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Archiv "Die Ideale und die Infanterie — Oder was geschieht in Beethovens „Eroica“ wirklich?" (10.04.1985)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Kulturmagazin

Die Ideale und die Infanterie

Oder was geschieht in Beethovens „Eroica" wirklich?

Werner Klüppelholz

Wer wüßte nicht, was in Beetho- vens „Eroica" geschieht? Zuerst zwei markante Schläge des gan- zen Orchesters, dann ein Thema

im Violoncello, das in die Gei- genstimme übergeht, hier ein Motiv der Flöte, dort ein Einwurf der Klarinette, und das bewegte Ganze — so sprachen kluge Köp- fe — repräsentiere eben nichts anderes als Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, die Ideale der bürgerlichen Revolution — weit gefehlt! Vielmehr geht es um Reiten, Röcheln und Rüben,

aber beginnen wir in systemati- scher Chronologie.

Die Zeitgenossen des Bonner Meisters zeigten sich völlig ver- wirrt. Ein Anonymus, der im Ja- nuar 1805 die Uraufführung er- lebt hatte, als Stimme der Kon- tra-Partei: „Diese lange, für die Ausführung äußerst schwierige Komposition ist eigentlich eine sehr weit ausgeführte, kühne.

und wilde Phantasie. Es fehlt ihr gar nicht an frappanten, schö- nen Stellen, in denen man den

energischen, talentvollen Geist ihres Schöpfers erkennen muß.

Sehr oft aber scheint sie sich ganz ins Regellose zu verlieren.

Referent gehörts gewiß zu Herrn v. B. s. aufrichtigsten Verehrern;

aber bei dieser Arbeit muß er doch gestehen, des Grellen und Bizarren allzuviel zu finden, wo- durch die Übersicht äußerst er- schwert wird und die Einheit ganz verlorengeht".

„Der Freimüthige", offenbar ein überparteiliches Blatt, läßt alle Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 15 vom 10. April 1985 (85) 1097

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Beethovens Dritte

Reaktionen zu Wort kommen:

„Die einen, Beethovens ganz besondere Freunde, behaupten, gerade diese Symphonie sei ein Meisterstück, das sei eben der wahre Stil für die höhere Musik, und wenn sie jetzt nicht gefällt, so komme das nur daher, weil das Publikum nicht kunstgebil- det genug sei, alle diese hohen Schönheiten zu fassen; nach ein paar tausend Jahren aber würde sie ihre Wirkung nicht verfehlen.

Der andere Teil spricht dieser Arbeit schlechterdings allen Kunstwert ab. Die dritte, sehr kleine Partie steht in der Mitte.

Sie gesteht der Symphonie manche Schönheiten zu, be- kennt aber, daß der Zusammen- hang oft ganz zerrissen scheint, und daß die unendliche Dauer dieser längsten, vielleicht auch schwierigsten aller Symphonien selbst Kenner ermüde, dem blo- ßen Liebhaber aber unerträglich werde". Es muß wohl ein Lieb- haber gewesen sein, der von der Galerie des Theaters an der Wien herabrief: „Ich gäb' noch einen Kreuzer, wenn's nur auf- hören würde".

Nur wenige musikalische Fach- leute freilich ließen sich weder von der strapaziösen Länge noch von den ungewohnten Klängen der dritten Sinfonie Beethovens beirren, sondern er- kannten sofort die ungeheure Originalität des „neuen Wegs", den der Komponist hier einge- schlagen hatte. Vielleicht um der Verwirrung Einhalt zu gebie- ten, vielleicht um die Phantasie des Hörers zu beflügeln, viel- leicht um die Erfindung des Films vorwegzunehmen — bald nach Beethovens Tod begann man jedenfalls, Geschichten zur Dritten zu erfinden, und es mag überaus lehrreich für uns Heuti- ge sein, die wir eine Konzertkri- tik oder den Begleittext einer Schallplatte lesen, die Glaub- würdigkeit solcher Geschichten ein wenig zu durchleuchten.

