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Archiv "Emotionales Lernen im Medizinstudium" (07.04.1988)

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Academic year: 2022

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DEUTSCHES .11 ÄRZTEBLATT

„Die Studenten erlernen ge- dankliche Schemata (Krankheits- bilder), nach denen Krankheitszei- chen (Symptome) erfaßt und für diagnostische Zwecke eingeordnet werden . . . Sie haben aber kaum Gelegenheit, gedankliche Schemata zu erwerben und einzuüben, mit deren Hilfe sie lernen, auch ihre Gefühle bei der Begegnung mit kranken Menschen zu registrieren und als Reaktionen auf Gedanken, Wünsche, Gefühle und Motivatio- nen dieser Menschen zu deuten und zu ordnen" (1).

W

ir haben uns die Frage gestellt, wie Studenten die Fähigkeit erhalten und erwerben können, mit den eigenen Emotionen umzu- gehen und „Empathie" zu entwik- keln, das heißt „das gefühlsmäßige Erfassen anderer Menschen" (1) zu lernen.

An den Universitäten kommen in der Routine des klinischen Unter- richtes diese Emotionen nur sehr selten zur Sprache, obwohl im Medi- zinstudium gerade zu Beginn immer wieder Ängste aktualisiert werden, die zu einer starken Beunruhigung führen:

Im Präpariersaal,im Sektions- kurs, in Onkologie und Chirurgie werden die Studenten mit Krank- heit, Tod und Entstellung konfron- tiert, aber nur selten werden Mög- lichkeiten zur affektiven Bewälti- gung und Auseinandersetzung mit dem Patienten und seiner Krankheit sowie der Betroffenheit des Lernen- den angeboten. Die traditionelle Ausbildung fördert und prägt häufig eher die Leitvorstellung vieler Stu- denten, daß Gefühle wie Angst vor Krankheit und Entstellung, Mitleid,

Ekel, Hilflosigkeit, Abwehr und Schwäche nicht zum vermeintlich professionellen Arztbild gehören und somit nicht artikuliert werden dürfen. Irrationale Abwehrmecha- nismen („Medizinerwitz") und indi- viduelle Angstverarbeitungsstrate- gien verhindern es, sich seinen eige- nen Gefühlen zu stellen und behin- dern eine erlebnisverarbeitende Be- wältigung.

Der Untersuchungskurs Derma- tologie im ersten klinischen Seme- ster beginnt mit einem Propädeuti- kum. Vor der Vermittlung klinisch- morphologischer Lerninhalte wer- den die Studenten in Göttingen in einer eigenen Lehrveranstaltung er- mutigt, Gefühle bei sich wahrzuneh- men, die durch Bilder von Patienten mit Hautkrankheiten ausgelöst wer- den, denn es gilt für das Erleben von Studenten und Patienten, was Sack 1926 ausdrückte:

„Kein Mensch erlebt seine Haut als das Schichtensystem, das wir im histologischen Querschnitt kennenlernen, sondern je nach Konstellation bald als Angriffsort der verschiedensten sensiblen Rei- ze, wie Kälte und Wärme, Schmer- zen, Brennen und Jucken, sexueller Lustgefühle, idiosynkrasischer Un- lustgefühle und aller Qualitäten des

Tastsinns; bald ästhetisch-kritisch als schön oder unschön, rein oder unrein, blaß, rot, welk, frisch, weich, rauh; bald wieder mehr be- grifflich als Grenzfläche der eige- nen Körperlichkeit gegen die Um- welt, bald als Schutz, bald als Man- gel" (2).

Therapeutische und diagnosti- sche Anmerkungen werden in unse-

*) Thure von lieslehn zum 80. Geburtstag am 15. März 1988

rem Gespräch ausdrücklich zurück- gestellt. Erfahrungsgemäß nehmen an dieser Diskussion etwa ein Drittel von etwa hundert anwesenden Stu- denten aktiv teil. Die übrigen zeigen überwiegend aktiv zuhörend teilneh- mende Aufmerksamkeit.

Eine entscheidende Bedeutung für den Verlauf der Diskussion ha- ben die Äußerungen von besonders tabuisierten Gefühlen, vor allem von Ekel. Die entlastende Erfah- rung, daß auch Kommilitonen ähn- lich empfinden und daß die eigenen Emotionen berechtigt sind, wird in einer zunächst sehr zögernd begin- nenden Diskussion, die trotz des großen Plenums im Verlauf immer intensiver und persönlicher wird, deutlich spürbar. Sie findet häufig auch in spontan angeregten Gesprä- chen nach der Lehrveranstaltung ih- re Fortsetzung.

