• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Das Reiter-Syndrom" (09.07.1982)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Das Reiter-Syndrom" (09.07.1982)"

Copied!
7
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Aktuelle Medizin

Heft 27 vom 9. Juli 1982

Das Reiter-Syndrom

Cornelius Dienst und Rudolf Gross

Aus der Medizinischen Klinik (Lindenburg) (Direktor: Professor Dr. med. Rudolf Gross) der Universität zu Köln

Die sozialmedizinischen Aspekte des Reiter-Syndroms und im weiteren Sinne der sogenannten „seronegativen Spondylarthritiden" habenseit ihrer Erstbeschreibung durch Reiter stetig zugenommen.

Umfangreiche genetische und epidemiologische Studien ha- ben die Verwandtschaft zu an- deren entzündlichen Rheuma- erkrankungen bewiesen. Über- gänge in eine rheumatoide Ar- thritis oder einen Morbus Bechterew sind keine Selten- heit. Bewiesen ist eine enge Bindung der Krankheitsdispo- sition an das Transplantations- Antigen B 27. Auch zeigt sich eine genetische geschlechts- gebundene Komponente:

Frauen gehören seltener zu den Erkrankten. Das Alter der Patienten liegt überwiegend im 3. bis 5. Dezennium, Durch konsequente Therapie — vor allem der Physiotherapie kommt dabei eine große Be- deutung zu — lassen sich Invali- dität und Immobilität verhin- dern, die besonders bei chroni- schen Verlaufsformen drohen.

Das Krankheitsbild, das mit den Kar- dinalsymptomen Urethritis, Kon- junktivitis und Arthritis auftritt, ist seit der Beschreibung durch Reiter (15)*) unter dem Namen des Erstbe- schreibers als Reiter-Syndrom be- kannt. Zahlreiche Beobachtungen über Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik reichen Jahrhunderte zurück (13). Bis heute dürfte die Zahl der Publikationen, die das Reiter- Syndrom behandeln, die 1000 über- schritten haben. Das bis heute an- haltende Interesse dürfte in den fol- genden Punkten begründet sein:

nach wie vor nicht geklärte Ätio- logie,

0 oft schwierige Abgrenzbarkeit gegenüber den klassischen rheu- matischen Erkrankungen,

® neuere Erkenntnis über geneti- sche Zusammenhänge und

® auch heute noch unbefriedigen- de Therapie.

Definition

Neben den drei Hauptsymptomen,

haben, finden sich fast immer cha- rakteristische Hautveränderungen, seltener Endomyokarditiden oder Entzündungen drüsiger Organe.

Fast jedes Organ kann in den Krank- heitsprozeß miteinbezogen werden.

Reihenfolge und Ausprägung der Organmanifestation unterliegen kei- ner festen Regel. Hier manifestieren sich Ähnlichkeiten zu anderen rheu- matischen Erkrankungen, beson- ders zu denen, die mit einer Spon- dylarthritis einhergehen. Mit diesen zusammen wird das Reiter-Syndrom im angelsächsischen Schrifttum un- ter dem Begriff der „seronegativen Spondylarthritiden" zusammenge- faßt (9).

Häufigkeit

Die Reitersche Erkrankung gilt als Folge akuter enteraler oder urethra- ler Infektionen (20). Ihr Auftreten ist deshalb u. a. abhängig von der Häu- figkeit dieser Erkrankungen. Post- enteristische Erkrankungen über- wiegen in Asien, Nordafrika und Ost- europa. Vorausgehende urogenitale

*) Die in Klammern stehenden Ziffern bezie-

die dem Krankheitsbild auch den hen sich auf das Literaturverzeichnis des

Namen Reitersche Trias eingebracht Sonderdrucks

Ausgabe B DEUTSCHES ARZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 27 vom 9. Juli 1982 29

(2)

Spondylitis ankylosans 95%

Morbus Reiter 73%

Psoriasis-Spondylitis 64%

Colitis ulcerosa mit Arthritis 54%

Juvenile rheumatoide Arthritis 40%

Psoriasis-Arthritis 30%

Rheumatoide Arthritis 9%

Normale Bevölkerung 4-8%

Hyperostotische Arthritis 6 0/0

Tabelle 1: Häufigkeit des HLA-B27 bei verschiedenen rheumatischen Erkrankungen Infektionen werden überwiegend in

West- und Mitteleuropa und in den USA beobachtet.

