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Soliva, R. (2007). Die Zukunft des Schweizer Berggebiets: eine partizipative Nachhaltigkeitsprüfung von Landwirtschafts- und Landschaftsszenarios. GAIA: Ecological Perspectives for Science and Society, 16(2), 122-129. https://doi.org/10.14512/gaia.16.2.1

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Academic year: 2022

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Reto Soliva

Kontakt: Dr. Reto Soliva|Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) |Gruppe Sozialwissenschaft- liche Landschaftsforschung|Zürcherstr. 111|8903 Birmensdorf| Schweiz|Tel.: +41 44 7392353|Fax: +41 44 7392215|

E-Mail: reto.soliva@wsl.ch

Die Zukunft des Schweizer Berggebiets:

Eine partizipative Nachhaltigkeitsprüfung von Landwirtschafts- und Landschaftsszenarios

Die Berglandwirtschaft auf dem Rückzug

In den Schweizer Alpen – wie auch in anderen europäischen Berg- gebieten – ist die Landwirtschaft auf dem Rückzug (Surber et al.

1973, Gellrich et al. 2006). Die Neuausrichtung der Agrarpolitik, die Liberalisierung der Agrarmärkte sowie veränderte wirtschaft- liche Rahmenbedingungen haben zu einer verminderten Attrak- tivität der Landwirtschaft im Vergleich mit anderen Berufen, zu vermehrten Betriebsaufgaben und zu einer Vergrößerung der ver- bleibenden Betriebe geführt. Obschon der landwirtschaftliche Strukturwandel in den Schweizer Alpen im Vergleich zum italieni- schen und französischen Alpenbogen gering ist, werden auch in der Schweiz Grenzertragsböden aus Rentabilitätsmangel vermehrt aufgegeben, verbuschen und werden zu Wald (Gellrich et al. 2006).

Die Nutzung von Gunstflächen wird dagegen teilweise übermäßig intensiviert. Diese Prozesse haben nicht nur Auswirkungen auf die Landschaft und Biodiversität im Berggebiet (Maurer et al. 2006, MacDonald et al. 2000), sondern werfen auch Fragen in bezug auf andere Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung von Berggebie- ten auf: Wie wirkt sich der allmähliche und irreversible Verlust traditioneller Kulturlandschaften auf den Tourismus, aber auch auf die emotionale Verbundenheit der Einheimischen mit ihrem Wohngebiet aus? Führt diese Entwicklung letztlich zu wirtschaft- lichem Niedergang und Abwanderung, oder könnten sich neue Chancen und alternative Entwicklungspfade eröffnen?

Solche Fragen haben in der Schweiz im Zuge der aktuellen Diskussionen um die „Neue Regionalpolitik“ und des Spardrucks der öffentlichen Hand an Brisanz gewonnen. Während bis vor kurzem das in der Bundesverfassung verankerte Grundprinzip der dezentralen Besiedlung sowie die flächendeckende Bewirt- schaftung als unantastbar galten, wird heute diskutiert, ob der Staat einigen besonders abgelegenen Alpentälern mit geringem Entwicklungspotential die finanzielle Unterstützung entziehen und sie als „alpine Brachen“ (Diener et al. 2006) der Natur über- lassen soll. Der ökologische Wert einer „alpinen Verwilderung“

ist indes auch innerhalb des Naturschutzes umstritten: Einerseits wird dadurch eine Wiederherstellung der natürlichen Dynamik The Future of the Swiss Alps: A Participatory

Sustainability Assessment of Agricultural and Landscape Scenarios

GAIA 16/2 (2007): 122 –129

Abstract

In the Swiss Alps, as in other European Alpine regions, agri- cultural decline is leading to land abandonment and natural reforestation, which may have wider implications for a sustain- able development of these areas. A sustainability assessment of three scenarios involving discussions with a local stakeholder group was performed as part of a case study in the Swiss canton of Grisons. The first scenario, called “liberalisation”, assumed withdrawal of all agricultural support. A second scenario, called

“biodiversity”, assumed full replacement of agricultural support by biodiversity payments. These two scenarios were compared with a “trend” scenario, i. e., continuation of current trends.

The liberalisation scenario was found to have the most negative consequences on livelihoods as well as social and environmental aspects, and it was completely rejected by the local stakeholder group. The trend scenario was best received, although it does not substantially contribute to sustainable development. The biodiver- sity scenario was the most controversial scenario, with positive environmental outcomes but negative cultural and social conse- quences. Using scenarios in a participatory sustainability assess- ment was found helpful both as a research technique and for stimulating a debate about the future of European mountain areas.

Keywords

agricultural decline, participation, scenarios, sustainability assessment, Swiss Alps, transdisciplinary

Angesichts des landwirtschaftlichen Strukturwandels fragt es sich, ob man abgelegene Bergtäler einfach verwildern lassen oder vielmehr mit biodiversitätsfördernden Zahlungen unterstützen soll.

Das Beispiel des schweizerischen Bergtals Surses zeigt, wie die lokale Bevölkerung verschiedene Szenarios beurteilt.

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alpiner Ökosysteme begünstigt und Lebensraum für einst aus- gestorbene Großraubtiere wie Wolf, Luchs und Bär geschaffen.