Die Einsicht, daß Unsicherheit, Ekel und Angst neben dem Bedürf- nis nach sachlicher Information legi- time Reaktionen sind, ist eine be- stimmende Voraussetzung für den Ablauf der ersten Gespräche von Studenten mit Patienten während des Untersuchungskurses.

Die erhebliche Schwellenangst und Verhaltensunsicherheit, gerade im Umgang mit Patienten mit schweren entstellenden Hautverän- derungen, behindert den Studenten im Kontakt und im Zugang zum Pa- tienten und erschwert eine konstruk- tive Anamneseerhebung Klinische Diagnostik, wie sie üblicherweise in Einführungskursen gelehrt wird, kann deshalb nur ein notwendiger, aber keinesfalls ausreichender Teil eines Untersuchungskurses sein.

In der gemeinsamen Diskussion mit den Studenten werden grundle- gende Probleme der Interaktion mit Patienten während der Anamnese angesprochen und Ansätze zu Lö- sungsmöglichkeiten gesucht:

• Darf ich einem entstellten Patienten meine Betroffenheit zei- gen?

• Ist es besser, eigene Gefühle zu verdrängen und sich ausschließ-

Klaus Bosse, Marie-Luise Wagner

Emotionales Lernen im Medizinstudium

am Beispiel eines dermatologischen Propädeutikums*)

I Interaktion mit Patienten

A-924 (24) Dt. Ärztebl. 85, Heft 14, 7. April 1988

(2)

lich auf das somatische Krankheits- bild zu konzentrieren?

• Welche Rolle spielen Mitleid oder besondere Zuwendung?

Wir versuchen, uns in die Situa- tion des Patienten einzufühlen:

• Wie wirkt sich die Krankheit auf das Selbstbild des Patienten aus?

• Welche Reaktionen sind vor- stellbar (Trauer, Angst, Scham, Rückzug, Depression, Resignation, Einsamkeit, Mißtrauen)?

• Wie würde ich selbst mit so einer Krankheit umgehen?

Fragen zur psychosozialen Si- tuation des Patienten konzentrieren sich auf die Reaktion der „hautge- sunden" Umgebung:

• Erschwert die Angst vor An- steckung soziale Kontakte von chro- nisch hautkranken Patienten?

• Welche Auswirkungen erge- ben sich für Sexualität und Partner- schaft?

• Welche beruflichen Konse- quenzen ergeben sich?

• Sind Unterstellungen denk- bar (Unsauberkeit, Strafe, Schuld)?

Wir sind uns bewußt, daß eine solche Diskussion nur ein be- schränkter Ansatz für einen Lern- prozeß sein kann, der das Ziel hat

„bewußt den Innenstandpunkt des Patienten und der Umwelt nachzu- vollziehen" (3) und seine eigenen subjektiven Normen und Gefühle als künftiger Arzt zu reflektieren.

Die Erfahrungen bei Anamne- segruppen mit themenbezogenem Selbsterfahrungscharakter (4) bei studentischen Balintgruppen (5, 6) und bei Studentengruppen mit emo- tionalen Lernzielen (7, 8) zeigen, daß neben kognitiven auch affektive Lernziele in der Ausbildung von Medizinstudenten erreicht werden können.

Die Vorteile intensiver Klein- gruppenarbeit sind unübersehbar, jedoch läßt sich diese Unterrichts- form bei hohen Studentenzahlen oft nicht realisieren.

Wir möchten aufzeigen, daß auch in großen Unterrichtsveranstal- tungen Fragen angesprochen und diskutiert werden können, die in der studentischen Ausbildung bisher ausgeklammert werden, weil ihre Bedeutung für die künftigen jungen Ärzte bisher oft nicht erkannt wird.

Die emotionalen Prägungen, ge- rade in einer frühen Phase der Aus- bildung, bestimmen auch das spä- tere Verhalten als Arzt und Thera- peut. Die Bearbeitung eigener Äng- ste ist die Basis für ein tragfähiges Arbeitsbündnis zwischen Arzt und Patient. Auch in der somatischen Behandlung beeinflussen Einstel- lung und Erwartungshaltung bei Arzt und Patient Therapie, Com- pliance und die affektive Bewälti- gung der Krankheit. Das Verstehen und Annehmen der Gefühle des Pa- tienten setzt die Reflektion der eige- nen Emotionen voraus.

