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Archiv "Mißhandlung von Kindern und Jugendlichen – Für Ärzte empfohlen: Weitgefaßte Begriffsbestimmung" (07.05.1987)

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(1)

FORTBILDUNG

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Mißhandlung

von

Kindern und

Jugend- lichen

Kindesmißhandlung und -vernachlässigung sind ein komplexes Geschehen. Ärzte haben eine Schlüsselrolle im Erkennen von Mißhandlungen und Vernachlässigungen von Kindern und Jugend- lichen. Von ihnen sollten geeignete Interventionen ausgehen. Die Erfahrungen der niederländischen Vertrauensarztbüros zeigen: ärztliche Beratungs- stellen in Sachen Kindesmißhandlung führen dazu, daß mehr Fälle von Mißhandlungen als solche erkannt werden und daß wirksame Hilfen gege- ben werden können. Wie handhaben Ärzte hierzulande dieses Problem?

Für Ärzte empfohlen:

Weitgefaßte

Begriffsbestimmung

Reiner Frank

K

empe (9) beschrieb

1962 die Kombination von subduralen Hä- matomen und Brü- chen der langen Röh- renknochen als das Syndrom des ge- schlagenen Kindes (Battered Child Syndrom). Er machte damit darauf aufmerksam, daß Verletzungen bei Kindern Folgen von elterlichen Er- ziehungs- und Zurichtungsmaßnah- men sein können. Auf seine Initiati- ve hin wurden zahlreiche wissen- schaftliche Untersuchungen durch- geführt. Es wurden in den Vereinig- ten Staaten landesweit Kinder- schutzstellen eingerichtet. Gesetze zum Schutze von Kindern legten ei- ne allgemeine Meldepflicht für alle helfenden Berufe für Fälle von Kin- desmißhandlung fest.

Nicht nur die schwere körper- liche Züchtigung, auch andere For- men erzieherischen Vorgehens wur- den als Fehlverhalten bewertet.

Statt des Begriffes des geschlagenen Kindes werden jetzt die Begriffe Mißhandlung und Vernachlässigung von Kindern angewandt (in der eng- lischsprachigen Literatur findet man die Bezeichnung child abuse and neglect).

Die Tatsache, daß Kinder ge- schlagen und sogar von ihren El- tern getötet wurden, ist keineswegs neu. Daß die gesunde Entwicklung von Kindern schutzwürdig sei, kennzeichnet einen Wertwandel unserer Gesellschaft. Medizin und Rechtsprechung sollen dazu beitra- gen, Normverstößen entgegenzutre-

ten und bei krankhaften Verände- rungen korrigierend einzugreifen.

Definition

Der Begriff Kindesmißhandlung umschreibt die gewaltsame, nicht unfallbedingte, körperliche oder seelische Schädigung eines Kindes durch aktives Handeln oder durch Unterlassung einer erwachsenen Be- ziehungs- oder Betreuungsperson.

Als Folgen für das Kind können Verletzungen, Entwicklungshem- mungen, Fehlentwicklungen oder der Tod eintreten (nach 3, 20). Zur Feststellung von Kindesmißhand- lung ist eine Untersuchung des Kin- des und seines Beziehungssystems notwendig, das heißt der Familie oder der Institution (Schule, Kinder- garten, Heim), in der das Kind lebt.

Es gibt sehr unterschiedliche Definitionen von Kindesmißhand- lung innerhalb der Medizin und auch in anderen Fachbereichen, wie der Rechtsprechung, der Psychologie, Institut für Kinder- und Jugendpsychiatrie (Direktor: Professor Dr. med. Joest Martini- us) der Ludwigs-Maximilians-Universität München

der Soziologie, der Sozialarbeit.

Wichtig ist die Unterscheidung zwi- schen eng- und weitgefaßten Defini- tionen (6). Tabelle 1 soll zeigen, wie Definitionen von Kindesmißhand- lungen von dem zugrundeliegenden Handlungsziel bestimmt werden.

Häufigkeitsangaben hängen wieder- um davon ab, ob eher eng- oder weitgefaßte Definitionen angewandt werden. Daraus ergibt sich zwangs- läufig, daß es keine einheitlichen Häufigkeitsangaben von Kindesmiß- handlung geben kann

Für die praktische klinische Tä- tigkeit spielt vor allem eine Rolle, welche Art von Irrtum mit Sicher- heit ausgeschlossen werden soll.

