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Archiv "Multiple Chemical Sensitivity Schädigung durch Chemikalien oder Nozeboeffekt: Psychiatrisierung vermeiden" (13.07.1998)

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A-1798

M E D I Z I N

(50) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 28–29, 13. Juli 1998 Ich betreue seit sieben Jahren in-

tensiv Patienten mit MCS-Syndrom.

Dadurch habe ich mir ein klares Bild dieser Krankheitsentität machen kön- nen.

Dabei handelt es sich um Patien- ten, die sich dauerhaft krank fühlen, ei- ne große Zahl von Ärzten, Fachärzten und Therapeuten aufgesucht haben, therapieresistent sind und auf geringste Konzentration von Substanzen oder Medikamente starke vegetative, endo- krine und immunologische Reaktionen aufbauen. Diese Patienten werden zu- nehmend psychisch auffällig, so daß ei- ne entsprechende Therapie angezeigt ist, aber kaum zum Erfolg führt.

Gezielte Blut- und Urinuntersu- chungen werden in Labors durchge- führt, die selbstverständlich an exter- nen Qualitätskontrollen durch die Er- langer Universität mit Erfolg teilneh- men. Dies betrifft vor allem die Schwermetall-, Pestizid- und Lösemit- telbestimmung.

Die Leukozytendifferenzierung als auch die Virustiterbestimmung zeigen Regulationsstörungen auf, wo- bei Rückschlüsse auf die Immunlage möglich sind. Das Verhältnis der Lymphozyten als auch die Höhe des IL-2 geben differenziert Auskunft und haben unterschiedliche Thera- piemaßnahmen zur Folge.

Häufig findet man bei „norma- len“ Blutuntersuchungen sehr hohe Titer auf HHV6, Herpes simplex, H. zoster, Toxoplasmose, CMV und EBV. Damit lassen sich viele Störun- gen plausibel erklären, wenn auch die Therapie sehr schwierig erscheint. So kann ich nicht verstehen, daß die Au- toren von einer Erkrankung sprechen, die keine objektiven Daten bringt, und muß annehmen, daß sie keine verläß- lichen Daten aus der Praxis erhielten.

Zum zweiten ist es nicht möglich, objektive Daten zu einer funktionel- len Schädigung in dem Sinne zu erhal- ten, daß ich auschließen kann, daß

Substanzen eine entsprechende Mus- kelanspannung oder eine Verände- rung des Cortisolspiegels erzeugen oder nicht.

Ich finde es, nach allem, was ich mit diesen Patienten erfahren mußte, unmenschlich, diese mit Stoffen zu konfrontieren, die offensichtlich star- ke Reaktionen hervorrufen. Sicher- lich können durch entsprechend auf- wendige Methoden auch Angstsyn- drome behandelt werden, aber diese Klientel ist in multiplen sensorischen Bereichen regulationsgestört. Sie dann schon aus der Betreuung zu ent- lassen, wenn keine „objektiven“ Da-

ten vorliegen, ist leichtfertig und dis- kriminierend. Es gibt zu wenig Daten über diese Erkrankung und zu viele intolerante Reaktionen in Richtung Psychiatrisierung. Andererseits gibt es in jeder Fachrichtung psychosoma- tische Patienten, die eine Grund- erkrankung belasten könnte.

Die IGUMED als auch die neu gegründete dbu (Deutscher Bundes- verband der Umweltmediziner) sind sensibel genug, um in Zukunft Kriteri- en zu entwickeln, wie eine interdiszi- plinäre Betreuung durchzuführen ist.

Literatur

1. Sparks PJ, Daniell W, Black DW, Kipen HM, Altman LC, Simon GE, Terr AI: Mul- tiple chemical sensitivity syndrome: A clini- cal perspective part I and II. Journal of Occupational Medicine 1994; 36/7:

718–737.