In der Genese der Erkrankungen wurden diese geographischen und bakteriologischen Befunde in der Vergangenheit sehr in den Vorder- grund gestellt. In den letzten Jahren konnte festgestellt werden, daß eine genetische Prädisposition minde- stens eine ebenso große Rolle spielt wie hygienisch-epidemiologische Aspekte.

Bewiesen ist, wie beim Morbus Bechterew, eine enge Bindung der Krankheitsdisposition an das Trans- plantations-Antigen B27 (2). Die Häufigkeitsverteilung des HLA-B27 bei Normalpersonen und bei Patien- ten mit bestimmten rheumatischen Erkrankungen ist in der Tabelle 1 dargestellt. Bei etwa 70 Prozent aller HLA-B27-negativen Patienten konn- ten in letzter Zeit kreuzreagierende Antigene des HLA-B-Locus (BW 22, B7, BW 42) nachgewiesen werden (1, 8) (Tabelle 1).

Häufigkeitsverteilung des HLA-B27 bei

rheumatischen Erkrankungen Die Chance, an einer Arthritis als Folge einer Urethritis oder Enteritis zu erkranken, liegt in einem nicht selektierten Krankengut bei etwa 1 Prozent. Sie erhöht sich auf das 40- bis 50fache, falls der Erkrankte Trä- ger des HLA-B27 ist.

Reiter-Patienten, die nur an einer Urethritis und peripheren Arthritis leiden, weisen HLA-B27 in 65 Pro- zent auf. Kommen Sakroileitis und Balanitis hinzu, so beträgt d_ie Häu- figkeit annähernd 100 Prozent (3).

Nur 5 bis 10 Prozent der Erkrankten sind Frauen. Auch hier zeigt sich eine genetische, geschlechtsge- bundene Disposition. Altersmäßig überwiegen das 3. bis 5. Dezennium.

Nur gelegentlich erkranken Kinder.

Gehäuftes familiäres Auftreten dürf- te ebenfalls auf die genetische Dis- position zurückzuführen sein (3).

Ätiologie

Die Ätiologie des Reiter-Syndroms konnte bis heute noch nicht geklärt werden. Das Spektrum der ange- schuldigten Ursachen reicht von de- finierten bakteriellen Erregern (zum Beispiel Yersinia enterocolitica, Chlamydia, Shigella u. a.), über noch nicht bekannte Erreger bis zur Vermutung immunologischer Ursa- chen hyperergisch-allergischer Na- tur, ausgelöst durch Bakterien, Vi- ren oder Toxine.

Kniegelenke 100%

Fußgelenke 70%

Fingergelenke 50%

Schultergelenke 30%

Ellenbogengelenke 20%

Handgelenke 10%

Tabelle 2: Häufigkeit der peripheren Gelenkbeteiligung beim Morbus Reiter

Histologische Ähnlichkeiten der Rei- ter-Synovitis und der rheumatischen Arthritis lassen ähnliche immunolo- gische Vorgänge vermuten. Im Ge- gensatz zum schubweisen Verlauf der rheumatoiden Arthritis mit zu- nehmender Gelenkdestruktion tritt bei der Reiter-Erkrankung in den meisten Fällen eine Begrenzung des Krankheitsgeschehens und damit Ausheilung auf. Ursächliche Bedeu- tung kommt der vorausgehenden

urethralen oder enteralen Erkran- kung sicher nicht zu. Grundsätzlich können diese Vorerkrankungen von allen bekannten Erregern ausgelöst werden, wenn auch Yersinia- und Shigella-Infektionen bei der post- enteritischen Form überwiegen.

Es ist anzunehmen, daß diese Infek- tionen auf dem Boden einer geneti- schen Disposition die Rolle von Wegbereitern oder Auslösern für das anschließende Krankheitsbild spielen.

Klinik

1. Arthritis

Etwa 2 bis 4 Wochen nach einer bahnbereitenden Enteritis oder Ure- thritis entwickelt sich schnell ein meist schweres Krankheitsbild. Bei stark reduziertem Allgemeinzustand und subfebrilen bis febrilen Tempe- raturen steht die akute Arthritis (Abb. 1) ganz im Vordergrund. Eine Monarthritis des Kniegelenkes oder eine Arthralgie ohne objektivierba- ren Befund gehören zu den Selten- heiten.

Meist verläuft die Polyarthritis mit heftigen Entzündungszeichen, wie Schwellungen und Ergußbildung, befällt zunächst eines der großen Gelenke der unteren Extremität und breitet sich dann asymmetrisch auf weitere Gelenke aus. Tabelle 2 zeigt, daß die Kniegelenke immer betrof- fen sind.

