ie in der großen Politik geht es in der Laborszene zu: kaum eine Woche ohne neuen Wirbel. Nachdem der Augs- burger Laborarzt Dr. med. Bernd Schottdorf vier Tage hinter Gittern gesessen hatte, traf es kürzlich ein weiteres Großlabor, das bundesweit rund 6 000 Praxen zu seinen Kunden zählt: Nach einer Razzia bei der Firma Bioscientia in Ingelheim/Rhein nahm die Polizei nicht nur 1 500 aktengefüll- te Kisten, sondern auch die beiden Geschäftsführer Dr. Stefan Kapp und Professor Dr. Bernd Heicke mit. Die beiden landeten in Untersuchungs- haft und kamen erst zwei Wochen spä- ter wieder auf freien Fuß – gegen eine Kaution von sechs Millionen DM.
Dass sie wesentlich länger als Schott- dorf in Untersuchungshaft waren, be- gründet die Bioscientia mit Geldpro- blemen: Erst als der weitere Familien- kreis genügend Geld beigeschafft und sogar die Belegschaft des Laborinsti- tuts mit Spenden ausgeholfen hatten, konnten die beiden Laborärzte die Haftanstalt wieder verlassen.
Vorwurf der Staatsanwaltschaft im Fall des Laborkonglomerats Bio- scientia: Die beteiligten Laborärzte hätten die Transportnummer 7103 ab- gerechnet, obwohl sie dazu gar nicht berechtigt waren. Inzwischen wirft der Mainzer Oberstaatsanwalt Klaus Puderbach den Bioscientia-Laborato- rien noch mehr vor: Bei ihnen sollen angestellte Laborärzte Leistungen ge- genüber der KV abgerechnet haben, obwohl sie als Angestellte dazu gar nicht befugt waren. Ein ganz ähnli- cher Vorwurf hat auch die Ermittlun- gen gegen Dr. med. Bernd Schottdorf ausgelöst.
Dessen Fall hat inzwischen das bayerische Sozialministerium be- schäftigt, das dem Gesundheitsaus- schuss des Landtages über den Fall Schottdorf und Aufsichtspflichten des
Ministeriums gegenüber der Kas- senärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) berichten musste. Dabei woll- te sich das Ministerium allerdings nicht so recht auf Schottdorf ein- schießen – denn mit einer derart ver- engten Sichtweise, so Ministerialdiri- gent Maximilian Gaßner am 2. März in München, verliere man die struktu- rellen Probleme aus den Augen. Die sieht das Ministerium nicht nur in Koppelgeschäften zwischen OI/II- und OIII-Leistungen, sondern auch bei der Qualität, der Anforderung an die Freiberuflichkeit und damit auch der zunehmenden Indu-
strialisierung der Labor- medizin.
Ganz offensichtlich will das Sozialministeri- um Schottdorf nicht all- zu hart anfassen, denn immerhin hat man ihm ja auch einiges zu verdan- ken, wie Gaßner betont:
„. . . Fakt ist nun einmal, dass eine der treibenden Kräfte bei den jüngsten Ermittlungen im Labor- bereich – und zwar nicht nur auf bayerischer Ebe- ne – Herr Dr. Schottdorf
gewesen ist.“ Dadurch seien immerhin dreiste Betrügereien aufgedeckt wor- den. Letztlich profitieren auch Bay- erns Vertragsärzte vom Rundum- schlag, den Schottdorf 1997 führte:
13 Millionen DM Honorar sind als Folge der Laborprüfungen wieder an die KVB zurückgeflossen und können nun an die Vertragsärzte verteilt wer- den, wie die KV Bayerns jetzt mitteilt.
Weitere Rückforderungen über rund 32 Millionen DM stehen noch im Raum – unter anderem auch gegen Schottdorf, der seinerzeit die Lawine losgetreten hatte.
Weil Schottdorf 1997 als Prüfarzt der KV Bayerns tätig geworden ist,
kam die KV inzwischen ins Visier des Datenschutzbeauftragten: Sie habe den Augsburger Laborarzt damals zu freigiebig mit den Praxisdaten seiner bayerischen Konkurrenten versorgt.
Das kam nicht unvermittelt, denn das Thema Datenschutz wurde von der Fürther Anwaltskanzlei Preißler, Ohl- mann und Partner angeheizt – die Kanzlei vertritt einige der unter Be- trugsverdacht geratenen Schottdorf- Konkurrenten.
Für die Entscheidung der KVB, Schottdorf als Sachverständigen her- anzuziehen, bringt das Sozialministe- rium allerdings Verständnis auf: Er selbst habe etliche renommierte La- borärzte bewegen wollen, als Prüfer bei der KVB aktiv zu werden, so Gaß- ner. Sie hätten das aber immer aus Furcht vor Repressalien abgelehnt.
Dass dann Schottdorf einsprang, ist aus der Sicht des Ministerialbeamten nicht zu beanstanden – es sei notwen- dig, Betrüger zu verfolgen, auch wenn dazu vorübergehend das Spezialwissen eines Herrn Schottdorf herangezogen werden müsse.
Dessen besonderer Sachverstand ist dem Sozialministerium be- kannt – und zwar nicht erst seit seiner Verhaf- tung: Bereits 1986 hatte Schottdorf das Ministe- rium aufgefordert, ge- gen Koppelgeschäfte im Labor vorzugehen und der bayerischen KV auf die Füße zu treten, weil sie nichts gegen diese Umtriebe unternimmt.
Allerdings war Schottdorf zu dieser Zeit wegen solcher Vorwürfe vor Ge- richt gestanden – er wurde aber nicht verurteilt.
Dass der Laborarzt später dann in der KVB saß, mag das Ministerium von größeren aufsichtsrechtlichen Aktivitäten abgehalten haben. Viel- leicht lag es aber auch an der seltsa- men Gemengelage, in der inzwischen jeder jedem ans Schienbein tritt. Im- merhin gibt der bayerische Ministeri- aldirigent Gaßner zu, dass er „in der Tat nicht immer unterscheiden konn- te und kann, wer der nützliche Idiot und der verstrickte Manipulateur ist“. Dr. med. Bernd Wiedemann A-670 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 11, 17. März 2000
P O L I T I K AKTUELL
Laborärzte
Seltsame Gemengelage
Neben Schottdorf gerät auch
Bioscientia ins Blickfeld der Ermittler.
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Bayerische Staatsministerin Bar- bara Stamm Foto: Archiv