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Für den Abfall produziert

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Academic year: 2022

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L E B E N S M I T T E L

15 Jonas Ingold, LID

jonas.ingold@lid.ch

Der Verlust und die Verschwendung von Lebensmitteln sind ein globales Phänomen. Allerdings eines mit sehr unterschiedlichen Ausprägungen. In Entwicklungslän- dern geht der grösste Teil der Nahrung in den frühen Stadien der Wertschöpfungskette, bei der Produktion oder der Lagerung der Ware verloren. Anders die Situati- on in den reichen Staaten, vorwiegend der nördlichen Erdhalbkugel: Dort landen die Nahrungsmittel im Müll, weil sie den Ansprüchen der Konsumenten oder der Le- bensmittelindustrie nicht genügen. Direkt beim Bauern, wenn die Kartoffeln zu gross sind, im Detailhandel, wenn etwas leicht beschädigt ist. Und beim Konsumenten, wenn sich das Joghurt dem Verfallsdatum gefährlich nä- hert. Diese werfen in Industrieländern mit geschätzten 222 Mio. Tonnen pro Jahr beinahe so viele Lebensmittel weg, wie im gesamten subsaharischen Afrika produziert werden.

Konsumenten als Hauptschuldige

Auf einen Drittel aller produzierten Nahrungsmittel wird die Menge an Essen eingeschätzt, die irgendwo in der Wertschöpfungskette verloren geht. Die Hälfte davon

verschwindet in Industrieländern erst kurz vor dem ei- gentlichen Ziel, dem Teller, nämlich beim Konsumenten.

Und diese Menge landet fast unweigerlich im Abfall.

Markus Hurschler von foodwaste.ch, einer Onlineplatt- form, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Lebensmittelabfäl- le zu verringern, konstatiert in den letzten Jahrzehnten einen veränderten Umgang mit Lebensmitteln hin zu weniger Wertschätzung. «Nahrungsmittel sind die Grundlage unseres Lebens. Dass wir heute so grosse Mengen verschwenden, ist unhaltbar», so Hurschler. «Es geht dabei um globale Ernährungssicherheit und nach- haltige Nutzung knapper Ressourcen, aber gleichzeitig auch um unser eigenes Konsumverhalten und dessen Anpassung an globale Entwicklungen.»

Dass für den grössten Teil der Verluste in wohlhaben- den Ländern die Verbraucher verantwortlich sind, hat verschiedene Gründe. So fehlt aufgrund der beruflichen Situation oft die Zeit oder Lust für eine genaue Haus- haltsplanung, was dazu führt, das eher zu viel gekauft wird und Produkte im Kühlschrank stehen bleiben, bis sie nicht mehr konsumiert werden können. Auch das Zubereiten von Resten erfolgt nicht mehr im selben Mas- se wie früher. «Das Problem in den Haushalten ist, dass die grossen Mengen an Abfällen durch viele kleine Hand- lungen entstehen. Diese kleinen, regelmässigen Mengen an Abfall spürt man nicht im Budget», erklärt Hurschler.

Für den Abfall produziert

Ein Drittel der weltweit produzierten Lebensmittel wird nie gegessen. Während in

Entwicklungsländern der grösste Teil in frühen Wertschöpfungsstufen verloren geht, sind es

hierzulande die Konsumenten, die für die Verluste hauptverantwortlich sind.

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Food Losses und Food Waste (Nahrungsmittel- verlust und -verschwendung)

Als Lebensmittelverluste werden jene Produkte bezeich- net, die zwar zum Zwecke der Nahrungsmittelgewin- nung angebaut, aber nie verzehrt wurden, weil sie ir- gendwo in derWertschöpfungskette verloren gingen. Da- bei wird nicht zwischenWaren unterschieden, die im Ab- fall landen oder die anderweitig, etwa als Tierfutter oder zur Biogasproduktion verwendet werden. Nicht einge- schlossen im Begriff sind Produkte, die zwar als Lebens- mittel gebraucht werden könnten, aber explizit zu einem anderen Zweck angebaut wurden, wie zum Beispiel zur Herstellung von Agrotreibstoffen.

Perfekte Form und Farbe

Doch auch in der Wertschöpfungskette, von der land- wirtschaftlichen Produktion bis hin zum Detailhandel, kommt es zu namhaften Verlusten. Grund für diese Verluste sind meist genaue Vorgaben der Abnehmer in Bezug auf Form, Grösse oder Aussehen von Produkten, etwa von Karotten oder Kartoffeln. Was nicht ins Raster passt – zu krumm, zu gross, zu farblos ist – muss weg. Die- se Produkte landen aber oft nicht im Müll, sondern in Biogasanlagen oder die Bauern verwenden sie als Tier- futter.