(3)

Abbildung 1: Akute Ar- thritis des linken Hand- gelenks, fünf Wochen nach Beginn des Mor- bus Reiter

Abbildung 2: Konjunkti- vitis im Frühstadium Abbildung 3: Balanitis circinata

Abbildung 4: Ausge- prägtes Keratoderma blenorrhoicum im Be- reich der Fußsohle

Weitere Beeinträchtigung der Mobi- lität tritt ein, wenn Faszien und Seh- nen von der Entzündung angegrif- fen werden. Eine Fasciitis plantaris und Kalkaneussporn mit typischem Fersenschmerz werden in etwa 20 Prozent beobachtet (16). Eine Ten- diitis der Achillessehne tritt in etwa 12 Prozent auf. Eine Beteiligung der Ileosakralgelenke im Sinne einer Sa- kroileitis, die häufig wegen fehlen- der Schmerzhaftigkeit nur gefunden wird, wenn danach gesucht wird, weist ebenso wie eine Spondylitis auf die Verwandtschaft zu anderen Krankheitsbildern aus dem rheuma- tischen Formenkreis hin.

Untersuchungen von Sairanen und Paronen (19) zeigen, daß gelegent-

lich keine Abgrenzung möglich ist und Übergangsformen vorkommen.

Bei der Nachuntersuchung von 300 Reiter-Patienten, die während des zweiten Weltkrieges in Finnland be- obachtet wurden, konnten sie zwan- zig Jahre später in 32 Prozent einen Morbus Bechterew, und in 18 Pro- zent eine rheumatoide Arthritis dia- gnostizieren.

Die Arthritisymptome können sich auf wenige Tage beschränken, mehrfach rezidivieren oder — das ist seltener — über viele Jahre erstrek- ken. Meist bestehen sie über Wo- chen bis Monate. Sie bestimmen schließlich wie keine andere Mani- festation das Schicksal des Pa- tienten.

2. Augensymptome

Die Konjunktivitis hat einen gutarti- gen Verlauf (Abb. 2). Abgesehen von seltenen Fällen, in denen sich eine Iridozyklitis ausbildet, heilt sie so gut wie immer aus. Obwohl sie der Arthritis vorausgeht, wird sie vom Patienten wie vom Arzt unter dem Eindruck der sich anbahnenden hef- tigen Arthritis gelegentlich überse- hen. Selten entstehen Lid- und flüchtige Korneaödeme oder ober- flächliche Keratiden. Angaben über die Häufigkeit der Augensymptome schwanken in großen Übersichten zwischen 60 und 80 Prozent. Hei- lung auf symptomatische Maßnah- men tritt gewöhnlich innerhalb we- niger Tage ein.

Ausgabe B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 27 vom 9. Juli 1982 31

(4)

3. Urethritis

Das dritte Kardinalsymptom, die Be- teiligung der ableitenden Harnwege, geht der Arthritis wenige Tage vor- aus. Mit 60 bis 70 Prozent ist sie kaum seltener als das zweite Haupt- symptom, die Beteiligung der Au- gen. Auch hier überwiegen die leich- ten Verlaufsformen mit Schwellung des Orificiums externum und serö- sem bis eitrigen Ausfluß. Die Urethri- tis heilt innerhalb von 1 bis 2 Wo- chen, maximal 5 Wochen ab. Bakte- riologisch sind Sekret und Urin typi- scherweise steril, oder es ist eine sekundäre Besiedelung eingetreten.

Beschwerden, die über Pruritus im Bereich der Urethra hinausgehen, sprechen für eine Zystitis bezie- hungsweise Zystopyelitis, die in ei- nem Viertel der Fälle vorliegt. Die zytologische und bakteriologische Untersuchung des Urins und die Drei-Gläser-Probe geben hier Auf- schluß über das Ausmaß der Entzün- dung. Die Urethritis neigt zu Rezidi- ven. Von ihr ausgehend können Be- teiligungen des gesamten Urogeni- taltraktes, wie Prostatitis, Spermato- zystitis oder Vaginitis entstehen.

