DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT
DIE ÜBERSICHT
Funktionsentwicklung des ZNS
beim Menschen ICaus V. Hinrichsen
Sinneswahrnehmungen sind pränatal erst dann möglich, wenn das ner- vöse Substrat seine Funktionsreife erlangt hat. In den verschiedenen Abschnitten des Nervensystems werden funktionsfähige Synapsen zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten ausgebildet. Die Großhirnrinde steht am Ende dieser Entwicklungsfolge. Reflexe treten schon vor der Myelinisierung von Nervenfasem auf. Die Myelinisierung ist Vorausset- zung für eine hohe Nervenleitgeschwindigkeit, nicht Zeichen des Funk- tionsbeginns.
lle Organe des menschli- chen Körpers durchlau- fen während der Em- bryonalentwicklung eine Periode der ersten Anla- ge, der Formentwicklung und der Funktionsentwicklung. Allein das Herz übt schon während seiner frü- hen Formentwicklung von den ersten Kontraktionen etwa am 22. Tag (Sta- dium 10) an seine definitive Funkti- on aus. Alle anderen Organe durch- laufen zunächst Phasen der Zellver- mehrung und der Zellwanderung, bis die gewebliche Struktur erreicht ist, die ein Ingangkommen definitiver Funktionen ermöglicht. Dies gilt auch für das Nervensystem: Von der Neuralplatte, als einem verdickten Teil des Ektoderm, über die Neural- wülste zum Neuralrohr und seinen unterschiedlich geformten Abschnit- ten als Anlage späterer Hirnteile, be- steht es aus einem rein epithelialen Zellverband, der noch keinerlei neu- ronale Differenzierung erkennen läßt (Abbildung 1). Alle Zellen dieses Verbandes nehmen — mit lokal un- terschiedlicher Häufigkeit — am leb- haften Zellteilungsgeschehen teil, sie befinden sich alle im Stadium von Stammzellen für die späteren Ner- ven- und Gliazellen. Sie dienen al- lein der enormen Vermehrung des Zellbestandes (und der Forment- wicklung) und werden in besonderen Schichten und Zentren sogar im Überschuß gebildet. Alle Neuro- blasten müssen zum Teil lange Wan- derungswege durchlaufen, ehe sie am neuen Ort sich nochmals durch Zellteilungen vermehren oder in die neuronale Differenzierung eintreten.
Wahrscheinlich gehen auch beim Menschen bis zur Hälfte der gebilde- ten Neuroblasten beziehungsweise Nervenzellen zugrunde, da deren
Abbildung 1: Die neuroepitheliale Wand des ZNS bei einem menschlichen Embryo von 10 mm (Stadium 15, etwa 33 Tage) im Rasterelektronen- mikroskop (zirka 575:1)
Zellfortsätze keine synaptischen Kontakte erreichen. Voraussetzung ihrer Differenzierung ist der Verlust der Teilungsfähigkeit, der Übergang in die GO-Phase des Zellzyklus.
Für das komplexe Differenzie- rungsgeschehen im gesamten ZNS lassen sich Hauptregeln aufstellen:
■ Alle Neurone werden an an- deren Stellen gebildet, als es ihrer Si- tuation im ausgereiften ZNS ent- spricht; sie müssen daher wandern, um ihre definitive Position zu errei- chen (KostoviC 1990).
Abteilung für Anatomie und Embryologie (Leiter: Prof. Dr. med. Klaus V. Hinrichsen) Medizinische Fakultät der Ruhr-Universität Bochum
■ Innerhalb des ZNS bestehen erhebliche zeitliche Differenzie- rungsgradienten. Beim Hirnstamm und Rückenmark gibt es einen allge- meinen ventro-dorsalen und einen speziellen zentripetalen (caudo-cra- nialen: Hirnstamm) oder zentrifuga- len (cranio-caudalen: Rückenmark) Gradienten (Abbildung 2). Beim Ge- hirn unterscheiden sich Neocortex und Archicortex weniger durch ein zeitliches Muster als durch unter- schiedliches Auftreten und verschie- dene Dicke der tansitorischen feta- len Schichten. Innerhalb des End- hirns gehen die zentralen Kerngebie- te (zum Beispiel Thalamus, Stria- tum) in der Entwicklung der der Hirnrinde voraus, afferente (cortico-
Neugeborene
+++ + + + ++
+ + +++
++
(
+
)Bildung RM +
afferenter Fasern Hst +
RM
++
Hst
+++
+ + Tabelle 1: Histogenese des Neocortex (aus Kostovid, 1990)
Späte Fetal- periode und untergewichtige
Frühgeborene, 25.-40. Woche
24-45 cm 500-3800 g Histogenetische
Vorgänge
Proli ation Zellwanderung
Embryonal- periode, Stadium 15-23 5.-8. Woche
+
+Frühe Fetal- periode, 30-88 mm 9.-12. Woche
+ + + + ++
Mittlere Fetal- periode 9-23,8 cm 13.-24. Woche
+ +
+ ++Differenzierung + + + + + + + +
Wachstum afferenter Fasern
+ ++ + ++ + +
Wachstum efferenter Fasern
— + +
+ ++ + +Synapsenbildung ++ + ++ + ++
petale) Fasersysteme werden früher gebildet als efferente (corticofugale).
