Zur Fortbildung Aktuelle Medizin
ÜBERSICHTSAUFSATZ
Bei insulinpflichtigen Diabetikern treten immer wieder Zwischenfälle auf, die sich nur mit Therapiefehlern der Patienten erklären lassen. Dabei zeigt sich, daß Fehler im Zusammen- hang mit technischen Problemen viel häufiger vorkommen, als man zunächst annimmt. Besonders groß ist die Fehlerhäufigkeit bei Spritzen- manipulationen, der Sterilität und im Umgang mit dem Insulin (1)*).
So könnte einer der schwersten Fehler, die Skalenverwechslung, ausgemerzt werden, wenn es end- lich gelänge, die obsolete Zweiska- lenspritze für zwei verschiedene In- sulinkonzentrationen aus dem Han- del verschwinden zu lassen (2). Lei- der werden diese Bemühungen von Sanitätsgeschäften und Apotheken, die diese Spritzen noch empfehlen, erschwert.
Dieser Fehler kann jahrelang unbe- merkt bleiben, bis einmal eine sta- tionäre Behandlung erfolgt oder eine Drittperson zu Hause die ver- ordnete Dosis injiziert. Die Ver- wechslung ist um so gefährlicher, da hier die Dosisschwankungen immer gleich 100 Prozent betragen (3, 4).
Empfohlen wird grundsätzlich die normale 1-ml- oder 2-ml-Rekord- spritze mit der gewöhnlichen Zeh- nerunterteilung. Es gibt diese Sprit- zen auch mit Insulinskalen, die bei manchen Fabrikaten schlecht abzu- lesen sind und durch Verwechslung von Einheiten mit Teilstrichen zu Spritzenfehlern führen können. Ich verordne das Insulinbesteck „Hei- ser (Firma Haselmeier, Stuttgart), das in zwei Größen angeboten wird:
') Die in Klammern gesetzten Zahlen beziehen sich auf das Literaturverzeichnis des Son- derdrucks
Die 1,3-ml-Rekordspritze entspricht 52 1E, die 2-ml-Spritze 80 1E Insulin.
Die Spritze selbst ist mit aufgesetz- ter Kanüle in einem staubdichten Metallzylinder mit Schraubverschluß bruchsicher untergebracht. Der ganze Apparat ist leicht, handlich und nicht viel größer als ein Füllfe- derhalter. Die Kosten werden von der Krankenkasse übernommen.
Für Sehbehinderte gibt es die „Dia- dos-Spritze" vom gleichen Herstel- ler. Durch einen sinnvollen An- schlagmechanismus wird die ver- ordnete Insulinmenge einmal einge- stellt, so daß die Ablesung der Skala entfällt.
Als praktische Sonderausführung ist noch die „Liliput-Kolbenstange" er- hältlich, die eine sterile Ersatzkanüle aufnehmen kann.
Spritze und Nadeln müssen zum Sterilisieren regelmäßig ausgekocht werden. Wie oft dies geschehen soll, ist eine Sache, und wie oft es ge- schieht, eine andere. Die strenge Forderung, nach jedem Gebrauch zu sterilisieren, erfüllt kaum jemand.
Gerade Patienten mit längerer The- rapiedauer legen die Sterilitätsvor- schriften großzügiger aus, „weil ja nie etwas passiert ist". Einmal in der Woche scheint aber nach allgemei- ner Erfahrung eine realistische und ausreichende Forderung zu sein (5).
Die Aufbewahrung sollte im trocke- nen Spritzenbehälter ohne Desin- fektionszusatz erfolgen. So konnte nach drei Wochen trockener Aufbe- wahrung bei täglicher Injektion bak- teriologisch kein Keimwachstum nachgewiesen werden, jedoch schon nach zwei Wochen Aufbe-
Technische Fehler sind häufi- ge Ursachen für labile Stoff- wechsellagen bei insulin- pflichtigen Diabetikern. Der behandelnde Arzt unter- schätzt meist die Schwierig- keiten, die der Patient mit der täglichen Injektion hat. Der Umgang mit der Spritze soll dem Diabetiker mit einfachen Worten **Märt werden. Das In- jektionserät darf keinen gro- en Pflegeaufwand erfordern, und die Insulindosis muß ex- akt einzmtellen sein. Neben der handelsüblichen Rekord- spritze ki.innen heute auch die Plastikinsulinspritzen neueren Typs uneingeschränkt emp- fohlen werden.
wahrung der Spritze in Alkohol (6).
Auch können Alkoholreste in Spritze und Nadel zu Unverträglichkeitser- scheinungen führen, die als Insulin- allergie fehlgedeutet werden (5). Bei größeren Mengen an Alkoholresten besteht sogar die Gefahr, daß die Wirkung des Insulins abgeschwächt wird (7).
