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Archiv "Prävention von Neuralrohrdefekten durch Folsäurezufuhr in der Frühschwangerschaft" (10.01.1994)

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(1)

Prävention von Neuralrohrdefekten durch Folsäurezufuhr

in der Frühschwangerschaft

Ursula Rinke Berthold Koletzko

A

ngeborene Neuralrohrdefek- te gehören mit einer Inzidenz von etwa 1 bis 1,5 auf 1000 Lebendgeborene zu den häu- figsten schweren Fehlbildungen. Ihre Manifestationen der Anenzephalie, Enzephalozele und Meningo- bezie- hungsweise Meningomyelozele ohne und mit Hydrozephalus führen nicht nur zu Aborten und neonatalen To- desfällen, sondern mit dem hohen Anteil überlebender Kinder aus die- ser Gruppe auch zu einer großen Zahl schwerwiegender dauerhafter Behinderungen.

Nach einer vorausgegangenen Schwangerschaft mit Neuralrohrde- fekt ist das Wiederholungsrisiko für weitere Kinder 10- bis 20fach höher als in der Allgemeinbevölkerung. Die Inzidenz der Neuralrohrdefekte ist sowohl von genetischen als auch von exogenen Faktoren abhängig und be- trägt in verschiedenen untersuchten Populationen zwischen weniger als 1/1000 und bis zu 6 bis 7/1000 Neuge- borene. Bestimmte geographische Regionen und vor allem eine Zuge- hörigkeit der Schwangeren zu unte- ren sozio-ökonomischen Schichten sind mit einer hohen Inzidenzrate as- soziiert (13). Ein Hinweis auf den Einfluß äußerer Faktoren ist das Auftreten zyklischer Häufigkeitsver- änderungen in einer Population mit Ab- und Zunahmen von beobachte- ten Neuralrohrdefekten (13). So sank in den USA mit der Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards zwischen 1930 und 1970 die Inzidenz der Neuralrohrdefekte von sechs pro Tausend auf zwei pro Tausend (22).

Unter den ungünstigen Lebensbedin- gungen, wie sie in Deutschland und Holland nach dem zweiten Weltkrieg

In zahlreichen Studien konnte ge- zeigt werden, daß durch eine Folsäu- resupplementierung in der Früh- schwangerschaft die Häufigkeit em- bryonaler Neuralrohrdefekte mit der Folge schwerer angeborener Fehlbil- dungen auf etwa ein Drittel bis ein Viertel vermindert werden kann. Ein präventiver Nutzen wurde zunächst für ein Wiederholungsrisiko nach voraus- gegangener Schwangerschaft. mit Neuralrohrdefekt nachgewiesen. Aber auch die Wahrscheinlichkeit für eine Erstmanifestation, die in 95 Prozent aller Fälle vorliegt, wird verringert.

vorherrschten, trat eine sehr deutli- che Zunahme der angeborenen Neu- ralrohrdefekte auf (18). Auf der Grundlage dieser Beobachtungen wird seit längerem diskutiert, ob die Häufigkeit von Neuralrohrdefekten in einer Bevölkerung durch präventi- ve Maßnahmen zu senken ist.

Die mögliche Bedeutung der Folsäureversorgung als Kofaktor bei der Entstehung dieser Mißbildungen wurde erstmals in den fünfziger Jah- ren erkannt, als bei Ratten mit Fol- säuremangel in Schwangerschaften multiple kongenitale Fehlbildungen beobachtet wurden (13). Weiterfüh- rende Tierversuche belegten, daß die Gabe von Folsäureantagonisten (Aminopterin) zum Auftreten von Neuralrohrdefekten führt (20). Auch klinische Untersuchungen bei Müt- tern von Neugeborenen mit Neural- Kinderpoliklinik (Direktor: Prof. Dr. med.

Dietrich Reinhardt) der Ludwig-Maximi- lians-Universität München

rohrdefekten zeigten auffallend nied- rige Folsäuregehalte in der Nahrung und in Blutproben (15). Folsäure ge- hört zur Gruppe der B-Vitamine und spielt eine zentrale Rolle in der Syn- these von DNA, RNA und Amino- säuren. Ausgehend von den genann- ten Hinweisen haben deshalb mehre- re Studien die Frage untersucht, ob eine Folsäuresubstitution bei schwangeren Frauen das Risiko eines Neuralrohrdefektes beim Kind redu- zieren kann.