4. Hauterscheinungen

Neben der genannten Symptom- Trias spielen Hauterscheinungen ei- ne hervorragende Rolle (7). Sie ha- ben der Erkrankung im angloameri- kanischen Schrifttum die Bezeich- nung „Reitersche Tetrade" einge- bracht. In ihrer charakteristischen Ausprägung gestatten sie, wie kein anderes Symptom, die Diagnose zu stellen. Aus erythematösen bis pa- pulösen Effloreszenzen entstehen psoriasiforme Bilder, die sich über- wiegend über den Gelenken, auf den Fußsohlen und auf den Handflächen manifestieren (Abb. 3). Oft werden sie von intertriginösen Erythemen begleitet. Im weiteren Verlauf verlie- ren die teilweise konfluierenden Herde ihre zentrale Schuppendecke und zeigen nur noch eine parakera- totische Randleistenbildung. Dieses

„Keratoderma blenorrhagicum" ist für den Ungeübten schwierig von ei- ner Psoriasis zu unterscheiden, be-

sonders, wenn eine zusätzliche Be- teiligung der Nägel vorliegt. Die Ba- lanitis circinata (Abb. 4) stellt eine durch ihre besondere Lokalisation und Häufigkeit (20 bis 50 Prozent) ausgezeichnete Sonderform des Ke- ratoderma blenorrhagicum dar. Das feuchte Milieu des Präputiums be- wirkt im Sinne eines isomorphen

Reizeffektes das Aufblühen der Ba- lanitis. Meist flüchtige, rundliche und scharfbegrenzte Flecken even- tuell mit weiß-grauem Randsaum zeigen eine Beteiligung der Mund- schleimhaut an. Sie prägen sich meist am weichen Gaumen und der Wangenschleimhaut aus und treten mit etwa 20 Prozent ähnlich häufig wie eine Parakeratose der Nägel auf.

Zu den seltenen Manifestationen zählen Endo-, Myo- und Perikarditi- den, Aortitis, Pleuritis, Parotitis, Neuritis und Lymphadenitis. Dazu liegen nur einzelne Beobachtungen vor (4, 22).

Radiologische Zeichen

Radiologische Untersuchungen wer- den für sich allein in der Diagnostik des Reiter-Syndroms oft überschätzt.

Zusammen mit anderen diagnosti- schen Kriterien liefern sieaberwichti- ge Bausteine, die zur Diagnose füh- ren. Auch zur Verlaufsbeobachtung sind sie unentbehrlich.

Als typische radiologisch faßbare Veränderung ist in erster Linie die doppelseitige Ileosakralarthritis zu nennen, die allerdings auch beim Morbus Bechterew und der Psoria- sis zu beobachten ist. Sie kann nicht als Frühzeichen bewertet werden, da sie in 50 Prozent erst im zweiten bis fünften Jahr nach Erkrankungs- beginn feststellbar ist. Mit ihren ne- beneinander bestehenden Sklero- se-, Destruktions- und Ankylosezei- chen wird sie als „bunte Ileosakral- arthritis" (18) bezeichnet. Zystoide Primärläsionen mit scheinbarer Ver- schmälerung des Gelenkspaltes, paraartikuläre Sklerose, gelenknahe Resorptionsherde, knöcherne Über- brückung und schließlich spongiö- ser Umbau können je nach Krank- heitsstadium beobachtet werden.

Die Verwandtschaft der drei genann- ten Krankheitsbilder zeigt sich auch in der Spondylitis, die allen gemein- sam ist, allerdings mit diagnostisch verwertbaren Unterschieden. Para- syndesmophyten treten neben be- gleitender Osteoporose auf, doch fehlt beim Reiter-Syndrom immer die Verknöcherung des Anulus fi- brosus, wie sie beim Morbus Bech- terew typisch ist. Übergangsformen zwischen beiden Krankheitsbildern können schwierige differentialdia- gnostische Probleme aufwerfen.

Dies gilt auch für die ossifizierende Insertionstendopathie, die mit Loka- lisationsunterschieden bei den drei Krankheitsbildern vorkommen kann (11, 16).

Laborchemische und immunologische Befunde

1. Laborchemie

Laboruntersuchungen liefern zur Diagnose des Reiter-Syndroms kei- ne krankheitsspezifischen Verände- rungen, die nicht auch bei anderen

`akut-entzündlichen rheumatischen Erkrankungen zu finden sind. Sie gestatten aber über den Ausschluß

BSG

Dysproteinämie

(Serum-Elektrophorese) Quantitative Veränderungen einzelner Proteine:

a 1 -Antitrypsin Caeruloplasmin Haptoglobin C-reaktives Protein

Immunglobulin IG-G, -A, -M Serum-Eisen

Serum-Kupfer

Blutbildveränderungen:

Leu kozytose Linksverschiebung Hypochrome Anämie

Tabelle 3: Serologische Entzündungszei- chen bei rheumatischen Erkrankungen

(5)

von Arthrosen und klar definierten rheumatischen Erkrankungen mit klassischen Veränderungen, wie zum Beispiel dem rheumatischen Fieber, die Differentialdiagnose ein- zuengen. Sie erlauben, die entzünd- liche Aktivität zu beurteilen und den Verlauf zu kontrollieren. Die in Ta- belle 3 angegebenen Parameter zei- gen das Ausmaß der Entzündung an.

