• Keine Ergebnisse gefunden

Italienverehrung als Italienverachtung. Hans Sebald Behams Jungbrunnen von 1536 und die italienische Kunst der Renaissance

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Italienverehrung als Italienverachtung. Hans Sebald Behams Jungbrunnen von 1536 und die italienische Kunst der Renaissance"

Copied!
10
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Jü r g e n M ü l l e r

Italienverehrung als Italienverachtung

H a n s Sebald Behams Jungbrunnen von 1536 und die italiensche K u n s t der Renaissance

A l b r e c h t D ü r e r schreibt seinem Freund W i l l i b a l d Pirckheimer am 7. Februar 1506 aus V e n e d i g , er fürchte, v o n seinen italienischen K o l l e g e n vergiftet zu werden.1 G u t e F r e u n d e hätten i h n gewarnt, nicht m i t anderen M a l e r n g e m e i n ­ sam zu essen. E r schreibt über M i ß g u n s t u n d K o n k u r r e n z , aber auch wie g r o ß ­ m ü t i g G i o v a n n i Bellini sei, der i h n vor vielen Edelleuten gelobt hätte. D e r Brief verdient es, auch heute n o c h gelesen zu werden, weil er uns vor A u g e n führt, wie aufgewühlt D ü r e r auf die aktuelle K u n s t seiner Z e i t reagiert. Das, was i h m v o r elf J a h r e n n o c h gefallen hätte, gefalle i h m jetzt nicht m e h r - eine B e o b a c h ­ tung, die ihn selbst überrascht zu haben scheint. V e n e d i g bedeutet für d e n N ü r n b e r g e r offensichtlich eine Herausforderung. D a s ganze 16. J a h r h u n d e r t über w i r d Italien für die nordeuropäischen K ü n s t l e r und Flumanisten janusköp- fig bleiben. V i e l e G e l e h r t e sind sich in i h r e m kritischen Verhältnis gegenüber Italien und seinen B e w o h n e r n einig. V o r allem sind sie nicht weniger m i ß g ü n s ­ tig, als sie es ihren transalpinen K o l l e g e n nachsagen.

D i e Vorbehalte der H u m a n i s t e n hat kein zweiter so treffend u n d drastisch formuliert wie Erasmus v o n Rotterdam: „ O b w o h l die Italiener ein schmutziges G e m i s c h der barbarischsten N a t i o n e n sind, nichts anderes als Schiffsjauche", so heißt es in seinem 1518 erschienenen D i a l o g Julius vor der verschlossenen Him­

melstür, „haben sie d e n n o c h aus der Literatur der H e i d e n den W a h n s i n n in sich gezogen, alle außerhalb Italiens G e b o r e n e n Barbaren zu n e n n e n . ": Angesichts dieses drastischen Urteils wundert es nicht, daß der ansonsten so feinsinnige E r a s m u s zeit seines L e b e n s die Urheberschaft an d e m D i a l o g leugnete. D e n n m o c h t e er Papst J u l i u s II. auch abgrundtief verachten, so wollte er es sich doch

1 Albrecht Dürer: Schriftlicher Nachlaß, hrsg. v. Hans Rupprich, 3 Bde., Berlin 1956, Bd. 1, 44.

2 Erasmus von Rotterdam: Julius vor der verschlossenen Himmelstür, ein Dialog, in: ders., Ausgewählte Schriften. Ausgabe in acht Bänden. Lateinisch und Deutsch, hrsg. v. Werner Welzig, Darmstadt -'1990, Bd. V, 71.

Bredekamp, Berlin 2007, S. 309-318

(2)

Jürgen Müller

nicht mit dessen Nachfolger Leo X. verscherzen, unter dessen Patronat sein griechisches Neues Testament erschienen war.

3

Bekanntlich ist Julius II. wie ein römischer Imperator in Bologna eingezo­

gen, was nicht nur Erasmus zutiefst erschüttert haben muß. Doch während sei­

nes Pontifikats wird der Bau von Neu Sankt Peter begonnen, der Cortile del Belvedere angelegt und die Laokoongruppe gefunden, was den Kunst- und Dürerfreund Erasmus eigentlich hätte freuen können - davon jedoch kein Wort. Julius' erfolgreiches Mäzenatentum war offensichtlich zu viel des Guten, es war prahlerisch.

