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Arzt und Dichter Hans Carossa

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Bayerisches Ärzteblatt 9/2006 455

Varia

Medizingeschichte: Mit Stolz kann Bay- ern in diesem Jahr seines wohl berühm- testen Arzt-Dichters gedenken. Der in Bad Tölz geborene und überwiegend in Niederbayern lebende Hans Caros- sa ist vor 50 Jahren – am 12. Septem- ber 1956 – gestorben. Er steht in einer Reihe mit drei weiteren bekannt gewor- denen Dichter-Ärzten, die in derselben Epoche lebten: Gottfried Benn (1886 bis 1956), Alfred Döblin (1878 bis 1957) und Arthur Schnitzler (1862 bis 1931). Diese vier namhaften Schriftsteller haben ge- meinsam, dass sie alle den ärztlichen Be- ruf längere Zeit ausübten und quasi ein

„zweites Leben“ als Dichter führten.

Biographische Daten

Hans Carossa wurde am 15. Dezember 1878 als Sohn des Medizinstudenten Karl Carossa und seiner Partnerin, einer Lehrerin, geboren. Er kam als uneheliches Kind zur Welt. Seine Eltern durften erst fünf Jahre später heiraten und er war zeitweise bei Pflegeeltern untergebracht.

Er war noch nicht einmal zehn Jahre alt, als er in das Internat des Königlich-Bayerischen Hu- manistischen Gymnasiums Landshut eintrat, das heute nach ihm als „Hans-Carossa-Gym- nasium“ benannt ist. In diesem Gymnasium absolvierte er das Abitur und studierte dann an den Universitäten München, Leipzig und Würzburg Medizin. 1903 bestand er die me- dizinischen Approbationsprüfungen. Bereits mit 26 Jahren übernahm er die Praxis seines Vaters als Hausarzt. 1914 ließ er sich in Mün- chen als Arzt nieder, im Ersten Weltkrieg war er zwischen 1916 und 1918 als Bataillonsarzt in verschiedenen Frontabschnitten tätig und wurde gegen Kriegsende in Frankreich schwer verwundet. Im Jahre 1929 gab er seine Arzt- praxis auf, um sich ganz seiner Dichterexistenz zu widmen. Während des NS-Regimes blieb er in Deutschland. Dies brachte ihm manche Kri- tik der emigrierten Schriftsteller ein. Carossa versuchte eine schwierige Gratwanderung, die durchaus für ihn selbst riskant war. Mehre- re Male setzte er sich schriftlich für verfolgte Schriftstellerkollegen bei Nazigrößen ein. Im April 1945 plädierte er für eine verteidigungs- lose Übergabe der Stadt Passau und wurde deshalb in Abwesenheit zum Tode verurteilt.

Nur der schnelle Einmarsch der Amerikaner hat ihn vermutlich vor einer Hinrichtung bewahrt.

Nach dem Tod seiner ersten Ehefrau im Jahre

1941 heiratete er im Jahre 1943 zum zweiten Mal. Seine zweite Ehefrau starb kurz vor ihm, während er selbst am 12. September 1956 in Rittsteig bei Passau gestorben ist.

Literarisches

Bereits im Gymnasium war Carossa fasziniert von Goethe, den er lebenslang als großes Vor- bild sah. Bald wurde der damals sehr bekannte Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal auf ihn aufmerksam und mit seiner Unterstützung er- schien bereits im Jahre 1910 im Inselverlag der Band „Gesammelte Gedichte“. Es folgten dann überwiegend autobiographische Romane. Ins- gesamt gilt unter Literaturwissenschaftlern Carossa als einer der Pioniere des autobiogra- phischen Romans. Er schrieb vier Autobiogra- phien: „Eine Kindheit“ (1922), „Verwandlungen einer Jugend“ (1928), „Das Jahr der schönen Täuschungen“ (1941) und „Tagebuch eines jun- gen Arztes“ (1955). Sehr bekannt wurde der erste Roman mit dem Titel „Doktor Bürgers Ende“, der im Jahre 1913 erschien. Dieser han- delt von Doktor Bürger, der sich in eine seiner Patientinnen verliebt. Als diese an Tuberkulose stirbt, begeht der Arzt Selbstmord. Bei diesem bekannt gewordenen Roman ließ sich Hans Carossa sicherlich von Johann Wolfgang von Goethe inspirieren, der mit seinen „Die Leiden des jungen Werther“ das Selbstmord-Thema einführte. Auch im zweiten Arztroman „Der Arzt Gion“, der im Jahre 1931 erschien, ging es um tragische Verstrickung von Liebe und Tod.

Anerkennung und Ruhm

Im Jahre 1928 erhielt der mittlerweile 50 Jahre alte Carossa seinen ersten Literaturpreis, den Dichterpreis der Stadt München. Im Jahre 1931 wurde ihm der Gottfried-Keller-Preis und im Jahre 1938 der Goethe-Preis der Stadt Frank- furt verliehen. Mit dem Goethe-Preis, einem der renommiertesten Literaturpreise Deutsch- lands, erlebte Carossa als 60-Jähriger den Hö- hepunkt seines dichterischen Ruhmes. Er steht damit in einer Reihe mit Albert Schweitzer, Sig- mund Freud, Max Planck, Hermann Hesse, Karl Jaspers oder Thomas Mann, die alle ebenfalls den Goethe-Preis erhielten. 1956 wurde ihm die Paracelsus-Medaille, die höchste Auszeich- nung der deutschen Ärzteschaft, verliehen.

Viele Gemeinsamkeiten mit Gottfried Benn

In Deutschland gab es im 20. Jahrhundert nur drei große Dichterärzte, die in ihrer Doppel- existenz ärztlich tätig waren und als Schrift- steller berühmt wurden: Hans Carossa, Gott- fried Benn und Alfred Döblin. Benn hat mit Carossa sehr viele bedeutsame Gemeinsam- keiten. Beide lebten in derselben Epoche, bei- de waren im Ersten Weltkrieg als Militärärzte tätig, sie starben im selben Jahr (1956) und sie teilten die hohe Ambivalenz in der Zeit des NS- Regimes. Benn und Carossa zählten zu den we- nigen renommierten Dichtern, die in dieser Zeit in Deutschland geblieben sind und sich deshalb mit den Diktatoren des Dritten Reiches arran- gieren mussten. Dies bedeutete für beide eine existenzielle Gratwanderung und vitale Bedro- hung. Anfeindungen von emigrierten Dichtern sind durchaus verständlich. Jedoch muss be- rücksichtigt werden, dass sich Carossa trotz der Gefährdung der eigenen Person sehr für ver- folgte Schriftsteller und Künstler einsetzte und am Schluss selbst verfolgt und bedroht war.

1951 erschien das Buch „Ungleiche Welten“

von Carossa, das eine sehr selbstkritische Bi- lanz seiner Haltung zum NS-Regime darstellt, für das er großes Lob und Anerkennung von Thomas Mann und von Alfred Andersch er- hielt. Die Würdigung dieser Aufarbeitung for- mulierte Andersch mit den Worten: „Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Hans Carossa uns die ruhigste, klarste und gerade deshalb scho- nungsloseste Analyse des Nationalsozialismus liefern würde.“

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. Herbert Csef,

Leiter des Arbeitsbereiches Psycho- somatische Medizin und Psychotherapie der Universität Würzburg,

Klinikstraße 8, 97070 Würzburg, E- Mail: Csef_h@klinik.uniwuerzburg.de

Arzt und Dichter Hans Carossa

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