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rgumentation statt Konfrontation lautet die Devise des Gemeinsa- men Bundesausschusses (G-BA).Wieder einmal ist er es, der versucht, einem offenen Machtkampf zwischen Selbstverwaltung und Regierung auszu- weichen. Nach den Konflikten um die Entscheidungen zu nichtrezeptpflichti- gen Arzneimitteln, der Übernahme von Fahrtkosten und der so genannten Chro- nikerregelung, hatte sich der Streit die- ses Mal an der Richtlinie zur Verord- nungsfähigkeit von enteraler Ernährung in der ambulanten Versorgung entzün- det und drohte bereits zu eskalieren.
„Einmaliger Vorgang“
Man wolle die hitzige Diskussion auf ei- ne sachliche Ebene zurückführen, ent- schied das Plenum des Gemeinsamen Bundesausschusses am 17. Mai. Dazu werde der zuständige Unterausschuss
„Arzneimittel“ seine Richtlinie sowie die Beanstandungen und „Maßgaben“
des Bundesgesundheitsministeriums (BMGS) in den nächsten Wochen er- neut prüfen, erläuterte eine Sprecherin.
Könne keine befriedigende Lösung in dem Konflikt mit dem Bundesgesund- heitsministerium gefunden werden, wer- de der G-BA vor den Sozialgerichten ge- gen die Beanstandungen klagen. Grund der Klage: Die ministeriellen Auflagen seien fachlicher Natur und gingen damit weit über die zulässige Rechtsaufsicht durch das Ministerium hinaus. Zudem befürchtet der G-BA, dass die Beanstan- dung sich auf künftige Beschlüsse der Selbstverwaltung auswirken könnte, und hält deshalb eine grundsätzliche Klärung der Aufsichtsbefugnisse für geboten.
Hart bleiben will der G-BA bei der Richtlinie zur enteralen Ernährung in den wesentlichen Punkten. Kei- nen Grund sieht er, die „krankheitsbe- dingte Mangelernährung“ als allgemeine Indikation für die Verordnungsfähigkeit von künstlicher Nahrung in die Richtli- nie aufnehmen. Verzichten will er auch nicht auf die von ihm ausführlich ausge- arbeitete Liste mit Verordnungsein- schränkungen und -ausschlüssen. Beides fordert das Bundesgesundheitsministeri- um jedoch mit seinem Schreiben vom 27.
April. Innerhalb von drei Monaten soll der Bun- desausschuss danach die Richtlinie erneut be- schließen – und zwar mit genau vorgeschriebenen, flexibleren Regelungen.
Beugt sich der Bundes- ausschuss diesen Anfor- derungen nicht, steht es dem Ministerium frei, ei- ne Ersatzvornahme zu
beschließen. Allerdings müsste es dann auch die politische Verantwortung dafür übernehmen.
Als „einmaligen Vorgang in der Ge- schichte von Bundesausschüssen der ge- meinsamen Selbstverwaltung“ wertet in- des Dr. Rainer Hess, Vorsitzender des G-BA,den Versuch des BMGS,die Selbst- verwaltung zu zwingen, die von ihr be- schlossene Richtlinie „inhaltlich und in ihrer Zielsetzung nahezu in ihr Gegen- teil zu verkehren“. Der G-BA sei ledig- lich seinem gesetzlichen Auftrag gerecht geworden, in den Richtlinien diejenigen Ausnahmen zu bestimmen, in denen Produkte zur enteralen Ernährung (Aminosäuremischungen, Eiweißhydro- lysate, Elementardiäten und Sonden-
nahrung) in der ambulanten Versorgung zulasten der Gesetzlichen Krankenver- sicherung verordnet werden können.
Dabei habe sich das Gremium auf den gesicherten Stand der wissenschaft- lichen Erkenntnisse gestützt. Vertreter des Bundesgesundheitsministeriums sei- en an den monatelangen Beratungen beteiligt gewesen.
Hess kann deshalb den plötzlichen Wunsch von Bundesgesundheitsministe- rin Ulla Schmidt nach einer Generalindi- kation zur künstlichen Ernährung nicht nachvollziehen. Diese mache die gesetzlich vor- geschriebene Ausnahme zur Regel.
Mittlerweile zum drit- ten Mal hat das BMGS eine vom G-BA beschlos- sene Richtlinie zur künst- lichen Ernährung bean- standet. Im Mai 2002 bemängelte das Ministe- rium die Recherche in der medizinischen Fachliteratur; im Februar 2004 kritisierte es formale Feh- ler im Anhörungsverfahren. In diesem Jahr verkündete Schmidt bereits im Vor- feld, dass Patientinnen und Patienten darauf vertrauen könnten, dass auch künftig eine notwendige Sondennah- rung allzeit zur Verfügung stehe – ver- mutlich nicht ohne einen Blick auf die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen.
Zuvor hatte sich heftiger Widerstand ge- gen die angekündigte Streichung for- miert. Patientenverbände und medizi- nische Fachgesellschaften hatten die Bundesregierung aufgefordert, den Be- schluss des Selbstverwaltungsgremiums der Ärzte und Krankenkassen zurück- zuweisen. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann P O L I T I K
Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 2127. Mai 2005 AA1485
Enterale Ernährung
Selbstverwaltung erwägt gerichtlichen Widerstand
Der Gemeinsame Bundesausschuss will die Beanstandung seiner Richtlinien durch das Ministerium nicht akzeptieren.
Solange wie möglich soll natürliche Nahrungsaufnahme
gewährleistet werden, beschreibt
G-BA-Vorsitzender Dr. Rainer Hess
die Intention der Richtlinie.
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