Andererseits führt dies zum Verlust einzigartiger Kulturland- schaften und artenreicher Habitate (Anthelme et al. 2001). In der Schweizer Gesellschaft werden derartige Verwilderungsprozesse kontrovers wahrgenommen (Bauer et al. 2004, Bauer 2005, Geh- ring 2006, Hunziker und Kienast 1999, Hunziker 1995).

Das von der Europäischen Union finanzierte Forschungspro- jekt BioScene1zielte unter anderem darauf ab, die Einstellung der Bevölkerung im Berggebiet gegenüber Extremszenarios – etwa vollständige Liberalisierung der Agrarmärkte oder vollständige Verlagerung der produktionsstützenden Agrarsubventionen auf biodiversitätsfördernde Direktzahlungen – auszuloten. Diese Er- gebnisse sowie die Auswirkungen auf die Biodiversität sind in Soliva und Hunziker (eingereicht) und Bolliger et al. (im Erschei- nen) beschrieben.

Im vorliegenden Artikel soll am Beispiel des schweizerischen Bergtals Surses der Betrachtungswinkel geöffnet werden, indem – im Sinne einer Nachhaltigkeitsprüfung – die Auswirkungen der Szenarios auf breitere Umwelt- und Gesellschaftsbereiche abge- schätzt werden, unter Einbezug der Sichtweisen und Prioritäten der lokalen Bevölkerung. Daraus folgen Handlungsoptionen und Empfehlungen.

Untersuchungsgebiet: Das Surses

Als Untersuchungsregion für das Schweizer Teilprojekt von Bio- Scene wurde die Talschaft Surses (deutsch: Oberhalbstein) im Kan- ton Graubünden ausgewählt (siehe Abbildung).

Das Gebiet liegt auf etwa 1000 bis 3300 Meter über Meer und umfaßt auf 324 Quadratkilometern neun mehrheitlich rätoro- manischsprachige Gemeinden mit 2360 Einwohner(inne)n. Das Surses ist in verschiedener Hinsicht ein „durchschnittliches“

Tal der Schweizer Alpen:

Die Bevölkerungszahl ist in den größeren Orten stabil, in den kleinen, peripheren Gemeinden jedoch rückläufig.

Es liegt an einer wichtigen Durchgangs- straße (Julierpaß), jedoch nicht an einer Haupttransitachse.

Es umfaßt sowohl touristisch intensiv genutzte Flächen (Skigebiet von Savog- nin) als auch vom Tourismus wenig berührte Gemeinden. Obwohl der Tou- rismus eine wichtige Rolle für die re- gionale Wirtschaft spielt, ist die touri- stische Entwicklung nicht mit benach- barten Tourismuszentren wie Davos und St. Moritz vergleichbar.

Tabelle 1 gibt einen Überblick über den demographischen, agrar- strukturellen und touristischen Wandel im Surses.

Die Landwirtschaft – vor allem Milchwirtschaft mit steigen- der Tendenz zur Mutterkuhhaltung für die Fleischproduktion – ist im Surses zwar noch bedeutend, tendenziell aber rückläufig.

Die Waldfläche hat sich im Surses zwischen 1985 und 1997 um acht Prozent ausgedehnt, größtenteils auf Kosten der landwirt- schaftlichen Nutzfläche und der Alpweiden (BFS 1992 und 2001).

Durch den rückläufigen Wintertourismus sieht sich die Region gezwungen, ihre Tourismus- und Entwicklungsstrategie zu über- denken.

Methodologie

Zu Strategischer Umweltprüfung und Nachhaltigkeitsprüfung Die Strategische Umweltprüfung (SUP) findet Anwendung bei projektübergeordneten Strategien, Plänen oder Programmen und dient der Politikberatung. Ein weiteres Instrument der Folgen- abschätzung ist die Nachhaltigkeitsprüfung (Gibson et al. 2005,

>

Lage der Talschaft Surses. © Janine Bolliger ABBILDUNG:

1 BioScene: Scenarios for Reconciling Biodiversity Conservation with Declining Agricultural Use in the Mountain Areas of Europe.

N

0 50 100 Kilometer

Schweiz

Talschaft Surses

1980 2 172 852 50

165 2 111

316 479

Demographischer, agrarstruktureller und touristischer Wandel im Bergtal Surses von 1980 bis 2000. Angesichts der rückläufigen Landwirtschaft und des abnehmenden Wintertourismus muß das Surses eine neue Entwicklungsstrategie suchen.

TABELLE 1:

Quellen AWT (2002) AWT (2002) AWT (2002)

BFS (1980, 1990, 2000) BFS (1980, 1990, 2000)

1979/1980 und 1989/1990: Kur- und Verkehrsverein Savognin, zitiert in Abegg (1991, S. 44); 2000/2001: AWT (2002) Gesamtbevölkerung

Bevölkerung der größten Gemeinde (Savognin) Bevölkerung der kleinsten Gemeinde (Mulegns) Anzahl Landwirtschafts- betriebe

landwirtschaftliche Nutzfläche (ha) Anzahl Übernachtungen (Savognin)

1990 2 258 877 37

134 2 061

298 493

2000 2 360 882 33

107 1906

191 010

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Pope et al. 2004), die im Unterschied zur SUP auch die wirtschaft- liche und soziale Dimension einbezieht. Zwischen SUP und Nach- haltigkeitsprüfung bestehen fließende Übergänge (Arbter und Galla 2006). Bei beiden ist es von großer Bedeutung, die Öffent- lichkeit beziehungsweise die relevanten Stakeholder beizuziehen.