Das Blutbild weist eine hypochrome Anämie, mäßige Leukozytose und Linksverschiebung auf, und spiegelt ebenfalls eine entzündliche Reak- tion wider, wie sie bei allen akuten rheumatischen Syndromen beob- achtet werden kann. Bakteriologi- sche Untersuchungen von Gelenk- punktaten und Blutkulturen erlau- ben eine Abgrenzung von bakteriel- len metastatischen Gelenkerkran- kungen.

Mit Hilfe der üblichen biochemi- schen Parameter, der im folgenden besprochenen immunologischen Untersuchungen und zusätzlicher radiologischer Kriterien müssen die wichtigsten Differentialdiagnosen ausgeschlossen werden, die wir in der Tabelle 4 summarisch aufgeli- stet haben.

Immunologische Untersuchungen Zur Artdiagnose leisten immunologi- sche Untersuchungen einen wesent- lichen Beitrag. Drei Gruppen von Untersuchungen lassen eine Diffe- renzierung zu:

Q Nachweis beziehungsweise Aus- schluß einer genetischen Disposi- tion durch Untersuchung auf HLA- B27 und kreuzreagierende Antigene.

Diese Histokompatibilitäts-Antigene geben aufgrund der schon aufge- führten Häufigkeitsverteilung (Ta- belle 1) wichtige Hinweise auf die genetische Disposition. Im Zweifels- fall spricht ihr Nachweis für eine so- genannte „seronegative Spondylar- th ritis".

() Falls der direkte Nachweis von Erregern scheitert, ist der Nachweis einer infektiösen Arthritis bezie- hungsweise „parainfektiösen Arthri- tis" durch Antikörpertiter-Bestim-

Spondylitis ankylosans Psoriasis-Arthritis

Arthritis bei Kollagenosen Rheumatoide Arthritis Allergische Arthritis (Typ der Serum-Krankheit)

Paraneoplastisches Syndrom mit Arthritis

Sarkoidose Becet-Syndrom

Colitis ulcerosa mit Arthritis Morbus Crohn mit Arthritis Gicht

Chrondrokalzinose Myopathien

Tabelle 4: Die wichtigsten Differentialdia- gnosen des Reiter-Syndroms

mungen möglich. In Tabelle 5 sind die mit einer Arthritis einhergehen- den Infektionen, die zu einem Reiter- Syndrom führen können, zusam- mengestellt.

0 Noch enger schließt sich der Kreis um die Diagnose Reiter-Syn- drom durch den Ausschluß von Er- krankungen, die mit der Bildung von Autoantikörpern einhergehen. Viele zunächst unklare Arthritiden lassen sich durch den Nachweis von anti- nukleären Antikörpern den Kollage- nosen zuordnen.

Eine weitere Differenzierung ist durch Fluoreszenzmuster der Anti- körper, Titerhöhe, Immunglobulin- klasse, DNS- oder RNS-Spezifität und Komplementuntersuchungen möglich. Antinukleäre Antikörper treten beim Reiter-Syndrom nicht auf.

Gammaglobulin-Antikörper, soge- nannte Rheumafaktoren, sind nach ihrem gehäuften Vorkommen bei der rheumatoiden Arthritis benannt.

Ihr Nachweis im Rahmen einer zu- nächst unklaren Arthritis spricht für eine rheumatische Arthritis und ge- gen ein Reiter-Syndrom, da ihr Vor-

kommen beim Reiter-Syndrom mit 5 Prozent nur gering über dem Wert einer gesunden Population (2 bis 3 Prozent) liegt, gegenüber 75 Pro- zent bei der rheumatischen Arthritis.

Dies gilt natürlich nur unter Berück- sichtigung der übrigen klinischen Befunde. Eine weitere Einschrän- kung ergibt sich dadurch, daß bei der juvenilen rheumatoiden Arthritis nur in etwa 10 bis 20 Prozent Anti- Gammaglobuline nachweisbar sind.