Selbstredend ließen sich die Deuter der „Eroica" vor allem

zunächst durch Beethovens Widmung inspirieren, die ja ur- sprünglich Napoleon gegolten haben soll und von Beethoven erst bei der Nachricht von des- sen Kaiserkrönung getilgt wor- den sei. Gesichert ist jedenfalls die Widmung an den Fürsten Lobkowitz, dem die „Heroische Sinfonie, komponiert zur Feier des Andenkens an einen großen Mann" zugedacht war. Obgleich also Napoleon im Jahr 1805 noch so munter war, daß kein Anlaß zur Feier seines Anden- kens bestand, wurde er fraglos als Held der „Eroica" identifi- ziert.

Spiel mir das Röcheln vom Tod Einige Kostproben aus einem um 1860 verbreiteten Beetho-

„Ich gäb' noch einen Kreuzer, wenn's nur aufhören würde!”

ven-Buch: „Auf diesen melodi- schen Erguß (wo sich etwa zwei Minuten nach Beginn des ersten Satzes die Geigen abwärtsstür- zen) folgt eine unruhige Figur in Gruppen von Sechzehnteln, die das Klirren und Blitzen sich überkreuzender Waffen malt.

Dann sieht der große Feldherr seine Garde vorbeiziehen. Wel- che Stattlichkeit und welche Haltung! — Die strategischen Träume des großen Feldherrn umfassen das Schlachtfeld in den mannigfachsten Beziehun-

gen. Hier stellt er sich an die Spitze seiner leichten Truppen, kommandiert mit immer lauterer Stimme und beschleunigt den Galopp der Schwadronen in Sechzehnteln — Das Orchester läßt nur noch Töne ohne Melo- die und Harmonie hören, rauhe und herzzerreißende E gegen F, das Röcheln des Todes. Was sol- len diese schrecklichen Disso- nanzen bedeuten, die auf ein- mal abbrechen und ohne Auflö- sung bleiben? Hat Beethoven Furcht gehabt oder hat das pro- phetische Leuchten des Bran- des von Moskau seinem Helden das Unglück der Zukunft verra- ten? Plötzlich wendet sich der Gedanke des Helden nach Ägyp- ten, oder vielleicht nach Indien", das Napoleon ja tatsächlich ebenfalls mit einem — freilich nicht realisierten — Feldzug zu beglücken dachte. In der linken Hand also die Partitur Beetho- vens, in der rechten die Biogra- phie des Empereurs: da bleibt weder eine Frage offen noch ein Auge trocken.

Warum erscheint das Thema am Anfang so leise? Des Nebels we- gen: „Der Hauptgedanke tritt im Violoncello noch blaß, noch nicht erwärmend hervor, gleich der eben den Horizont berüh- renden Sonne, um gleich ihr in fröstelnden Nebeln sich noch einmal zu bergen. Dieses ,Noch nicht!' (wie oft hat es Napoleon ausgesprochen, wenn seine Ge- neräle zu früh die Reserven for- derten) weitet den Satz von vier auf 13 Takte aus". Warum ste- hen — statt der langsamen Einlei- tung Haydns — bei Beethoven zu Beginn nur zwei Akzente des Or- chester-Tuttis? „Zwei Hiebe schwerer Kavallerie, die ein Or- chester spalten wie eine Rübe".

Ersetzt man die Napoleon-Bio- graphie etwa durch Homers

„Ilias" — wie es Arnold Schering, das Haupt der deutschen Musik- wissenschaft in den 1930er Jah- ren unternahm —, so läßt sich ei- ne ebenfalls einleuchtende Fa- bel den Noten entnehmen: am Anfang gibt Hektor sich einen

1098 (86) Heft 15 vom 10. April 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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Beethovens Dritte

Ruck, das zarte Thema meint nichts anderes als die Beschwö- rung der Gattin, nicht in den Krieg zu ziehen, Hektor beruhigt sie, Andromache sinkt in sich zusammen und der Held eilt hin-

weg. So einleuchtend, so will- kürlich.