Partizipative Szenario-Analysen wurden in Raumplanung und Landschaftsforschung verschiedentlich angewandt (etwa Penker und Wytrzens 2005, Kirchner-Heßler 2004, Tress und Tress 2003, Palang et al. 2000), sind aber in Nachhaltigkeitsprüfungen und in der Nachhaltigkeitsforschung noch wenig verbreitet. Beispie- le sind das ULYSSES-Projekt (Kasemir et al. 2003) und die Fall- studie Appenzell Außerrhoden der ETH Zürich (Scholz et al. 2002).

Das in der vorliegenden Studie angewandte Vorgehen bei der Nachhaltigkeitsprüfung ist an die Erfordernisse und Fragestel- lungen des Forschungsprojekts angepaßt2und lehnt sich an ei- ne Strategische Umweltprüfung an (vergleiche Therivel 2004).

Partizipation

Zu Beginn des Projekts wurden mittels Experteninterviews und einer Literaturrecherche Entwicklungen, Trends sowie die öko- logische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation im Sur- ses analysiert. Während des ganzen Projekts wurde mit einer lo- kalen „Fokusgruppe“ gearbeitet, die aus zwölf Einwohner(inne)n oder Zweitwohnungsbesitzer(inne)n bestand und die relevanten Stakeholder repräsentieren sollte. Hauptkriterium für ihre Aus- wahl war nicht die Zugehörigkeit etwa zu bestimmten Institutio- nen, sondern die Sichtweise der einzelnen Personen in bezug auf die Thematik. Diese Sichtweisen waren vorgängig mittels halb- strukturierter Interviews ermittelt worden. Die Fokusgruppe wur- de gemäß dem „Theoretischen Sampling“ (Strauss 1991) so zu- sammengestellt, daß sie eine möglichst große Bandbreite von Sichtweisen abdeckte. Von ihren Mitgliedern gingen einige einer landwirtschafts- oder naturbezogenen Tätigkeit nach (etwa Bauer oder Wildhüter), andere waren aus privaten Interessen (etwa Hob- bys) mit Natur und Landschaft verbunden. Neben einzelnen Ver- treter(inne)n von Naturschutzorganisationen und lokalen Behör- den waren die meisten „gewöhnliche“ Bürger(innen).3

Es fanden insgesamt drei Diskussionsrunden mit der Fokus- gruppe statt. Dieser Artikel stützt sich weitgehend auf die zweite und dritte Diskussionsrunde im Dezember 2004 und April 2005, die den Auswirkungen der entwickelten Szenarios auf die Nach- haltigkeitsziele gewidmet waren.

Nachhaltigkeitsziele für das Surses

Für die Nachhaltigkeitsbeurteilung wurden sechs „Anforderun- gen“ an eine nachhaltige Entwicklung berücksichtigt:

Biodiversität,

nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen, ländliche Entwicklung,

soziale Entwicklung,

wirtschaftliche Entwicklung und

institutionelle Kapazität für eine nachhaltige Entwicklung.

Für diese Anforderungen wurden in Zusammenarbeit zwischen Forschenden und Fokusgruppe 20 Nachhaltigkeitsziele für das Surses bestimmt. In Tabelle 4 (S. 127) sind die von den Mitglie- dern der Fokusgruppe in der Diskussionsrunde eingebrachten Nachhaltigkeitsziele kursiv dargestellt; die übrigen Ziele wurden von den Forschenden aufgrund der Literatur und der bisherigen Forschungsergebnisse ergänzt. Die Ziele wurden auf Wider- spruchsfreiheit und Inkompatibilitäten mit nationalen und inter- nationalen Nachhaltigkeitszielen sowie auf mögliche Zielkonflik- te geprüft.4Danach nannten die einzelnen Mitglieder der Fokus- gruppe die drei für sie wichtigsten Ziele.

Die höchste Priorität räumten sie der Förderung des Touris- mus und der Wohnlichkeit im Surses sowie der Pflege und Er- haltung der Schutzwälder ein (vergleiche Tabelle 4). Das ist nicht überraschend, denn diese Ziele haben einen direkten Bezug zur Erhaltung der Besiedlung und zur Sicherung des Lebensunter- halts der Bevölkerung. Deutlich wird, daß die lokale Bevölkerung dem Tourismus höchste Priorität einräumt, wenn auch die Mei- nungen auseinandergehen, ob die Wintertourismus-Infrastruk- tur auszubauen oder der sanfte Sommertourismus zu fördern sei.