Vermindertes

Wiederholungsrisiko für Neuralrohrdefekte durch Folsäure

Eine erste, nicht randomisierte Untersuchung wurde von Smithells und Mitarbeitern (16) in Großbritan- nien durchgeführt. Die Autoren un- tersuchten das Wiederholungsrisiko nach mindestens einem Neuralrohr- defekt in vorangegangenen Schwan- gerschaften bei insgesamt 454 Frau- en (davon 48 mit wiederholt aufge- tretenem Neuralrohrdefekt), die spä- testens vier Wochen vor der Konzep- tion mit der täglichen Einnahme ei- nes Multivitaminpräparates mit 0,36

mg Folsäure (Pregnavite Forte F, Beecham Pharmaceuticals) began- nen und diese bis zum zweiten Aus- bleiben der Periode nach der Kon- zeption fortsetzten. Verglichen wur- den die Ergebnisse mit einer Gruppe von 519 Frauen (51 mit wiederholt aufgetretenem Neuralrohrdefekt), die erst nach eingetretener Schwan- gerschaft untersucht wurden und bei denen keine Folsäuresupplementie- rung erfolgte. Die Folsäuregabe be- wirkte bei Frauen mit anamnestisch einmalig aufgetretener Fehlbildung eine signifikante Verminderung der

(2)

Tabelle 1: Einfluß der täglichen Einnahme eines Multivitaminpräparates mit 0,36 mg Folsäure (spätestens ab 4 Wochen vor bis 8 Wochen nach der Konzeption) im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ohne Vitamingabe auf das Wiederholungsrisiko nach zuvor ein- malig oder wiederholt aufgetretenen Neuralrohrdefekten (nach Smithells et al. 1983 [161)

Ein vorheriger Zwei und mehr vorherige Neuralrohrdefekt Neuralrohrdefekte Folsäure Kontrolle Folsäure Kontrolle

Erneute 0,5% 4,2% 2,3% 9,6%

Neural- rohrdefekte

P = 0,0004 nicht signifikant

Untersuchte 406 468 48 51

Schwangere

Tabelle 2: Verminderung des Wiederholungsrisikos für kindliche Neuralrohrdefekte nach randomisiert zugeordneter mütterlicher Einnahme von täglich 4 mg Folsäure im Vergleich zu Präparaten ohne Faktjure (nach MRC Vitamin Study Research Group 1991 [7])

Schwanger- schaften

n

Neuralrohr- defekte

(%)

relatives Risiko (95% Vertrau-

ensbereich) Präparate

ohne Folsäure Präparate mit Folsäure

602

593 6 (1,0) 0,28

(0,12-0,71)

21 (3,5) 1,00

MEDIZIN

Wiederholungsrate auf ein Achtel (Tabelle 1). In der zahlenmäßig klei- nen Gruppe mit zuvor wiederholt aufgetretener Schädigung war ein ähnlicher Trend zu verzeichnen, der jedoch keine statistische Signifikanz erreichte. Spätere Erhebungen der gleichen Autoren in der Region Yorkshire wiesen ebenfalls auf eine präventive Wirkung der perikonzep- tionellen Folsäurezufuhr hin (17).

Diese Ergebnisse erregten zwar Auf- sehen, wurden aber aufgrund der Schwächen des Studienaufbaus ohne randomisierte Zuordnung der Fol- säuregabe zunächst kontrovers disku- tiert, bis sie in späteren randomisier- ten Studien bestätigt werden konn- ten.

Besonders überzeugend ist auf- grund des Studienaufbaus und der großen Zahl untersuchter Schwan- gerschaften die von der Medical Re- search Council (MRC) Vitamin Stu- dy Research Group durchgeführte multizentrische Doppelblindstudie an 33 Kliniken in sieben Ländern (7).