■ Die Entwicklung des ZNS ist zum Zeitpunkt der Geburt nur hin- sichtlich der Zeltneubildung (mögli- che Ausnahme . Kleinhirn), nicht aber für Zellwanderung und -diffe- renzierung (Synaptogenese, Myelini- sierung) abgeschlossen. Typische fe- tale Strukturen werden noch im er- sten Lebensjahr zurückgebildet oder in definitive umgewandelt.
Schon diese allgemeine Über- sicht macht deutlich, daß es bei der Beurteilung möglicher spezifischer
Funktionen bei embryonalen und fe- talen neuronalen Strukturen (wie bei anderen Organen auch) nicht um die Beurteilung äußerer Formmerkmale geht. So besteht beispielsweise die Wand der Großhirnbläschen bei ih- rem ersten Sichtbarwerden am 32.
oder 33. Tag (Stadium 14 [8]) noch genauso aus rein proliferativem Neuralepithel ohne jede neuronale Differenzierung wie zuvor die Wand des noch ungeteilten Endhimbläs- chens (Abbildung 3). Ja, es sind über- wiegend dieselben Zellen, die zuvor die noch nicht ausgeweitete Wand
Abbildung 2: Schematische Darstellung der Reifungsgradienten im ZNS (siehe Text) des Endhirns bildeten und die zu dieser Zeit der Entwicklung aus- schließlich proliferativ tätig sind.
Erst rund drei Wochen später, mit
Tabelle 2: Histogenese von Rückenmark (RM) und Hirnstamm (Hst) nach den Angaben von Kostovid (1990) Histogenetischer Frühe Embryo-
nalperiode bis Stad. 14 bis 4. Woche
Späte Embryo- nalperiode Stad. 15-23 5.-8. Woche
Frühe Fetal- periode 3,0-8,0 cm 9.-12. Woche
Mittlere Fetal- periode 9,0-23,8 cm 13.-24. Woche
Späte Fetal- periode 24-25 cm 25.-40. Woche Vorgang
Proliferation
+++ ++
(+
)Zellwanderung Differenzierung Auftreten von Kerngebieten
RM ( + ) Hst
Bildung
efferenter Fasern
RM ( + ) Hst Synapsenbildung
Myelinisierung
Abbildung 3: Erste Entstehung der Augenbläschen (A) im Vergleich zu den Großhimhemi- sphären (H)
a) Menschlicher Embryo 4 mm (Stad. 13, ca. 28 Tg.) frontal, ca. 45:1 b) Menschlicher Embryo 10 mm (Stad. 15, ca. 33 Tg) horizontal, ca. 45:1 dem Auftreten der Rindenplatte, die
schon His (1904) als typisches Merk- mal der fetalen Hirnrinde beschrieb, finden sich hier die ersten postmit- otischen Neuroblasten und damit die ersten definitiven Zellen der Hirn- rinde (Ende der 8. Woche, Stadium 22, zirka 54 Tage).