2. Maschewsky W: MCS – wissenschaftlicher, sozialer und politischer Stand. Arzt und Umwelt 1998; 11: 29–35.

3. Seidel HJ: Umweltmedizin. Thieme Verlag, Stuttgart.

4. Maschewsky W: Handbuch Chemikalien- unverträglichkeit. Medi-Verlag, Hamburg.

Dr. med. Peter Germann Alzeyer Straße 65 67549 Worms

Die Arbeit ist rein theoretisch und akzentuiert beim MCS den soge- nannten „Nozeboeffekt“. Beim Pla- zeboeffekt glaubt der Proband/Pati- ent, wenn er eine Tablette erhält, daß diese ihm hilft. Im Gegensatz dazu weiß der Noxengeschädigte zunächst nicht, warum er seine Beschwerden hat. Es könnte sich ein Nozeboeffekt erst sekundär einstellen. Wichtig ist die Ursachenklärung! Dazu emp- fiehlt sich eine exakte Anamneseer- hebung bezüglich der Chronologie der Symptome und gemessenen Pa- rameter, beispielsweise ob die Sym- ptome psycho-somatisch oder soma- to-psychisch sind. Nach meiner zehn Jahre langen Erfahrung mit Umwelt- geschädigten gibt es auch Patienten, die dem Bereich „sowohl als auch“

zuzuordnen sind. Welche praktischen Erfahrungen haben die Autoren im Rahmen der Verhaltenstherapie mit sogenannten MCS-Kranken oder mit

„Pseudo-MCS-Kranken“ oder Kran- ken, die sowohl psycho-somatisch als auch somato-psychisch erkrankt sind?

Noch besser als die Verhaltensthe- rapie wird sicherlich die Hypnosethe- rapie helfen, das MCS-Syndrom besser verstehen zu können (zum Beispiel Suggestibilität, Ängstlichkeit und an- deres des Patienten beziehungsweise Geruchs- oder Geschmackskonditio- nierung). Ähnlich wie beim MCS-Syn- drom werden bei der Hypnose sehr viele Organsysteme simultan beein- flußt.

Nach eigenen Erfahrungen ver- schlimmern psychoanalytisch-tiefen- psychologisch orientierte Therapien den gesamten Zustand des Patienten.

Letztlich muß jeder „Fall“ individu- ell therapiert werden, wobei Werte für maximale Arbeitsplatzkonzen- trationen und für maximale Immissi- onskonzentrationen relativ wenig helfen, zumal es an festen toxikologi- schen Daten fehlt. Eine Aussage zu DISKUSSION

Multiple Chemical Sensitivity

Schädigung durch Chemikalien oder Nozeboeffekt

Psychiatrisierung

vermeiden Synergistische Wirkung

erwägen

Zu dem Beitrag von

Prof. Dr. med. Karl Walter Bock, Prof. Dr. phil. Niels Birbaumer in Heft 3/1998

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möglichen Kombinationswirkungen wäre daher nur aus theoretischen Überlegungen abzuleiten. Synergisti- sche (überadditive) Wirkungen sind bei Gemischen von Xenobiotika, die lipophile Stoffe neben hydrophilen Stoffen enthalten, zu erwarten. Da- bei kann nicht nur die Wirkung be- reits toxischer Konzentrationen ei- nes im Stoffgemisch enthaltenen Stoffes verstärkt werden. Ein Stoff- gemisch kann auch dann bereits to- xisch wirken, wenn die Konzentratio- nen der einzelnen enthaltenen Stoffe unterhalb ihrer jeweiligen Wirk- schwelle (NOEC) liegen. Dies be- deutet, daß bei Expositionen gegen- über Stoffgemischen bereits weit un- terhalb der Wirkschwelle der Ein- zelsubstanzen mit gesundheitlichen Schädigungen gerechnet werden muß, wenn synergistische Effekte zum Tragen kommen. Die tolerable Dosis von Stoffgemischen kann da- her nicht ausschließlich an den Wirk- schwellen der Einzelsubstanzen be- urteilt werden.

Auch müßte überlegt werden, ob eine – wie bei der Verhaltenstherapie üblich – anhaltende Konfrontation mit vermeintlichen Noxen einen Kunstfehler oder eine Körperverlet- zung darstellen kann.