Dabei wurden 1817 Frauen mit auf- getretenem Neuralrohrdefekt in ei- ner früheren Schwangerschaft und erneutem Kinderwunsch nach rando- misierter Zuordnung zu vier Thera- piegruppen mit oder ohne Gabe von 4 mg Folsäure/Tag sowie mit anderen Vitaminen behandelt. Die Supple- mentierung wurde bei Eintreten ei- ner Schwangerschaft bis zur zwölften Woche fortgeführt. Ausgewertet wer- den konnten die Befunde von 1195 Frauen, bei denen es zu einer Schwangerschaft kam. Es zeigte sich, daß das Auftreten von Neuralrohrde- fekten nur durch die Gabe von Fol- säure, nicht aber von anderen Vit-

AKTUELL

aminen beeinflußt wurde. Die Fol- säuresubstitution führte zu einer ein- drucksvollen Verminderung des Wie- derholungsrisikos um 72 Prozent (Tabelle 2).

Bei einer weiteren, in Irland durchgeführten randomisierten Mul- tizenterstudie mit kleinerer Fallzahl wurde ein Multivitaminpräparat mit geringerer Folsäuredosis von 0,36 mg/Tag (Pregnavite Forte F, Beech- am Pharmaceuticals) mit dem glei- chen Präparat ohne Folsäure verglei- chen (5). Wiederum wurden Frauen nach einer Schwangerschaft mit Neu- ralrohrdefekt bei erneutem Kinder- wunsch für die Dauer von acht Wo- chen vor bis acht Wochen nach der Konzeption behandelt. Bei den ein- getretenen Schwangerschaften be- trug die Häufigkeit von Neuralrohr- defekten 1/89 in der randomisierten Kontrollgruppe ohne Folsäure, 3/103

in einer nicht randomisierten Ver- gleichsgruppe ohne Folsäure und 0/172 in der mit Folsäure behandel- ten Gruppe (signifikant nur gegen- über der nicht randomisierten Ver- gleichsgruppe). Anscheinend ist also auch die hier verwandte, im Ver- gleich zur MRC-Studie wesentlich niedrigere Folsäuredosis in gleicher Weise präventiv wirksam. Obwohl vergleichende Dosis-Wirkungs-Stu- dien hinsichtlich der präventiven Ef- fektivität unterschiedlicher Folsäure- dosierungen nicht vorliegen und aus praktischen Erwägungen auch nur schwer durchführbar sind, wird die Schlußfolgerung einer guten Wirk- samkeit der niedrigeren Dosis auch durch vergleichbar gute Ergebnisse einer offenen Präventionsstudie mit täglich 0,36 mg Folsäure in einem Kombinationspräparat gestützt (8).

A-32 (32) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 1/2, 10. Januar 1994

Folsäure vermindert auch

das erstmalige Auftreten

von Neuralrohrdefekten

Die oben dargestellten Studien belegen eine effektive Vorbeugung einer erneuten Mißbildung nach vor- ausgegangener Schwangerschaft mit einem Neuralrohrdefekt. Nur etwa fünf Prozent aller auftretenden Neu- ralrohrdefekte sind aber solche Wie- derholungsschäden. Deshalb ist es für eine präventive Verminderung der Gesamtzahl der Neuralrohrfehl- bildungen bedeutsamer, ob auch des-

(3)

Multivitamine mit Folsäure

10 713 10 (0,09) 0,27

(0,12-0,59)

3 157 keine Vitamine

(Kontrolle)

11 (0,35) 1,00 Tabelle 3: Häufigkeit von Neuralrohrdefekten bei Schwangeren, die in den ersten sechs Schwangerschaftswochen regelmäßig Multivitaminpräparate mit oder ohne Folsäure be- ziehungsweise keine Vitaminpräparate einnahmen (nach Milunsky et al. 1989; [6]).

Schwanger- schaften

n

Neuralrohr- defekte

n (%)

relatives Risiko (95% Vertrau-

ensbereich)

Multivitamine ohne Folsäure

3 (0,32) 0,92

(0,45-1,87) 926

Abbildung: Myelomeningozele bei einem Neugeborenen sen erstmaliges Auftreten durch Fol-

säure beeinflußt werden kann. Un- mittelbare Schlußfolgerungen aus In- ternventionsstudien bei Risikofamili- en auf die Gesamtpopulation ohne vorhergegangene Neuralrohrdefekte sind nicht ohne weiteres zulässig, da es grundsätzlich möglich wäre, daß in der Population von Frauen mit vor- angegangenem Neuralrohrdefekt ge- häuft ein veränderter Folsäuremeta- bolismus mit erhöhtem Bedarf vor- liegt (18a).