4

Der Papst wird im Dialog als unchristlichster aller Men­

schen denunziert, der sein Pontifikat insofern mißversteht, als er sich zum welt­

lichen Herrscher und Nachfahren römischer Imperatoren stilisiert.

Der niederländische Theologe hatte sicherlich einen klareren Blick als jeder italienische Kleriker, welch fatale Folgen Julius' imperial-paganes Verhalten für die katholische Kirche im Norden haben würde. Mit einem Wort bedeutete Italien für Erasmus Chauvinismus und damit einhergehend Anmaßung kultu­

reller Hegemonie, was schon aus den wenigen Zitaten meiner Skizze deutlich wird.'

Zehn Jahre später wird Erasmus in seinem Ckeronianus (1528) noch einmal auf das falsche Überlegenheitsgefühl der italienischen Dichter zurückkommen, die sich als die einzig legitimen Erben klassischer Latinität erachten.'' Seine Vorbehalte gegenüber Cicero haben ihre Grundlage in der Erkenntnis der U n ­ angemessenheit eines antiken Sprachstils für eine moderne, christliche Welt.

Dem Ideal ciceronianischer Beredsamkeit setzt Erasmus das Recht auf persön­

lichen Ausdruck entgegen.

7

In einer folgenschweren Feststellung findet die Po­

lemik des Theologen ihren unüberbietbaren Höhepunkt: „Pleidentum ist es (übersteigerte Ciceronachahmung und Idealisierung der Antike, J. M.), glaube mir, [...] Heidentum ist es, was unser Ohr und unser Herz für diese Dinge ein­

nimmt.'" Mag der Ciceronianer auch einen Sieg in seiner Beherrschung der Form davontragen, was Erhabenheit und Glaubwürdigkeit des Inhalts betrifft,

3 Vgl. hierzu die konzise Einleitung von Gertraud Christian in: Erasmus von Rotterdam 1990 (wie Anm. 2), [ - X I .

4 Zu Erasmus' Kunstverständis vgl. Jürgen Müller: Von der Odyssee eines christliehen Ge­

lehrten - Eine neue Interpretation von Hans Ilolheins Erasmushildnis in Longford Castle, in: Zeitschrift des deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 49/50, 1995/96, 179-211.

5 Zu Tommaso Inghirami und einer imperialen Rhetorik der Kirche vgl. Luca d'Ascia: Era- smo e PUmanesimo romano (Biblioteca della Rivista di Storia e Letteratura Religiosa, Studi II), Florenz 1991, 188-196.

6 Vgl. Erasmus von Rotterdam: Der Ciceronianer oder der beste Stil, ein Dialog, übersetzt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Theresia Payr, in: ders., Ausgewählte Schrit­

ten 1990 (wie Anm. I) Bd. VII, 2- 355.

7 Ebd., 329.

8 Ebd., 171.

(3)

sei i h m jeder C h r i s t weit überlegen.9 Erasmus' Schrift ist ein p r o m i n e n t e s B e i ­ spiel dafür, daß m a n während der Reformationszeit nicht nur den Papst und seine K i r c h e n p o l i t i k ablehnte, sondern eine ganze K u l t u r des Paganismus ver­

dächtigte."1

In kunstgeschichtlicher F o r s c h u n g ist nur zu oft die Vorbildlichkeit antiker oder italienischer K u n s t w e r k e z u m T h e m a gemacht w o r d e n . W e n n i m f o l g e n ­ den H a n s Sebald B e h a m s H o l z s c h n i t t Der Jungbrunnen untersucht wird, so soll z u m ersten M a l dessen subversive Qualität z u m T h e m a w e r d e n . " D a s Verhält­

nis des Dürerschülers zur italienischen K u n s t ist ambivalenter als bisher ange­

n o m m e n wurde. In der F o r s c h u n g wurde der b e r ü h m t e H o l z s c h n i t t als „ B e ­ kenntnis zur italienischen Renaissance"1 2 gedeutet oder als Studie zur „Ideal­

f o r m der menschlichen A n a t o m i e " . " D a s T h e m a des J u n g b r u n n e n s wird der­

gestalt z u m V o r w a n d , sich m i t Aktdarstellungen beschäftigen zu k ö n n e n . I m Gegensatz dazu versucht m e i n Beitrag, die A n f ä n g e eines ironischen K u n s t d i s ­ kurses i m N o r d e n aufzuweisen.1 4