Die ersten strukturellen Verän- derungen in der Großhirnwand in Form von embryonalen und fetalen unterschiedlichen Zellschichten ha- ben noch keinerlei Beziehung zur späteren Schichtenbildung in der Großhirnrinde. Die Großhirn„rin- de" ist zunächst noch gar nicht exi- stent. Ihre Bildung beginnt erst, wenn aus der Teilung der Neurobla- sten jene Zellen hervorzugehen be- ginnen, die nach Wanderung in die zukünftige Hirnrinde („Rindenplat- te", Abbildung 4) sich nun nicht mehr teilen und damit definitive Nerven- zellen sind. Diese GO-Zellen oder postmitotischen Neuroblasten treten schon während der embryonalen Schichtenbildung in der 7. Woche auf. Sie haben aber noch erhebliche Wanderungswege in die definitive Rindenanlage zurückzulegen. Die Perioden intensivster Zellwanderung in der Anlage der Hirnrinde liegen in der 9. und in der 16. Woche (Tabelle 1). Störungen dieses Wanderungs- verhaltens führen zur sogenannten
„neuronalen Ektopie". Typische Fehlbildungsformen einer Störung der Zellwanderung sind die Pachygy- rie, bei der die Hirnrinde eine zu kleine Zahl zu großer Windungen hat, oder die Agyrie, auch Lissenze- phalie genannt, mit ganz glatter, völ- lig ungefalteter Großhirnoberfläche.
Den geschilderten Entwick- lungsgradienten entsprechend ist diese Differenzierung definitiver Neurone im zervikalen Rückenmark und im unteren Hirnstamm früher anzutreffen (Tabelle 2). So können erste Motoneurone mit auswachsen- den Axonen schon im Stadium 12 (26 Tage) beobachtet werden. Kurz dar- auf erreichen erste Axone der Spi- nalganglienzellen in der Hinterwur- zel das Rückenmark. Die strukturel- le Grundlage für einen ersten einfa- chen Reflexbogen wäre somit gebil- det, er wird funktionell durch die nachfolgende Differenzierung von Interneuronen geschlossen. Die
Hautinnervation in den Extremitä- ten beginnt im Stadium 14 (32 Tage), erreicht die Handplatte im Stadium 17 (41 Tage), die Fußplatte im Stadi- um 19/20 (8. Woche). Finger- und Zehenbeeren werden erst im Stadi- um 23 (Ende der 8. Woche) erreicht (1). Damit stimmt gut überein, daß nach Beobachtung an überlebenden Embryonen erste, durch Hautberüh- rung ausgelöste motorische Reaktio- nen im Stadium 20 (50-51 Tage) auf- treten.
Bei den Hirnnerven sind der N.
trigeminus und der N. facialis als er- ste Nervenfaserbündel und mit ihren Ganglien sowie der N. hypoglossus (Stadium 12 bis 14) nachweisbar. Die motorischen Kerngebiete bilden sich
früh (Stadium 13 + 14), die sensi- blen Kerne als Derivate der Flügel- platte deutlich später. Afferente Fa- sern bleiben im Rautenhirn zunächst oberflächlich, sie bilden einen „ge- meinsamen afferenten Tractus" vom Stadium 14 an. Vor diesem Stadium (32 Tage) bestehen mit Sicherheit noch keine Verbindungen zu höhe- ren Zentren des Hirnstammes.
Notwendige strukturelle Diffe- renzierung für eine neuronale Ver- schaltung und damit einen Funkti- onsbeginn im ZNS ist die Ausbil- dung von Axonen und Dendriten und ihre Verknüpfung durch Synap- sen. Erste Synapsen, die nach ihrem morphologischen Bild als funktions- tüchtig erscheinen, finden sich im
1. Frist*)
11 9 7
12 10 8
13 11 9
14 12 10
33 40 48 56 Tabelle 3: Zeittabelle (aus Hinrichsen, 1990)
Entwicklungs- Termine Wochen größte Länge/
periode Kopf-Rumpf-
Länge (mm) letzte Regel-
blutung 1
2
Blastem- Befruchtung 3 1
zeit 4 2
Implantations- 5 3 1 0,4- 2,5
abschluß 6 4 2 2,0- 6
Embryonal- 7 5 3 5- 9
periode 8 6 4 8-14
9 7 5 13-18
10 8 6 18-31
Fetal- 15 13 11 65
periode 16 14 12 75
17 15 13 88
18 16 14 99
19 17 15 112
20 18 16 125
21 19 17 137
22 20 18 150
23 21 19 163
2. Frist*) 24 22 20 176
188 250 3800
*) Der frühere Text des § 218 StGB definierte den Beginn der Schwangerschaft mit dem Ab- schluß der Nidation. Auch der reformierte Text nimmt in § 219d die ersten 2 Wochen von der Strafbedrohung aus. Die 1. Frist ist die für die „Notlagen"- und die „kriminologische"
Indikation (§ 218 [2] Nr. 2 +3 i. V. m. [3]); die 2. Frist die für die „eugenische" Indikation (§ 218 [2] Nr. 1 i. V. m. [3]).