Deshalb wurde die Frage nach einer Beziehung zwischen Folsäure- zufuhr und Auftreten von Neural- rohrfehlbildungen in der Bevölke- rung insgesamt in einer umfangrei- chen epidemiologischen Studie durch Milunsky und Mitarbeiter (6) unter- sucht. Die Autoren befragten eine sehr große Zahl von 22 776 Schwan- geren in Neuengland, die zu einer Amniozentese oder zum alpha-Fe- toprotein-Screening kamen, ob, wie oft und welche Vitaminpräparate sie in den ersten sechs Wochen der Schwangerschaft einnahmen. Zur Gruppe der supplementierten Schwangeren wurden diejenigen Frauen gerechnet, die mindestens einmal wöchentlich Vitaminpräpara- te einnahmen, wobei in 87 Prozent eine tägliche Einnahme erhoben wurde. Weniger als zehn Prozent die- ser Schwangeren nahm Vitaminprä- parate ohne Folsäure ein (Tabelle 3).

Frauen ohne regelmäßige Vitamin- suppelementierung wurden der Kon- trollgruppe zugeordnet. Die Häufig- keit von Neuralrohrdefekten war bei regelmäßiger Folsäuregabe in der

Frühschwangerschaft signifikant auf weniger als ein Drittel vermindert (Tabelle 3). Dagegen fanden die Au- toren bei Frauen, die erst nach der sechsten Schwangerschaftswoche Multivitaminpräparate mit Folsäure bekamen, die gleiche Wahrschein- lichkeit für ein Kind mit Neuralrohr- defekt wie bei Frauen, die keine Vit- amine einnahmen (0,32 vs 0,35 Pro- zent).

Des weiteren errechneten die Autoren in einer Gruppe von Schwangeren, die keine Vitaminprä- parate erhielten, die mittlere Folsäu- reaufnahme mit der Nahrung. Es er- gab sich ein Zusammenhang zwi- schen Folsäureversorgung und Prä- valenz von Neuralrohrdefekten, wel- che bei einer durchschnittlichen Fol- säureaufnahme < 0,1 mg/Tag mit 4/551 (0,73 Prozent) etwa doppelt so hoch war wie die Rate von 35/11 393 (0,31 Prozent) bei einer Folsäurezu- fuhr > 0,1 mg/Tag.

Eindeutige Schlußfolgerungen erlauben die Ergebnisse einer kürz- lich publizierten, in Ungarn von Czei- zel et al. (2) durchgeführten doppel- blinden Interventionsstudie bei 4733 Frauen im gebärfähigen Alter ohne vorausgegangene Schwangerschaft mit Neuralrohrdefekt. Nach rando- misierter Zuordnung erhielt eine Gruppe ab mindestens vier Wochen vor bis acht Wochen nach der Kon- zeption täglich ein kombiniertes Mul- tivitamin- und Spurenelementpräpa- rat mit 0,8 mg Folsäure (Elevit Pro- natal, Hoffmann La Roche), wäh- rend die Kontrollgruppe nur Spuren- elemente in gleicher Dosierung er- hielt. In der Kontrollgruppe ent- sprach die Häufigkeit der aufgetrete- nen Neuralrohrdefekte mit 0,26 Pro- zent (Tabelle 4) der in Ungarn insge- samt gefundenen Prävalenz von 0,28 Prozent. Dagegen beobachteten die Untersucher unter der Substitution mit Folsäure bei 2394 Schwanger- schaften keine Neuralrohrdefekte (p = 0,029).

Zeitraum einer präventiv wirksamen Folsäuregabe Von wichtiger praktischer Be- deutung ist die Abgrenzung des Zeit- raumes, in dem eine Wirksamkeit der Supplementierung von Folsäure er- wartet werden kann. Der Schluß des Neuralrohrs erfolgt zwischen dem 22.

und dem 28. Tag der Schwanger- schaft, spätestens zu dieser Zeit soll- ten optimale Gewebespiegel an Fol- säure erreicht sein. In den dargestell- ten Studien wurde die Effektivität ei-

(4)

MEDIZIN

ner Folsäuregabe mit Beginn ab acht bis vier Wochen vor der Konzeption und Dauer bis zum Ausbleiben der zweiten Menstruation, das heißt bis zur achten Woche nachgewiesen.