Ob die Konsumenten wirklich nur Ware in perfekter Form bevorzugen, wie es der Detailhandel sagt, ist unsi- cher. Markus Hurschler verweist auf die erfolgreichen Verkäufe in der Direktvermarktung oder Netzwerken wie der Community Supported Agriculture. «In diesen Vertriebskanälen gibt es weniger bis keine Normen zu Form und Grösse, dennoch sind die Konsumenten zu- frieden damit. Das könnte darauf hindeuten, dass der

Handel die Präferenzen teils selbst erzeugt», vermutet Hurschler. Auch laut der Landwirtschafts- und Ernäh- rungsorganisation der UNO (FAO) zeigen Studien, dass Konsumenten gewillt wären, heterogene Produkte zu kaufen, sofern der Geschmack nicht beeinträchtigt ist.

Die FAO schlägt in ihrem Bericht «Global Food Losses and Food Waste» deshalb vor, den Konsumenten auch Ware anzubieten, die weniger perfekt in Form und Farbe ist, und weitere Kundenumfragen durchzuführen, um die Bedürfnisse objektiv abzuklären.

Dennoch ist sicher: Auch die Vorlieben der Kunden führen zu Abfällen im Handel. «Ein Beispiel ist das Ver- langen nach frischem Brot bis Ladenschluss», so Hursch- ler. Das nicht mehr verkaufte Brot muss dann anderwei- tig verwendet werden. Markus Hurschler ist überzeugt davon, dass Lösungen nur durch eine Kooperation zwi- schen allen Akteuren entlang der Lebensmittelkette möglich sind. «Es braucht strukturelle Änderungen, die neue Produktions- und Konsumkonzepte erlauben.»

Allerdings wird es schwierig, ohne einen veränderten Umgang der Konsumenten mit Lebensmitteln zählbare Erfolge zu erreichen. «Insbesondere bei jungen Men- schen muss die Sensibilität gegenüber Lebensmitteln ge- stärkt werden», sagt Hurschler. Das erfordere aber Zeit und die richtigen Informationen über Nahrungsmittel.

Auch wenn das Thema derzeit grosse Aufmerksamkeit in den Medien geniesst: Ob sich bereits spürbar etwas in der Konsumentenhaltung geändert hat, kann Hurschler noch nicht beurteilen.

Beim Kleinbauern ansetzen

Weltweit gehen nach Schätzungen der FAO pro Jahr 1.3 Milliarden Tonnen Lebensmittel verloren. Eine Men- ge, die ausreichen würde, die Hungerproblematik zu ent- schärfen, würde sie denn ihren Weg auf die Teller finden.

Im Gegensatz zu westlichen Staaten kommt in Ent- wicklungsländern Verschwendung beim Konsumenten kaum vor.Verantwortlich für dieVerluste, die hauptsäch- lich in frühen Stadien der Wertschöpfungskette wie dem Anbau, der Lagerung oder dem Transport geschehen, sind eine schlechte Infrastruktur und oft mangelnde Ausbildung der Bauern. Um die Infrastruktur durch mo- dernere Lagerhäuser, Kühlanlagen oder intakte Strassen zu verbessern, bedürfte es grosser finanzieller Investitio- nen. Doch Geld ist meist keines oder kaum vorhanden.

Die Stiftung Biovision, die sich die Verbesserung der Le- benssituation der Menschen in Afrika zum Ziel gesetzt und kürzlich einen generellen Konsultativstatus der UNO erhalten hat, setzt deshalb bei der Produktion an.

«Die Ausbildung von Kleinbauern und Kleinbäuerinnen in Entwicklungsländern ist absolut zentral für die Re- duktion der erheblichen Verluste durch Schädlinge und Unkraut, sowohl vor als auch nach der Ernte», sagt David Fritz, Kommunikations- und Kampagnenleiter bei der Stiftung Biovision. Technologie-intensive Lösungen sind aus finanziellen Gründen für die Bauern nicht umsetz- bar. «Teure Technologien haben in diesen Ländern keine Chance. Es sei denn, sie werden von Grossproduzenten eingesetzt, die nicht zumWohle der lokalen Bevölkerung produzieren und dieser in vielen Fällen auch mit ihrem grossen Bedarf an Land die Basis für ein menschenwür- Eine kenianische

Bäuerin in ihrem vom Maisstängel- bohrer zerstörten Feld. Schädlinge sind für einen grossen Teil der Lebensmittelver- luste in Afrika ver- antwortlich.

