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Bericht und Meinung DER KOMMENTAR
Frage
an Hackethal:
Wo bleiben die Beweise?
Ausgerechnet einen Kongreß der Heilpaktiker, der am 9. September in der Mainzer Rheingoldhalle über die Bühne ging, wählte Pro- fessor Dr. med. Julius Hackethal, Lauenburg, als Plattform, um sei- ne Rundumhiebe gegen die Schul- medizin und die Methoden der Krankheitsfrüherkennung fortzu- führen. Allen über 40 Jahre alten Männern versuchte Hackethal doch tatsächlich einzureden: „Ge- hen Sie um Gottes willen nicht zur Krebsvorsorgeuntersuchung. Mit ihr wollen die Urologen die Män- ner ausrotten!"
Hackethals spektakulärer Mainzer Heilpraktiker-Auftritt, der offenbar selbst bei diesem Auditorium nicht ungeteilt Beifall auslöste, ist wohl auch als Ouvertüre einer weiteren propagandistischen Aktion des
„Schriftstellers" Hackethal zu werten. Das Echo auf die lebens- gefährliche Anti-Krebsvorsorge- strategie Hackethals war ernüch- ternd. Ministerialdirektor Profes- sor Dr. med. Manfred Steinbach vom Bundesministerium für Ju- gend, Familie und Gesundheit:
„Hackethal hat zwar drastische Definitionen, aber keine Beweise geliefert. Solange er sich nicht den entsprechenden Fachgremien stellt und dort seine Theorien an- erkannt werden, kann sich an der Gesundheitspolitik des Ministe- riums nichts ändern."
Die Bundesärztekammer forderte den so publizitätsemsigen Chir- urgen ebenfalls mehrfach auf, statt weiter zu polemisieren, doch detailliertes, wissenschaftlich fun- diertes Material für seine Behaup- tungen zur fachlichen Diskussion zu publizieren. Der Wissenschaftli- che Beirat der Bundesärztekam- mer hat sich schon wiederholt zur Prüfung solcher Unterlagen be-
reiterklärt. Derartiges Material ist bisher aber weder ihm noch dem Bundesgesundheitsministerium übermittelt worden, das ebenfalls darum gebeten hatte.
Die Bundesärztekammer rügte un- mittelbar nach der Mainzer Heil- praktikerveranstaltung, daß offen- bar um des angepeilten publizisti- schen Aufsehens willen perma- nent die Patienten verunsichert werden sollen.
Dies gelte auch und gerade bei der diffizilen Aufgabe, über gesetzli- che Maßnahmen zur Krankheits- früherkennung und deren medizi- nischen Effekt wahrheitsgemäß zu informieren. „Wird das angebliche Beweismaterial nicht kurzfristig vorgelegt, dann muß man anneh- men, daß es Prof. Hackethal nicht um die Verbesserung der Hei- lungschancen bei möglichen Krebserkrankungen, sondern nur um publizistischen Effekt und die Auflagensteigerung seiner Buch- veröffentlichungen geht und nicht um das echte Anliegen der Patien- ten", so die Schlußfolgerung der Bundesärztekammer in einer Pres- severlautbarung.
Es ist an der Zeit, der Öffentlich- keit umfassend und eingehend klarzumachen, wie bedenklich, ja gefährlich es wäre, wenn der Hak- kethalsche Amoklauf weite Kreise der Erwachsenenbevölkerung be- eindrucken und von den Früh- erkennungsuntersuchungen im Rahmen der gesetzlichen Kran- kenversicherung abschrecken würde.
In diesem Sinne ist es nur zu be- grüßen, daß sich der Wissen- schaftliche Beirat der Bundesärz- tekammer vorgenommen hat, in einer Pressekonferenz am 18. Ok- tober in Köln umfassend das The- ma „Krebsvorsorge in Frage ge- stellt?" zu diskutieren. Zehn re- nommierte Wissenschaftler wer- den unter Vorsitz von Professor Dr. med. Hanns-Peter Wolff, Mainz, über Erfahrungen, Erfolge und Methoden der Krankheitsfrüh- erkennung sprechen. HC
WW-Studie:
Begrenzte Wachstums- reserven
Das Gesundheitswesen ist ein teu- rer und expansiver Dienstlei- stungsbereich. Dies wurde späte=
stens seit der Diskussion um die
„Kostenexplosion" evident. Ex- perten schätzen, daß 80 Prozent der Gesamtkosten, die die gesetz- liche Krankenversicherung (GKV) für Gesundheitsleistungen aufzu- bringen hat, für Löhne, Gehälter und Honorare der in diesem Be- reich Tätigen ausgegeben werden.