Diese sollte heute die Grundlage für die zu empfehlende Prävention sein.

Allerdings ist dabei die oft implizier- te Annahme, eine Folsäuregabe erst nach dem Zeitpunkt der Konzeption sei sicherlich ohne Nutzen, nicht gut begründet. In einer kleinen Gruppe von Frauen mit aufgetretenem Neu- ralrohrdefekt in vorausgegangenen Schwangerschaften schien eine Fol- säuresupplementierung mit Beginn nach der Konzeption, aber innerhalb der ersten vier Wochen der Schwan- gerschaft, ebenfalls einen präventi- ven Effekt zu haben (14). Möglicher- weise kann also eine Frau, die zum Beispiel erst durch das Ausbleiben ihrer Periode eine schon eingetrete- ne Schwangerschaft realisiert, durch eine erst dann beginnende Supple- mentierung noch vor dem Neural- rohrverschluß am 22. bis 28. Tag die Plasma- und Gewebespiegel an Fol- säure erhöhen und eine schützende Wirkung erreichen.

Folsäurezufuhr mit Lebensmitteln

Angesichts der eindrucksvollen Befunde der individuellen Folsäure- supplementierung stellt sich die Fra- ge, ob ein vergleichbarer präventiver Effekt auch durch eine erhöhte Fol- säurezufuhr mit Nahrungsmitteln er- reicht werden kann. In den zitierten Studien erfolgte eine Supplementie- rung mit Folsäure (Pteroylglutamin- säure) als der synthetischen Form des Vitamins, die in der Natur nicht vorkommt. Im Gegensatz hierzu sind die in der Nahrung natürlich vorkom- menden Folsäurekonjugate stärker reduziert, haben meist eine zusätzli- che Kohlenstoffgruppe sowie mehre- re durch Peptidbindungen miteinan- der verknüpfte Glutaminsäurereste.

Verglichen mit Folsäure beträgt die Verfügbarkeit der natürlichen Fol- säurekonjugate nicht mehr als 50 Prozent (12). In den USA beträgt nach Ernährungserhebungen auf na- tionaler Basis die mittlere tägliche Zufuhr an Folsäureäquivalenten bei

AKTUELL

Frauen nur 207 lig, wobei eine beson- ders schlechte Zufuhr in unteren so- zialen Schichten beobachtet wurde (19). Auch in Deutschland findet sich nach den Ergebnissen des Ernäh- rungsberichtes der Deutschen Ge- sellschaft für Ernährung relativ häu- fig eine unsichere Bedarfsdeckung für Folsäure.

Eine Erhöhung der durch- schnittlichen Zufuhr mit einer Stei- gerung um etwa 400 [tg bei Frauen im generativen Alter könnte nur durch eine generelle Anreicherung von Le- bensmitteln (beispielsweise Brot und anderen Getreideprodukten) mit Folsäure erreicht werden. Eine wirk- same Anreicherung würde aber auch

Sicherheit der Folsäure- supplementierung in der Schwangerschaft

Bei Frauen unter 50 Jahren ist ein Vitamin-B 12-Mangel extrem sel- ten, so daß dessen Maskierung durch eine Folsäuresubstitution bei Frauen mit Kinderwunsch kein nennenswer- tes Risiko ist. Die Wirksamkeit einer antiepileptischen Therapie mit Phe- nobarbital, Phenytoin oder Primidon kann durch eine Substitution von mehr als 0,5 mg Folsäure/Tag ver- mindert werden (10). Andere Neben- wirkungen der Folsäuregabe sind auch während der Schwangerschaft nicht zu befürchten und in keiner der durchgeführten kontrollierten Studi- en beobachtet worden.

