A 96 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 112|
Heft 3|
16. Januar 2015N
ahezu 1500 Jahre lehrte und praktizierte man Medizin nach dem System des griechischen Arztes Galen. In der Mitte des 16.Jahrhunderts gerät dieses System ins Wanken: 1543 veröffentlicht Andreas Vesal seine sieben Bücher über den „Bau des menschlichen Körpers“, zehn Jahre später be- schreibt der Spanier Miguel Serve- to den Lungenkreislauf. An der Schwelle zur neuzeitlichen Medizin erweist Felix Platter sich als exakter Beobachter und universal interes- sierter, herausragender Kliniker.
Geboren 1536 in Basel, studiert Platter in Montpellier Medizin.
Dem Beispiel Vesals folgend, geht er nachts mit seinen Kommilitonen auf den Friedhof, um sich eine Lei- che zu besorgen. Durch Sektionen gewinnt er früh eine Vorstellung vom Bau des menschlichen Kör- pers. In Paris geht der junge Arzt scholastischen Streitereien aus dem Weg, beobachtet stattdessen selbst und traut seinem Urteil. Zurück in Basel, argumentiert er bei seiner Promotion 1557 „ex Fernelio“, dem damals modernsten Lehrbuch der Pathologie.
Statt Krankheiten in der Reihen- folge vom Kopf bis zu den Füßen
zu beschreiben, versucht er, von der Organläsion über das dazu passen- de Symptom zur Diagnose zu ge- langen. Man beruft Platter auf den Lehrstuhl für praktische Medizin und ernennt ihn zum Stadtarzt.
1583 erscheint sein erstes Werk zur Anatomie und Physiologie des Menschen. Darin identifiziert er un- ter anderem die Netzhaut als Licht empfangend und die Linse als Licht brechenden Apparat, als „Brillen- glas für den Sehnerv“.
Der Glaube an Dämonen als Ursache von Krankheiten
Mit seiner Beschreibung der Geis- teskrankheiten überwindet Platter einerseits die magische Welt des Mittelalters, andererseits schließt er das Dämonische, etwa im Unter- schied zu seinem skeptischen Zeit- genossen Michel de Montaigne, als Erklärung nicht völlig aus. Der sieht bei einer exorzistischen Proze- dur den Betreffenden „eher melan- cholisch und etwas außer sich (...) als gerade vom Teufel geplagt“.Womöglich zeigt sich hier auch der Einfluss des Vaters Thomas Platter, der zeitlebens daran festhält, dass nicht erklärbare Kräfte auf die Menschen einwirken. Zudem ist in
der zweiten Hälfte des 16. Jahrhun- derts der Glaube an Dämonen als Ursache von Krankheiten noch ver- breitet. So wäre es wohl als unrea- listisch erschienen, wenn Platter die Möglichkeit einer Besessenheit grundsätzlich verneint hätte. (H.M.
Koelbing)
Platters „Observationes“ ver- deutlichen den Inhalt seines Lehr- buchs „Praxis medica“ kasuistisch.
Zudem finden sich hier gerichts - medizinische Schilderungen. Dabei bekennt Platter offen, was er nicht weiß. Neben den Krankheiten be- schreibt er sehr lebendig Eigen- schaften und Lebensumstände sei- ner Patienten. So heißt es vom Mit- bürger Hirzel, dass er „nackt im Ba- de (...) das Staunen aller, die ihn sahen“ erregte: ,Er war von so mäch- tigem Körper, dass seine Brüste diejenigen einer dicken stillenden Frau übertrafen.ʻ“ Die Armen der Stadt behandelt Platter unentgelt- lich. Zu einem der reichsten Män- ner Basels wird er, weil ihn wohlha- bende Leute von überall her konsul- tieren. Fünf Pestepidemien erlebt Platter in Basel. In seinem letzten Lebensjahr erfasst er als erster den Verlauf der Seuche statistisch.
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Christof Goddemeier LITERATUR
Tröhler U (Hg.): Felix Platter in seiner Zeit.
Basel 1991
K U L T U R
Illustration: Elke Steiner
FELIX PLATTER
Ein exakter Beobachter
Vor 400 Jahren starb der Medizinprofessor, Stadtarzt, Anatom und Statistiker.