Die Zahl der Erwerbstätigen im Gesundheitssektor hat das Wis- senschaftliche Institut der Orts- krankenkassen (WIdO), Bonn-Bad Godesberg, in einer 104 Seiten starken Expertise errechnet („Per- sonalentwicklung im Gesund- heitswesen in Vergangenheit und Zukunft", WIdO-Materialien, Band 2, Bonn 1978).
Danach waren 1976 im Gesund- heitsbereich einschließlich der in- dustriellen Vorleistungssektoren — wie etwa Pharma- und medizin- technische Industrie — annähernd 1,7 Millionen Personen tätig. In dieser eindrucksvollen Gesamt- zahl sind lediglich 154 000 (9 Pro- zent) Ärzte und Zahnärzte enthal- ten. Heilberufe im engeren Sinne—
dies sind Ärzte, Zahnärzte, Apo- theker, Krankenpflegepersonal, Hebammen, Krankengymnasten, medizinisch-technische Assisten- ten, Sozialarbeiter, Masseure und Bademeister sowie Heilpraktiker — üben insgesamt nur 668 000 Per- sonen aus. Das sind fast 40 Pro- zent aller im Gesundheitsbereich Erwerbstätigen. Über eine Million Personen (60 Prozent) arbeiten in Berufen, die mit den in den „ei- gentlichen" Heilberufen Tätigen mittelbar oder unmittelbar zusam- menarbeiten. So zählen beispiels- weise die Erwerbstätigen in der pharmazeutischen, medizin-tech- nischen und Verbandstoffindu-
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 40 vom 5. Oktober 1978 2251
Die Information:
Bericht und Meintmg WldO-Studie
strie rund 190 000 Personen, die Zahntechniker 36 000 Personen, die Verwaltungsberufe in der ge- setzlichen und privaten Kranken- versicherung sowie den Berufsor- ganisationen der Ärzte, Zahnärzte und Apotheker etwa 124 000 Per- sonen. Die restlichen 700 000 Per- sonen arbeiten in Wirtschafts- und Verwaltungsberufen der verschie- densten Gesundheitseinrichtun- gen (Krankenhäuser, Kurwesen, öffentlicher Gesundheitsdienst, betriebsärztlicher Dienst usw.).
Kritisch anzumerken ist: Die aus- gewiesene Zahl der Erwerbstäti- gen im Gesundheitsbereich mußte wegen der geringen Aussagefä- higkeit der amtlichen Statistiken zum Teil geschätzt und "hochge- rechnet" werden. Auch die Ab- grenzung des Gesundheitsberei- ches von anderen Sektoren der Volkswirtschaft ist problematisch.
Denn wollte man beispielsweise wissen, wieviel Beschäftigte in der Volkswirtschaft direkt oder indi- rekt vom Gesundheitsbereich ab- hängig sind, müßte man diesem Bereich voraussichtlich noch mehr Erwerbstätige zuordnen. Selbst die vom Ortskrankenkas- seninstitut unterstellte enge Ab- grenzung des Gesundheitsbe- reichs aber bedeutet, daß heute bereits jeder 15. Erwerbstätige (6,9 Prozent) im Gesundheitsbereich tätig ist. Würde man darüber hin- aus sämtliche wirtschaftlichen Verflechtungen analysieren und alle vom Gesundheitsbereich ab- hängig Beschäftigten ermitteln, so ergäbe sich ein noch weitaus hö- herer Beschäftigungsgrad. Damit wird deutlich, welche Arbeits- marktimpulse von den Heilberufen auf die gesamte Volkswirtschaft ausgehen. Denn bereits die 668 000 Personen, die im engeren Sinne Heilberufe ausüben, verur- sachen über eine Million zusätzli- cher Arbeitsplätze in "unterstüt- zenden" Bereichen wie Industrie und Verwaltung. Dies bedeutet:
Auf jeden Erwerbstätigen in einem Heilberuf kommen im Durch- schnitt 1,6 Arbeitsplätze in "unter- stützenden Funktionen".
