DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT
KONGRESSBERICHT
B
ei dem 7. Arbeitstreffen des „Zürcher Gesprächskreises", das im Oktober 1991 unter Beteili- gung von Prof. G. Bettendorf (Ham- burg, Prof. M. Breckwoldt (Freiburg), Prof. P. J. Keller (Zürich), Prof. H.Kuhl (Frankfurt), Prof. B. Runne- baum (Heidelberg) und Prof. A. T.
Teichmann (Aschaffenburg) statt- fand, wurde das Problem der Substi- tutionstherapie mit Östrogenen und Gestagenen erörtert. Die Diskussio- nen führten schließlich zu folgendem Konsensus:
Neben ihrer essentiellen Bedeu- tung für die Fortpflanzung wirken Sexualhormone regulierend auf psy- chovegetative und zahlreiche Stoff- wechselfunktionen. Nach Ausfall der Ovarialfunktion kann es daher als Folge des Östrogendefizits zu Stö- rungen im Bereich des vegetativen Nervensystems, der psychischen Be- findlichkeit und zu Folgekrankheiten (Osteoporose, kardiovaskuläre Er- krankungen) kommen Jede Frau sollte über die Folgen eines Östro- genmangels aufgeklärt werden.
Eine Substitution mit Östroge- nen und Gestagenen ist aus prophy- laktischen und therapeutischen Er- wägungen anzuraten.
Vegetative Störungen wie Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Schlafstörungen und Tachykardie lassen sich durch eine adäquate Ostrogensubstitution beheben. Da- durch kommt es auch zur Besserung anderer Symptome (zum Beispiel Müdigkeit, Reizbarkeit, Nervosität, depressive Verstimmung).
Atrophische Veränderungen am Urogenitaltrakt und deren Folgeer- scheinungen (zum Beispiel vulvova- ginale Beschwerden, Dyspareunie, Kolpitis, Urethrozystitis) werden durch eine Östrogentherapie günstig beeinflußt.
Östrogene fördern die Durch- blutung und steigern die Synthese von Kollagen und anderen Prote- inen. Dadurch kommt es zu vorteil- haften Auswirkungen auf Haut und Schleimhäute (Mund, Nase, Auge).
Östrogene wirken androgenetischen Erscheinungen (Haarausfall, Sebor- rhoe, Hirsutismus) entgegen. Sie ha- ben günstige Wirkungen auf Muskel und Gelenke; es kommt zur Besse- rung von Myalgien und Arthralgien.
Eine adäquate Substitution ver- hindert zuverlässig den östrogen- mangelbedingten Knochenverlust;
Gestagene verstärken hierbei die günstige Wirkung der Östrogene.
Auch bei manifester Osteoporose haben Östrogene und Gestagene ei- nen therapeutischen Effekt.
Durch ihre Wirkung auf den Fettstoffwechsel verhindern Östro- gene die Atherosklerose. Sie haben durch ihren vasodilatatorischen Ef- fekt günstige Auswirkungen auf das kardiovaskuläre System und die zerebralen Funktionen. Auch bei be- stehenden Herz-Kreislauf-Erkran- kungen (zum Beispiel Angina pecto- ris, Herzinfarkt) ist ein positiver Ein- fluß der Östrogene zu erwarten.
Die zusätzliche Gabe eines Ge- stagens verhindert das Entstehen ei- ner Endometriumhyperplasie und stellt dadurch eine wirksame Prophy- laxe des Endometriumkarzinoms dar. Selbst bei behandeltem Endo- metriumkarzinom ist eine Substituti- on mit einer monophasischen Östro- gen-Gestagen-Kombination möglich.
Auch wenn in einzelnen epide- miologischen Studien ein leicht er- höhtes relatives Risiko beschrieben wurde, gibt es bis heute keinen Be- weis dafür, daß durch eine Östrogen- Gestagen-Therapie das Risiko des Mammakarzinoms erhöht wird. Ein behandeltes Mammakarzinom ist
keine absolute Kontraindikation; re- zeptornegative Fälle können mit Ostrogen-Gestagen-Kombinationen oder mit Gestagenen allein, rezep- torpositive mit Gestagenen oder An- tiöstrogenen behandelt werden. An- dere Neoplasien einschließlich Zer- vix- und Ovarialkarzinom stellen kei- ne Kontraindikation dar. Dies gilt auch für Uterus myomatosus und Endometriose.
Nachteilige Auswirkungen auf die Gesundheit sind von einer ange- messenen Substitutionstherapie mit Östrogenen und Gestagenen nicht zu erwarten. Außer den genannten Einschränkungen beim Mamma- und Endometriumkarzinom gibt es keine Kontraindikationen. Vor allem zu Beginn einer Substitutionsthera- pie kann es zu leichten Nebenwir- kungen wie zum Beispiel Kopf- schmerzen, Brustbeschwerden, Öde- men, unregelmäßigen Blutungen kommen Regelmäßige gynäkologi- sche Untersuchungen vor und wäh- rend der Substitutionstherapie sind notwendig.
Zur Substitutionstherapie sind nur natürliche Östrogene wie Estra- diol und dessen Ester, Estriol und konjugierte Östrogene geeignet.
Estriol hat in der üblichen Dosierung keinen ausreichenden Effekt auf Knochen- und Fettstoffwechsel. Ein prophylaktischer Effekt der trans- dermalen Östrogentherapie auf die Atherosklerose ist bisher nicht er- wiesen. Ethinylestradiol ist wegen seiner starken pharmakologischen Wirkung nicht zur Substitutionsthe- rapie geeignet.
Organ- und Pflanzenextrakte so- wie Sedativa und Tranquilizer kön- nen die Therapie mit Östrogenen und Gestagenen nicht ersetzen.
Bei hysterektomierten Frauen kann auf einen Gestagenzusatz ver- zichtet werden. Einschränkungen hinsichtlich des Lebensalters und der Therapiedauer gibt es für eine Substitutionstherapie nicht.
Prof. Dr. phil. nat. Herbert Kuhl Abteilung für gynäkologische Endokrinologie
Universitäts-Frauenklinik Theodor-Stern-Kai 7
W-6000 Frankfurt am Main 70
Substitutionstherapie mit
Östrogenen und Gestagenen
7. Arbeitstreffen des Zürcher Gesprächsicceises
A1-1028 (68) Dt. Ärztebl. 89, Heft 12, 20. März 1992