Frühgeborene mit Uberle- benschance Geburt
26 24 22
30 28 26
40 38 36 Rückenmark schon ab Stadium 15
(33 Tage) zuerst an den Motoneuro- nen, wenig später auch im Bereich der Flügelplatte (10). Erste Synap- sen in der fetalen Rindenplatte des Gehirns werden bereits zu Beginn des 3. Monats ausgebildet. Aber ge- rade in der Großhirnrinde stehen zu- nächst die Vorgänge der Zellwande- rung und des immer weiteren Ein- wanderns neu gebildeter postmitoti- scher Neuroblasten in die sich bil- denden Rindenschichten im Vorder- grund. Zellwanderung, Axon- und Dendritenbildung und die Ausbil- dung von Synapsen überlagern sich während der gesamten fetalen Ent- wicklung bis zur Geburt. Sogar nach der Geburt geht das Auswachsen von Zellfortsätzen mit neuronalen Ver- schaltungen noch weiter.
Ausgereifte Nervenfasern sind durch den Einschluß der Axone in spezielle Hüllsysteme der Myelin- scheiden gekennzeichnet. Lange Zeit wurde daher die Myelinisierung von Nerven und zentralen Bahnen als Zeichen der Funktionsreife ge- wertet. Die Myelinisierung setzt zwar im Rückenmark schon in der 15. Woche ein, sie ist am Beginn des 5. Monats bei absteigenden motori- schen Bahnen und am Beginn des 6.
Monats bei sensorischen Bahnen zu finden. Sie ist aber zum Zeitpunkt der Geburt erst am Anfang ihrer Entwicklung, bei einer Reihe von Formationen des Gehirns setzt sie erst in den ersten Lebensmonaten ein. Sie dauert bis über das 2. Le- bensjahr hinaus an.
Mit der Ausbildung von neuro- neuronalen und neuro-muskulären Kontakten setzen aber erste Funk- tionen im Nervensystem schon vor der Myelinisierung ein. Auf die er- sten, von Hautreflexen auslösbaren motorischen Aktivitäten wurde be- reits verwiesen. Eine schrittweise Reifung von Reflexmustern und ihre Wandlung zu komplexen Bewe- gungsmustern wird zwischen der 8.
und 12. Woche beobachtet. Dies sind vermutlich aber reine Funktionsmu- ster im Rückenmark und Hirn- stamm, sie werden noch nicht von den späteren Zentren der motori- schen Systeme gesteuert.
In der neuronalen Steuerungs- hierarchie werden höhere Zentren
von Fasersystemen später erreicht, als niedere. Die intrauterine Beob- achtung komplizierter Bewegungs- muster (Schluckbewegungen, Dau- menlutschen) weist auf schon funk- tionierende Hirnstammbereiche hin.
Die für eine Schmerzleitung beson- ders wichtige Verknüpfung des Tha- lamus mit der Hirnrinde wird aller- dings erst in der 24. Woche erreicht, zu diesem Zeitpunkt wird auch eine Synapsenbildung im thalamo-corti- calen System beobachtet (6).
Die entscheidenden Schritte der Funktionsentwicklung im ZNS sind daher das Stadium 14/15 (32 bis 34 Tage), das Stadium 20 (50 bis 51 Ta- ge) sowie die frühe Fetalperiode von der 9. bis 13. Woche. Während in diesen Zeiten erste neuronale Akti-
vitäten im oberen Rückenmark und unteren Hirnstamm nachweisbar sind, besteht noch keine Verbindung zur Hirnrinde. Der Cortex hat die strukturellen Voraussetzungen für einen Funktionsbeginn noch nicht gebildet. Dies erfolgt erst am Über- gang der mittleren zur späten Fetal- zeit (24. Woche).
Bei den großen Sinnesorganen Auge und Ohr liegt der Zeitpunkt ei- ner Funktionsentwicklung ebenfalls spät. Die definitiven Schichten der Retina bilden sich im Alter von 10 bis 15 Wochen, am Ende dieser Ent- wicklung sind erstmals Stäbchen- und Zapfenzellen zu unterscheiden.