Bei Jugendlichen leistet die Bestim- mung der Rheumafaktoren deshalb nur wenig differentialdiagnostische Hilfe.

Der Nachweis von Immunkomplexen im Serum hat nur geringe Aussage- kraft, da er in akuten Krankheitssta- dien bei allen entzündlichen Gelenk- erkrankungen gelingt und nur bei degenerativen Gelenkerkrankungen fehlt, deren Abgrenzung in der Re- gel aufgrund anderer Kriterien im allgemeinen keine Schwierigkeiten bereitet. Komplementfaktorenbe- stimmungen erlauben eine Abgren-

to Bakterien Streptokokken Staphylokokken Gonokokken Meningokokken Pneumokokken Salmonellen, Shigellen Streptobacillus moniliformis Mycobacterium tuberculosis Yersinia enterocolica Treponema pallidum Rickettsien

® Viren Röteln Mumps

Hepatitis A, B, C Influenza

Lymphogranuloma venerum Chlamydia

Epstein-Barr-Virus

® Pilze

® Parasiten

Tabelle 5: Bakteriologisch-serologisch nachweisbare Erreger, die zu einem Rei- ter-Syndrom führen können

Ausgabe B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 27 vom 9. Juli 1982 33

(6)

zung seltener hereditärer Erkran- kungen von Komplementmangelzu- ständen, die mit Arthritis verlaufen können. Das Reiter-Syndrom kann im akuten Stadium mit Erhöhung von C3 und C4 einhergehen, die na- türlich keinen krankheitsspezifi- schen Befund darstellt, sondern Ausdruck der akuten Entzündungs-

reaktion ist.

Untersuchungen der zellulären IM- munität (Bestimmung des prozen- tualen Anteils der T- und B-Zellen, Lymphozytenstimulationsteste, Ma- krophagen-Funktionsteste) haben bisher keine Bedeutung für die klini- sche Diagnostik erlangt (10, 23). Ta- belle 6 zeigt die Möglichkeiten im- munologischer Diagnostik rheuma- tischer Erkrankungen zusammen- fassend auf.

Untersuchung

der Synovialflüssigkeit

Die Untersuchung der Synovialflüs- sigkeit hat sich bei unklaren - rheu-

matischen Erkrankungen bewährt.

Farbe und Trübungsgrad lassen wichtige Schlüsse zu. Weitere ohne größeren Aufwand durchführbare Untersuchungen sind die Bestim- mung von Viskosität, Kristallgehalt, Eiweiß und Zellzahl, sowie Enzym- bestimmungen. Bakteriologische Untersuchungen müssen bei trüben, zellreichen Ergüssen unbedingt durchgeführt werden. Die Differen- zierung der Zellen zeigt vorherr- schend Granulozyten (11).

Die immunologische Untersuchung der Synovialflüssigkeit ergibt fol- gendes: Die Bestimmung der Rheu- mafaktoren in Punktaten erbringt im allgemeinen keine Abweichungen vom Serumbefund. Gelegentlich er- laubt ihr Nachweis bei negativem se- rologischen Befund die Zuordnung einer Arthritis zu einer rheumato- iden Arthritis. Sinnvoll ist diese Un- tersuchung deshalb nur bei serone- gativen Arthritiden. Gesamtkomple- mentbestimmung oder Faktoren wie C4 ergeben vor allem bei der Lupus-

Arthritis, bei der rheumatoiden Ar- thritis und in geringerem Maße beim Reiter-Syndrom verminderte Spiegel (6). Da die komplementverbrauchen- den Entzündungsvorgänge überwie- gend an der Basalmembran der Ge- lenkinnenhäute ablaufen, kann bei normalen oder erhöhten Serumwer- ten bei diesen Erkrankungen eine entsprechende Konstellation gefun- den werden. Gleiches gilt für den Nachweis von Immunkomplexen, die mit relativ aufwendigen Metho- den nachgewiesen werden können.

Leichter ist der Nachweis in phago- zytierter Form in Synovialeukozyten mittels Immunfluoreszenz. Prozent- sätze über 50 Prozent sogenannte Ragozyten (= Immunkomplex— pha- gozytierende Granulozyten und Ma- krophagen) werden bei der rheuma- toiden Arthritis regelmäßig, beim Reiter-Syndrom nur selten gefunden (21).