Die halbautomatischen Injektions- geräte sind teuer, kompliziert und umständlich zu reinigen. Wenn eine Reparatur notwendig ist, muß mei- stens das ganze Gerät eingeschickt werden. Für Sehbehinderte oder äl- tere Patienten, die im Umgang mit technischen Geräten oft nicht mehr das nötige Geschick aufbringen, sind diese „Automaten" nur eine zu- sätzliche Fehlerquelle. Die Automa- tik ist überflüssig, wenn der Patient gelernt hat, mit der kurzen Nadel schnell einzustechen.
Phantomübungen mit Hilfe einer Zi- trone oder Kartoffel und einer gefüll- ten Rekordspritze helfen in der Re- gel, die Anfangsschwierigkeiten zu überwinden. Patienten, die unbe- dingt auf einem Injektionsautoma- ten bestehen, sollten einen einfa- chen lnjektor erhalten, in den eine handelsübliche Rekordspritze paßt (zum Beispiel Diarapid).
Technische Probleme
bei der Injektion von Insulin
Manfred Blinzler
Heft 41 vom 13. Oktober 1977 2453
DEUTSCHES ARZTEBLATT
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Insulin - Injektion
In Zukunft werden sich die Einmal- spritzen und Einmalnadeln durch- setzen. Die RVO-Kassen überneh- men inzwischen auch die Kosten. Da Reinigung und Sterilisierung entfal- len, werden sie heute schon von vie- len Diabetikern (zum Beispiel im Ur- laub) benutzt. Auf keinen Fall dürfen die handelsüblichen 1-ml- oder 2- ml-Plastikspritzen verwendet wer- den. Diese Spritzen sind Massenarti- kel und können durch die Serienan- fertigung nicht die Genauigkeit der Glasspritzen erreichen. Wegen der gröberen Graduierung und der hel- len Kolben sind sie schlecht abzule- sen, und das selbständige Weiter- gleiten des Kolbens erschwert zu- sätzlich das Aufziehen des Insulins.
Empfehlenswert sind nur Plastik- spritzen mit einer der Tuberkulin- spritze ähnlichen Form. Die Skala soll die Unterteilung einer Insulin- einheit ermöglichen und der Kolben eingefärbt oder mit einem dunklen Ring versehen sein, um sich deutlich und scharf vom hellen Spritzenzylin- der abzuheben.
Nach meinem Wissen gibt es derzeit nur wenige Fabrikate im Handel, die diese Forderungen erfüllen (Be- zugsquellen im Anhang):
• die Primo-Spritze (Firma Asik, Dä- nemark), eine 1-ml-Spritze mit Re- kordansatz, wahlweise mit oder ohne Kanüle.
• die Plastipak-Spritze (Becton &
Dickinson, Heidelberg). Sie wird in zwei Größen angeboten: 1 ml und 2 ml, entsprechend 40 und 80 IE In- sulin. Die 18er Kanüle in der übli- chen Kurzform ist bereits aufgesetzt.
Beim Verordnen zusätzlicher Nadeln ist zu beachten, daß diese Spritzen einen Luer-Ansatz haben. Bei der neuen Form „Typ 8401" ist die Ka- nüle schon eingeschweißt, was zu- sätzliche Vorteile bietet (siehe unten).
fp
die „Terumo-Spritze" (japani- sches Fabrikat) ist ähnlich der Pri- mo-Spritze.• die Insulinspritzen von Henke (gelber Kolben) und Asik, Typ
„Once" (schwarzer Kolbenring) sind gegenüber den üblichen 2-ml-Ein- malspritzen zwar verbessert, haben aber die nicht erwünschte kurze Form.
Preisangaben können nur unter Vor- behalt gemacht werden. Es gibt auch regional unterschiedliche Ver- träge zwischen Kassen und Apothe- ken, nach denen Einmal- und Kran- kenpflegeartikel zu niedrigeren Sät- zen berechnet werden. Preisgünsti- ge Angebote werden auch von Ver- sandfirmen unterbreitet.
Die Patienten können die Spritzen dort direkt beziehen und die Rech- nung mit dem Rezept bei der Kasse einreichen. Bezugsquellen findet man in Inseraten des Diabetes-Jour- nals oder des DEUTSCHEN ÄRZTE- BLATTES. Es ist anzuraten, zur wirt- schaftlichen Verordnungsweise Arti- kelmuster mit Preisliste anzufor- dern.