Geht es darum, daß Kindesmiß- handlung nicht zu Unrecht ange- nommen werden soll, so muß eine enge Definition von Kindesmiß- handlung angewandt werden (15).

Eine weitgefaßte Definition ist not- wendig, wenn möglichst viele Fälle von Kindesmißhandlung erkannt werden sollen.

Für Ärzte empfiehlt es sich, von einer weitgefaßten Begriffsbestim- mung bei der Einschätzung der Fälle auszugehen, um einer möglichst gro- ßen Zahl von gefährdeten Kindern Hilfe zuteil werden zu lassen.

Dt. Ärztebl. 84, Heft 19, 7. Mai 1987 (61) A-1295

(2)

Formen von Mißhandlungen (nach 20)

■ Körperliche Mißhandlung liegt vor, wenn durch körper- liche Gewaltanwendung Kin- dern ernsthafte, vorüberge- hende oder bleibende Verlet- zungen zugefügt werden. Von Kindesmißhandlung spricht man, wenn gewalttätiges Ver- halten der Eltern oder Erzie- her ein Grundelement der Kin- dererziehung ist.

■ Körperliche Vernachlässi- gung liegt vor, wenn Eltern oder Erzieher ein Kind nicht gut versorgen. Formen körper- licher Vernachlässigung kön- nen sein: ein Kind mangelhaft ernähren, unzureichend be- kleiden, hygienisch schlecht versorgen, die notwendige me- dizinische Versorgung vorent- halten.

■ Emotionale Mißhandlung meint eine feindliche oder ab- weisende Haltung von Eltern oder Erziehern gegenüber ei- nem Kind. Von Mißhandlung wird nur dann gesprochen, wenn ein solches Verhalten der Eltern oder Erzieher einen festen Bestandteil der Erzie- hung ausmacht.

■ Emotionale Vernachlässi- nns bedeutet, daß Eltern oder Erzieher ihren Kindern durch Unterlassung das für ei- ne gesunde emotionale Ent- wicklung notwendige Famili- enklima vorenthalten. Beispie- le emotionaler Vernachlässi- gung sind: Ein Kind erhält kei- ne oder zuwenig Aufmerksam- keit, Liebe und Wärme. Das Kind wird nicht in den Arm ge- nommen, liebkost oder gelobt,

wenn es etwas Gutes getan hat. Es wird nicht zum Spielen ermuntert. Es wird keine Si- cherheit und Geborgenheit ge- boten.

Sexueller Mißbrauch heißt, ein Kind einer sexuellen Sti- mulation aussetzen, die nicht zu seinem Alter, seiner psy- chosexuellen Entwicklung und seiner Rolle innerhalb der Fa- milie paßt. Beispiele für sexu- ellen Mißbrauch sind: Sexuelle Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, zwischen Ge- schwistern oder zwischen Kin- dern und anderen Erziehern, Familienmitgliedern oder Be- kannten. Sexueller Mißbrauch kann von Berührungen bis zur Vergewaltigung gehen und und unter Zwang, Gewalt und Erpressung stattfinden.

Tabelle 1: Definition zu Kindesmißhandlung

Eng gefaßte Definition Beispiel:

Strafrecht § 223 b; Mißhandlung von Schutzbefoh- lenen:

Wer Personen unter 18 Jahren . . ., die seiner Für- sorge oder Obhut unterstehen oder seinem Haus- stand angehören, . . . quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird bestraft .. .

(nach 15) Absicht:

Verletzungen, die durch andere Ursachen als Miß- handlung zustande gekommen sind, sollen mit Si- cherheit ausgeschlossen werden.

(keine falsch positiven Fälle)

Konsequenz:

Strafrechtliche Verurteilung eines Täters.

Datenquelle:

Polizeiliche Kriminalstatistik

Weit gefaßte Definition Beispiel:

Kindesmißhandlung umschreibt die gewaltsame, nicht unfallbedingte, körperliche oder seelische Schädigung eines Kindes durch aktives Handeln oder Unterlassung durch eine erwachsene Bezie- hungs- oder Betreuungsperson.

(nach 3, 20)

Absicht:

Es sollen möglichst alle Fälle von Kindesmißhand- lung erkannt werden. Dieses ist besonders bei Säug- lingen und Kleinkindern als einer hochgefährdeten Gruppe wichtig.

(keine falsch negativen Fälle) Konsequenz:

Rechtzeitige Hilfe für Kind und Familie.