Die BioScene-Szenarios

Aufgrund der Fachliteratur und in Zusammenarbeit mit Exper- t(inn)en entstanden – unter Beachtung interner Logik und Kon- sistenz – drei Szenarios, wie sich Landwirtschaft, Landschaft und biologische Vielfalt im Surses bis zum Jahr 2030 entwickeln könn- ten. Zwölf treibende Kräfte von Veränderungen auf der Ebene des einzelnen Landwirtschaftsbetriebs wurden berücksichtigt:

Landwirtschaftseinkommen durch konventionelle Produkte, Landwirtschaftseinkommen durch Nischen- und Label- produkte (inklusive Bio-Produkte),

Landwirtschaftseinkommen durch Naturschutzleistungen, allgemeine Direktzahlungen an die Landwirtschaft, ökologische Direktzahlungen an die Landwirtschaft, Strukturbeihilfen an die Landwirtschaft,

landwirtschaftliche Produktionskosten, regionale Arbeitsmärkte,

Einkommen aus dem Skitourismus, Einkommen aus dem Agrartourismus,

Umweltvorschriften in der Landwirtschaft sowie Raumplanungsvorgaben.

2 Für eine ausführliche Methodenbeschreibung und -diskussion siehe Sheate et al. (im Erscheinen).

3 Für eine Analyse der Stakeholder-Sichtweisen und eine Erläuterung der Stake- holder-Rekrutierung und der Gruppenzusammensetzung siehe Soliva (2007).

4 Wegen des Bottom-up-Ansatzes beziehen sich die lokalen Nachhaltigkeits- ziele nicht explizit auf anerkannte nationale oder regionale Nachhaltigkeits- ziele. Es wurden jedoch keine eindeutigen Widersprüche zu nationalen und internationalen Nachhaltigkeitszielen festgestellt. In Einzelfällen wurde – je nach Lesart des Nachhaltigkeitsziels – die Möglichkeit eines Konflikts zwischen lokalen oder zwischen lokalen und nationalen oder internationa- len Nachhaltigkeitszielen vermutet. Diese Fälle besprach die Fokusgruppe.

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Die angenommenen Auswirkungen der drei Szenarios auf das Landschaftsbild im Surses wurden mittels Fotomanipulationen visualisiert. Diese Visualisierungen beurteilten die Mitglieder der

Fokusgruppe zunächst, ohne daß offengelegt wurde, zu welchem Szenario die einzelnen Fotomontagen gehörten. Tabelle 2 faßt die Szenarios zusammen und gibt je ein Visualisierungsbeispiel.

Die BioScene-Szenarios für das Bergtal Surses. Bei den Abbildungen handelt es sich um Fotomanipulationen, welche die zu erwartenden Auswirkungen der drei Szenarios auf das Landschaftsbild zeigen (Foto und Bildbearbeitung: Stefan Zantop).

TABELLE 2:

Szenario

„Trend“

„Liberalisierung“

„Biodiversität“

visualisierte Landschaftsauswirkungen

… dann

Fortsetzung des landwirt- schaftlichen Strukturwan- dels im heutigen Ausmaß:

mittlere Abnahme der Landwirtschaftsbetriebe größere Betriebe und Parzellen

steigender Anteil der Bio-Betriebe und Öko- Ausgleichsflächen weitere Nutzungs- aufgabe von unrentablen Flächen

starker Rückgang der Landwirtschaftsbetriebe Land wird nur noch in Siedlungsnähe und von wenigen Hobby-Land- wirten und Nischenpro- duzenten bewirtschaftet;

der größte Teil wird auf- gegeben und wächst ein Wälder verwildern, Biotope werden nicht mehr gepflegt

Rückgang der herkömm- lichen Landwirtschafts- betriebe

kleinräumige Land- nutzung

Land wird zum Teil von Naturschutzorganisatio- nen bewirtschaftet wenn …

Aufrechterhaltung der staatlichen Unterstützung an die Landwirtschaft im heutigen Umfang:

leichter Abbau der allge- meinen Direktzahlungen bei gleichzeitiger leichter Erhöhung der ökologi- schen Direktzahlungen leichte Verschärfung der Umweltvorschriften in der Landwirtschaft

vollständiger Abbau der landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Subventionen und Direktzahlungen abnehmendes Umwelt- bewußtsein in der Bevölkerung

Aufhebung von Umwelt- vorschriften in der Land- wirtschaft und von Raum- planungsvorschriften

vollständiger Abbau der landwirtschaftlichen Produktestützung und der allgemeinen Direkt- zahlungen bei gleich- zeitiger starker Erhöhung der ökologischen Direkt- zahlungen und der Naturschutzbeiträge Berglandwirtschaft dient in erster Linie der Förde- rung der Biodiversität im Offenland; Nahrungs- mittelproduktion ist zweitrangig

>

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Nachhaltigkeitsprüfung der Szenarios

Für die Nachhaltigkeitsbeurteilung der Szenarios wurden von den für die Szenarioentwicklung berücksichtigten zwölf treibenden Kräften vier Kräfte ausgewählt, die auf die Entwicklung der Land- wirtschaft, Landschaft und Biodiversität vermutlich den größten Einfluß haben: allgemeine Direktzahlungen an die Landwirtschaft, ökologische Direktzahlungen an die Landwirtschaft, Landwirt- schaftseinkommen durch konventionelle Produkte sowie Umwelt- vorschriften in der Landwirtschaft.5Aus Tabelle 3 geht hervor, wie sich diese treibenden Kräfte in den drei Szenarios verglichen mit der heutigen Situation verändern.