B e h a m s H o l z s c h n i t t Der Jungbrunnen gehört zu den Inkunabeln der D ü r e r ­ zeit ( A b b . 1). D i e u m 1536 entstandene Arbeit ist schon der G r ö ß e nach ein imposantes W e r k . G e d r u c k t v o n vier Stöcken misst der H o l z s c h n i t t 378 x 1193 m m - ein F o r m a t , das als billigere Alternative zu e i n e m G e m ä l d e gedient haben mag. D a s Blatt ist v o m Künstler in der M i t t e oben m i t d e m M o n o g r a m m , H S B ' versehen u n d in N ü r n b e r g bei Albrecht G l o c k e n d o n verlegt worden.

D a s T h e m a des J u n g b r u n n e n s ist ein beliebtes M o t i v im Spätmittelalter und der Renaissance u n d zeigt den M e n s c h h e i t s t r a u m ewiger J u g e n d .1' Alte M ä n ­ ner u n d Frauen werden H u c k e p a c k oder auf Bahren herbeigebracht, u m durch das Bad in kraftvoller J u g e n d wiedergeboren zu werden. M i t dieser W i e d e r g e ­ burt geht nicht n u r eine V e r j ü n g u n g , sondern vor allem eine Resexualisierung des K ö r p e r s einher. Sexualität u n d Begehren sind die eigentlichen T h e m e n v o n B e h a m s J u n g b r u n n e n - H o l z s c h n i t t .

9 Ebd., 173.

10 Die Bedeutung dieses Textes für die nordeuropäische Kunstgeschichte ist nicht in Ansät­

zen erkannt.

11 Zu Hans Sebald Beham existiert keine rezente Untersuchung, aber zu seinem Bruder.

Vgl. Kurt Löcher: Barthel Beham. Ein Maler aus dem Dürerkreis, München/Berlin 1999, 21-28.

12 Dies ist das Fazit der Interpretation von Anna Rapp: Der Jungbrunnen in Literatur und bildender Kunst des Mittelalters, Zürich 1976, 1 15.

13 Diese Einschätzung verdanken wir Karin Döring-Mohr: Die ikonographische Entwick­

lung des Jungbrunnen und sein inhaltlicher Wandel in der bildenden Kunst des 14. bis 16. Jahrhunderts, 1999, 131.

14 Vgl. hierzu Jürgen Müller: Das Paradox als Bildform. Studien zur Ikonologie Pieter Bruegels d. A., München 1999.

15 Vgl. die Untersuchungen von Rapp 1976 (wie Anm. 12) und Döring-Mohr 1999 (wie Asm, 13).

(4)

Jürgen Müller

Abb. 1: Hans Sebald Beham, Der Jungbrunnen, um 1536, Holzschnitt von vier Stöcken, 37,8 x 119,3 cm, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstichkabinett

D o c h bevor genauer auf dessen I k o n o g r a p h i e einzugehen sein wird, m u ß zunächst seine besondere E r z ä h l t e c h n i k charakterisiert werden. D e r N ü r n b e r ­ ger zeigt sich i m Jungbrunnen insofern als Meister vielfigurigen Erzählens, als sich der Betrachter in einer ereignisreichen K o m p o s i t i o n verlieren soll. Diese E i g e n a r t verweist auf den diskursiven Charakter des Bildes. D e r Rezipient er­

blickt i m m e r n e u e Szenen, die e i n e m weiteren Betrachter mitgeteilt werden k ö n n e n . N i c h t das leise u n d verinnerlichende Betrachten heutiger M u s e u m s ­ besucher, sondern das laute Betrachten kollektiver A u s l e g u n g m u ß als R e z e p ­ t i o n s f o r m hinzugedacht w e r d e n . B e h a m s D r u c k stellt zwar d e m Inhalt nach ein zotiges Bild dar, d o c h die d o r t feilgebotene N a c k t h e i t ist an und für sich nicht v o n B e d e u t u n g . Erst w e n n m a n die dargestellten S c h l ü p f r i g k e i t e n ' auszuspre­

chen wagt, w e n n S c h a m g r e n z e n überschritten werden, beginnt der ,eigentliche Spaß' des Bildes: E n t d e c k e n , Z e i g e n u n d Auslegen sind k o m p l e m e n t ä r e E l e ­ m e n t e e i n - u n d derselben B i l d h e r m e n e u t i k . " ' L a c h e n und L e r n e n schließen

16 Vgl. hierzu Jürgen Müller: V o m lauten und vom leisen Betrachten. Ironische Bildstruk­

turen in der holländischen Genremalerei des 17. Jahrhunderts, in: Wilhelm Kühlmann/Wolf­

gang Neuber (Hrsg.), Intertextualität in der Frühen Neuzeit. Studien zu ihren theoretischen und praktischen Perspektiven, Frankfurt a. M . 1994, 607-647.

