A 620 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 13|
29. März 2013MEDIKATION BEI KINDERN
Mehr Sicherheit für Ärzte und Eltern
Die Wissensplattform Netdosis stellt qualitätsgesicherte Behandlungsempfehlungen zur Medikation von Kindern bereit. Sie umfasst insbesondere auch Dosierinforma- tionen und die Anwendung außerhalb der Zulassung.
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on 88 000 zugelassenen Arz- neimitteln in Deutschland sind nur etwa zehn Prozent auch für Kinder zugelassen. Klinische Zulas- sungsstudien sind teuer und lohnen sich aufgrund des geringen Markt- anteils nicht für die Pharmaindus- trie. Vor diesem Hintergrund ist in der Kinder- und Jugendmedizin vor allem im Klinikumfeld die Anwen- dung von Arzneimitteln außerhalb des Zulassungsbereichs (off-label use) weit verbreitet: Kinder erhalten individuell zubereitete Dosierungen der Erwachsenenmedizin.Doch Kinder haben einen ande- ren Stoffwechsel als Erwachsene.
Die angemessene Dosierung eines Arzneimittels variiert mit dem Alter und Entwicklungsgrad des Kindes.
Hinzu kommt: Die Wahrscheinlich- keit einer unerwünschten Nebenwir-
kung ist bei Off-label-Einsatz grö- ßer. Experten schätzen, dass es hier- bei in bis zu vier Prozent der Fälle zu Nebenwirkungen kommt. Eine ver- lässliche Datenbasis steht Ärzten je- doch bislang nicht zur Verfügung. In schwierigen Fällen müssen sie viele Studien durchforsten, sich auf ihre Erfahrungen verlassen oder Kolle- gen um Rat fragen. Das ist nicht nur aufwendig, sondern entspricht auch nicht den Anforderungen an eine qualitätsgesicherte Therapie.
Die Internetplattform Netdosis (www.netdosis.de) will Ärzten und Eltern mehr Sicherheit bei der Ver- abreichung von Arzneimitteln an Kinder geben und Arzneimittelrisi-
ken verringern. Das aus einem Pro- jekt an der Universität Erlangen her- vorgegangene Start-up-Unternehmen hat dazu eine internetbasierte Wis- sensplattform entwickelt, die es er- möglicht, Erfahrungswissen aus der medizinischen Praxis mit publizier- ten Veröffentlichungen aus der For- schung zu verbinden und dem Nut- zer qualitätsgesicherte Informatio- nen zur medikamentösen Therapie zur Verfügung zu stellen. Der Arzt kann dabei seine eigenen Dosierer- fahrungen durch die Erfahrungen der „Community“ ergänzen. Alle In- formationen stehen zudem zeitnah aktualisiert zur Verfügung.
Die Wirkstoff-Dosierinformatio- nen werden sukzessive gemeinsam mit Kliniken und niedergelassenen Ärzten erstellt. Primärquellen sind unter anderem das Handbuch der
Deutschen Gesellschaft für pädiatri- sche Infektiologie, die Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissen- schaftlichen Medizinischen Fachge- sellschaften, das British National Formulary for Children und das Le- xicomp aus den USA.
Strukturierte Dosisdaten
Netdosis hat hierzu ein Redaktions- system zur computerlesbaren Erfas- sung von Medikationsdaten entwi- ckelt. Für die Abbildung der Do - sierinformationen in einer speziell dafür entwickelten Datenstruktur stand die Kinder- und Jugendklinik Erlangen beratend zur Seite, be - richtete Christoph Wille, einer derGründer der Mitte 2012 gegründe- ten Netdosis AG. „Die strukturierte Aufbereitung der Dosisdaten er- möglicht eine automatisierte Wirk- stoff-Dosisberechnung und trägt da- mit zur Sicherheit der Medikation bei“, erläuterte Wille. Die Daten sollen zusätzlich auf mobilen Gerä- ten wie Smartphones und Tablet- PCs verfügbar gemacht werden.
Der Nutzer kann dann per App auch off line auf die Datenbank zugreifen.
Breite Beteiligung erwünscht
Für die Nutzung der Datenbank, die ausschließlich Fachkreisen vorbe- halten ist, muss man sich über DocCheck anmelden. Registrierte Nutzer erhalten Zugang zur Wirk- stoff-Datenbank einschließlich Off- label-Dosierinformationen, können an Diskussionen teilnehmen und aufneue Funktionen zugrei- fen. Für den weiteren Aus- bau der Datenbank ist da- bei eine möglichst brei- te Beteiligung der Ärzte- Community wichtig. Das Interesse scheint groß zu sein: Immerhin haben sich bei dem studentischen Vor- gängerportal von Netdosis mehr als 800 Ärzte registriert. Im Beta-Betrieb sind derzeit alle Funk- tionen kostenfrei nutzbar. Geplant ist, neben einer kostenfreien Version für die Ärzte per Internet künftig auch Premiumdienste, wie die Inte- gration in Kliniksysteme, kosten- pflichtig anzubieten.
Im offenen Bereich wendet sich die Website darüber hinaus an El- tern von Kindern, die in medizini- scher Behandlung sind. Sie finden dort Informationen zu zugelassenen Arzneimitteln und zu den allgemei- nen Rahmenbedingungen der Me- dikation bei Kindern sowie Berich- te zu aktuellen Entwicklungen.
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Heike E. Krüger-Brand Nur zehn Prozent
der in Deutsch- land zugelasse- nen Arzneimittel sind auch für Kinder zugelassen, der off-
label use ist daher weit verbreitet.