Für jedes der drei Szenarios beurteilten die Forschenden die vier treibenden Kräfte und die dazugehörigen Wirkungsketten dar- aufhin, wie sie sich auf die Nachhaltigkeitsziele auswirken. Die qualitativ aggregierten Wirkungen wurden in einer Matrix zusam- mengefaßt. Die Fokusgruppe diskutierte diese Nachhaltigkeits- prüfung sowie lokale Zielkonflikte, und ihre Sichtweisen wurden in die Wirkungsmatrix integriert (Tabelle 4).

Im folgenden wird die Nachhaltigkeitsprüfung der einzelnen Szenarios kurz kommentiert.

Szenario „Trend“

Das Trend-Szenario hat nur wenige direkte Auswirkungen in be- zug auf die Nachhaltigkeitsziele. Bei einigen Zielen halten sich positive und negative Wirkungen ungefähr die Waage. Die lokale Fokusgruppe war mit der Nachhaltigkeitsbeurteilung des Trend- Szenarios weitgehend einverstanden. Die visuellen Landschafts- auswirkungen beurteilte sie anhand der Fotomanipulationen (Ta- belle 2) im Durchschnitt leicht positiv. Deutlich positiv bewertete sie die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen. Besonders geschätzt in dem Szenario wurden die Kontinuität und Sicherheit, denn die meisten Teilnehmenden an der Fokusgruppe sind mit dem heutigen Zustand ihrer Region größtenteils zufrieden und wünschen sich für die Zukunft keine größeren Veränderungen.

Obwohl dieses Szenario insgesamt am positivsten bewertet wurde, wiesen einige Teilnehmende auf die Gefahr schleichen- der Landschaftsveränderungen durch Zersiedelung und Land- nutzungsaufgabe hin, wenn sich die gegenwärtige Entwicklung

fortsetzt. So wurde der Zweitwohnungsbau als nicht nachhaltig kritisiert, wobei die Fokusgruppe einen Zielkonflikt identifizier- te: Einerseits wird im Sinne einer an den eigenen Traditionen und Werten orientierten Entwicklungsstrategie gefordert, vermehrt mit lokalen Materialien zu bauen und an lokale Bautraditionen angepaßte Bauvorschriften zu erlassen. Andererseits würde da- durch aber das Bauen massiv verteuert, was mit dem Ziel, den Zuzug von Familien zu fördern, in Konflikt stehe.

Obschon die positiven Auswirkungen im Trend-Szenario leicht überwiegen, kann dieses Szenario insgesamt keine nachhaltige Entwicklung versprechen. Insbesondere dürfte sich weder die Bio- diversität deutlich erhöhen, noch lassen sich bedeutende sozio- ökonomische Probleme wie die rückläufige Entwicklung im Tou- rismus lösen. Die Kontinuität und relative Stabilität bilden den- noch einen günstigen Rahmen für Verbesserungsmaßnahmen.

Szenario „Liberalisierung“

Das Liberalisierungs-Szenario wirkt sich direkt oder indirekt auf die meisten Nachhaltigkeitsziele negativ aus, und zwar sowohl aus Sicht der Forschenden als auch aus Sicht der Einwohner(innen).

Die Forschenden stuften die zu erwartende Landnutzungsaufga- be und natürliche Wiederbewaldung im Hinblick auf die von der Fokusgruppe mitbestimmten Biodiversitäts-Nachhaltigkeitsziele – die sich vor allem auf die Agrobiodiversität beziehen – negativ ein. Die Fokusgruppe bewertete die visuellen Landschaftsauswir- kungen dieses Szenarios im Durchschnitt nur leicht negativ, doch schnitt das Szenario in bezug auf die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen sehr schlecht ab. Einige Mitglie- der der Fokusgruppe befürchteten, daß das Tal in diesem Szena- rio beinahe unbewohnbar würde, da es an Arbeitsplätzen und öf- fentlichen Dienstleistungen mangeln würde und das Risiko von Naturgefahren infolge der Landnutzungsaufgabe zunähme.

Die Fokusgruppe war sich einig, daß das Surses in diesem Sze- nario an Attraktivität für Einheimische und Gäste verlöre und daß der starke Rückgang der Landwirtschaft negative Auswirkungen auf Landschaft, Biodiversität, kulturelles Erbe, Tourismus und Gewerbe mit sich brächte. Eine Verwilderung der Region würde bei der lokalen Bevölkerung zu Entfremdung führen; es wäre mit Abwanderung und verstärkter Überalterung der Bevölkerung zu rechnen. Das wirtschaftliche Potential eines alternativen „Wild- nis- und Jagdtourismus“ und die daraus entstehenden Impulse für die Regionalökonomie sind schwierig abzuschätzen, insbe- sondere falls sich weite Teile des Schweizer Berggebiets ähnlich 5 Für eine Übersicht über das Direktzahlungssystem der Schweizer Agrarpolitik

siehe BLW (2006).

Veränderungen der treibenden Kräfte in den drei BioScene-Szenarios für das Bergtal Surses.