(5)

sich in dieser Kunst nicht aus, sie sind im Gegenteil integrale Bestandteile einer populären Didaktik.1,

Der didaktischen Absicht des Bildes ist die reliefartige Anordnung geschul­

det, es ist weniger ein Bildraum als vielmehr eine Zeigefläche, die vor dem Be­

trachter ausgebreitet wird. Beham füllt die überschaubare Kastenform mit einer großen Anzahl von Motiven. Diese Motive sind im Verhältnis zum Bildformat so klein, daß der Rezipient eine relative Nähe zum Bild einnehmen muß. Auf diese Weise sieht sich der Betrachter gezwungen, das Bild abzuschreiten, dessen Details er nicht auf einen Blick erfassen kann. Nicht Konzentration, sondern Dissoziation des Rezipienten ist die Absicht dieser Bildform. Ordnung und U n ­ ordnung befinden sich in einem kalkulierten Verhältnis zueinander.

Dementsprechend ist die Komposition deutlich in zwei Hälften geteilt. Der linken Hälfte, die Anreise, Ankunft und Transformation der Greise im Jung­

brunnen zum Thema hat, steht die rechte Bildhälfte gegenüber, auf der eine Renaissanceloggia zu sehen ist, in der das begonnene Verjüngungsbad seine Fort­

setzung findet. Die Loggia wird durch ionische Säulen getragen. Der Bau­

schmuck in Form von Grotesken und Imperatorenmedaillons läßt an Renais-

17 Eine Didaktik, die in Sebastian Bfants Narrenschiff einen durchaus epochalen Anfang nimmt. Vgl. die ausgezeichnete Untersuchung von Barbara Könneker: Wesen und Wandlung der Narrenidee im Zeitalter des Humanismus. Brant VI lirner Erasmus, Wiesbaden 1966.

(6)

Jürgen Müller

sancearchitektur des späten Quattrocento denken. Dies gilt auch für den ele­

ganten Brunnen, der reich verziert ist und eine italienische Formensprache aufweist. Beham zeigt sich vermeintlich auf der Höhe seiner Zeit, mühelos be­

dient er eine zeitgemäße Ästhetik.

Den ersten Eindruck des Holzschnitts bestimmen Fröhlichkeit und Ausge­

lassenheit. Männer und Frauen necken einander, werben umeinander und tau­

schen schließlich auch Zärtlichkeiten aus. Ein heutiger Betrachter ist versucht, seine Deutung hier abzubrechen und zu glauben, er habe ein Bild purer Le­

bensfreude vor sich, wie es für die Renaissance so typisch ist. Als Sinnbild dieser Überzeugung könnte man die zwei tanzenden Paare am linken Bildrand erach­

ten, welche die liegen gebliebenen Krücken aufeinandergeschichtet und ein Freudenfeuer entzündet haben. Ausgelassen tanzen sie im Kreis und freuen sich darüber, wie die Zeichen irdischer Hinfälligkeit in Rauch aufgehen.

Erblickt man Greis und Greisin, die auf einer Trage zum Jungbrunnen ge­

schafft werden, vermag man überhaupt erst die Transformation zu erachten, die alle Schönen und Starken hinter sich gebracht haben. Im Jungbrunnen selbst wird man auf den Spaß verwiesen, der die Handlungen der Menschen offen­

sichtlich bestimmt. Einige übermütige Männer steigen in immer höher gelege­

ne Becken des Brunnens, wieder andere sind ins Gespräch vertieft, freuen sich über Neuankömmlinge oder umarmen einander.