(Foto: cimmyt/cc)

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on unterstütze deshalb innovative Projekte wie etwa die Push-Pull-Methode in Ostafrika. Bei dieser werden ne- ben der Nutzpflanze im Feld auch Pflanzen gezogen, die abstossend auf Schädlinge wirken. Und um Verluste im Lager zu vermindern, werden Pflanzenextrakte einge- setzt, die die Schädlinge fern halten. «Vorteil dieser Methoden ist, dass die Bauern wenig Kapital benötigen, da sowohl Saatgut als auch Pflanzenextrakte bereits auf dem Hof vorhanden sind oder durch geringe, einmalige Investitionen gekauft werden können», so Fritz.

Auch die FAO empfiehlt in ihrer Studie, in Entwick- lungsländern vor allem auf der Produzentenseite anzu- setzen. Allerdings benötige es Anstrengungen in allen Wertschöpfungsstufen, um erfolgreich zu sein. In Indus- trieländern hättenVerbesserungen auf Produktions- und Industrielevel nur marginale Wirkung, solange die Kon- sumenten mit der Verschwendung fortfahren, kommt

die FAO zum Schluss.

R É S U M É

Produire pour la poubelle

Un tiers de la production mondiale de denrées alimen- taires n’arrive jamais dans les assiettes. Dans les pays en voie de développement, les pertes surviennent à un stade très précoce de la chaîne de valorisation tandis que chez nous, ce sont les consommateurs qui gas- pillent les aliments. Mais le tri s’opère aussi sur la voie de la production jusque dans le commerce de détail.

Tout ce qui ne correspond pas au calibre exigé passe

dans les installations de biogaz ou dans les usines de producion d’aliments pour animaux.

Les créateurs de la plateforme en ligne foodwaste.ch se sont donné pour mission de réduire le gaspillage de la nourriture dans notre pays. Leur credo: l’éducation doit commencer auprès des consommateurs qui doivent réapprendre à estimer les denrées alimentaires à leur juste valeur.

diges Dasein entziehen.» Die Erfahrungen von Biovision würden aber zeigen, dass mit Kursen und Verbreitung von Wissen viel erreicht werden könne, so Fritz.

Auch der Weltagrarbericht kommt zum Schluss, dass der Einsatz von lokalem und traditionellem Wissen die Ernteverluste verkleinern kann. Oft liegt ein Mangel an Know-how vor, weil die Kleinbauern in Afrika nicht auf Generationen landwirtschaftlicher Tradition zurückbli- cken können. «Es handelt sich dabei oft um noch nicht lange sesshaft gewordene Nomaden», so Fritz. «Kombi- niert mit in jenen Gebieten besonders ausgeprägten Herausforderungen des Klimawandels, mit langen Dür- reperioden gefolgt von heftigsten und zerstörerischen Regengüssen und entsprechend degradierten Böden, brauchen diese Leute Unterstützung, um Ernteausfälle und Verluste nach der Ernte zu reduzieren.» Den Bauern selbst sei das bewusst und die Chance, einen von Biovi- sion angebotenen Kurs zu besuchen, werde begeistert wahrgenommen.

Mit Pflanzen gegen Schädlinge

Biovision setzt auf das Vermitteln von Wissen über bio- logischen Landbau. «Ein wesentlicher Vorteil beim Bio- landbau ist, dass ökologische Lösungen auf dem Feld von Bauer zu Bauer weitergegeben werden können und so ohne grossen finanziellen Aufwand viel schneller flä- chendeckend zum Einsatz kommen», sagt Fritz. Biovisi-

Ratgeber gegen Lebensmittelverschwendung

Die Organisation«Tischlein deck dich»hat in Zusammenarbeit mit foodwaste.ch einen Ratgeber publiziert, der Konsu- menten über Lebensmittelverschwendung aufklärt und die Verluste zu vermindern helfen soll.

Im Ratgeber enthalten sind einfache und praktische Tipps zur Vermeidung von Lebensmittelabfällen, wie die Organisatio- nen in einer Medienmitteilung schreiben. In der Schweiz gehen pro Jahr über die gesamte Wertschöpfungskette rund zwei Millionen Tonnen Lebensmittel verloren oder werden weggeworfen. Die Broschüre kann bei Tischlein deck dich bestellt oder unter www.tischlein.ch oder www.foodwaste.ch runtergeladen werden.

In westlichen Haushalten fällt viel Lebensmittel- abfall an. Ein Grossteil davon wäre vermeidbar.

(Foto: Owen Hodgkinson/cc) Jeder Schweizer wirft täglich 320 g Lebensmittel weg

Schweizerinnen und Schweizer werfen laut WWF und dem Verein Foodwaste jährlich zwei Millionen Tonnen einwand- freier Lebensmittel weg. Pro Kopf und Tag bedeute das fast eine ganze Mahlzeit. Für den grössten Teil der Verluste sind die Konsumenten verantwortlich (45%). LID

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