Für eine Plastikspritze mit Kanüle in der oben geforderten Form muß man zwischen 30 und 60 Pfennig bezahlen. Die tatsächlichen Kosten pro Tag liegen aber niedriger, wenn man berücksichtigt, daß Spritzen und Nadeln mehrmals benutzt wer- den können. Nach bisheriger Erfah- rung können die Nadeln zwei- bis dreimal, die Spritzen bis zu einer Woche ohne Bedenken verwendet werden, wenn sie nach jedem Ge- brauch mit Aqua dest. ausgespült werden.
Der Patient ist aber darauf hinzuwei- sen, daß Plastikinsulinspritzen auf keinen Fall mit Alkohol, Wasser oder Desinfektionslösung gespült oder gereinigt werden dürfen, wenn sie durch Herunterfallen oder Berühren der Kanüle wie des Kolbens verun- reinigt worden sind.
Der Spritzentotraum im Bereich des Nadelansatzes kann 0 bis 10 Einhei- ten betragen (3). Schwierigkeiten treten hier besonders beim Aufzie- hen von zwei Insulinsorten in einer Mischspritze auf. Fehler lassen sich nur umgehen, wenn man zur Ein- stellung im Krankenhaus und zur Weiterbehandlung zu Hause den
gleichen Spritzentyp verwendet. Der neue Spritzentyp von B + D mit ein- geschweißter Kanüle besitzt prak- tisch keinen Totraum mehr und ist deshalb für Diabetiker, die zwei In- sulinsorten mischen, besonders ge- eignet.
Die Spritztechnik läßt sich am be- sten durch praktischen Unterricht erlernen. Theoretische Ausführun- gen hören sich für den unerfahrenen Patienten viel komplizierter an, als es die ganze Angelegenheit ist.
Grundsätzlich sollte jeder Diabeti- ker, der dazu in der Lage ist, die Injektion selbst vornehmen. Auch Kinder lernen die Injektion mög- lichst früh, was im Einzelfall bereits im Alter von sechs Jahren möglich ist. Sie überwinden die Angst oft leichter als Erwachsene und bleiben dann vom Gefühl der dauernden Ab- hängigkeit von einer Bezugsperson bewahrt (8). Die technischen Kennt- nisse sollte der Patient bereits wäh- rend der Ersteinstellung im Kran- kenhaus lernen. Nach der Entlas- sung muß sich der Hausarzt verge- wissern, ob der Patient mit der Spritze richtig umgeht und die Injek- tionstechnik beherrscht. Am besten ist es, wenn man sich vom Patienten zeigen läßt, wie er spritzt.
Bei dem in Europa üblichen IU-40- Insulin entspricht 1 ml 40 Insulinein- heiten. Überseereisende sind darauf hinzuweisen, daß es in den USA nur U-100-Insulin gibt. An der Hautdes- infektion vor der Injektion wird aus prinzipiellen Gründen festgehalten.
Bei ausreichender Körperhygiene ist sie aber nicht unbedingt erforderlich wie die tägliche Erfahrung lehrt. Ge- spritzt werden sollte heute aus- schließlich mit kurzen Nadeln (Nr.
16, 18 oder 20; 13 mm lang), subku- tan etwa einen Zentimeter tief. Intra- kutane Injektionen können zu Un- verträglichkeitserscheinungen füh- ren und sehr schmerzhaft sein und als Insulinallergie fehlgedeutet wer- den. Wichtig ist der ständige Wech- sel der Injektionsstelle nach der Art des Spritzenkalenders, wie er von Constam empfohlen wurde und heute in zahlreichen Variationen üb- lich ist.
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Heft 41 vom 13. Oktober 1977DEUTSCHES ARZTEBLATT
Tabelle:
Bewertung taktoren
Vif wkidige StrahlenartenStrahlenart Bewertungsfaktor
Röntgenstrahlung 1
y-Strahlung 1
Thermische Neutronen 3
a-Teilchen 5
Schnelle Neutronen 10
Schwere Rückstoßkerne 20 Zur Fortbildung
Aktuelle Medizin
DEFINITION
Äquivalentdosis
In der klinischen und in der Strah- lenschutzdosi metrie ionisierender Strahlungen haben drei Dosisbegrif- fe fundamentale Bedeutung: die Energiedosis und die lonendosis sind ausschließlich über physikali- sche Phänomene definiert und be- rücksichtigen keine biologischen Aspekte; die Äquivalentdosis dage- gen enthält aucE eine biologische Komponente und erfaßt auch das biologische Strahlenrisiko.