Hat die Verjüngung erst einmal stattgefunden, geht es munter weiter. Mann und Frau werben umeinander, um sich dann miteinander zu vergnügen. Der menschliche Körper ist Ziel und Voraussetzung des hier dargestellten Flan- delns. Er wird entdeckt, auf ihn wird gezeigt; er wird berührt und genossen.

Daß Beham trotz aller verdeckenden Säulen keinesfalls prüde ist, entdecken wir im Hintergrund des Bildes. Hier hat ein Mann seiner Partnerin das Kleid aufgedeckt und faßt ihr nun in den Schritt. Einem frühneuzeitlichen Betrachter werden sicherlich auch die prominent in Szene gesetzten Vögel in der Luft und auf dem Brunnenrand aufgefallen sein, die auf das Wort ,vögeln' anspielen und einen häufig verwendeten obszönen Bildwitz darstellen, wie uns ein Blick auf die zeitgleichen Kompositionen von Lucas Cranach belehren könnte.

18

Sexuali­

tät besteht jedoch nicht nur im Tun der dargestellten Menschen oder im zoti­

gen Wortwitz, sondern auch im Zuschauen - eine Erkenntnis, die auch dem Bildbetrachter nicht erspart bleibt. Am rechten Bildrand entdeckt man einen Mann, der ein Liebespaar beobachtet und sich dabei an die vor ihm befindliche Säule drückt - ein diskreter Hinweis, wie sehr ihn sein Zuschauen und Zuhören erregt. Seiner Nachbarin links neben ihm ergeht es nicht anders, hält sie doch mit ihrem linken Arm die Säule umschlungen und schaut auf das sich liebkosen­

de Paar.

18 Eddy De Jongh: Erotiea in vogelperspektief. De dubbelzinnigheid van een reeks 17de eeuwse genrevoorstellingen, in: Simiolus 3/1, 1968-69, 22-74.

(7)

W e n n m a n den H o l z s c h n i t t eine W e i l e angeschaut hat, erkennt m a n , daß diese Sexualität keine K o n s e q u e n z e n hat: So wie i m R a h m e n der L e k t ü r e v o n links nach rechts die alten M e n s c h e n verschwinden, so werden in dieser J u n g - b r u n n e n w e l t auch keine K i n d e r geboren. M i t d e m E n d e der Vergänglichkeit erübrigt sich auch die N o t w e n d i g k e i t zur R e p r o d u k t i o n .

D e m H o l z s c h n i t t ist deutlich eine Leserichtung von links nach rechts einge­

schrieben. W e n n wir die dargestellten H a n d l u n g e n und Details einmal grob erfaßt haben, beginnen wir m i t unserer Bildlektüre wieder von vorn. Diese W i e d e r h o l u n g s s t r u k t u r wird dadurch durchbrochen, daß B e h a m seiner E r z ä h ­ l u n g eine R e i h e v o n E l e m e n t e n eingeschrieben hat, die uns aufmerken lassen und die wir i m L a u f e der Bildbetrachtung z u s a m m e n z u f ü g e n haben. D e r J u n g ­ b r u n n e n hat durchaus den Charakter eines Suchbildes, das für den Betrachter Überraschungen bereithält.

In der F o r s c h u n g ist entdeckt worden, daß der N ü r n b e r g e r Meister für den künstlerisch ambitionierten Rezipienten in seinem Bild viele Zitate anführt.1'' D i e s beginnt m i t der interessiert auf den Betrachter blickenden Figur u n m i t t e l ­ bar n e b e n der L o g g i a links, die auf Raffaels Parisurteil zurückgeht, das von M a r ­ c a n t o n i o R a i m o n d i gestochen wurde. Dieser K o m p o s i t i o n Raffaels ist auch eine weitere Figur e n t n o m m e n . A n der ersten rückwärtigen Säule der L o g g i a er­

kennt m a n eine Frau, die im Begriff ist, sich ein T u c h oder ein G e w a n d u m ihre Schultern zu legen. A u c h bei ihr handelt es sich u m eine entlehnte Figur, n ä m ­ lich den zentralen weiblichen Rückenakt aus d e m genannten Paris int eil. D i e s gilt auch für die schöne T ä n z e r i n . Sie entstammt Raffaels Darstellung der drei G r a z i e n , die ebenfalls im Stich reproduziert wurde. A u c h M i c h e l a n g e l o wird zitiert: I m I n n e r e n der L o g g i a erkennt m a n einen M a n n , der aus d e m Wasser steigt u n d dessen seitenverkehrte Gestaltung an eine Figur aus Michelangelos Darstellung der Schlacht von Cascina erinnert - eine Figur, die wiederum von R a i m o n d i gestochen wurde. D e r deutsche Künstler verwendet dieses M o t i v so­