Auch eine Nachuntersuchung von 91 Kindern, deren Mütter peri- partal 0,36 mg/Tag Folsäure erhiel-

dazu führen, daß ein Teil der Bevölke- rung mit überdurchschnittlichem Konsum solcher angereicherter Le- bensmittel Folsäuremengen von etwa 800 bis 1000 µg/Tag aufnähme. Eine solche Zufuhr würde aber mit hoher Wahrscheinlichkeit die hämatologi- schen Symptome einer perniziösen Anämie durch Vitamin-B 12-Mangel kaschieren und damit die Diagnose bei betroffenen Individuen verzögern, wodurch irreversible neurologische Schäden entstehen können. Deshalb besteht überwiegend eine Ablehnung gegen eine generelle Folsäureanrei- cherung von Lebensmitteln als Alter- native zu einer individuellen Supple- mentierung in Tablettenform.

ten, zeigte im Alter von sieben bis zehn Jahren keine nachteiligen Lang- zeitfolgen auf die kindliche Entwick- lung (4).

Schlußfolgerungen

Eine Reihe nicht randomisierter und randomisierter Interventionsstu- dien sowie von Fall-Kontroll- und Populationsstudien zeigt, daß durch eine Folsäuresupplementierung in der Frühschwangerschaft die Häufig- keit embryonaler Neuralrohrdefekte mit der Folge schwerer angeborener Fehlbildungen auf etwa ein Drittel bis ein Viertel vermindert werden kann. Nach der Publikation der be- sonders überzeugenden Interventi- onsstudie des Medical Research Council (7) erstellten die amerikani- schen Centers for Disease Control, orientiert an dieser Studie, eine Tabelle 4: Häufigkeit von erstmals aufgetretenen Neuralrohrdefekten bei Schwangeren, die nach randomisierter Zuordnung von mindestens einem Monat vor der Konzeption bis acht Wochen nach der Konzeption ein Polsäurehaltiges Multivitamin-Spurenelement-Prä- parat oder ein Kontrollpräparat ohne Folsäure erhielten (nach Czeizel und Dudas; 1992 [2]).

Schwanger- Neuralrohr- schaften defekte

Kontrollgruppe n = 2310 n = 6 (0,26%)

Multivitamine n = 2394 n = 0 (0%)

mit Folsäure

(p = 0,026)

A-36 (36) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 1/2, 10. Januar 1994

(5)

Richtlinie für die ärztliche Betreu- ung von Schwangeren (21). Hiernach sollten Frauen mit in einer vorherge- henden Schwangerschaft aufgetrete- nen Neuralrohrfehlbildung täglich 4 mg Folsäure für die Dauer von vier vor bis zwölf Wochen nach der Empfängnis erhalten. Vergleichbare Empfehlungen wurden auch von der amerikanischen Gesellschaft für Päd- iatrie (1a), dem britischen Dept. of Health (13a, 13b), dem niederländi- schen Food and Nutrition Council (8a) sowie dem wissenschaftlichen Lebensmittelausschuß der Europäi- schen Gemeinschaft (9) ausgespro- chen.

In der Zwischenzeit haben sich die Hinweise gemehrt, daß eine nied- rigere Folsäuredosis von etwa 0,4 mg/

Tag wahrscheinlich eine gleiche Risi- kominderung bewirkt. Auch konnte gezeigt werden, daß ein präventiver Nutzen nicht nur für das Wiederho- lungsrisiko, sondern auch für das in etwa 95 Prozent aller Fälle vorliegen- de erstmalige Auftreten eines Neu- ralrohrdefektes besteht.

Es wird deshalb heute empfoh- len, bei allen Frauen mit Kinder- wunsch täglich mindestens 0,4 mg Folsäure zu supplementieren (1a, 9, 13a, 13b). Bei Frauen mit in einer früheren Schwangerschaft bereits aufgetretenem Neuralrohrdefekt er- scheint vorerst eine höhere Dosie- rung von etwa 4 mg Folsäure/Tag rat- sam, bis auch für diese Gruppe von Schwangeren weitere Ergebnisse aus Studien mit niedrigeren Dosierungen vorliegen. Da die Wirksamkeit einer antikonvulsiven Therapie mit Pheno- barbital, Phenytoin oder Primidon bei einer hohen Folsäuredosis ver- mindert werden kann und hierbei bisher noch keine größeren Erfah- rungen vorliegen, sollte bei Schwan- geren mit antiepileptischer Therapie eine Folsäuredosis von mehr als 0,5 mg pro Tag vermieden werden. Bei allen Frauen sollte die Folsäuresup- plementierung möglichst vor der Konzeption beginnen und bis zum Ende der vierten Schwangerschafts- woche (das heißt bis zum Verschluß des Neuralrohres) fortgeführt wer-

den (9). Auch im frühen Stadium ei- ner ungeplanten Schwangerschaft, die erst zum Beispiel durch das Aus- bleiben der Periode bemerkt wird, kann eine Supplementierung von Folsäure für die Dauer der ersten vier Schwangerschaftswochen (das heißt bis zum Schluß des embryonalen Neuralrohres) empfohlen werden, da hierdurch wahrscheinlich auch ein ge- wisser Schutz erreicht wird (9).

