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Archiv "Organtransplantation: Gewagte Entscheidung" (19.06.2009)

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A1294 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 25⏐⏐19. Juni 2009

T H E M E N D E R Z E I T

A

m 19. Juni 1969 trat der Chef der Chirurgischen Univer- sitätsklinik Bonn, Prof. Dr. med. Al- fred Gütgemann, vor die Presse und verkündete eine kleine Sensation:

die erste Lebertransplantation beim Menschen in Deutschland, Mitt- wochnacht, unter seiner Leitung, mit einem Team von rund 30 Mitar- beitern. Spender war ein Förster, der mit 30 Jahren einem Gehirnschlag erlegen war, Empfänger ein gleich- altriger Mann mit Leberkrebs. Der Empfänger lebte noch sieben Mona- te. Die Überlebenszeit war beacht- lich. Bei der weltweit ersten Le- bertransplantation durch Thomas Starzl in Denver, USA, 1963 starb der Patient intraoperativ. Erst 1967 gelang Starzl die erste klinisch er- folgreiche Übertragung, die Überle- benszeit lag bei einem Jahr.

In der Pressekonferenz nach dem Eingriff würdigte Gütgemann „die Mitarbeit des südkoreanischen Kol- legen Dr. Jong-Soo Lee“. Sie sei, zitierte der Bonner „General-Anzei- ger“, „sehr wesentlich gewesen“.

Das war zurückhaltend formuliert.

In Wirklichkeit hätte es ohne J. S.

Lee (oder T. S. Lie, je nach Trans- skription) diese Transplantation nicht gegeben. Lee hatte sich privat, wenn auch mit Gütgemanns Segen, auf die Transplantation vorbereitet, ge- gen starke Widerstände in der Kli- nik. In einem Kellerraum übte er die Technik an Hunden, anfangs mit Nebennieren. Die Hunde hielt er zu Hause in seiner Garage, weil die Tierstallungen der Klinik die Hunde nicht unterbringen konnten oder wollten. Lee bekam Ärger mit dem Tierschutzverein. Der zeigte ihn an, ein Gericht sprach ihn später frei.

Lee war erst zwei Jahre zuvor nach Bonn gekommen und versah im Hauptamt als „Verwalter einer Assistentenstelle“ eine 30-Betten- Station. Gütgemann aber, ein Mann

mit Gespür für Talente, förderte und deckte den zielstrebigen Newcomer.

Eine Art Vater-Sohn-Beziehung:

Gütgemann stand vor der Emeritie- rung, Lee war 40 Jahre alt.

Lee erlebt in der Erinnerung noch heute die entscheidenden Stunden, als seien sie gerade erst vorbei: Im Juni 1969 sammelt er Erfahrungen bei Starzl in Denver. Gerade zurück, soll er, am Montag, dem 16. Juni, den Stationsdienst wieder aufneh- men. Die Träume scheinen ausge- träumt, und tags darauf löst er das

Transplantationsteam auf. Wieder einen Tag später, am Mittwoch- morgen ruft Gütgemann Lee an und trägt ihm auf, die Transplantation vorzubereiten. Lee: „Ich dachte, das sei eine Witz.“ War es aber nicht.

Ein Spender war gefunden. Es eilte.

Organkonservierung gab es noch nicht. Lee hatte den Empfänger aus- zuwählen. Der und seine Frau gaben erst nach langem Bedenken die Ein- willigung. Die Angehörigen des Spenders wussten hingegen von nichts. Gütgemann hatte entschie- den, keine Zustimmung einzuholen.

Um sechs Uhr am Mittwochabend

konnte schließlich die OP beginnen.

Die Entnahme des Spenderorgans und die Empfängeroperation erfolg- ten gleichzeitig in zwei Teams, die miteinander zu koordinieren waren.

Zuvor habe es, erinnert sich Lee,

„eine äußerst abenteuerliche Ent- scheidung“ gegeben. Die Blutgrup- pen von Spender und Empfänger waren nämlich nicht kompatibel,

„und uns war bewusst“, so Lee,

„dass bei Transplantationen blut- gruppenunterschiedlicher Spender- herzen und -nieren unmittelbar nach der Gefäßanastomose und der Frei- gabe des Blutes auf dem OP-Tisch eine hyperakute Abstoßungsreakti- on, die Schwarzmann-Reaktion, auftrat und das transplantierte Or- gan geschädigt wurde“. Die gewag- te Entscheidung folgte einer „patho- physiologischen Überlegung“, von der Lee Gütgemann überzeugen konnte: Die Leber sei ein blutbil- dendes Organ und werde, anders als Herz oder Niere, die Inkompatibi- lität tolerieren. Und so war es. „Als wir die Leber angeschlossen haben, hat kein Mensch im OP etwas ge- sagt,“ erinnert sich Lee, das Ergeb- nis noch vor Augen: „Die Leber war so schön.“

Die Transplantation hatte ein ju- ristisches Nachspiel. Zunächst ein Strafverfahren; es wurde nach ei- nem Jahr eingestellt, weil sich der Vorwurf, die Leber sei einem noch Lebenden entnommen worden, als haltlos erwies. In einem Zivilver- fahren kam es sieben Jahre später zum Prozess. Das Gericht monierte zwar die fehlende Zustimmung des Spenders/der Angehörigen, verur- teilte Gütgemann aber dennoch nicht zu Schadensersatz, weil es sich bei dieser ersten Transplantati- on um eine „an sich achtenswerte, dem Fortschritt dienende Pionier- tat“ gehandelt habe.

Das Pionierstadium ist längst vorbei. Jährlich werden heute in Deutschland etwa tausend Lebern übertragen. In den 70er-Jahren bau- te Prof. Dr. med. Rudolf Pichlmayr in Hannover einen Schwerpunkt auf. Inzwischen führen Essen, Han- nover und Berlin (Charité/Virchow) die Statistik an. Bonn bleibt der Ruhm, Pionier gewesen zu sein. I Norbert Jachertz

ORGANTRANSPLANTATION

Gewagte Entscheidung

Vor 40 Jahren transplantierten Gütgemann, J. S. Lee und ein Bonner Team erstmals in Deutschland eine Humanleber.

Präsentierte der Presse die Neuigkeit der ersten Lebertransplan- tation in Deutschland: der Chirurg Alfred Gütgemann (links). Ohne die Mitarbeit von J. S. Lee wäre dieser Erfolg nicht möglich gewesen.

Foto:Keystone Foto:privat

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