Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 199. Mai 2003 AA1221
S E I T E E I N S
A
uf den ersten Blick erstaunt es nicht, was die Gmünder Ersatz- kasse (GEK) als Initiatorin einer Stu- die mitteilt: Etwa 20 Prozent der GEK-Versicherten beanspruchen rund 90 Prozent der Kassenausgaben für sich. Ähnliche Zahlen werden für die Gesetzliche Krankenversicherung schon seit längerer Zeit genannt.Dröselt man die Daten, die erst- mals Leistungsausgaben bestimmten Diagnosen zuordnen, genauer auf, zeigt sich, dass sogar lediglich 2,5 Pro- zent der Mitglieder fast die Hälfte der Kosten verursachen. Das hat Prof. Dr.
med. Friedrich Wilhelm Schwartz, Medizinische Hochschule Hannover, herausgefunden. Erstaunlich ist etwas anderes: „Die Studie zeigt, dass es die zum großen Teil vermeidbaren Volks- krankheiten und ihre Folgeschäden
sind, die diese enormen Kosten verur- sachen“, erläuterte Schwartz. Kreis- lauferkrankungen verursachten dem- nach 15 Prozent aller Leistungsausga- ben, Erkrankungen des Muskel-Ske- lett-Systems 14 Prozent, Krebser- krankungen 11 Prozent,Verletzungen sowie psychische Erkrankungen/Ver- haltensstörungen je neun Prozent.
„Hieran können wir das enorme Potenzial erkennen, welches im Aus- bau der Prävention steckt“, ergänzte Schwartz. Denn die spektakulären Infektionserkrankungen würden nur zwei Prozent der Ausgaben verursa- chen. Nachweisbar war bei der GEK zudem, dass die Ausgaben nicht zwangsläufig mit dem Alter der Ver- sicherten steigen, sondern vielmehr kurz vor dem Tod – unabhängig vom Alter des Verstorbenen.
Einen erheblichen Schönheitsfeh- ler hat die Studie allerdings: Ausge- wertet wurden nur Angaben zu Ar- beitsunfähigkeit, stationären Leistun- gen und verordneten Arzneimitteln.
Daten über die ambulanten Leistun- gen von Ärzten und Zahnärzten flos- sen nicht ein. „Hier hoffe ich auf die Gesundheitsreform“, sagte GEK- Vorstandsvorsitzender Dieter Hebel.
Sie werde es ermöglichen, auch mit solchen Informationen zu arbeiten.
Dann brechen sicher erst recht schwere Zeiten für „Hochnutzer“
an, wie diese teuren Versicherten von den Kassen genannt werden.
Ob es dabei bleiben wird, dass dies keine Bewertung im Sinne einer unverhältnismäßig erhöhten Inan- spruchnahme sein soll, wie Hebel betonte? Sabine Rieser
GEK-Studie zu Krankheitskosten
Wenige kosten sehr viel
Agenda 2010
Grüner Stempel B
unt sprießende Frühlingsblüher,einige Stühle in der Sonne und in der Ecke ein alter Grill. Beschaulich geht es zu in der Bundesgeschäfts- stelle von Bündnis 90/Die Grünen mit ihrem idyllisch gestalteten Innen- hof in Berlin-Mitte. Gut schien die Stimmung auch im Bundesvorstand der Partei, der sich am Montag ver- gangener Woche über die umstritte- ne Reformagenda 2010 verständigte.
„Die Grundlinien stehen“, verkünde- te Parteichef Reinhard Bütikofer gut gelaunt im Anschluss an die Sitzung.
Die Grünen scheinen somit weit ent- fernt von dem an Selbstzerfleischung grenzenden Streit, wie ihn die SPD dieser Tage erlebt.
Nur Stunden zuvor musste Bun- deskanzler Gerhard Schröder gar mit Rücktritt drohen, um in der eigenen Parteispitze eine tragfähige Mehrheit
für sein Reformpaket zu erringen.
Auf Regionalkonferenzen soll die Ba- sis von der Notwendigkeit der Ein- schnitte überzeugt werden, bevor es auf dem SPD-Sonderparteitag am 1. Juni in Berlin zum Schwur kommt.
Grünen-Chef Bütikofer sieht in seiner Partei allenfalls Gesprächsbe- darf „bei einzelnen Punkten“. Grund- sätzlich sei man sich aber über die Notwendigkeit der angestrebten Re- formen einig. Doch das grüne Idyll könnte trügen. An der Parteibasis formiert sich Widerstand. So wollen aufmüpfige Grünen-Kreisverbände auf dem Cottbuser Sonderparteitag am 14. Juni mit einem eigenen An- trag die „Agenda 2010“ ins Wanken bringen. Ob dies tatsächlich gelingt, ist ungewiss. Vorsorglich setzt die Parteispitze jedoch „auf Transpa- renz und auf Visionen“, um für das
Reformpaket zu werben. Man müsse vermitteln, wohin „die Reise gehen soll“, sagte Bütikofer.
Dafür scheint die Führung insbe- sondere die Gesundheitspolitik wie- derentdeckt zu haben und formuliert als langfristiges Reformziel die Ein- führung einer Bürgerversicherung für alle. Diese Idee gehe über die vorge- legte Agenda 2010 hinaus und stelle das „spezifisch Grüne“ an den Reform- plänen dar, erklärte der Parteichef.
Den Kanzlerplänen wird damit ein deutlich sichtbarer grüner Stempel aufgedrückt – wenn auch fernab der tagespolitischen Aktualität. Beim Cottbuser Sonderparteitag könnte dies dennoch helfen, manchem Dele- gierten bittere Pillen zu versüßen und die Parteispitze wie auch den Kanzler vor unangenehmen Überraschungen zu bewahren. Samir Rabbata