TABELLE 3:

Szenario

„Trend“

„Liberalisierung“

„Biodiversität“

treibende Kräfte

Umweltvorschriften in der Landwirtschaft

l j

ökologische Direktzahlungen an die Landwirtschaft

x j

Landwirtschaftseinkommen durch konventionelle Produkte

l l

allgemeine Direktzahlungen an die Landwirtschaft

x x

l j l j

(6)

>

+ +/–

+/–

0 0

+ ? +/–

0 0 +/–

+ 0 0 0 0 + + 0

Nachhaltigkeitsbeurteilung der drei BioScene-Entwicklungszenarios für das schweizerische Bergtal Surses anhand von sechs „Anforderungen“.

Die drei Spalten rechts zeigen die aggregierte Wirkungsmatrix der Szenarios unter Einbezug der Sichtweisen einer lokalen Fokusgruppe („Stakeholder“) (fünfstufige Beurteilungsskala von „+ +“ für stark positive Wirkung über „0“ für keine Wirkung bis „– –“ für stark negative Wirkung; Fragezeichen deuten auf Unsicherheiten in der Beurteilung hin, „+/–“ auf positive und negative Wirkungen in ähnlicher Stärke). Die von der Fokusgruppe eingebrachten Nachhaltig- keitsziele sind kursiv dargestellt, die übrigen Ziele stammen von den Forschenden. „Priorität der Fokusgruppe“ gibt die Anzahl der Mitglieder der Fokusgruppe (n = 10) an, die das jeweilige Nachhaltigkeitsziel als eines der drei wichtigsten erachteten; die drei meistgenannten Ziele sind fett gedruckt.

TABELLE 4:

Anforderungen an eine nachhaltige Entwicklung

Biodiversität

nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen

ländliche Entwicklung

soziale Entwicklung

wirtschaftliche Entwicklung

institutionelle Kapazität für eine nachhaltige Entwicklung

Nachhaltigkeitsziele

verschiedene Nutztierrassen erhalten und nutzen

lebensfähige Bestände von Tier- und Pflanzenarten erhalten, die auf den Rückgang der landwirtschaftlichen Nutzung empfindlich reagieren kleinstrukturiertes Landschaftsmosaik schaffen und erhalten

Restwassermengen in Fließgewässern erhöhen, die für die Stromproduktion genutzt werden

regionale Holzverarbeitung und Nutzung von Energieholz aus der Region fördern Schutzwälder pflegen und erhalten, so daß sie ihre Schutzfunktion auch in Zeiten der Klimaerwärmung erfüllen können

Solidarität und Zusammenarbeit zwischen Tourismus und Landwirtschaft fördern Wohnlichkeit im Surses fördern und Wohnattraktivität besonders für Junge und Familien erhöhen; eine auch zwischen den Gemeinden ausgeglichenere Bevölkerungsentwicklung anstreben

Entwicklungsstrategie verfolgen, die sich an den eigenen Traditionen und Werten orientiert, statt Fremdes nachzuahmen

negative Auswirkungen der Julierstraße (Lärm, Abgase, Unfälle) mildern Maiensäße als typische Landschaftselemente und kulturelles Erbe erhalten biologischen Landbau fördern

landwirtschaftliche Familienbetriebe erhalten rätoromanische Sprache erhalten und fördern

Kreisspital, Schulen und öffentliche Dienstleistungen erhalten wirtschaftlich gesunde und nachhaltige Tourismusentwicklung sichern Kleinbetriebe mit Ausbildungsmöglichkeiten fördern

eigene Produkte besser vermarkten Regionalpark „Parc Ela“ schaffen

Gemeinden fusionieren und/oder bessere Zusammenarbeit zwischen den Dörfern anstreben, etwa durch Arbeitskreise

Priorität der Fokusgruppe

BioScene-Szenarios

entwickeln sollten. Die Mitglieder der Fokusgruppe glauben je- denfalls nicht, daß „Wildnis“ für Besucher(innen) und Urlaube- r(innen) attraktiv sein könnte.

Szenario „Biodiversität“

Das Biodiversitäts-Szenario wurde positiv beurteilt im Hinblick auf die biodiversitätsbezogenen und einige entwicklungsbezoge- ne Nachhaltigkeitsziele. In der Fokusgruppe gab dieses Szenario Anlaß zu Diskussionen. Beispielsweise bezweifelten einige Mit- glieder der Fokusgruppe, daß die in diesem Szenario resultieren- de kleinstrukturierte Kulturlandschaft attraktiv für den Sommer- tourismus sei: Ihres Erachtens wirkt eine Landschaft, die nur des Artenschutzes wegen bewirtschaftet und gepflegt wird, künstlich, und sie meinten, daß auch Gäste, die das Authentische suchen, eine solche Landschaft nicht attraktiv fänden.