Die Untersuchung der Synovialflüs- sigkeit liefert keine krankheitsspezi- fischen Befunde, sondern nur Bau-

Art der Erkrankung Charakt. Fluoreszenz

der antinucleären Antikörper ring-

för- mig Strepto-

kokken- anti- körper

Andere bakte-

rielle Anti- körper

Anti- gamma- globulin (Rheuma- ,

faktoren) Anti- nucle-

äre Anti-

körper ge-

spren- kelt

Immun- kom- plexe

Komple- ment- spiegel nu-

kleolär

H L-A B27

Rheumatisches Fieber Chronische Polyarthritis Systemischer

Lupus erythematodes Mixed connective tissue disease

Progressive Sklerodermie Spondylitis ankylosans Morbus Reiter Arthritis psoriatica Para- und postinfektiöse Arthritiden

0 0 0 0 0 0 0

(+)

0 0 0 0 0 0 0 0

0

(+)

(+)

0 0 0 0

0

(+)

(+)

0 0 0 0

0

0 0

0

(+ )

0 0

(+)

0

0

(1)

0 0 0 0 0 0

0 0 0 0 0

(+

) 0

Tabelle 6: Immundiagnostik rheumatischer Erkrankungen nach W. Müller (11)

(7)

steine, die im Zusammenhang mit anderen Befunden die Zuordnung einer zunächst unklaren Arthritis ge- statten. Dabei sollte nicht vergessen werden, daß bei den sogenannten seronegativen Spondylarthritiden Übergangsformen vorkommen, die keine eindeutige Zuordnung zulas- sen. In diesen Fällen, besonders auch bei Frühformen, verhilft erst die genaue Beobachtung des Krank- heitsverlaufs zu einer eindeutigen Diagnose.

Therapie

Eine kausale Therapie ist nicht mög- lich. Die folgenden therapeutischen Richtlinien haben sich bewährt. Sie haben das Ziel, die Arthritis mög- lichst frühzeitig auszuheilen, um eventuelle Spätschäden und da- durch bedingte Behinderungen zu vermeiden.

Physikalische Behandlungsmaßnah- men stehen im Rahmen einer Früh- behandlung und bei der Beseitigung der Folgen ganz im Vordergrund.

Durch tägliche Bewegungsübungen aller betroffenen Gelenke lassen sich Versteifungen, Bandverkürzun- gen und Kontrakturen als Folge des akuten Entzündungsschubes weit- gehend vermeiden. Bei starken Schmerzen sollten vor der Übungs- behandlung Analgetika gegeben werden. Richtige Lagerung, eventu- ell in wattierten Schienen, bewirken ebenso wie kühle Umschläge ein schnelleres Abklingen der Entzün- dungszeichen und verhindern Kon- trakturen. Bei starker Ergußbildung sind entlastende Gelenkpunktionen angezeigt.

Der Wert intraartikulärer Injektionen ist umstritten. Dagegen hat sich die systemische Anwendung von Gluko- kortikosteroiden in mittlerer Dosie- rung von etwa 1 mg/kg Körperge- wicht/die Prednisolon im akuten Sta- dium bewährt. Daneben erlaubt eine steroidfreie antiphlogistische Thera- pie, zum Beispiel mit Indometazin oder verwandten Substanzen, eine beschleunigte Reduzierung der Steroiddosis.

Eine zusätzliche antibiotische The- rapie ist nur sinnvoll beim Nachweis florider bakterieller Infektionen. Auf den Verlauf der Erkrankung haben Antibiotika keinen Einfluß, da even- tuell auslösende Infekte beim Auftre- ten der klinischen Symptome des Reiter-Syndroms im allgemeinen ausgeheilt sind. Unter der aufge- führten Therapie klingt das hochent- zündliche Krankheitsbild innerhalb von 6 bis 8 Wochen ab. Leichte Ent- zündungszeichen können danach noch über viele Wochen beobachtet werden.

Torpide Verlaufsformen, die sich entweder durch einen rapid-pro- gressiven Verlauf auszeichnen oder nach jahrzehntelangem schweren Verlauf zu schweren Gelenkdefor- mitäten führen, sind möglich, stellen aber eine Minderheit dar. In diesen Fällen kann ein Versuch mit den so- genannten Basismedikamenten der rheumatischen Arthritis — Resochin, D-Penicillamin und Goldsalzen — an- gezeigt sein (24).

Sofern sich die Arthritis auf wenige Gelenke erstreckt, sollte die Syn- ovektomie angestrebt werden. Ver- einzelt liegen bei schweren Verlaufs- formen, die auf eine Glukokortiko- steroidbehandlung nicht anspra- chen, ermutigende Berichte über ei- ne Methotrexatbehandlung vor (12).