Als Energiedosis ist die in einem Körpervolumen absorbierte Strah-
lungsenergie, bezogen auf die Masse dieses Körpervolumens, defi- niert. Die Einheit ist Joule/Kilo- gramm oder die in dem neuen Sy- stem der internationalen Einheit da- für festgelegte Abkürzung Gray (Gy).
vertrauter ist die früher gebräuch- liche, aber nur noch bis Ende 1977 zugelassene Einheit rad.
Gleiche Energiedosen haben unter gleichen Bedingungen durchaus verschiedene biologische Wirkun- gen. Um dies zu berücksichtigen, führte man zunächst den Begriff der relativen biologischen Wirksamkeit ein, der sich jedoch als unzurei- chend erwies, da die RBW auch vom biologischen System und von der räumlichen und zeitlichen Vertei- lung der Energiedosis abhängt und außerdem die Angabe einer RBW für zusammengesetzte Strahlenreaktio- nen auf Schwierigkeiten stieß. Man hat deswegen den Bewertungsfak-
tor q eingeführt, der eine dimen- sionslose Zahl ist, die angibt, wievielmal stärker eine Strahlenart als eine Standardstrahlenart aus Röntgenstrahlen wirkt. Die Tabelle gibt einige Bewertungsfaktoren für wichtige Strahlungsarten an:
Mit der Energiedosis und dem Be- wertungsfaktor läßt sich die Äquiva- lentdosis definieren zu:
Äquivalentdosis = Energiedosis Bewertungsfaktor
Energiedosis und Äquivalentdosis haben entsprechend der obigen De- finition zunächst die gleiche Dimen- sion Joule/Kilogramm. Zur Unter-
scheidung hatte früher die Äquiva- lentdosis die Einheit rem, die an- zeigte, daß in der Dosisangabe über die physikalische Dosis hinaus auch die biologische Wirkung der Strah- lenart bereits enthalten war.
Der Name Äquivalentdosis deutet darauf hin, daß eine bestimmte Do- sis in bezug auf das Risiko im Strah- lenschutz einer zahlenmäßig gleich großen Energiedosis mit dem Be- wertungsfaktor 1 äquivalent ist. Im Strahlenschutz — und nur für den Strahlenschutz gilt der Begriff Äqui- valentdosis — erlaubt sie es, ver- schiedene Strahlenarten und ihre biologischen Wirkungen in einer Dosisangabe zusammenzufassen.
Literatur
Nachtigall, D.: Physikalische Grundlagen für Dosimetrie und Strahlenschutz, Verlag K Thie- mig, München.
A. Habermehl
Insulin
-Injektion
Entscheidend ist, daß nicht in die gleiche Stelle zweimal injiziert wird und veränderte Hautbezirke unbe- dingt gemieden werden, auch wenn der Patient gern diese hypästheti- schen Injektionsstellen wieder be- nutzt (9).
Die Schulung des Patienten ist die Grundlage der Diabetesbehandlung.
Schriftliches Material, Filme und Schallplatten sind nützliche Hilfen für den Unterricht. Das ärztliche Ge- spräch und die praktische Unterwei- sung können sie aber nicht ersetzen.
Gerade der Anstieg der Fehlerhäu- figkeit mit der Therapiedauer bei vermeintlich routinierten Patienten erfordert immer wieder Schulung und Auffrischung des Gelernten. Der Patient muß dafür gewonnen wer- den, daß er sich für die Qualität der Diabeteseinstellung mitverantwort- lich fühlt. Nur so können technische Fehler als Ursache für labile Stoff- wechsellagen weiter verringert werden.
Anhang
Bezugsquellen für Plastikinsulinspritzen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
1. örtlicher Sanitätshandel und Apo- theken
2. Firma Peter Seidel, 8035 Buchendorf, Gautinger Str. 4
3. Medipha GmbH, 7340 Geislingen/
Steige, Postfach 21
4. Chiromed, 852 Erlangen, Postfach 19 47
5. Firma Becton/Dickinson GmbH, 61 Heidelberg 1, Gottlieb-Daimler-Str.
Literatur
Birkhäuser, M., Dubach, C.: Über die Zuverläs- sigkeit von Diabetikern bei der Insulin-Thera- pie, Praxis Vol. 59 (1970) 986 - Shainfeld, F. J.:
Errors in Insulin Doses Due to the Design of Insulin Syringes, Pediatrics 56 (1975) 302 - Diabetologie in Kinik und Praxis, Herausgeber H. Mehnert u. K. Schöffling, Georg Thieme- Verlag Stuttgart, 1974 - Kraus,B., Städt_ Kran- kenhaus • München-Schwabing (persönliche Mitteilung).
Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Manfred Blinzler Lucas-Cranach-Straße 3-5 8640 Kronach
2456 Heft 41 vom 13. Oktober 1977