Dr. med. Peter Halama Berner Heerweg 175 22159 Hamburg

Erwartungshaltungen werden objektivierend und zutreffend als Ur- sache eines „Nozeboeffekts“ be- schrieben. Das subjektive Erleben unserer Patienten kann verstärkt berücksichtigt werden, wenn geprüft wird, in welchen Gedanken und Bil- dern sich ihre Erwartungshaltungen äußern. Dies nicht, um Gegenbilder zu entwerfen und sie den Patienten in einem unfruchtbaren Wettstreit vor- zuhalten, sondern um ihrem Anliegen auch auf der Ebene näher zu kom- men, auf der sie sich selber erleben.

Sachkundiger Umgang mit entspre- chenden Bildern und veranlassenden Emotionen kann bewirken, daß eine

vorgängige Vertrauensbasis geschaf- fen wird, die ihrerseits vermeiden hilft, daß der sonst übliche Weg vom Patienten gewählt wird: zum nächsten Experten zu wechseln.

Sachkunde als Grundlage des Umgangs mit solchen Bildern und Gedanken setzt Schulung auf einem Gebiet voraus, das für medizinischen Gebrauch erst erschlossen werden muß. Für allergologisch und umwelt- medizinisch tätige Ärzte haben wir daher einen entsprechenden Ansatz zu entwickeln versucht, der zunächst bewußt so allgemein formuliert ist, daß er auch von Arbeiten wie dem Werk von Rudolf Schmitt (1) und der nicht systematischen, aber anregen- den Diskussion von Reinheits-, Natur- und Gesundheitsmetaphern durch Rosalind Coward Gebrauch machen kann (2).

In erster Näherung formal und darin als stochastische Systeme mit Wechselwirkungen beschrieben, wer- den Entwicklungen von Gefühls- zuständen, weiterem Kontext und Bild- und Sprachgebrauch in einer Terminologie erfaßt, die zu Darstel- lungen auf Objekt- (beispielsweise neurophysiologischer) und Subjekt- Ebene kompatibel ist (3). Erste Vor- stellungen auf der Grundlage dieser natürlich ungewohnten Teminologie fanden positive Aufnahme, so daß hier – unter Voraussetzung weiterer Bearbeitung – ein Weg gegeben sein könnte, unter beabsichtigter Um- gehung spezifischer Vorannahmen verschiedener psychotherapeutischer Schulen eine Erweiterung unserer therapeutischen Kompetenz zu erar- beiten (4).

Literatur

1. Schmitt R: Methaphern des Helfens. Wein- heim: Beltz, Psychologie Verlags Union, 1995.

2. Coward R: The whole truth. The myth of alternative health. London 1989. Dt. Aus- gabe: Nur Natur? Die Mythen der Alterna- tivmedizin. München: Kunstmann, 1995.

3. Fröhlich T, Haux R, Roebruck P: Glaubens- medizin und Allergologie. Eine Darstellung mit Hilfe der formalisierten Terminologie des Time Box Modells. Allergo J. 1997; 6:

15.

4. Fröhlich T, Haux R, Roebruck P: Bronchia- le Hyperreagibilität und psychischer Streß.

Kinderheilkunde 1997; 145, 8: 165.

Dr. med. Dr. rer. nat.

Thomas Fröhlich In den Brunnenwiesen 4 69245 Bammental

Viele Studien, wie auch die von den Autoren zitierte Arbeit von H.

Remmer, zeigen äußerst unterschied- liche Symptomprofile jener Patienten, die an „umweltbezogenen Syndro- men“ leiden. Die MCS-Patienten im engeren Sinne (mit Atemschutzmas- ken, elaborierte MCS-Theorie) sind möglicherweise Spätstadien und Son- derformen solcher Patienten mit „um- weltbezogenen funktionellen Syndro- men“, einer allgemeineren deskriptiv- diagnostischen Kategorie, die ich zur Entemotionalisierung der Debatte vorschlage (2). Bisher kann man nicht auf stringente Definitionskriterien und differentialdiagnostische Kriteri- en zurückgreifen, wenn es um MCS geht. Die Akteure im klinisch-um- weltmedizinischen Bereich sind sich daher nicht sicher, ob sie wirklich über den gleichen Patientenkreis sprechen (1).

