Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 106|
Heft 45|
6. November 2009 A 2211W
ie tritt man am besten auf, wenn man sich als frischernannter Bundesgesundheitsminister im Haus an der Berliner Friedrichstraße den versammelten Mitarbeitern sowie der Presse präsentieren muss? Wie behandelt man seine Vorgängerin, die viele Jahre die machtvolle Herrscherin des Hauses war, am Tag des Stabwechsels aber den Tränen nahe ist?Dr. med. Philipp Rösler (FDP) zeigt Fingerspitzen- gefühl an diesem Tag, dem 29. Oktober. Er verzieht keine Miene, als Schmidt behauptet, bislang funktio- niere der Sozialausgleich im System der gesetzlichen Krankenversicherung „so hervorragend, wie er nie über Steuerzuschüsse funktionieren wird“. Er klatscht höf- lich mit, ebenso wie die neuen Staatssekretäre, als die vielen Mitarbeiter im Atrium des Hauses ihrer Ministe- rin für deren Dankesworte lange Beifall spenden. Nur eine ganz kleine Spitze platziert Rösler, als er Schmidt in seiner frei gehaltenen Antwortrede Respekt zollt für die lange Amtszeit und dafür, „dass Sie so erfolgreich aus Ihrer Sicht gewesen sind“.
Fingerspitzengefühl – das wird er weiter brauchen.
Ebenso aber diejenigen, die etwas von ihm wollen:
darunter die zahlreichen Vertreter ärztlicher Organisa- tionen und Verbände. Viele haben ihre Freude darüber bekundet, dass nun ein Liberaler an der Spitze des Bun- desgesundheitsministeriums steht, noch dazu ein Arzt.
Er wird, so hofft man, von vornherein mehr Verständnis für die besonderen beruflichen Herausforderungen der Ärztinnen und Ärzte mitbringen und ihre Vorschläge positiver aufnehmen als zuvor Ulla Schmidt.
Doch wer auf Dauer etwas für die Ärzte erreichen will, sollte jetzt mit Bedacht vorgehen. Sicher ist die Versuchung für jeden einzelnen ärztlichen Interessen- vertreter groß, rasch Gespräche mit Rösler zu fordern und schnelle Reformergebnisse zu verlangen. Der eine oder andere, so hört man, denkt auch schon einmal
darüber nach, ob sich im persönlichen Umfeld des Mi- nisters nicht etwas anstoßen ließe. Rösler ist schließlich mit einer Ärztin verheiratet und pflegt gewiss noch Kontakte zu Kollegen.
Egal, um welches ärztliche Thema es geht: Die eige- nen Reformwünsche kann man sicher am erfolgreichs- ten torpedieren, indem man Rösler auf der privaten Ebene nervt oder ihn so schnell wie möglich in den Ruf eines Ärztelobbyisten bringt. Das wird unliebsame Ge- genreaktionen anderer Interessenvertreter und ganz si- cher eine Abgrenzungspolitik des Ministeriums auslö- sen – zum Schaden mancher guten Idee.
Langjährig erfahrene Vertreter der Ärzteschaft wis- sen zu berichten, wie schnell man Sympathien verspie- len kann. Ulla Schmidt, so wird kolportiert, hat es man- chem Ärztefunktionär nie verziehen, dass sie sich gleich zu Anfang für eine Aufhebung des damaligen globalen Arzneimittelbudgets einsetzte und dann zuse- hen musste, wie die Ausgaben entgegen den Verspre- chungen stark stiegen. Deshalb ist Fingerspitzengefühl angesagt – wenn es um Wünsche wie um Zusagen geht.
FÜHRUNGSWECHSEL IM BMG
Mit Fingerspitzengefühl
Sabine Rieser
Sabine Rieser Leiterin der Berliner Redaktion