrechen im Vordergrund, so entspricht im Heilungsverständnis der Bevölkerung Afrikas diese Arbeit nur einer symptomatischen Heilung.

Die Arbeit des westlich orientierten Personals ähnelt für den Afrikaner der eines einheimischen Feldschers.

Dieser Eindruck wird für den einhei- mischen Kranken noch verstärkt, wenn er aus dem Kreise der Familie gerissen und in die ihm völlig frem- de Umgebung eines Krankenhauses aufgenommen wird. Damit erfährt sein Verhältnis zu den lebenden und verstorbenen Mitgliedern der Fami- lie weitere erhebliche Störungen.

Der Abschluß einer stationären Be- handlung wird sehnlichst erwartet,

um schnellstens den Arzt-Priester aufzusuchen, der allein die Krank- heit wirklich beseitigen kann. Darauf weist die häufige vorzeitige Flucht der nicht zu Ende behandelten Pa- tienten aus den Hospitälern hin. Sie suchen Zuflucht bei dem Witch-doc- tor ihrer Wahl.

Da die westliche Medizin auf diese Krankheitsvorstellungen von ihrem Eigenverständnis her nicht einge- hen konnte, wurde an den Bedürf- nissen der Zielgruppen, das sind die Bevölkerungsteile, die von den je- weiligen Projekten erfaßt werden, allzu häufig vorbeigeplant.

Ergebnis: Frustration

Mit zunehmendem Einfluß der Ko- sten-Ertragsanalysen auch für das Gesundheitswesen begannen die Geber- und Nehmerländer die Aus- wirkungen langjähriger Gesund- heitshilfe zu untersuchen. Das Er- gebnis war enttäuschend. Die Ent- wicklungsländer erkannten zwar die Perfektion der westlichen Medizin, doch ihr kompromißloser Transfer wurde finanziell und gesundheitspo- litisch für sie untragbar. Trotz hoher materieller Hilfe der westlichen Welt blieb die Landbevölkerung, das ist der größte Teil der Einwohner, medi- zinisch unterversorgt. Abgesehen vom allgemein bestehenden Mangel an Ärzten, waren die im Lande prak- tizierenden auch nicht gewillt, sich in ländlichen Gebieten niederzulas- sen. Die Dritte Welt begann, die westliche Medizin für ihre Bedürf- nisse in Frage zu stellen. Dieser Pro- zeß fand vor kurzem einen ersten Höhepunkt, als die Entwicklungs- länder im Exekutivausschuß der Weltgesundheitsorganisation die Forderung aufstellten, neue Ausbil- dungsgrundlagen und -wege zu er- arbeiten und ihre Ärzte nicht mehr nach westlichem Muster auszubil- den.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Wolfgang Kruse Kaiserdamm 118

1000 Berlin 19

• Wird fortgesetzt

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