Für einen direkten Nozeboeffekt analog dem Plazeboeffekt sind poly- symptomatische Beschwerden nicht gut belegt. Es ist auch noch nicht em- pirisch geklärt, wer diese symptom- induzierende suggestive Person (der Arzt für Naturheilkunde?) bei MCS- Patienten definitiv ist. Außerdem:

Viele MCS-Patienten haben erst die Symptome und dann die Interpretati- on. Diese Hypothese benötigt daher mehr empirische Fundierung. Die Be- deutung der Geruchssensibilität oder ihre Veränderung ist bei MCS nicht so häufig und vor allem kein zentrales Symptom und dann auch passager.

Daß manche der von Bock und Bir- baumer zitierten Fachautoren mei- nen, daß „psychologische und psy- chiatrische Ursachen vorherrschend“

sind, ist nicht ganz berechtigt, da es zu Ursachenfragen hier nur Indizien gibt (psychiatrische Anamnese, Auffällig- keiten bei Persönlichkeitsinventaren und anderes), aber keinen Nachweis im engeren Sinn; solche Aussagen sind also nur Hypothesen. Das Kon- zept einer „Übertragung psychischer Probleme auf Umweltchemikalien“

ist schließlich schwer belegbar (psy- chodynamische Interpretation).

Ob eine psychologische Ätiolo- gie bei toxikologisch negativen Be- A-1799

M E D I Z I N

Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 28–29, 13. Juli 1998 (51) DISKUSSION

Subjektives Erleben berücksichtigen

Psychotherapeutische

Techniken sinnvoll

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funden „wahrscheinlich ist“, ist nach wie vor umstritten. Es gibt auch sonst noch andere, sozusagen „kryptoge- ne Erkrankungen“, beispielsweise Multiple Sklerose oder Schizophre- nie, mit ähnlich heterogenen und rela- tiv schwach fundierten Theorie- und Therapiekonzepten.

In vielen Studien wurden weder Medieneinflüsse, Suggestibilität, Struk- tur des Umfelds, allgemeine Weltbil- der, allgemeine Krankheitstheorien, (sekundär) neurotisierende Effekte der Krankheitskarriere systematisch untersucht. Hier besteht Forschungs- bedarf, es ist noch keine psychosoziale Ursachentheorie gesichert. Die zitierte Nancy Fiedler ist da wesentlich zurück- haltender in ihrer Bewertung der Psy- chogenese von MCS.

Die von Herrn Birbaumer vorge- schlagene multiaxiale Betrachtung („Verhaltensanalyse“) müßte zu- nächst in Studien untersucht werden.

Die Anzahl der angeführten Varia- blen stellt sogar bei einer im oben ge- nannten Kreise diskutierten bundes- weiten Multicenterstudie in Frage, ob genug Patienten rekrutiert werden können, zumal MCS-Patienten der Meinung sind, daß die Schulmedizin die Psychiatrisierung betreibt.

Aus praktischer Erfahrung her- aus ist festzustellen, daß die Empfeh- lung, die systematische Desensibili- sierung durchzuführen, sich bei den häufig gegebenen generalisierten Chemikalienphobien extrem schwie- rig gestaltet. Eine allgemeine (auch autosuggestive) Entspannungstech- nik ist da häufig erfolgreicher. Wie tatsächlich ein „mit MCS unvereinba- res Verhalten aufgebaut werden kann“, bleibt zu demonstrieren. Si- cher: Die verhaltenstherapeutische Ausrichtung ist am aussichtsreich- sten, aber hier müßten Praxiserfah- rungen sorgfältig zusammengetragen werden. Meiner Erfahrung nach sind zunächst gesprächspsychotherapeuti- sche Techniken sinnvoll und Ent- spannungstechniken (lernen, mit der Krankheit umzugehen). Kognitive Umstrukturierungen können erst im Laufe der Zeit langsam angesetzt werden. Die Kritik am MCS-Konzept ist dabei erfahrungsgemäß kontra- produktiv, besser ist es, die eigene Kritikfähigkeit des Patienten zu för- dern. Die von Herrn Birbaumer vor-

geschlagene „Verordnung einer ver- haltensmedizinischen Behandlung“

wird von MCS-Patienten mit ihrer Skepsis gegenüber der Schulmedizin nicht akzeptiert.