Deutsches Ärzteblatt

91 (1994) A-30-37 [Heft 1/2]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über die Verfasser

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Berthold Koletzko Kinderklinik, Klinikum Innenstadt der Ludwig-Maximilians-Universität Pettenkoferstraße 8

80336 München

Prognose

des kolorektalen Adenokarzinoms

Etwa 51 Prozent aller Patienten, bei denen ein kolorektales Adeno- karzinom kurativ entfernt wurde, wa- ren nach sieben Jahren noch am Le- ben. Weitere 25 Prozent starben in- nerhalb dieses Zeitraumes aus ande- ren Gründen, ohne einen Rückfall erlitten zu haben. Diese Zahlen ha- ben sich nicht stark verändert, gleich- gültig ob die Patienten in den Jahren 1968 und 69 operiert wurden oder im Zeitraum von 1980 bis 82. Dies sind die Ergebnisse zweier bevölkerungs- bezogener Studien aus Aberdeen.

Wissenschaftler hatten ab 1978 dort histologische Diagnosen und Operationsberichte von Patienten aus den beiden Jahren vor 1970 re- cherchiert und ihre Krankheitsver- läufe exakt verfolgt. Nur bei drei der insgesamt 406 Patienten dieses Zeit- raums konnten keine aktuellen Infor- mationen erhalten werden. Gleich-

zeitig wurden alle Patienten, die in- nerhalb der nächsten zwei Jahre an einem histologisch gesicherten kolo- rektalen Adenokarzinom operiert wurden, in eine zweite Studiengrup- pe aufgenommen und mindestens sieben Jahre oder bis zu ihrem Tod verfolgt. Verglichen wurden jeweils die Verläufe der Patienten, die in diesen Jahren operiert wurden. Von 1968 und 69 waren dies 385 Patien- ten, von 1980 bis 82 waren es 399. Die Anzahl der Patienten, bei denen ein kurativ angelegter Eingriff durchge- führt werden konnte, erhöhte sich von 56 auf 61 Prozent. Doch Anfang der 80er Jahre stellten sich 40 Pro- zent der Patienten bereits in unheil- barem Zustand in den Kliniken vor.

Keiner davon überlebte den Diagno- sezeitpunkt länger als drei Jahre.

Innerhalb der etwa zehn Jahre, die zwischen der Behandlung der beiden Studiengruppen liegen, konn- ten davon statt 59 Prozent über 80 Prozent palliativ operiert werden.

Waren 1968 noch 67 Prozent der Kranken über 65 Jahre alt, erhöhte sich der Anteil dieser Altersgruppe

1980 auf 71 Prozent. Die perioperati- ve Sterblichkeit sank von neun auf fünf Prozent, was auf Fortschritte in der In- tensivmedizin zurückzuführen ist.

Bei den 25 Prozent der kurativ operierten Patienten, die innerhalb der Studienzeit Rückfälle der Er- krankung erlitten, zeigte sich meist eine disseminierte Metastasierung, vor allem in die Leber, nur zehn Kranke aus der zweiten Gruppe be- kamen Lokalrezidive in den verblie- benen Darmteilen.

Durch ihre Untersuchungen ge- langt man zu der Meinung, daß Überlebenszeiten von Patienten mit kolorektalen Adenokarzinomen we- niger durch eine radikale Operati- onstechnik als durch intensive Vor- sorgemaßnahmen und eine zukünftig vielleicht mögliche adjuvante Radio- und Chemotherapie erreicht werden könnten. silk

Gordon, N. L. M.: A. A. Dawson, et al.:

Outcome in colorectal adenocarcinoma:

two seven year studies of a population.

BMJ No. 307 (1993) 707-710

Prof. P. F. Jones, Polwarth Building, Fo- resterhill, Aberdeen, AB9 2ZD, UK

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