Treibt man diese Ursachenfor- schung noch weiter, so wird man zur Erkenntnis gelangen, daß die Zahl der 154 000 berufstätigen Ärzte und Zahnärzte für fast 1 ,6 Millionen Arbeitsplätze im Ge- sundheitsbereich ursächlich ver- antwortlich ist. Mit anderen Wor- ten: Ein Arzt oder Zahnarzt schafft im Durchschnitt zusätzlich etwa zehn Arbeitsplätze. Diese differen- zierten arbeitsmarktpolitischen Zusammenhänge wurden in der politischen Diskussion bisher kaum berücksichtigt. Ärzte wur- den stets als "Kostenfaktor" rubri- ziert.
...,.. Jede Veränderung in der struk- turellen und ökonomischen Situa- tion der Ärzte aber hat nicht zu unterschätzende Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zur Folge. So begrüßenswert die arbeitsmarkt- politischen Wachstumsimpulse ei- ner wachsenden Zahl von Ärzten, insbesondere in Zeiten hoher Ar- beitslosigkeit, auch sein mögen, so unbestreitbar ist aber auch die
"Kostenexplosionskraft", die die zu erwartende "Ärzteschwemme"
auslösen kann. Es ist daher illuso- risch zu glauben, man könne das Problem "Ärzteschwemme" allein dadurch "in den Griff" bekom- men, wenn man, wie das WldO- Institut in seiner Ärzteprognose vorschlägt, die Einkommen der niedergelassenen Ärzte auf das Ni- veau der Eingangsstufe (A 13) des öffentlichen Dienstes zwangswei- se beschränkt (DEUTSCHES ÄRZ- TEBLATI, Heft 36/1978, Seite 1973 ff.). Die Wirkungslosigkeit ei- ner solchen systeminkonformen Maßnahme müßte dem Institut je- doch bekannt sein. Auf der Basis seiner "Erwerbstätigenstudie" er- gibt sich, daß der Anteil der nie- dergelassenen Ärzte an der Ge- samtzahl der Erwerbstätigen im Gesundheitsbereich lediglich drei Prozent (!) beträgt. Dieser Vor- schlag ist deshalb weder ein Mittel gegen die "Ärzteschwemme", noch wird er die Gesamtkosten des Gesundheitswesens reduzie- ren.
Bedenklich stimmt auch eine an- dere Zahl. ln der GKV und in den
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Gesundheitsabteilungen der ge- setzlichen Rentenversicherung (GRV) sollen angeblich mehr als 90 000 Personen in Verwaltungs- berufen tätig sein. Rechnet man dazu die Beschäftigten der priva- ten Krankenversicherung (PKV) und der Berufsorganisationen der Ärzte, Zahnärzte und Apotheker, so erhält man - wie bereits er- wähnt - 124 000 Erwerbstätige.
Dies sind immerhin 0,8 Verwal- tungspersonen, bezogen auf einen Arzt/Zahnarzt.
Berücksichtigt man, daß sowohl in den Praxen niedergelassener Ärz- te und Zahnärzte als auch in den Krankenhäusern voraussichtlich noch einmal die gleiche Zahl von Personen ausschließlich mit Ab- rechnungsfragen beschäftigt ist, so wird das gesamte Ausmaß des bürokratischen Aufwandes deut- lich, der im Rahmen der Kranken- versicherung erforderlich ist.
Die Wachstumsmöglichkeiten im Gesundheitswesen werden sich in naher Zukunftspürbar verschlech- tern - folgt man WldO: Legt man nämlich die voraussichtliche Ent- wicklung des Erwerbspotentials in der Bundesrepublik Deutschland zugrunde, so dürfte unter dem Ge- sichtspunkt einer noch finanzier- baren Personalentwicklung im Ge- sundheitswesen die Zahl der in Heilberufen Tätigen - nach Be- rechnungen des Instituts der Orts- krankenkassen - bis 1985 um nicht mehr als 2,6 Prozent wach- sen. Dies bedeutet einen absolu- ten Zuwachs von rund 17 400 Per- sonen. Bei der heute gültigen Re- lation von einem Arzt/Zahnarzt auf 3,3 mittelbar oder unmittelbar ab- hängige Personen in den übrigen Heilberufsgruppen errechnet sich bis 1985 ein möglicher und noch finanzierbarer Nettozuwachs von 4000 Ärzten/Zahnärzten. Dem steht die WldO-Prognose des Net- tozuwachses an Ärzten bis zu die- setn Zeitpunkt von 42 000 Ärzten gegenüber. Daraus folgt, daß selbst das Krankenkassen-Institut vorsichtig eine Begrenzung des Ärztenachwuchses befürwortet.
Gerhard Brenner