gar ein zweites M a l . I m hinteren Bereich des J u n g b r u n n e n s steht ein M a n n am Beckenrand und hat seinen A r m auf den Rand gelegt - es handelt sich u m die­

selbe Figur aus der Cascinaschlacht, die hier lediglich ein wenig tiefer im Wasser steht. Schließlich wurde auch auf Figuren aus Dürers M ä n n e r - und Frauenbad verwiesen.2 0 A l s Zitat ergänzt werden kann das M o t i v der aufstehenden Frau auf d e m D a c h der L o g g i a , die m i t der Klistierspritze naßgespritzt wird. Hierbei handelt es sich u m ein weiteres M o t i v nach M i c h e l a n g e l o , der es im Jüngsten Gericht bei seiner Darstellung der Säule des P o n t i u s Pilatus darstellt. Schließ­

lich zitiert der unmittelbar v o r dem B r u n n e n sitzende „ K r ü p p e l " seitenverkehrt einen derjenigen Ignudi aus der Sixtinischen Kapelle, der sich neben der D a r -

19 Diese Erkenntnis verdanken wir Rapp 1976 (wie Anm. 13), 113-114.

20 Ebd.

(8)

Jürgen Müller

Stellung m i t der T r e n n u n g v o n L i c h t u n d Schatten durch G o t t v a t e r findet.

A u c h die heidnisch a n m u t e n d e G o t t h e i t , die als K r ö n u n g s f i g u r für den B r u n ­ nen dient, erinnert an ein V o r b i l d D ü r e r s .

Raffael, M i c h e l a n g e l o , D ü r e r , schließlich e n t p u p p t sich B e h a m sogar als A n t i k e n k e n n e r , w e n n er uns auf einer L i e g e i m hinteren Teil der L o g g i a einen M a n n m i t hinter d e m K o p f z u r ü c k g e n o m m e n e n A r m zeigt, der an die E n d y m i - o n - I k o n o g r a p h i e erinnert, wie wir sie v o n Sarkophagen kennen.2 1 E s bleibt der Phantasie des Betrachters vorbehalten, sich vorzustellen, was gerade hinter der Säule geschieht, die den K ö r p e r der m ä n n l i c h e n F i g u r verdeckt. Z u d e m stellt der N ü r n b e r g e r Künstler eine s c h l u m m e r n d e Frau dar, welche die antike S k u l p ­ tur der Cleopatra z u m V o r b i l d hat."' M i t seiner synthetischen Zitierweise b e ­ dient sich B e h a m eines auch in der italienischen K u n s t jener Z e i t geläufigen Verfahrens.2' W i e schon die dargestellte Architektur so zeugt auch der U m g a n g m i t den V o r b i l d e r n von B e h a m s M o d e r n i t ä t .

G r u n d s ä t z l i c h m a g m a n schon in der H i n w e n d u n g zur K ö r p e r l i c h k e i t ein italienisches , K u n s t w o l l e n ' erblicken, was in der F o r s c h u n g ja auch geschehen ist. I m G e g e n s a t z zu den an italienischen Aktdarstellungen orientierten Figuren wirkt die G r u p p e der angezogenen P e r s o n e n in der linken unteren Bildecke weniger plastisch, u m nicht zu sagen altdeutsch. So als m ü ß t e der J u n g b r u n n e n auch die K ü n s t e erneuern, die einer , W i e d e r g e b u r t ' aus d e m G e i s t der A n t i k e bedürfen.2 4 D i e s e D e u t u n g fände insofern eine Fortsetzung, als für den auf­

m e r k s a m e n Betrachter eine inhaltliche O p p o s i t i o n inszeniert wird: A m linken oberen Bildrand erkennt m a n eine spätgotische D o r f k i r c h e und ein Fachwerk­

haus, auf der rechten Seite die allerschönste italienische Renaissancearchitektur.

D e r deutschen Architektur w i r d die italienische gegenübergestellt, der christ­

lichen K i r c h e die pagane L o g g i a .