Gewiß hat Beethoven die „Iljas"

gelesen, gewiß hat er sich mehr- fach zu Napoleon geäußert, ge- wiß hat er (bei der Klaviersonate op. 31, 2) einen Hinweis auf Shakespeares „Sturm" gege- ben, aber solch konkrete Be- gleitmusik zu einem imaginären Film dürfte allemal seinen musi- kalischen Absichten, die forma- le waren, und seinem Selbstver- ständnis widersprochen haben.

Die literarische Lektüre hat ihm lediglich zu bloßen Namen dra- matischer Konflikte verholfen, die er dann in seinen Sinfonien und Sonaten kompositorisch, mit nichts als Tönen gestaltet hat.

Hermeneutisches Riterdando Doch wurden die Deuter bis heute nicht müde, die von Beet- hoven (wie anderen Komponi- sten) vage und unbestimmt aus- gelegten Spuren dingfest zu machen, jeder auf seine Art, ver- steht sich. Acht solcher kundi- gen Männer sitzen beieinander und definieren die Bedeutung jener drei Töne, die nach dem ersten Fortissimo des ersten Satzes in den Blasinstrumenten hin und her hüpfen: „Es klingt wie ein Vogelruf im Wald", sagt der erste, der Romain Rolland heißt und Literatur-Nobelpreis- träger ist; „eine behagliche, be- glückende Melodie", meint der zweite und lehnt sich zurück;

„matt klagende Seufzer der Holzbläser" (das Horn überhö- rend) spricht der dritte; „es ist wie freudig jauchzende Feldmu- sik", ruft der vierte; „diese drei Töne fegen den Staub von den Verflachungen des Alltagsle- bens", konstatiert der fünfte im Brustton; „klagende, innig fle- hende Stimmen", macht der

sechste geltend; „es klingt wie Fragen und Bedenken", wider- spricht der siebte; „aber aufs neue bittet Andromache, dies- mal dem Flehen einen Zug des Schmeichelns zugesellend", präzisiert der achte unserer mu- sikalischen Wissenschaftler.

Wie also, mag sich der verwirrte Laie fragen, von wo mag da Ge- wißheit kommen? Als einzige Gewißheit bleibt, daß es keine gibt, daß sich der „Inhalt", die

„Botschaft" begriffsloser Instru- mentalmusik nicht übersetzen läßt (es sei denn, sie hätte ein Programm, wie es zum Beispiel Richard Strauss liebte).

„Der Begriff 'Held' kann bei Beethoven nie-

mals subjektivi- stisch verstanden

werden ...

... er ist kollektiv gemeint, als Inbe- griff des revolutio- nären Kämpfer- tums."

Beethovens Einfluß auf 200 Jahre Tagespolitik

Erst recht existiert keine alle Zeiten überdauernde Bedeu- tung von Musik. Dies mag ein Blick auf solche Äußerungen zu Beethovens „Eroica" illustrie- ren, bei denen eine Abhängig- keit von einer politischen Situa- tion offen zutage tritt. 1892:

Hans von Bülow, der erste Star- Dirigent der Geschichte, fand kein Genügen mehr an Napo- leon als Helden. Auch seien, be- merkte er in der Ansprache zu

Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 15 vom 10. April 1985 (89) 1099

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„Zwei Hiebe schwerer Kavallerie, die ein Orchester spalten wie eine Rübe."

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Beethovens Dritte

einem Konzert seiner Berliner Philharmoniker, die Begriffe von damals, nämlich Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit über- holt und von der positiven Devi- se Infanterie, Artillerie und Ka- vallerie abgelöst worden. Nun brauche man auch einen neuen Helden der „Eroica", und da ha- be man ja nicht lange zu su- chen: „Wir Musikanten mit Herz und Hirn, mit Hand und Mund" — man sieht, Bülow hat viel Wag- ner aufgeführt — „wir weihen und widmen heute die he- roische Symphonie von Beetho- ven dem größten Geisteshelden, der seit Beethoven das Licht der Welt erblickt hat. Wir widmen

sie dem Bruder Beethovens, dem Beethoven der deutschen Politik, Fürst Bismarck — Hoch!"