Die studentischen Rückmeldun- gen nach der Lehrveranstaltung ma- chen in ungewöhnlicher Eindring- lichkeit und Häufigkeit das Bedürf- nis und die Fähigkeit des Studenten zum emotionalen Lernen in der kli- nischen Ausbildung deutlich.

Es besteht die Bereitschaft,

• mehr sehen, mehr hören, mehr fühlen und verstehen zu ler- nen, als im konventionell deskriptiv- morphologischen oder funktionell orientierten Unterricht angeboten wird.

Diese Offenheit soll gefördert werden.

Literatur

(1) v. Uexküll, Th., Einleitung zu: Psy- chosomatische Medizin. Herausgegeben von Adler, R. et al., 3. Aufl.3 Aufl München — Wien , - Baltimore 1986. (2) Sack, W. Th.: Die Haut als Ausdrucksorgan. Arch Denn Syph 151:

200-206, 1926. (3) Hünecke, P., Bosse, K.:

Entstellung — Erleben und Verarbeitung der äu- ßeren Erscheinung. In Whitlock, F. A.: Psycho- physiologische Aspekte bei Hautkrankheiten.

Ubersetzt und herausgegeben von Bosse, K., Hünecke, P., Erlangen 1980. (4) Schüffel, W.:

Die Ausbildung zum Arzt. In v. Uexküll, Th.:

Psychosomatische Medizin; a. 0. a. 0.

(5) Wolff, H.: Influencing Students' Attitudes towards the Emotional Aspects of Iliness. J Psy- chosom Res 11: 87-93, 1967. (6) Balint, M., Ball, D. H., Hare, M. L.: Unterrichtung von Medizinstudenten in patientenzentrierter Medi- zin. Psyche 35: 533-546, 1969. (7) Kahn, E., Lass, S., Hartley, R., Kornreich, H. K.: Affec- tive Learning in Medical Education. J Med Educ 56: 646-652, 1981. (8) Werner, A., Schneider, J. M.: Teaching Medical Students Interactional Skills. N Engl J Med 290:

1232-1237, 1974.

Anschrift der Verfasser:

Prof. Dr. Dr. Klaus Bosse Marie-Luise Wagner Universitäts-Hautklinik von-Siebold-Str. 3 3400 Göttingen

Katholische Stimme zur Familienplanung

„Nur die natürlichen Methoden der Erfahrung und der Selbstbeob- achtung sind in der Familienplanung moralisch akzeptabel." Darauf hat die katholische Bischofskonferenz von Rwanda in einer Stellungnahme zu den in Rwanda laufenden Famili- enplanungskampagnen mit Nach- druck hingewiesen.

In seinem Bericht „Familienpla- nung in Rwanda" (Heft 40; 1. Okto- ber 1987) hatte Dr. med. Peter Weis diese Kampagnen beschrieben und dabei die Haltung der katholischen Kirche zum Problem der Familien- planung kritisch beleuchtet. Um die Haltung der katholischen Kirche Rwandas in diesem Zusammenhang klarzustellen, hat die Zentralstelle Weltkirche der Deutschen Bischofs- konferenz jetzt an die bereits 1985 entstandene Stellungnahme der ruandischen Bischöfe erinnert.

Danach wird das Bestreben der ruandischen Regierung, Lösungen für das Problem der Bevölkerungs- zunahme zu suchen, von der Kirche zwar als rechtmäßig anerkannt. Ne- ben dem Aspekt der Familienpla- nung sei aber auch wichtig, „die Be- völkerung zu einer rechten Beherr- schung der Sexualität zu führen, für die Entfaltung der Familien zu ar- beiten und soziale und politische Re- formen zu planen". Der ruandische Episkopat weist außerdem auf eine Empfehlung des Vatikans hin: „Die Bevölkerungspolitik darf die Men- schen weder unter Gesichtspunkten der Bevölkerungszahl oder der wirt- schaftlichen Situation, noch auf- grund von irgendwelchen vorgefaß- ten politischen Meinungen betrach- ten."

Die ruandische Kirche betreibt eine spezialisierte Familienaktion mit dem Ziel, Paare auf das Sakra- ment der Ehe und auf das Familien- leben vorzubereiten. Für die katho- lische Kirche Rwandas sind nur na- türliche Methoden der Empfängnis- verhütung moralisch akzeptabel.

Der Episkopat empfiehlt jedoch

„Hochachtung vor jenen, die eine andere Überzeugung haben". öck Dt. Ärztebl. 85, Heft 14, 7. April 1988 (25) A-925

Referenzen

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