Literatur

1 Eis D, Altenkirch H, Beyer A, Eikmann Th, Herr C, Heinzow B, Hüppe M, Nix WA, Ko- bal G, Paulini I, Pitten FA, Ring J, Roscher S, Suchenwirth R, Tretter F, Wolf Ch: Me- thodische Ansätze und Verfahren zur MCS- Diagnostik: Diagnosekriterien und Studien- design. Umweltmed Forsch Prax 1997; 2:

148–156.

2 Tretter F: Umweltbezogene funktionelle Syndrome. Internist Praxis 1996; 36:

669–686.

Dr. Dr. Dr. F. Tretter Bezirkskrankenhaus 85529 Haar/München

Umweltbezogene Krankheiten und Ängste sind nicht neu, haben aber durch verändertes Patientenverhalten eine neue Dimension bekommen. Da- zu gehört der insbesondere von den Selbsthilfeorganisationen im öffentli- chen politischen Rahmen initiierte Druck auf den Gesetzgeber, die Kostenträger und die Ärzteschaft im Hinblick auf administrative Re- gelungen und Therapiemaßnahmen (1, 2). Entsprechend findet sich eine große Distanz und Skepsis gegenüber

„der Schulmedizin“ inclusive Psycho- somatik und Psychiatrie.

Dies vorausschickend, halte ich die vorgeschlagenen psychologischen und psychotherapeutischen Strategi- en für wirklichkeitsfremd und wenig erfolgversprechend, bezogen auf die- se Klientel.

Positive und negative Emotionen spielen eine große Rolle im Befinden und Verhalten der Betroffenen, was ärztlicherseits zu berücksichtigen ist, soll ein Zugang zu ihnen erreicht und eine tragfähige Patient-Therapeuten- Beziehung aufgebaut werden. Hier genau liegen die Schwierigkeiten, wie konkret die Betroffenen für eine Be- handlung zu gewinnen sind, wenn ihre Erwartungen nicht affirmativ be- stätigt werden. Ansonsten werden die vorgeschlagenen Maßnahmen (ope- rante Strategien, Reattribuierung) nicht angenommen.

Auch unter diagnostischen Ge- sichtspunkten gibt die Beziehungsauf- nahme und -Gestaltung Hinweise auf maladaptives Verhalten und Überfor- derung, aber auch auf Stärken und Ressourcen. Dann besteht auch die Möglichkeit, daß Betroffene sich aus rigiden Vorstellungen und Verhal- tensweisen lösen können, die nicht selten in eine Außenseiterposition geführt haben. Ein allein verhal- tenstherapeutisch ausgerichtetes Trai- nings- und Schulungsprogramm an- zubieten ist theoretisch begründbar, umgeht aber im konkreten Fall diese Problematik.

Literatur

1. Große Anfrage der SPD-Fraktion im Deut- schen Bundestag zu „Umwelt, Schadstoffe und Gesundheit“, Bundestagsdrucksache 13/7237 vom 7. 3. 97.

2. Info (Stand Oktober 1997) der „1. Selbsthil- fegruppe – chronisches Müdigkeitssyndrom – Immundysfunktionen e.V.“, Postfach 16 01 53, 40564 Düsseldorf.

