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Archiv "„Ich habe das beschrieben, was übrigbleibt — nämlich nichts.“" (13.03.1985)

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Karl Krolow —einerderbedeutendstendeutschen Lyriker Foto:1. Ohlbaum

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Kulturmagazin

Der Lyriker und Essayist Karl Krolow ist siebzig

„Ich habe das beschrieben,

was übrigbleibt — nämlich nichts."

aß ihn in Vormit- tagsstunden des öfteren Schü- ler anrufen — in der Pause vor oder nach einer Deutschstunde

— und ihn freiweg danach fra- gen, wie er denn selbst dieses oder jenes (seiner) Gedichte in- terpretieren würde, hält er für ei- nen durchaus normalen Vor- gang. Ein naheliegender Weg, ein unkomplizierter ist es zu- dem, denn Darmstadts Telefon- buch weist nur einen aus, der hier kompetenterweise Aus- kunft geben könnte. Er steht zwischen Krolopp, Erna, und Krolzyk, Horst — Karl Krolow, der

Darmstädter (hier wohnt er seit 1956), der aus Hannover kam (dort wurde er 1915 geboren).

Büchner-Preisträger, ehemals Präsident der Deutschen Akade- mie für Sprache und Dichtung, Ehrendoktor der Technischen Hochschule Darmstadt, Überset- zer, Essayist, Literaturkritiker und vor allem Lyriker. Einer, der am 11. März 70 Jahre alt wurde.

Wer Literaturlexika zur Hand nimmt, stellt rasch fest, daß die Liste seiner Auszeichnungen und Ehrungen noch weitaus um- fänglicher ist, daß man ihn „ei-

nen Schüler von Loerke und Lehmann" nannte, ihm attestier- te, er gebe „seinem subjektiven Verhältnis zur Landschaft und Natur in surrealistischen Formu- lierungen und geglückter Balan- ce zwischen Stoff und Bild Aus- druck". Daß er, seinem hanno- verschen Naturell entspre- chend, sich eher zurückhaltend geben, auf Außenstehende — seine Leser, Bewunderer, selbst seine Verehrer und Fans — reser- viert wirken soll, ist hinlänglich bekannt und als Einstimmung ausreichend. So hat man ihn festgelegt. So ist sein Image.

Ausgabe A 82. Jahrgang Heft 11 vom 13. März 1985 (97) 757

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Lyriker Karl Krolow

Das mag er vielleicht auch gera- de so. Ein Dichter zum Anfas- sen, besser Anrufen? Einerseits ja! Aber andererseits?

Sogar ein wenig Vertrautheit Der Empfang ist fast schon eine Mischung aus Freundlichkeit und Herzlichkeit. Als er sich so- gleich für Augenblicke mit einer Entschuldigung zurückzieht, diesen Gedanken, diesen Satz, der ihm soeben eingefallen sei, müsse er niederschreiben, kommt sogar ein wenig Ver- trautheit auf. Dann ist er zurück,

„vielleicht war dies der Anfang eines Gedichts?", sagt er, und wir sind bereits mitten im Ge- spräch. Neugierig beginne ich, geradezu banal klingende Fra- - gen zu stellen wie etwa: „Wie begann das eigentlich damals mit Ihrem Schreiben?" „Ich war neun oder zehn", so weit auszu- holen, zurückzusteigen in die ei- gene Vergangenheit ist er be- reit, „da habe ich zu Mutters 40.

Geburtstag einen Vierzeiler ge- liefert." Es folgte — so Karl Kro- low — „das gierige, ja nahezu erotische Lesen", Entdecken von Literatur.

Und eigentlich wollte/sollte er ja Lehrer werden. Er studierte Ger- manistik, Romanistik, Philoso- phie und Kunstgeschichte. Als sein erster Text während der Kriegsjahre in einem Loseblatt- Lyrik-Heftchen des Ellermann- Verlags erschien, war er noch Student. Und nach dem Kriege dann von Anfang an freier, das heißt auf sich selbst gestellter Schriftsteller. „Ich bin da hinein- geraten", sagt er, „bin mit Glück und Beharrlichkeit meinen Weg gegangen." Bevor ich die näch- ste Frage stellen kann, hat er be- reits diese und noch weitere Antworten parat. Er spricht klar und präzise, so als könne, ja müsse jedes seiner Wörter so- fort in Druck gehen. Es würde geradezu unhöflich wirken, ihn jetzt in seinen von Rhythmik und Überzeugungskraft bestimmten

Erläuterungen zu unterbrechen.