Insgesamt beurteilte die Fokusgruppe das Biodiversitäts-Sze- nario ambivalent; es gab deutliche Unterschiede in der Beurtei- lung sowohl in bezug auf verschiedene Aspekte des Szenarios als

auch zwischen den einzelnen Mitgliedern. Während den meisten Teilnehmenden die visuellen Landschaftsauswirkungen dieses Szenarios gefielen – diese wurden positiver bewertet als in den beiden anderen Szenarios –, waren sie skeptisch gegenüber den sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Auswirkungen. Beson- ders mißfiel ihnen die Aussicht, daß das Land teilweise von aus- wärtigen Naturschutzorganisationen bewirtschaftet und gepflegt würde anstatt von einheimischen Bauern. Sie wandten ein, daß Naturschutzorganisationen das Land nicht so gut pflegen könn- ten wie die Bauern und daß die Landnutzungsformen, die zu ei- ner kleinstrukturierten, artenreichen Kulturlandschaft führen wür- den, mit dem gegenwärtigen Agrar- und Naturschutzbudget nicht finanzierbar wären. Weiterhin störte sie die Aussicht, daß gemäß diesem Szenario die landwirtschaftliche Produktion weit weniger bedeutend wäre als der Artenschutz. Schließlich mißfiel ihnen die zunehmende Fremdbestimmung infolge der strengen Um- weltbestimmungen in der Landwirtschaft und der teilweisen Be- wirtschaftung durch (vor allem in den Städten verankerte) Natur-

„Liberali- sierung“

„Bio- diversität“

„Trend“

1 3 0 2 2 4

1 5

1 1 0 1 2 1 3 6 0 0 3 2

– – – – 0 – – – –

– –

0 – – – – – – – ? – ? – – +

+ + + + + + 0 0 0

+ ? +/–

– – 0 + ? + + – – 0 0 + ?

0 + ?

+ 0

(7)

schutzorganisationen. Es wurde deutlich, daß in diesem Szena- rio ein Entwicklungspfad eingeschlagen wird, welcher den in der ländlichen Gesellschaft verankerten Wert der bäuerlichen Selbstbestimmung außer acht läßt.

Folgerungen

Wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeitsziele hatten in der Fokusgruppe Priorität; ökologische Nachhaltigkeitsziele ordneten manche ihrer Mitglieder insofern unter, als sie deren Erreichung eher als Mittel zur Erreichung der wirtschaftlichen Ziele sahen.

Die meisten Mitglieder der Fokusgruppe sähen es am liebsten, wenn die Entwicklung im Surses wie bisher weiterginge, also das Trend-Szenario einträte. Besonders Landwirte und Unternehmer schätzen die Kontinuität und relative Vorhersehbarkeit dieses Sze- narios. Die Teilnehmenden der Fokusgruppe fühlen sich im all- gemeinen wohl im Surses und möchten ihr Tal im jetzigen Zu- stand erhalten. Sie wünschen eine Entwicklung, die an die lokalen Werte und Traditionen anknüpft und auf regionalen Entwicklungs- potentialen aufbaut. Bezüglich der Landwirtschaft ist ein starker Wille zum Festhalten an den traditionellen, Nahrungsmittel pro- duzierenden Familienbetrieben erkennbar.

Die Fokusgruppe merkte an, daß alle Szenarios sowohl posi- tive als auch negative Aspekte enthielten und daß nicht ein be- stimmtes Szenario für das ganze Tal am besten wäre. Es wurde mehrfach darauf hingewiesen, daß den Unterschieden innerhalb der Region Rechnung zu tragen sei. Von den Ergebnissen der Gruppendiskussionen können folgende Strategie- und Hand- lungsoptionen abgeleitet werden:

Eine weitere Ausdehnung der Weidehaltung – insbesondere Schafe und Ziegen – begrüßten einige Mitglieder der Fokus- gruppe als arbeits- und kostensparende Bewirtschaftungsform und als Möglichkeit der Offenlanderhaltung. Allerdings wie- sen sie auch auf mögliche Gefahren und Nachteile einer in- adäquaten Weidenutzung (etwa Erosionsgefahr bei der Schaf- haltung oder Verbiß bei der Ziegenhaltung sowie Rückgang der Diversität von Wiesenblumen) und auf die Notwendigkeit eines den lokalen Verhältnissen angepaßten Weidemanage- ments hin. Während sich die Schafhaltung im Surses steigen- der Beliebtheit erfreut, ortete die Fokusgruppe bei der noch wenig verbreiteten Ziegenhaltung ein Potential im Hinblick auf die Vermarktung von Spezialitäten. Als wünschenswert erachteten sie zudem die Förderung traditioneller Rassen und Sorten, im Surses vor allem des robusten Rätischen Grauviehs.

Es ist anzunehmen, daß auch in anderen Regionen Spezialitä- ten traditioneller Rassen und Sorten bei geschickter Vermark- tung Marktpotential haben (vergleiche Seidl et al. 2003).

Den meisten Mitgliedern der Fokusgruppe ist es ein wichti- ges Anliegen, daß die Direktzahlungen an die Landwirtschaft beibehalten werden.6Allerdings bedauern sie die damit ein- hergehende Abhängigkeit von Bern und nehmen die Bewirt- schaftungsvorgaben mitunter als Fremdbestimmung wahr.

Eine teilweise Regionalisierung der Direktzahlungen, wie etwa

von Baltensweiler und Erdin (2005) gefordert, könnte zu einer besseren Akzeptanz der Landwirtschaftspolitik führen. Aus meiner Sicht erscheint zudem im regionalen Kontext der Vor- schlag von Flury et al. (2004) sinnvoll: Flächenbeiträge sollten dort erhöht werden, wo nur eine extensive Nutzung möglich ist, während sie für intensiv nutzbare Flächen reduziert wer- den sollten. Dies würde die Anreize zur Bewirtschaftung von Grenzertragsböden im Berggebiet steigern. Insbesondere sind die Beiträge für ökologische Ausgleichsflächen zu erhöhen, die im Berggebiet weiter verbreitet sind als im Flachland.

