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ie Auseinandersetzungen darüber, unter welchen Vorgaben die Pra- xisgebühr ab 2004 von den Ver- tragsärzten eingezogen werden soll, dauern an. Kassenärztliche Bundesver- einigung (KBV), Spitzenverbände der Krankenkassen und Bundesgesund- heitsministerium (BMGS) konnten sich in der vergangenen Woche nicht eini- gen, wer das Inkassorisiko für die Ge- bühr übernehmen soll. Vorstand und Länderausschuss der KBV lehnten am Freitag einen Kompromissvorschlag von Dr. Klaus Theo Schröder ab.Der Staatssekretär im BMGS hatte angeregt, die Krankenkassen sollten ei- nen Teil einer nicht eintreibbaren Pra- xisgebühr übernehmen, wenn eine Be- handlung aus medizinischen Gründen unaufschiebbar war (Akut- und Not- fälle). Schröder hatte aber klargestellt, dass die Verträgsärzte zuvor alle rechtli- chen Möglichkeiten zum Eintreiben des Geldes ausschöpfen und auch „recht- liche Zwangsmittel“ einsetzen müss- ten, also Mahnung und Zwangsvoll- streckung. Von den Kassenärztlichen Vereinigungen erwarte er, „die Pflichten der Ärzte in diesem Zusammenhang ge- nau zu überprüfen“.
„Vorstand und Länderausschuss leh- nen diese Vorgaben einhellig ab“, erklär- te daraufhin der Erste Vorsitzende der KBV, Dr. med. Manfred Richter-Reich- helm. Man könne es nicht zulassen, dass das Inkassorisiko allein auf den Ärzten und Psychotherapeuten laste. Da es sich eigentlich um eine Kassengebühr hande- le, müssten auch die Krankenkassen das Inkassorisiko übernehmen.
In dieser verfahrenen Situation melde- te sich auch Bundesgesundheitsministe- rin Ulla Schmidt (SPD) zu Wort. Sie ap- pellierte an Kassen und Kassenärzte, sich zu einigen. Sonst müssten Patienten und Ärzte Anfang 2004 „mit großen Rechts-
unsicherheiten und praktischen Schwie- rigkeiten“ rechnen, warnte sie. Die Lö- sung des Problems sei die erste Be- währungsprobe für die gemeinsame Selbstverwaltung in der Umsetzung der Gesundheitsreform. Dass sie Kassen und KBV noch nicht bestanden haben, liegt allerdings wesentlich an der Gesetzesvor- lage aus Schmidts Haus. Denn die kurzen Passagen zur Praxisgebühr im GKV-Mo- dernisierungsgesetz geben für die kom- plexe Wirklichkeit viel zu wenig her.
Komplizierter als angenommen
„Keine geglückte Norm“ seien die Vor- gaben, urteilt Gerhard Dalichau, Vize- präsident des Hessischen Landessozial- gerichts: „Eigentlich müsste das Gesetz geändert werden.“ Dalichau kritisiert, dass das Inkassorisiko in der Praxis bei den niedergelassenen Ärzten liegen soll, im Falle einer Behandlung in einer Kran- kenhausambulanz aber von den Kran- kenkassen getragen wird. Er sieht zudem Probleme auf Ärzte zukommen, die eine Inkassogesellschaft beauftragen, aus- stehende Praxisgebühren einzutreiben:
„Sie treten eine Forderung ab, deren In- haber sie vielleicht gar nicht sind.“ Denn die Praxisgebühr ist kein echtes Honorar der Ärzte, sondern wird lediglich im Auf- trag der Kassen eingezogen und mit dem Honorar verrechnet.
Kritisch äußert sich auch Prof. Dr.
Hermann Butzer, Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht an der Universität Hannover. Das Thema Praxisgebühr sei „deutlich komplizierter, als alle im Gesetzgebungsverfahren angenommen haben“, betont er. Butzer hält es zwar für rechtlich zulässig, eine Praxisgebühr durch die Ärzte erheben zu lassen – aber nicht ohne Aufwandsentschädi- gung für sie.
Es liegt allerdings nicht nur an Aus- legungsfragen, dass die Verhandlungen zur Praxisgebühr auf der Stelle treten.
Die KBV hat relativ früh ihr Einverständ- nis mit dem Einzug in den Praxen si- gnalisiert. Dieses Steuerungsinstrument funktioniere nur „am Ort der Tat“, hatte Richter-Reichhelm Anfang September erklärt. Gleichzeitig forderte die KBV- Spitze nicht nur eine Verwaltungsgebühr für die Ärzte, sondern auch eine deutliche Beteiligung der Krankenkassen am In- kassorisiko. Ihre Mitwirkungspflicht sei
„das Mindeste“, erklärte Hauptgeschäfts- führer Dr. jur. Rainer Hess im Rahmen einer Anhörung. Entsprechend groß ist nun der Ärger bei der KBV darüber, dass die Kassen nach anfänglich konstrukti- ven Verhandlungen hartnäckig mauern und von einer Übernahme des Inkassori- sikos nichts hören wollen – zumal immer mehr Ärzte aus ihrem Ärger über die Praxisgebühr kein Hehl machen.
Im Gegensatz zur KBV handeln die Krankenkassen jedoch mit Rücken- deckung des Gesundheitsministeriums – möglicherweise auch unter dem Druck Schröders und Schmidts. Denn neben dem Streit um die Praxisgebühr gibt es eine weitere Auseinandersetzung um ein Kernelement der Gesundheitsreform:
um die ausreichende Senkung der GKV- Beitragssätze im nächsten Jahr. Ulla Schmidt wünscht einen Beitragssatz von durchschnittlich 13,6 Prozent, die Kran- kenkassen wollen sich nicht festlegen und dämpfen die Hoffnungen. „Die Din- ge liegen zeitlich nahe, inhaltlich sehe ich da keinen Zusammenhang“, erklärte ein Sprecher des BMGS auf Anfrage. Den kann man jedoch leicht herstellen. Jeder Euro an Einnahmen wird gebraucht, um die Beiträge zu senken – kein Wunder, dass das Ministerium von den Kranken- kassen eine harte Haltung beim Praxis- gebühren-Inkasso erwartet. Sabine Rieser P O L I T I K
Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4721. November 2003 AA3061