Datenquelle:

Deutschland: keine,

Niederlande: Jahresbericht der Vertrauensarztbü- ros für Kindesmißhandlung.

A-1298 (64) Dt. Ärztebi. 84, Heft 19, 7. Mai 1987

(3)

Zahl der Anfragen wegen Kindesmißhandlung

•• • • Zahl der mißhandelten Kinder unter 18 Jahren Zahl der Vertrauensarztbüros

1

/

/

• •

ito

o

/

• •

• • • ••

• •

• •• • •" ,n•

1 I 1

1972 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 n

3200 3000 2800 2600 2400 2200 2000 1800 1600 1400 1200 1000 800 600 400

Die verschiedenen Formen von Mißhandlung und Vernachlässigung können bei einem Kind gleichzeitig vorkommen. Den oben aufgeführ- ten Formen von Mißhandlungen können folgende Begriffe zugeord- net werden, die in der Literatur als eigenständige Zustandsbilder be- schrieben werden:

■ Psychosozialer Minder- wuchs, das heißt eine Gedeih- störung eines Kindes aufgrund von körperlicher und emotio- naler Vernachlässigung (engli- scher Begriff: Failure-to- thrive).

■ Münchhausen-Stellvertre- ter-Syndrom: Eltern täuschen bei ihren Kindern Krankheits-

Symptome vor, so daß die Kin- der häufigen und langwierigen Krankenhausaufenthalten mit zum Teil schwerwiegenden Untersuchungen und Behand- lungen unterzogen werden.

Epidemiologie

Aussagen über die Symptomatik körperlicher und emotionaler Ver- nachlässigung und Mißhandlung, über die Psychodynamik des miß- handelten Kindes und seiner Familie und über die Persönlichkeitsent- wicklung mißhandelter Kinder sind aus Untersuchungen eher kleiner Gruppen von klinisch behandelten Kindern und ihren Familien abgelei- tet. Tabelle 2 zeigt Häufigkeitsanga-

ben von Kindesmißhandlungen in verschiedenen klinischen Einrich- tungen. In Allgemeinpraxen und Notfallambulanzen für Kinder wur- de überwiegend körperliche Miß- handlung und Vernachlässigung er- faßt ( 2, 7). Die Häufigkeit von Miß- handlungen nimmt zu, je jünger die untersuchte Altersgruppe ist. Bei Problemkindern kommen Mißhand- lungen wesentlich häufiger vor. Als Beispiel sind hier Frühgeborene und behinderte Kinder genannt (5, 8).

Untersuchungen aus der Gerichts- medizin weisen darauf hin, daß bei kindlichen Todesfällen Mißhand- lung eine durchaus nicht seltene To- desursache darstellt (18).

Angaben zur Häufigkeit von Kindesmißhandlung in der Bevölke- rung weisen eine steigende Tendenz auf (Tabelle 3). Dazu haben einer- seits die Ausweitung des Mißhand- lungsbegriffes und andererseits eine erhöhte Aufmerksamkeit diesem Problemfeld gegenüber geführt (1, 4, 10, 13, 16, 20). Die untersuchten Altersbereiche und die zugrundelie- genden Bevölkerungsgruppen sind uneinheitlich. Vergleiche sind nur bedingt möglich. Eine repräsentati- ve Befragung von bundesdeutschen Eltern nach ihrem Erziehungsver- halten ergab, daß zehn Prozent der befragten Eltern von Kindern im Al- ter von 8 bis 14 Jahren von harten Strafen — wie Einsatz von Gürteln oder Stock — Gebrauch machen. Ein Prozent der befragten Eltern gab an, regelmäßig zu solchen Maßnahmen zu greifen (16).

Die Daten des Bundeskriminal- amtes und des Statistischen Bundes- amtes sind die einzigen in der Bun- desrepublik Deutschland, die syste- matisch aufgrund der Strafgesetze erhoben werden. Für den ärztlichen Bereich sind diese Zahlenangaben jedoch nur mit Einschränkungen an- wendbar (12).

Das Beispiel Niederlande

In den Niederlanden existieren seit 1972 Vertrauensarztbüros in Sa- chen Kindesmißhandlung. Ärzte und Mitglieder anderer helfender Berufe sowie Betroffene selbst ha- Abbildung: Niederländische Vertrauensarztbüros - Quelle: Vertrauensarztbüros in

Sachen Kindesmißhandlung, Jahresbericht Rijswijk 1983

Dt. Ärztebl. 84, Heft 19, 7. Mai 1987 (67) A-1301

(4)

ben dort die Möglichkeit, sich ver- traulich an ein solches Büro zu wen- den. Die Vertrauensarztbüros unter- stehen dem niederländischen Ge- sundheitsministerium (11, 20). Un- ter einheitlicher Definition werden Daten über Kindesmißhandlung ge- sammelt und wissenschaftlich ausge- wertet. Tabelle 4 zeigt die Häufig- keit von Kindesmißhandlung in den Niederlanden im Jahre 1983.