Dr. med. Jochen Wehrmann Rothaarklinik

Klinik für Psychosomatische Medizin Am Spielacker

57319 Bad Berleburg

Die Reaktionen auf unseren Ar- tikel zeigen deutlich, daß ein erhebli- cher Forschungsrückstand im Bereich der „multiple chemical sensitivity“

(MCS) existiert. Unsere Arbeit hatte keineswegs die Absicht, gesicherte ex- perimentelle Erkenntnisse vorzustel- len und eine allgemeingültige Theorie der MCS zu entwickeln, sondern nur einige Probleme der interdiszi- plinären Forschung zwischen Toxiko- logie und Psychologie in diesem Be- reich zu verdeutlichen und einige ex- perimentell prüfbare Hypothesen zu formulieren. Dies wurde auch von der Mehrzahl der Zusendungen so gese- hen; besonders sinnvoll waren Hin- weise auf hervorragende experimen- telle Arbeiten, die wir in unserem Be- richt nicht im einzelnen zitiert hatten.

Besonders wichtig erscheinen uns neuere Arbeiten von Bell et al. (1) und von Eis et al. (2), die unsere Aus- führungen und Hypothesen im we- sentlichen aber bestätigen.

A-1800

M E D I Z I N

(52) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 28–29, 13. Juli 1998 DISKUSSION

Neue Dimension

Schlußwort

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A-1801

M E D I Z I N

Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 28–29, 13. Juli 1998 (53) Wichtig ist der Ausschluß toxi-

scher und primär immunologischer Ursachen für die vom Patienten ange- gebenen Beschwerden. Mißverständ- lich ist unsere Absicht interpretiert worden, die Systematische Desensibi- lisierung zur Behandlung von MCS- Patienten einzusetzen: Die Patienten sollen im Rahmen der Systematischen Desensibilisierung nicht mit toxischen Präparaten oder Substanzgemischen konfrontiert werden, sondern mit Ne- benkomponenten, wie Gerüchen und anderen Sinneseindrücken dieser meist aus verschiedenen Stoffen be- stehenden Präparate, die die Patien- ten für toxisch halten, die aber vorher in der umwelttoxikologischen Analy- se als völlig unschädlich identifiziert worden sind. (Unbegründete Assozia- tionen mit Gerüchen dürfen natürlich nicht verwechselt werden mit der wichtigen Funktion des Geruchsinns als Warner vor toxischen Substanzen).

Das entsprechende Behandlungsver- fahren ist in der Literatur sowohl auf seine Effizienz wie auf seine ethische Vertretbarkeit in zahllosen experi- mentellen Untersuchungen überprüft worden, die in der entsprechenden Fachliteratur (siehe die Zeitschriften Behaviour Therapy, Behaviour Re- search and Therapy, Verhaltensthera-

pie, die regelmäßigen Buchpublika- tionen Progress in Behaviour Modifi- cation) und anderen Veröffentlichun- gen nachgelesen werden können. Wie von den meisten Lesern richtig be- merkt wurde, halten wir von einer Therapie, in der verschiedene psycho- therapeutische Schulen einbezogen werden, nichts, ebensowenig wie wir eine Psychiatrierung oder Psychologi- sierung dieses Problems für besonders nützlich halten. Zweifellos wird die Behandlung zum jetzigen Zeitpunkt primär eine verhaltenstherapeutische sein, da dies die einzige psychologi- sche Therapieform ist, deren Effizienz experimentell überprüft wurde und die auf experimentellen Prinzipien beruht. Dies gilt für keine der anderen Psychotherapieformen, so daß wir ei- ne Diskussion, was nun die sinnvollste Therapie sei, erst dann weiterführen wollen, wenn experimentelle Befunde über die Wirksamkeit solcher psycho- logischer Behandlungsmaßnahmen vorliegen. Dies ist zum jetzigen Zeit- punkt für das MCS-Syndrom direkt nicht der Fall. Aus diesem Grund ha- ben wir unsere Hypothesen für solche Untersuchungen in diesem Artikel formuliert. Es ist unanzweifelbar, wie in mehreren Zuschriften auch er- wähnt wurde, daß für alle verhal-

tenstherapeutischen Maßnahmen ei- ne positive Patient-Therapeut-Bezie- hung vorerst geschaffen werden muß.