November 1914 (in England war gerade ein Boykott deutscher Musik ausgerufen): der junge Musikologe Walther Vetter, der in den fünfziger Jahren Papst der DDR-Musikwissenschaft werden sollte, macht den „Hel- denwillen", der sich über alle Regeln kraftvoll hinwegsetzt, vor allem an der berühmten „fal- schen" Stelle im ersten Satz fest, wo das Horn leise, doch dissonant vor den anderen In- strumenten das Thema wieder aufnimmt. „Nun, wir sind herz- lich froh, daß Beethovens hehre Kunst in dieser schicksals-

schweren Zeit in jenem Krämer- lande nicht prostituiert wird.

Vielleicht gibt es aber manchen Briten drüben, dem jetzt die Schamröte ins Gesicht steigt, wenn er daran denkt, daß sein Vaterland mit dem Barbarenvolk der Russen gemeinsame Sache macht gegen Deutschland, die- ser Hochburg von Kunst und Wissenschaft, und daß es die gelben Asiaten den Enkeln Beethovens auf den Hals hetzt.

Und wenn dieser einsichtige Bri- te die Partitur der Sinfonia Eroica aufschlägt, so wird ihm daraus schreckhaft das deut- sche Wort unseres deutschen Beethoven entgegenleuchten:

,Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen'. Wir aber wol- len Beethovens Erbe erwerben, um es zu besitzen, und wollen in diesen Tagen seine Moral zu der unsrigen machen".

1935: „Das vage ,Per aspera ad astra' von Beethovens 5. Sinfo- nie wird, umgedeutet in das Bild des Existenzkampfes eines Vol- kes, das einen Führer sucht und findet, sich in ein Sinnbild ver- wandeln, das gerade uns Deut- schen der Gegenwart in voller Tageshelle entgegenleuchtet", so besagter Arnold Schering.

1947, als weniger Helden ge- fragt waren denn die notwendi- gen Zutaten, sagen wir zu einem Gelage, wer war da der Held der

„Eroica"? „Könnte es nicht Dio- nysos sein, mit dessen Geistge- stalt Beethoven durch die Werke Platos eng verbunden war? Man muß schon mit Blindheit ge- schlagen und mit allem böswilli- gen Verneinen der geistigen Tatsachen ausgerüstet sein", wenn man Dionysos bestreiten wollte, spricht eine gewisse An- na Gertrud Huber. Und 1953 schließlich: „Der Begriff ‚Held' kann bei Beethoven niemals subjektivistisch verstanden wer- den. Vielmehr ist er kollektiv ge- meint, als Inbegriff des revolu- tionären Kämpfertums". Erra- ten, ein Autor aus der DDR.

Oh, guter Ludwig, die Freiheit war dir heilig. Einmal sagtest du:

„Wem meine Musik sich ver- ständlich macht, der muß frei werden von all dem Elend, wo- mit die anderen sich schlep- pen". Aber darf jeder Unberufe- ne sich die Freiheit nehmen, sol- che Geschichten zu Deiner Mu- sik er erdichten, daß sie uns voll- kommen unverständlich wird?

Den Napoleon sollst Du abge- malt, aber eigentlich den Bis- marck dabei gemeint haben, da- mit das deutsche Heer tapfer ge- gen Engelland kämpfe, um spä- ter von Hitler zu den Sternen ge- führt zu werden, aber im Grunde ist Deine „Eroica" doch kommu- nistisch, oder? Und solltest du im Finale tatsächlich die Astro- nauten vergessen haben? Ge- nug der Ironie, eine Antwort im Ernst auf die Frage, was denn ei- gentlich in Beethovens „Eroica"

passiere. Nun, ganz einfach: zu- erst zwei markante Schläge des ganzen Orchesters, dann ein Thema im Violoncello, das in die Geigenstimme übergeht, hier ein Motiv der Flöte, dort die Kla- rinette ... alles andere sind freie Projektionen subjektiver Phantasie (die ohnehin jeder Hörer selber besitzt).

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. Werner Klüppelholz Nußbaumerstraße 43

5000 Köln 30

Zeichner: Andreas Steiner

1100 (90) Heft 15 vom 10. April 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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