Das Auswachsen der Fasern im N.
opticus setzt schon früh ein, Voraus- setzung ist die Umwandlung des in-
Abbildung 4: Frontalschnitt durch das Vorderhirn eines menschlichen Feten von 5,5 cm (zir- ka 12. Woche). Von den am Ventrikel (V) liegenden Schichten wandern neu gebildete Zellen aus und bilden außen die „Rindenplatte" (R) als noch transitorische fetale Schicht. Im unte- ren Bildteil Anschnitte von Nase und Augen (A) (zirka 12,5:1)
neren Blattes des Augenbecherstie- les in eine spezielle Glia. Entlang dieser Leitstruktur erreichen die Fa- sern am Ende der 7. Woche das Chi- asma opticum, zwischen der 11. und 13. Woche wachsen die Fasern durch das Chiasma (die ungekreuzten zu- erst) bis zum Corpus geniculatum la- terale und zum Tectum opticum (7).
Die Myelinisierung im Sehnerven verläuft in umgekehrter Richtung, setzt im 7. Monat ein und erreicht den Sehnervendurchtritt (Lamina cribrosa) erst zum Zeitpunkt der Ge- burt. Angaben über die Ausbildung der Sehstrahlung zur Calcarinarinde fehlen. Nach Beobachtungen an Frühstgeborenen werden Lichtreize erstmals in der 22. Woche mit Lid- schluß beantwortet. Von der 30. Wo- che an ist visuelle Fixation möglich, von der 33. Woche an können ein- fach strukturierte Muster erkannt werden (4).
Im Innenohr beginnt die Diffe- renzierung in den Maculae und im Cortischen Organ bei 12 Wochen al- ten Feten (12). Als erstes bildet sich lumenwärts die Membrana tectoria aus. Zwischen dem 5. und 7. Fetal- monat bilden sich die Haarzellen und deren basale Synapsen. Diese Differenzierung beginnt in der Ba- salwindung und schreitet spitzen- wärts fort. Die Stütz- und Pfeilerzel- len differenzieren sich etwas später, zuletzt werden die Cortischen Lymphräume gebildet (6. Monat [9]). Letzter Differenzierungsschritt ist im 7. Monat die Ausbildung effe- renter Synapsen. Angaben über die Ausbildung der Hörstrahlung fehlen.
Akustische Reize werden erstmals in der 26. Woche mit Körperzucken oder Blinzeln beantwortet, auch ist der Lage- und Gleichgewichtssinn (Moro-Reflex) zu diesem Zeitpunkt ausgebildet (4). Eine Methode zur Hirnstamm-Audiometrie bei Neuge- borenen ist entwickelt, sie erlaubt ei- ne Klassifizierung von Hörstörungen im 5./6. Lebensmonat (5).
Alle Zeitangaben im vorstehen- den Text gehen vom Zeitpunkt der Befruchtung als dem eigentlichen Beginn individueller Entwicklung aus. Andere Zeitangaben führen im- mer wieder zu Verwirrungen und sollten eigentlich nicht mehr benutzt werden. Die jeweiligen Angaben zur
letzten Menstruation sind mit großer Unsicherheit belastet. Die sonogra- phische Größenbestimmung des sich entwickelnden Embryo erlauben heute so exakte Rückschlüsse auf die Größe, und von da ausgehend auf das Alter des Embryo, daß eine eige- ne „klinische" Zeitbestimmung ent- behrlich geworden ist. Dies gilt um so mehr, als ein „Entwicklungsalter", das die ersten präovulatorischen Wochen einschließt, eben gerade ei- ne Spanne der Nicht-Entwicklung einbezieht (11). Die noch unglückli- chere Definition einer Schwanger- schaft mit dem Ende der Nidation, wie sie in der früheren Fassung des
§ 218 StGB enthalten war, versteckt in den Neufassungen des § 218 und 219 StGB weiterhin enthalten ist und auch einem weit verbreiteten ärztli- chen Sprachgebrauch entspricht,
führt schon in der genaueren Defini- tion eines Nidations-Abschlusses zu weiteren Unsicherheiten. Wie be- deutsam die unterschiedlichen Zeit- angaben für die Beurteilung eines bereits erreichten Entwicklungsstan- des sind, macht Tabelle 3 deutlich.
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonder- druck, anzufordem über den Verfasser.
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Klaus V. Hinrichsen Abteilung für Anatomie und
Embryologie, Medizinische Fakultät der Ruhr-Universität Bochum Gebäude MA
Universitätsstraße 150 W-4630 Bochum 1
Dt. Ärztebl. 88, Heft 47, 21. November 1991 (65)