Dies haben wir in unserem Beitrag mit den einzelnen Strategievorschlä- gen nachdrücklich betont.

Literatur

1. Bell IR, Schwartz GE, Baldwin CM, Hardin EE, Klimas NG, Kline JP, Patarca R, Song Z-Y: Individual differences in neu- ral sensitization and the role of context in illness from low-level environmental chemi- cal exposures. Env Health Persp (Suppl 2) 1997; 105: 457–466.

2. Eis D, Altenkirch H, Beyer A, Eikmann T, Herr C, Heinzow B, Hüppe M, Nix WA, Kobal G, Paulini I, Pitten F-A, Ring J, Roscher S, Suchenwirth R, Tretter F, Wolf C: Methodische Ansätze und Verfahren zur MCS-Diagnostik: Diagnosekriterien und Studiendesign. Umwelt Forsch Prax 1997; 2:

148–156.

Anschrift der Verfasser

Prof. Dr. phil. Niels Birbaumer Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie Universität Tübingen Gartenstraße 29 72072 Tübingen

Prof. Dr. med. Karl Walter Bock Institut für Toxikologie

Universität Tübingen Wilhelmstraße 56 72074 Tübingen DISKUSSION/FÜR SIE REFERIERT

Eine der Indikationen zur Durch- führung einer Streßulkusprophylaxe ist die Langzeitbeatmung auf In- tensivstationen. Die Autoren unter- suchten in einer Multicenter-Studie, an der 1 200 Patienten teilnahmen, den Einsatz von 4mal 1 g Sucralfat Suspension oder 3mal 50 mg Rani- tidin intravenös beziehungsweise ei- ner Plazebomedikation auf die Rate an gastrointestinalen Blutun- gen. Dabei erwies sich die Gabe des H2-Blockers Ranitidin der Sucralfat- behandlung als signifikant überle- gen, was die Zahl klinisch relevanter Magenblutungen anlangt (1,7 Pro- zent versus 3,8 Prozent). Bezüglich Pneumonierate, Verweildauer auf

Intensivstation und Letalität erga- ben sich keine Unterschiede. w Cook D, Guyatt G, Marshall J et al.: A comparison of sucralfate and ranitidine for the prevention of upper gastrointesti- nal bleeding in patients requiring mecha- nical ventilation. N Engl J Med 1998; 338:

791–797.

McMaster University, Hamilton, Onta- rio, Kanada.

Das Interesse der Gastroenterolo- gen galt bislang bei magenoperierten Patienten in erster Linie einem mögli- chen Operationsfolge-Karzinom im Restmagen. Da die Ulkuskrankheit gehäuft bei Rauchern auftritt, sollte das Interesse eher auf Folgekrankhei- ten des Nikotinkonsums konzentriert werden. Die Autoren führten eine Analyse bei 7 198 Patienten durch, die

zwischen 1971 und 1979 wegen eines Geschwürs vagotomiert worden wa- ren. Sie verglichen diese Daten mit de- nen von 67 812 Patienten, die zwischen 1965 und 1983 wegen eines Geschwürs stationär untersucht worden waren.

Das Risiko, in der Folgezeit ein Bron- chial-Karzinom zu entwickeln, war bei den vagotomierten Patienten um den Faktor 2,2 erhöht. Auch bei nicht ope- rierten Ulkus-Patienten bestand ein um den Faktor 1,56 erhöhtes Lungen- krebsrisiko. Deshalb sollten Ulkus-Pa- tienten, die durch eine Helicobacter- Therapie heute von ihrem Ulkusleiden geheilt werden können, das Rauchen

einstellen. w

Ekbom A, Lundegardh G, McLaughlin JK, Nyrén O: Relation of vagotomy to subsequent risk of lung cancer: populati- on based cohort study. Br Med J 1998;

316: 518–519.

Department of Medical Epidemiology, Karolinska Institute, PO Box 281, S- 171 77, Stockholm, Schweden.

Sucralfat oder Ranitidin zur

Streßulkusprophylaxe?

Lungenkrebsrisiko

nach Vagotomie?

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