Prognose

Nach Überwinden des akuten Krank- heitsstadiums heilen etwa 75 Pro- zent aller Fälle ohne wesentlichen funktionellen Defekt aus. Unter- schiedlich starke Gelenksymptome, die unter Umständen zu Berufs- wechsel zwingen, können nach mehr als fünf Jahren noch bei etwa 80 Prozent aller Erkrankten beob- achtet werden. HLA-B27-positive Pa- tienten unterscheiden sich von den B27-negativen durch eine häufigere chronische Uveitis und Sakroileitis (5, 14).

Übergänge in einen Morbus Bechte- rew wurden bei HLA-B27-Trägern beobachtet. Bei insgesamt günsti- ger Lebenserwartung sind die Erhal-

tung der Beweglichkeit und das Er- reichen von Schmerzfreiheit wesent- lich von der frühzeitigen intensiven ärztlichen Betreuung und einer Langzeitbehandlung abhängig. Die- se umfaßt im wesentlichen physio- therapeutische Maßnahmen und ist bis zur Heilung, das heißt gelegent- lich lebenslänglich, erforderlich.

Eine Langzeitbeobachtung er- scheint aus folgenden Gründen un- erläßlich:

O Bei atypischem Verlauf oder „un- vollständigen" Syndromen ge- lingt oft durch die Verlaufsbeob- achtung die nosologische Zuord- nung.

© Ein Rezidiv kann frühzeitig er- kannt werden.

® Komplikationen durch viszerale Beteiligungen (Aortitis, Uveitis, Neuritis) stellen Spätkomplika- tionen dar und dürfen nicht über- sehen werden.

® Übergänge in eine rheumatoide Arthritis oder einen Morbus Bechterew sind möglich und er- fordern eine differenzierte The- rapie.

Literatur

Brewerton, D. A.: lmmunogenetics and rheumatic disease, Annals Rheumatic Dis. 34, su pp I (1975) 33— London 1977— Fox, R.; Calin, A.; Gerber, R. C.; Gibson, D.: The chronocity of symptoms and disability in Reiter's syndrom.

An analysis of 131 consecutive patients, Ann.

Intern. Med. 91 (1979) 190-193 — Reiter, H.:

Über eine bisher unbekannte Spirochätenin- fektion, Dtsch. med. Wschr. 42 (1916) 1535-1536 — Sairanen, F.; Paronen, 1., Maho- nen, H.: Acta med. Scand. 185 (1969) 57 — Wright, V.; Moll, J. M. H.: Seronegative poly- arthritis, North-Holland Publ. Co., Amsterdam/

New York/Oxford (1976)

Anschrift für die Vertasser:

Dr. med. Cornelius Dienst Professor Dr. med. Rudolf Gross Medizinische Klinik (Lindenburg) der Universität zu Köln

Joseph-Stelzmann-Straße 9 5000 Köln 41 (Lindenthal)

Ausgabe B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 27 vom 9. Juli 1982 35

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Diese führen zu Unwirtschaftlich- keit und vor allem einer unerträgli- chen Missbrauchssituation für alle Ärzte und Versicherten, unter der wir Ärzte gezwungen sind, unter

Bei Nachweis von Candida (Nativ- präparat mit 10prozentiger Kalilau- ge) erfolgt die lokale Gabe von Mo- ronal® oder inimur® oral über 6 bis 8 Tage. Bei einer bakteriellen

Fertigkeit für laparoskopische Opera- tionen nicht gegeben oder aufrecht- erhalten werden kann, so daß in der Peripherie eine wesentlich höhere Komplikationsrate als bei den

Die Coping-Forschung konnte zudem zeigen, daß die Art des für je- den Patienten typischen Bewälti- gungsstils einen bisher unterschätzten Einfluß auch auf den körperlichen

Kinder und Jugendliche erkranken häufiger an psychischen Störungen, wenn ihre Eltern einen niedrigen oder mittleren Bildungsabschluss oder ein gerin- ges Einkommen haben.. In

Bewusst werden welche Ziele ich genau verfolge, SMART Ziele / weniger ist mehr

Bewusst werden welche Ziele ich genau verfolge, SMART Ziele / weniger ist mehr

TNF- α -Inhibitoren haben mit hohem Evidenzgrad (E1 von 5 Stufen) eine dokumentierte Wirksamkeit als Monotherapie, in Kombination mit Methotrexat und anderen DMARD, als Zusatz zu