In Tabelle 5 sind Häufigkeiten zu den verschiedenen Formen von Mißhandlung angegeben. Dabei kommen Mehrfachnennungen vor.

Im Durchschnitt treffen auf jedes Kind 1,5 Nennungen. Die Tabelle zeigt auch, daß die emotionalen For- men von Mißhandlung den höchsten Anteil noch vor den Formen von körperlichen Mißhandlungen ein- nehmen.

Die Folgen von Kindesmiß- handlung sind in Tabelle 6 darge- stellt. Es handelt sich um Folgen, die

Tabelle 2: Häufigkeit von Kindesmißhandlung - Angaben nach untersuchender Stelle und für spezielle Gruppen

Stellen Alter (Jahre) 1 Prozent 1 Autor

Allgemeinpraxis unter 10 0,6 Beswick et al. 1976 Kinderärztliche unter 6 10,0 Holter und Fried-

Nothilfe man, 1968

Patientengruppe Alter (Jahre) Prozent Autor

Frühgeborene bis 2 3,9 Hunter et al. 1978

Behinderte unter 18 9,3 Diamond et al.

Kinder 1983

Gerichtsmedizin Alter (Jahre) Prozent Autor (Todesfälle)

Bei Kindern mit unter 3 7,7 Trube-Becker 1982 Schädel-Hirn-

Trauma

Alle kindlichen unter 6 6,4 Trube-Becker 1982 Todesfälle

Tabelle 3: Häufigkeit von Mißhandlung in der Bevölkerung

Land

Schweden

USA

Frankreich

England

Deutschland

Datenquelle

(körperliche Mißhandlung) Klinikpatienten gesetzliche Meldepflicht regionale Erhebung (sexueller Mißbrauch) Erhebung bei Ärzten

Repräsentative Erhebung über Erziehungs- verhalten

regelmäßige harte Bestrafung

Altersbereich Jahre

unter 18

Lebendgeborene

unter 6

unter 15

8-14

Häufigkeit

1,6/Mio/J.

6-10/1000/J.

6,7/1000/J.

3/1000/J.

1/100*)

Autor

National Board of Health and Welfare 1969 Kempe 1971

Deschamps et al. 1979

Beezley-Mrazek et al. 1981

Schneewind et al. 1983

Niederlande Vertrauensarzt-

büros Jahresbe- richt 1983 1,4/1000/J.

unter 18 Meldungen an

Vertrauensbüros

*) keine Kindesmißhandlung, nicht auf ein Jahr bezogen

A-1302 (68) Dt. Ärztebl. 84, Heft 19, 7. Mai 1987

(5)

Tabelle 4: Häufigkeit von Kindesmißhandlung in den Niederlanden

alle Kinder unter 18 Jahren mißhandelte Kinder

n

3 700 407 2 619

Promille 1000

1,4

Quelle: Vertrauensarztbüros in Sachen Kindesmißhandlung, Jahresbericht, Rijswijk 1983

Tabelle 5: Formen von Mißhandlung (Niederlande) Mehrfachnennungen

körperliche Mißhandlung 1026

körperliche Vernachlässigung 737

emotionale Mißhandlung 944

emotionale Vernachlässigung 1158

sexueller Mißbrauch 189

Sonstige 63

nicht einzuordnen 44

mißhandelte Kinder insgesamt 2619

Quelle: Vertrauensarztbüros in Sachen Kindesmißhandlung, Jahresbericht, Rijswijk 1983

Tabelle 6: Folgen von Mißhandlung*) (Niederlande)

11

Todesfälle 14

körperliche Beeinträchtigung seelische Beeinträchtigung körperliche und seelische Beeinträchtigung

keine Folgen unbekannt

mißhandelte Kinder insgesamt

144 477 360

217 1407 2619

Prozent

0,5 5,5 18,2 13,7

8,3 53,7 100,0

*) 1 Jahr nach Meldung an das Vertrauensarztbüro

Quelle: Vertrauensarztbüros in Sachen Kindesmißhandlung, Jahresbericht, Rijswijk 1983

ein Jahr nach Eingang der Meldung erfaßt wurden. Bei den dargestellten Angaben muß es sich also um Min- destangaben handeln. Bei mehr als der Hälfte der Meldungen liegen keine Angaben über die Folgen vor.