„Die Stunde Null", stellt er fest,

„gab es eigentlich gar nicht.

Aber genau dort habe ich ange- fangen." Gerhard F. Hering bei- spielsweise war damals ein Mitt- ler zum Südverlag, wo Krolows erste Naturlyrik erschien; Ste- phan Hermlin („wir sind freund- schaftlich verbunden") stellte

Uberleben

Eine Glühbirne, rauchgeschwärzt, ein leerer Kehrichteimer,

ein Himmel aus Papier:

du fühlst dich ausgemerzt.

Da ist etwas verscherzt von mir oder von dir.

Ich las im langen Buch vom kurzen Überleben.

Der Atem mir verschlug.

Ich hatte schnell genug.

Es war: du standst daneben und breitetest ein Tuch fürs flüchtige Weiterleben.

Das war wohl von dir klug gedacht und war doch Trug.

Man kann nichts weitergeben beim kurzen Überleben.

Karl Krolow

den Kontakt zum Verlag Volk und Welt her, wo 1948 Krolows Buch „Heimsuchung" verlegt wurde.

„Ich habe mich durchgemo- gelt", meint er mit hannover- schem Understatement. Karl Krolow, der dies rückblickend über sich sagt, kann heute auf mehr als 40 Jahre literarisches Schaffen zurückblicken. „Ich bin ein Chronist meiner Jahre, habe das Kommen und Gehen vieler Namen und Talente mit- verfolgen können."

Als eine Bilanz seines Lyrikerle- bens könnte man seinen 1982 bei Suhrkamp erschienenen Ge- dichtband „Zwischen Null und

Unendlich" verstehen. Er faßt neben rund 50 Liebesgedichten mit „Minimal Music" und „Aus- verkauf" auch zwei überlange Texte zusammen, mit denen Karl Krolow ohne Schnörkel, mit bisweilen fast schon verzweifel- ter Direktheit ihn und auch an- dere bedrängende, beängsti- gende Entwicklungen, Dinge dieser Zeit und dieser Welt, beim Namen nennt.

Voller Zartheit dagegen bei etli- chen Liebesgedichten der Ver- such, mit Worten festzuhalten, festzuschreiben, was vergäng-

lich — Gefühle, Empfindungen, das, was man Leben, Erleben schlechthin nennt. Dennoch:

Für den, der bereit ist, sich tie- fer, fester einzulassen mit dem Gedichtband „Zwischen Null und Unendlich" können diese Texte durchaus Plätze des Hof- fens, der Hoffnung werden.

„Passen Sie auf", sagt er, mich aus weiteren Gedanken reißend,

„wir sind noch nicht am Ende."

„Ich habe Vergänglichkeit durchgespielt." Er redet, erklärt, erläutert — und schafft Distanz zwischen sich und allem um sich herum, mehr und mehr und offensichtlich.

„Ich habe das beschrieben, was übrigbleibt — nämlich nichts." Er sagt es ohne Wehmut, ohne Trauer. Faktum für ihn. Bilanz.

W. Christian Schmitt

Als ein Geburtstagsgeschenk besonde- rer Art kann es der Lyriker, Erzähler und Kritiker Karl Krolow werten, daß in die- sem Frühjahr gleich ein gutes halbes Dutzend Bücher von ihm und über ihn erscheint. Es sind dies „Gesammelte Gedichte, Band 3" (Suhrkamp); „Nacht- Leben oder Geschonte Kindheit", Prosa (Suhrkamp); „Im Gehen", Erzählung (Bi- bliothek Suhrkamp); „Das andere Le- ben", Erzählung (Suhrkamp); „Vorlie- ben", Zitate (Hessische Literaturfreun- de); „Notizen, Erinnerungen, Träume"

(Merck-Edition); „Gedichte und poeto- logische Texte" herausgegeben von Rolf Paulus (Reclam).

Das Gedicht ist dem Lyrikband „Zwi- schen Null und Unendlich" entnommen;

erschienen im Suhrkamp Verlag, Frank- furt am Main, Erstauflage 1982

758 (98) Heft 11 vom 13. März 1985 82. Jahrgang Ausgabe A

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