Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 45|
9. November 2012 A 2215E
inen so schönen Geburtstag wie Daniel Bahr (FDP) an diesem 4. November hat man als Bun- desgesundheitsminister selten: Es gab Schokoladenku- chen, die Kollegen von der FDP sangen ein Ständchen, und der Koalitionsausschuss erfüllte Bahr einen lang- gehegten Wunsch: Die Praxisgebühr wird abgeschafft.Die Parteispitzen der Regierungskoalition haben be- schlossen: Schluss mit den zehn Euro am Praxisemp- fang und in Notfallambulanzen. Die Praxisgebühr, im Jahr 2004 eingeführt, soll von 2013 an Vergangenheit sein. Die Bürger werden damit um etwa zwei Milliar- den Euro pro Jahr entlastet, die Krankenkassen bekom- men die entsprechende Summe aus dem gut gefüllten Gesundheitsfonds ausgezahlt.
Monatelang wurde über die Abschaffung diskutiert;
je stärker die Rücklagen vieler Krankenkassen und des Gesundheitsfonds wuchsen, desto heftiger. Nun soll al- les ganz schnell gehen, damit die Bundesbürger von Ja- nuar an ihre zehn Euro beim Arztbesuch in der Geld- börse stecken lassen können: Am 7. November (nach Redaktionsschluss) soll der Gesundheitsausschuss des Bundestags der Abschaffung der Praxisgebühr zustim- men. Am 9. November wird wohl eine entsprechende Passage an das Gesetz zur Regelung des Assistenzpfle- gebedarfs angehängt. Auf diese Weise kann das Parla- ment dem Wegfall der Praxisgebühr zustimmen.
Die Zeit drängt. Damit den Krankenkassen 2013 we- gen der Streichung der Praxisgebühr kein Geld fehlt, muss der Schätzerkreis neu vorgeben, welche Zuwei- sungen sie im nächsten Jahr aus dem Fonds bekommen.
Vorbereitet ist das alles seit Wochen, wie Bahr vergnügt erzählte. Er kann in vieler Hinsicht zufrieden sein. Dass die Praxisgebühr gestrichen wird, findet große Zustim- mung bei Ärzten und Patienten. Auch die Opposition will es so. Die Union war teilweise anderer Meinung, fügt sich aber nun. So eine geldwerte Aktion ist im nächsten Jahr ja auch eine schöne Wahlkampfhilfe.
Bahrs liberale Position, wonach Eigenbeteiligungen im Gesundheitswesen richtig sind, ist auch nicht be-
droht. Denn die Praxisgebühr war eine Zuzahlung, die nie bewirkte, wofür sie eigentlich gedacht war: Kosten für die Versicherten transparent zu machen und ihre In- anspruchnahme von Ärzten zu steuern. Sie sei „das größte Ärgernis der Bevölkerung“, zitierte Bahr aus Umfragen. Das Ärgernis wird nun gestrichen, auch
„weil wir uns diesen Verzicht auf die nächsten Jahre hin leisten können“, wie er betonte. Damit leiste man zu- gleich „einen Bürokratieabbau und gibt Arzt und Pa- tient wieder mehr Zeit füreinander“. Eine Senkung des Beitragssatzes wäre natürlich eine Alternative gewesen, aber für Politiker eher eine unattraktive: So etwas geht im Alltag unter – die gestrichene Praxisgebühr nicht.
Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundes- vereinigung (KBV) sind zufrieden mit der Entschei- dung des Koalitionsausschusses. Sie nutzt der KBV nicht zuletzt beim Bürokratieabbau, den sie derzeit for- ciert. Deshalb nahmen es der KBV-Vorstandsvorsitzen- de Dr. med. Andreas Köhler und das bayerische KV- Vorstandsmitglied Dr. med. Ilka Enger auch gelassen hin, dass ihrem schon länger geplanten gemeinsamen Auftritt in Bahrs Ministerium am 5. November die Schärfe genommen wurde: Beide übergaben Listen mit 1,6 Millionen bundesweit gesammelten Unterschriften – gegen die Praxisgebühr.
PRAXISGEBÜHR
Ein Ärgernis wird abgeschafft
Sabine Rieser
Sabine Rieser Leiterin der Berliner Redaktion