P O L I T I K
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A3398 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 50½½½½15. Dezember 2000
ie Hauptursache von Kranken- hausinfektionen ist nicht man- gelnde Hygiene, sondern die Zu- nahme invasiver Maßnahmen bei im- mer älteren und abwehrgeschwächten Patienten (zum Beispiel operative Eingriffe, Beatmung, Venenkatheter, Blasenkatheter und anderes). Interna- tional, so auch in Deutschland, kann auch mit den besten Hygienemaßnah- men nur rund ein Drittel aller Kran- kenhausinfektionen verhütet werden. Die bisher einzige re- präsentative, vom Bundesge- sundheitsministerium geförder- te Studie an nahezu 15 000 Pa- tienten in 72 Kliniken (NIDEP 1: Nosokomiale Infektionen in Deutschland, Erfassung und Prävention) ergab eine Präva- lenz von 3,46 Prozent. In der ebenfalls vom Bundesministe- rium geförderten Folgestudie NIDEP 2 wurde gezeigt, dass durch gezielte Intervention, vor allem durch Qualitätszirkel, die Häufigkeit von Krankenhausin- fektionen um 26 Prozent ge- senkt werden kann, durch Sur- veillance allein um zehn Pro- zent. Soweit sich der Kranken- haushygienestandard aus der Häufigkeit von Krankenhausin- fektionen ablesen lässt, muss sich Deutschland vor europäi- schen und anderen Ländern nicht verstecken. Anlass zur Be- sorgnis gibt allerdings die zu- nehmende Häufigkeit von Kran- kenhausinfektionen, verursacht durch Methicillin-resistente S. aureus und andere multiresistente Erreger.
In Deutschland gibt es viel zu we- nig epidemiologische Untersuchungen über Krankenhausinfektionen, und es gibt viel zu wenig Hygienelaboratorien, die molekularbiologische Typisierungs- verfahren durchführen können, um Übertragungswege zu analysieren. Es wird immer noch zu viel ungezielt des- infiziert, zu viel Einwegmaterial wegge- worfen, anstatt wieder aufbereitet, es werden viel zu viele unnötige Umge- bungsuntersuchungen gemacht (zum Beispiel Abklatschuntersuchungen, Luftkeimzahlmessungen im Operati- onssaal, routinemäßige Legionellenun-
tersuchungen in Wasserleitungen). Die Krankenhaushygiene macht immer noch zu viele unnötige Auflagen beim Bau und Umbau von Krankenhäusern.
Praktisch alle in der Hygienerichtlinie des Robert Koch-Instituts (Berlin) emp- fohlenen Baumaßnahmen sind wissen- schaftlich nicht gesichert. Wir benöti- gen mehr Krankenhaushygieniker. Alle Zahlen, die über Todesfälle durch Kran- kenhausinfektionen in Deutschland
kursieren – einmal wurden von der Deutschen Gesellschaft für Kranken- haushygiene e.V. 20 000, einmal 40 000 Tote in die Öffentlichkeit getragen –, sind falsch. Es gibt in Deutschland kei- ne einzige repräsentative Studie über Letalität und Mortalität durch Kran- kenhausinfektionen. Erforderlich sind mehr Studien zu Kosten von Kranken- hausinfektionen, Kosteneinsparungen durch Weglassen überflüssiger Hygie- nemaßnahmen und zur Umweltbela- stung durch die Krankenhaushygiene.
In Deutschland fühlen sich viele In- stitutionen berufen, Empfehlungen zur Krankenhaushygiene abzugeben. Die Empfehlungen der Vereinigung der
Hygienefachkräfte der Bundesrepu- blik Deutschland, des Deutschsprachi- gen Arbeitskreises für Krankenhaus- hygiene und der Deutschen Gesell- schaft für Krankenhaushygiene e.V.
sind kaum evidenzbasiert. Die meisten dieser Empfehlungen werden ohne Literaturstelle publiziert. Die Richtli- nie des Robert Koch-Instituts (früher Bundesgesundheitsamt) ist juristisch betrachtet keine Richtlinie, sondern ei- ne Expertenempfehlung, die vor 1998 publizierten Anlagen sind ebenfalls nicht evidenzbasiert.
Die vom Bundesgesundheitsmi- nisterium neu berufene Kom- mission für Krankenhaushygie- ne und Infektionsprävention ist auf dem richtigen Weg und pu- bliziert – beraten vom Nationa- len Referenzzentrum für Kran- kenhaushygiene – seit 1998 evi- denzbasierte und kategorisierte Empfehlungen; sie müssen be- achtet werden.
Die Gesundheitspolitik hat die richtigen Maßnahmen er- griffen, indem sie von einer Ex- pertenkommission evidenzba- sierte Empfehlungen erarbeiten lässt, ein Nationales Referenz- zentrum für Krankenhaushy- giene einrichtete, am Robert Koch-Institut die Infektionsepi- demiologie verstärkte und For- schungsprojekte zur Verhütung und Bekämpfung von Kranken- hausinfektionen finanziert (zum Beispiel KISS, das Krankenhaus- infektionssurveillancesystem des Referenzzentrums für Kranken- haushygiene in Zusammenarbeit mit dem Robert Koch-Institut). Das neue, ab 2001 gültige Infektionsschutzgesetz schreibt die Surveillance von Kranken- hausinfektionen und die Registrierung multiresistenter Erreger vor.
Ein Appell an die Experten der Krankenhaushygiene: nicht kritisieren, lamentieren und theoretisieren, sondern experimentieren und studieren, und dies in Zusammenarbeit mit Mikrobio- logen, Klinikern und niedergelassenen Ärzten! Wir brauchen dringend gute Studien, die zeigen, dass nicht Keime, sondern Krankenhausinfektionen redu- ziert werden. Prof. Dr. med. Franz Daschner
KOMMENTAR
Krankenhaushygiene
Forschungs- bedarf
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Foto: Harald Hoenow