Bei den bekanntgewordenen Folgen stehen seelische Beeinträchtigungen und gleichzeitige körperliche und seelische Beeinträchtigungen an der Spitze. Daneben gibt es Mißhand- lungen, die unmittelbar folgenlos zu verlaufen scheinen und auch solche mit Todesfällen.

Der Bericht der Vertrauensarzt- büros hebt hervor, daß nicht alle Fälle von Kindesmißhandlung ge- meldet und erfaßt wurden. Die Ab- bildung zeigt, wie die Zahl der tat- sächlich erfaßten mißhandelten Kin- der und der Anfragen wegen Kin- desmißhandlung von 1972 bis 1983 zunahm. In elf Jahren stieg die Zahl der Kindesmißhandlungen von 430 auf 2619 Fälle, das heißt auf etwa das sechsfache an. Die Zahl der Ver- trauensarztbüros nahm im gleichen Zeitraum von vier auf zehn, das heißt um das zweieinhalbfache zu (11, 20).

Kindesmißhandlung:

Ein verkanntes Problem?

In der Kinder- und Jugendpsy- chiatrie wird Kindesmißhandlung als ein Symptom gewertet, das einer so- fortigen Intervention bedarf. In der Internationalen Klassifikation der Krankheiten der WHO erscheint Kindesmißhandlung als ein Problem der Eltern-Kind-Beziehung.

Wenn ein niedergelassener Arzt ein Kind unter dem Verdacht auf Kindesmißhandlung zur stationären Untersuchung und Behandlung ein- weist, so kann dies dazu führen, daß von seiten der Krankenkasse Re- greßforderungen an die Eltern ge- stellt werden. Überlegungen von So- zialpädiatern über notwendige Re- gelungen mit den Krankenkassen wurden schon vor 20 Jahren veröf- fentlicht (17). Bisher gibt es aber keine konkrete Vereinbarung.

Gerade für die niedergelassenen Ärzte mögen Aussagen zur Defini- tion und Epidemiologie von Kindes- A-1304 (70) Dt. Ärztebl. 84, Heft 19, 7. Mai 1987

(6)

mißhandlungen abstrakt und wenig praxisbezogen erscheinen. Die ange- führten Häufigkeitsangaben lassen den Schluß zu, daß viele Ärzte mit dem Problemfeld von Kindesmiß- handlungen konfrontiert werden, entweder ohne es zu wissen oder oh- ne sich über Handlungsmöglich- keiten im klaren zu sein (14, 19).

Die niederländischen Erfahrun- gen zeigen deutlich, daß die Bereit- schaft von Ärzten, sich mit dieser Problematik auseinanderzusetzen und selbst tätig zu werden, zunimmt, wenn über die Informationen hinaus Stellen verfügbar sind, die mit Rat und Tat zur Seite stehen können und die bereit und in der Lage sind, sich mit der schwierigen Problematik zu befassen.

Die in Klammern gesetzten Ziffern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonder- druck, zu beziehen über den Verfasser.

Der Wert einer Schädelröntgen- untersuchung zur Feststellung in- trakranialer Verletzungen wurde bisher nicht zufriedenstellend defi- niert. Ein interdisziplinäres Gremi- um medizinischer Experten trat zum Thema Röntgenuntersuchung bei Schädeltrauma zusammen.

Das Gremium identifizierte zwei Hauptgruppen: Patienten mit hohem Risiko durch intrakraniale Verletzung und Patienten mit gerin- gem Risiko durch eine derartige Verletzung. Es entwickelte eine Be- handlungsstrategie zur Einteilung in diese beiden Gruppen. Die Hochri- sikogruppe besteht vornehmlich aus Patienten mit schwerer offener oder verschlossener Kopfverletzung mit entsprechender klinischen Sympto- matik. Für diese Patienten wird eine Notfall-CT-Untersuchung oder eine neurochirurgische Konsultation oder beides erforderlich. Die Grup- pe mit geringem Risiko umfaßt Pa- tienten, die symptomlos reagieren oder ein oder mehrere der folgenden

Literaturauswahl

Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit: Kindesmißhandlung — Erkennen und Helfen, Bonn 1979