In der F o r s c h u n g ist auf den N a r r e n auf d e m D a c h der L o g g i a verwiesen w o r d e n , dessen A n w e s e n h e i t das G e s c h e h e n charakterisiert. E r schaut auf den M a n n herunter, der einer F r a u m i t einer Klistierspritze auf Scham u n d H i n t e r n

21 Leopold Ettlinger: Kndymion, in: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, Bd. V, 1967; Sp. 326-333.

22 Francis Haskell/Nicholas Penny: Taste and the Antique. The Lure of Classical Sculpture 1500-1900, London/New Häven 1988, 202-205.

23 Zur italienischen Imitatio artis-Theorie vgl. die Untersuchung von Klaus Irle: Der Ruhm der Bienen. Das Xachahmungsprin/.ip der italienischen Malerei von Raffael his Ru­

hens, Münster 1997.

24 2a Dürers Konzeption der Renaissance als „widererwaxsung" vgl. Peter-Klaus Schuster:

Melencholia I. Dürers Denkbild, Berlin 1991. Zur unterschiedlichen Bewertung der Renais­

sance als Geschichtskonstruktion in den Schriften des Erasmus vgl. Peter G. Bietenholz: His- tory and Biography in the Work of Eramus of Rotterdam (Travaux d'Humanisme et Renais­

sance, Bd. L X X X V I I ) , Genf 1966, 35-39.

(9)

spritzt. Darüber hinaus erkennt man rechts auf der Loggia eine alte Frau, die

auf einer Drehleier spielt. Bei Narr und Drehleierspielerin handelt es sich offen­

sichtlich um Kommentarfiguren, die das närrische und immer gleiche Treiben negativ kommentieren.

Spätestens jetzt wird der Betrachter zu einer Bildbetrachtung unter verän­

derten Vorzeichen aufgefordert. Erkenne endlich diese närrische Welt, ist der Imperativ, zu dem sich der Rezipient aufgefordert sieht! Wenn wir aufhören, der eigenen Augenlust zu frönen, entdecken wir Motive aus der Lasterikono­

graphie. So erkennt man am rechten vorderen Bildrand eine Frau mit typischem Melancholiegestus - ein Hinweis auf das Laster der Acedia. Mehrfach finden sich Kämme und Quasten, die auf Superbia verweisen. Zudem findet sich ein Tric-Trac spielendes Paar, das auf den ungewissen Ausgang und die Antinomie der Liebe zu beziehen ist. Darüber hinaus entdeckt man einen Spiegel an der rückwärtigen Wand, der als Vanitas- oder Superbiamotiv fungieren könnte.

Dies alles kann hier nur angedeutet werden.

Fiat man erst einmal begonnen, die Verderbtheit dieses irdischen Paradieses zu entdecken, ist man für eine noch abstraktere Reflexion vorbereitet. So be­

steht die Leistung von Behams Reformationsgraphik darin, daß sie eine neue Bilddidaktik entwickelt. Ausgangspunkt dieser Didaktik ist die Sinnlichkeit des Menschen und das heißt konkret seine Verführbarkeit. Der Holzschnitt spricht die Lüsternheit, besser die Augenlust des Betrachters an. Diese Freude am Nackten wird von Beham zunächst befriedigt. Wir dürfen uns an einer Weile körperlicher Genüsse satt sehen, um dann in einen Reflexionsprozeß verstrickt zu werden.

Seit langem ist bekannt, daß der Kleinmeister aus Nürnberg mit antiken und italienischen Vorbildern vertraut war. Bisher hat man in diesem Zusammen­

hang eine affirmative Rezeption unterstellt. Im Gegensatz dazu hat unsere In­

terpretation zeigen können, daß die italienische und antike Kunst als unmora­

lisch erscheint. Der Nürnberger Künstler beschwört die Äußerlichkeit dieser Kunst, die ihr einziges Ziel in der Darstellung nackter Menschen zu sehen scheint. Mit dieser Erkenntnis schließlich vollzieht der Betrachter einen Schritt über das Bild hinaus: Dem Christen muß das Motiv der Verjüngung und irdi­