Die Fokusgruppe wünscht sich verstärkte gegenseitige Rück- sichtnahme und Solidarität zwischen Landwirtschaft und Tou- rismus. Allgemein fordert die Schweizerische Arbeitsgemein- schaft für die Berggebiete (SAB 2006) eine bessere Koordina- tion der Landwirtschaftspolitik mit anderen Sektoralpolitiken und raumordnungspolitischen Maßnahmen: So ist es wich- tig, gewisse raumplanerische Hürden für den Agrartouris- mus (etwa das Verbot, in der Landwirtschaftszone Gebäude zu touristischen Zwecken zu erweitern)7abzubauen. Landwir- te in der Fokusgruppe bemerkten jedoch, daß es angesichts der steigenden Arbeitsbelastung auf den Betrieben ohnehin schwierig sei, in den Sommermonaten Gäste aufzunehmen.

Diese Optionen und Empfehlungen gelten primär für das schwei- zerische Berggebiet. Auf Regionen außerhalb der Schweiz ist vor allem der in dieser Studie verwendete Forschungsansatz über- tragbar. Insgesamt hat sich die Verwendung einer partizipativen Szenario-Analyse in einer Nachhaltigkeitsprüfung auf der stra- tegischen Ebene bewährt. Das Wechselspiel von Bottom-up- und Top-down-Vorgehen erwies sich im Kontext dieses Forschungs- projekts als effizient und von den Beteiligten akzeptiert. Es scheint lohnenswert, diese Technik auch im Rahmen eines konkreten po- litischen Vorhabens anzuwenden, wobei die Methodologie anzu- passen und weiterzuentwickeln wäre.

Den genannten Forderungen stehen teilweise entgegengesetz- te Interessen und Notwendigkeiten auf nationaler und internatio- naler Ebene gegenüber, etwa der Spardruck der öffentlichen Hand oder der Druck der Welthandelsorganisation zur Liberalisierung der Agrarmärkte. Letztlich wird die Zukunft des Berggebiets auf diesen höheren Ebenen zu verhandeln sein. Dabei wird die Berg- bevölkerung nicht nur auf die Solidarität der Stimmbürger(innen) und Steuerzahler(innen) im Tiefland und auf deren Interesse an einem dezentral besiedelten und landwirtschaftlich genutzten Berggebiet hoffen dürfen, sondern auch selbst für ihre Anliegen einstehen müssen. Andererseits wird die Bevölkerung des Berg- gebiets gewisse von außen bestimmte Entwicklungen akzeptie-

6 Dieser und der folgende Punkt, die von großer Bedeutung sind für das Surses, betreffen die nationale Ebene: In der Schweiz – als sonst ausgeprägt föderali- stischem Staat – ist die Landwirtschaftspolitik größtenteils Sache des Bundes.

7 Dieses Verbot wird nun zusammen mit anderen raumplanerischen Ein- schränkungen im Zuge der Teilrevision des Raumplanungsgesetzes gemäß Parlamentsbeschluß vom 23. März 2007 gelockert, wobei die Referendums- frist noch bis Juli 2007 läuft.

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ren, Kompromisse eingehen und alternativen Entwicklungspfa- den mit größerer Offenheit als heute begegnen müssen.

Ein Dialog zwischen Berg- und Talgebiet über die Zukunft der Alpen wird zunehmend notwendig. Den Medien kommt diesbe- züglich eine wichtige Rolle zu, doch wird es auch andere Initiati- ven brauchen, um das gegenseitige Verständnis zwischen Berg- und Talbevölkerung zu fördern. Denkbar sind beispielsweise Workshops und Seminare, die von Regionalverbänden, staatlichen und nicht-staatlichen Organisationen, aber auch im Rahmen von partizipativen Forschungsprojekten organisiert werden könnten (Buchecker und Hunziker 2006). Das Projekt BioScene hat einen Schritt in diese Richtung unternommen und Denkanstöße und Illustrationshilfen zu möglichen zukünftigen Entwicklungen in einer Alpenregion geliefert.

Das Schweizer Teilprojekt von BioScene wurde vom Staatssekretariat für Bildung und Forschung finanziert. Herzlicher Dank gebührt den Mitgliedern der Fokus- gruppe, Janine Bolliger, Jonathan Mitchley, Maria Partidário, Bill Sheate, Olivia Bina, Maria Partidário, Priska Baur, Christian Flury, Marcel Hunziker, Irmi Seidl und vier anonymen Gutachter(inne)n.

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Eingegangen am 22. September 2006; überarbeitete Fassung angenommen am 28. März 2007.

Geboren 1972 in Zürich. Studium der Geographie, Ethnologie und Agrarwirtschaft an der Universität Zürich. 2002 Promotion über den Naturschutz in Nepal. Seit 2002 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Birmensdorf bei Zürich. Arbeitsschwerpunkte: sozialwissenschaftliche Landschaftsforschung, ländliche Soziologie, Biodiversität, Projekt BioScene.

Reto Soliva

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