Engfer, A.: Kindesmißhandlung — Ursachen, Auswirkungen, Hilfen, Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart 1986

Vertrauensarztbüros in Sachen Kindesmißhand- lung — Jahresbericht, Ministerium für Wohler- gehen, Volksgesundheit und Kultur (Bureaus Vertrouwensartsen inzake Kindesmishandeling, gegevens uit de registratie Kindesmishandeling, Ministerie van Welzijn, Volksgezondheit en Cultuur), Rijswijk 1983

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Reiner Frank Konsiliardienst und

Forschungsgruppe am Institut für Psychiatrie des Kindes- und Jugendalters der Universität

Nußbaumstraße 7, 8000 München 2

Symptome aufweisen: Kopfschmerz, Schwindel, Kopfhauthämatom, Riß- wunden, Kontusionen oder Schürf- wunden. Eine Röntgenuntersu- chung ist in dieser Gruppe nicht an- gezeigt und sollte nicht durchgeführt werden. Eine intermediäre Gruppe mit moderatem Risiko ist nicht aus- reichend definiert, und eine Rönt- genuntersuchung ist hier gegebenen- falls angezeigt.

Zur Absicherung der Behand- lungsstrategie wurde eine prospekti- ve Studie bei 7035 Patienten mit Schädeltrauma in den Notaufnah- men von 31 Krankenhäusern durch- geführt. Bei keinem der Patienten mit geringem Risiko wurde eine in- trakraniale Verletzung entdeckt. So- mit wäre gemäß Protokoll bei den Patienten mit geringem Risiko durch Unterlassung einer Röntgenuntersu- chung eine intrakraniale Verletzung nicht übersehen worden.

Die Autoren schließen, daß die Anwendung dieser Behandlungs- strategie sicher ist und eine umfas-

sende Abnahme von Schädelrönt- genuntersuchungen zur Folge haben könnte mit gleichzeitiger Reduzie- rung unnötiger Strahlenbelastungen und darüber hinaus Einsparungen von Millionenbeträgen. Lng

Masters, S. J., et. al.: Skull X-Ray Exami- nations after Head Trauma. N. Engl. J.

Med. 316; 84-91 (1987)

Dr. Philip M. McClean (HFZ-250), Cent- er for Devices and Radiological Health, Food and Drug Administration, 5600 Fish- er's Lane, Rockville, MD 20857, USA

Akute Analfissur

Die Behandlung der hoch- schmerzhaften akuten posterioren Analfissur ist keinesweg standar- disiert: Die Therapieempfehlungen reichen von der lokalen Salbenbe- handlung bis zur Selbstbougierung, von der Spaltung bis zur Exzision.

Die Autoren führten eine The- rapiestudie bei 103 Patienten mit ei- ner Ersterkrankung an einer akuten posterioren Analfissur durch. Ein Drittel der Patienten erhielt eine Lignocain-haltige Salbe, ein Drittel eine Hydrocortison-haltige Salbe und ein Drittel warme Sitzbäder zu- sammen mit reichlich Weizenkleie.

Nach ein- und zweiwöchiger Be- handlung ging es den Patienten un- ter Weizenkleie und Sitzbädern si- gnifikant besser als den beiden ande- ren Gruppen, nach dreiwöchiger Therapie ließen sich jedoch keine Unterschiede mehr nachweisen. Die Fissur war unter Lignocain bei 60 Prozent, unter Hydrocortison bei 82,4 Prozent und unter Sitzbädern und Weizenkleie bei 87 Prozent der Patienten abgeheilt. Da die letztge- nannte Behandung billig ist, keine Nebenwirkungen hat und die besten Ergebnisse, insbesondere rasche Beschwerdefreiheit gewährleistet, empfehlen die Autoren warme Sitz- bäder und orale Weizenkleie als Mittel der Wahl bei der Behandlung der akuten Analfissur.

Jensen, S. L.: Treatment of first episodes of acute anal fissure: prospective rando- mized study of lignocaine ointment versus hydrocortisone ointment or warm sitz baths plus bran. Br. med. J. 292:

1167-1169 (1986)

Department of Surgical Gastroenterology, C 2122, Rigshopitalet, Blegdamsvej 9, DK 2100 Copenhagen o, Dänemark

Gezielte

Röntgenuntersuchung bei Schädeltrauma

Dt. Ärztebl. 84, Heft 19, 7. Mai 1987 (73) A-1305

Referenzen

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