schen Wiedergeburt widersinnig erscheinen, bedeutet es doch die Verlänge­

rung des Jetzt in alle Ewigkeit. Wer ewig lebt, kann nicht von den Toten aufer­

stehen. Eine Welt, die nicht vergeht, kann nicht erlöst werden. Irdische Un­

sterblichkeit ist Hybris, Selbstvergottung des Menschen. Die unchristliche Haltung der ewig jungen macht der Holzschnitt sogar zum Thema. Im linken Hintergrund erkennt man einen Führer, der einem Alten zur Verjüngung ver­

helfen will und ihn zum Jungbrunnen führt. Der Weg hat die beiden an einem

Wegkreuz vorbeigeführt:, das man offensichtlich hinter sich lassen muß, um zur

ewigen Jugend zu gelangen. Dies gilt auch für die schon genannte Kirche, die

achtlos zurückgelassen wird. Ewige Jugend hat ihren Preis.

(10)

Jürgen M ü l l e r

A u f den ersten Blick Fügt sieh H a n s Sebald Behams Der Jungbrunnen einem Antikediktat, das er jedoch in subversiver A b s i c h t zu gebrauchen weiß. D e n n die vermeintliche Ü b e r l e g e n h e i t des antik-italienischen Schönheitsideals w e n ­ det sich in ihr Gegenteil u n d m u ß ihre Diesseitigkeit offenbaren. D i e Renais­

sance im doppelten Sinne stellt eine zutiefst heidnische D e n k f i g u r dar: A l s M ö g l i c h k e i t ewiger J u g e n d schließt sie uns von christlicher E r l ö s u n g aus, als künstlerische N e u o r i e n t i e r u n g entspricht sie paganem K ö p e r k u l t und verfehlt die geistliche D i m e n s i o n des M e n s c h e n . D e r Rezipient läuft bei dieser a n ­ spruchsvollen K o n z e p t i o n G e f a h r , B e h a m s M i m i k r y für eine affirmative A n t i ­ kenrezeption zu halten. Erst w e n n er bereit ist, seine A u g e n l u s t aufzugeben, b e k o m m t er die Frage des M e n s c h e n als heilsorientiertem W e s e n in den Blick.

W e r in der Sinnenwelt gefangen bleibt, amüsiert sich zu T o d e . D i e hier b e ­ schriebene D e n k f i g u r ist nicht anders als ironisch zu bezeichnen. D i e

Wahrheit

beginnt jenseits des Sichtbaren.

Bildiiaclnreis: A b b . 1: Staatliche K u n s t s a m m l u n g e n Dresden, Kupferstichkabinett, I n v . - N r . A 3016, Kat. M a n n e s L u s t & W e i b e s M a c h t . CJeschlechtcrwahn in Renaissance und Barock, hrsg. v. Claudia S c h n i t z e r / C o r d u l a Bischoff, D r e s d n e r Schloß, D r e s d e n 2005, A b b . 32.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Die Biografie der beiden Nürnberger Künstler Sebald und Barthel Beham würde sich nicht von der anderer Künstler aus der ersten Hälfte des 16.. Jahrhunderts

(1) Utcumque de me vulgo mortales loquuntur - neque enim sum nescia, quam 1 male audiatur STVLTITIA etiam apud stultissimos – tamen 2 hanc esse, hanc, inquam, esse unam, quae

Bei diesem bekannt gewordenen Roman ließ sich Hans Carossa sicherlich von Johann Wolfgang von Goethe inspirieren, der mit seinen „Die Leiden des jungen Werther“ das

7 Die Höhere Töchterschule wurde schon Anfang der 1970er Jahre in eine staatliche Mädchen- realschule unter privater Trägerschaft überführt, die schon angefangenen

meinen 23ilbung§gut ber pöperen ©efctlfcpaft erpob unb bie feitper ber bilbenben ®unft eine 5üHe bcjiepungSreicpcr unb bantbarcr ® a r ­ ffellungSgclcgenpeifen pergab. 2)afj

In vielen Regionen prägen Süsskirschenbäume die Landschaft; wenn die Frucht während ihrer Sai- son auch unseren Speisezettel prägt, kommt zum Augen- und Gaumenschmaus ein

11 Da der Autor jedoch nur die Jahre 1850 bis 1870 unter- sucht hat, jedoch meiner Meinung nach, die meisten Kopien – es handelt sich hier fast ausschließlich um Zeichnungen 12

„Gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden politischen Spannungen zwischen Russland auf der einen und der EU auf der anderen Seite müssen wir auch von Seiten der Wirtschaft