Spektrum der Woche Aufsätze Notizen
Gesundheitssysteme in Lateinamerika
Abgesehen von den besseren kura- tiven Möglichkeiten und den Kon- trollfunktionen gegenüber der un- tersten Ebene, verfügt die zweite über elementare Labormöglichkei- ten, ganz besonders über ein Mi- kroskop. Sie führt Sputumuntersu- chungen usw. durch. Weiterhin obliegt ihr die monatliche und jährliche Statistik für ihren Ein- zugsbereich.
Zur Veranschaulichung des Auf- baues derartiger dezentralisierter Systeme sind in Tabelle 2 die eini- ger ausgewählter Länder ange- führt.
4. Schlußüberlegung
Der Aufbau von Gesundheitssyste- men, die den Möglichkeiten, be- sonderen Hindernissen und Be- dürfnissen eines Landes entspre- chen, hängt nicht nur von der inne- ren Struktur eines Landes der Drit- ten Welt ab, sondern weitgehend auch von dessen Abhängigkeit von Nordamerika und/oder Europa.
„Der Grad der Abhängigkeit be- stimmt die Organisationsmöglich- keiten, weil die überlieferten Insti- tutionen die Anstrengungen der Gemeinden um eine Beteiligung an Entscheidungen zunichte machen"
(Politica y Programas Panamä 1973, ohne Seitenangabe). Die Pro- duktion von Gesundheit wird des- halb von vielen lateinamerikani- schen Ländern auch als Teil ihres Ringens um Unabhängigkeit gese- hen.
Der Zwang, ganz neue Wege zu ge- hen, mag aber auch zu Strategien und Methoden führen, hinter de- nen unsere eigenen in absehbarer Zeit zurückstehen mögen. Der Im- perativ zu sparen, die Notwendig- keit der Effizienzmessungen von Gesundheitsaktionen, die Schaf- fung neuer medizinischer Hilfsbe- rufe, die frühe Ausrichtung des Medizinstudenten auf Ernährungs- fragen und auf andere epidemiolo- gisch wichtige Parameter der Volksgesundheit, alle solche und andere Erfahrungen zu beobachten und auf ihre (abgewandelte) An-
wendbarkeit in Deutschland zu überprüfen könnte schon bald in den Rahmen der allmählich von Lateinamerika an Europa geleiste- ten geistigen Entwicklungshilfe fal- len.
Literatur und Quellenangaben bei den Verfassern
Anschrift der Verfasser:
Dr. med. Axel Kroeger
Allgem. Krankenhaus Heidberg I. Medizinische Abteilung Tangstedter Landstraße 400 2000 Hamburg 62
Dr. phil. Jürgen Gräbener Soziologe, Beauftragter des Deutschen Entwicklungsdienstes Casilla A 244
Quito / Ecuador
Aus Europa
GROSSBRITANNIEN
Ein Fall
von „biosozialer Regeneration"?
Eine Studie über die Geburtenent- wicklung in dem walisischen Ort Aberfan, die im „British Medical Journal" (R. M. Williams, C. Murray Parkes, Psychosocial Effects of Disaster: Birth Rate in Aberfan, B.M.J. 2, 303, 1975) veröffentlicht wurde, zeigt eine bemerkenswerte Reaktion der Bevölkerung auf eine Naturkatastrophe. In dem etwa 5000 Einwohner zählenden Dorf im südwalisischen Kohlenbergbaure- vier waren im Oktober 1966 durch den Erdrutsch einer Abraumhalde 116 Kinder und 28 Erwachsene ums Leben gekommen. In der Stu- die wurde die Bevölkerungsent- wicklung in den Jahren vor der Ka- tastrophe fortgeschrieben, weil sich ja sonst durch die Verringe- rung der Bevölkerung eine statisti- sche Steigerung der Geburtenrate pro tausend Einwohner ergeben hätte.
Etwas mehr als ein Jahr nach dem Unglück, nämlich im Kalenderjahr
1968, stieg die Geburtenrate pro tausend Einwohner von 14,4 auf 20,8 steil an. Die Geburtenrate ist seither wieder gefallen, hatte aber noch im Jahre 1972 nicht ganz die Geburtenrate des Verwaltungsbe- zirkes erreicht, zu dem das Dorf Aberfan gehört. In den fünf Kalen- derjahren
von 1968 bis 1972 hätten
in Aberfan nach den statistischen Erwartungen 313 Kinder geboren werden müssen; tatsächlich waren es 445. Dabei hatten nur 14 Eltern- paare, die bei dem Unglück Kin- der verloren hatten, in diesen fünf folgenden Jahren weitere Kinder, und zwar zusammen 17.Die Verfasser der Studie — ein Arzt und ein Psychiater — kommen zu dem Schluß, daß die gesamte Bevölkerung des Ortes unter dem Eindruck der Katastrophe einen Prozeß der „biosozialen Regenera- tion" durchgemacht habe.
Dabei muß wohl offenbleiben, in welchem Maße dieser Prozeß durch die verschiedenen Hilfspro- gramme für Aberfan und Südwales beeinflußt worden ist, die nach dem Unglück einsetzten. Fest steht, daß der Gemeinschaftsgeist und die Stimmung der Bevölkerung in Aberfan heute von den meisten Be- obachtern weit höher eingeschätzt werden als vor 1966. gb
BELGIEN
Dreisprachige Warnung
In drei Sprachen muß auf belgi- schen Zigarettenschachteln in Zu- kunft vor dem Rauchen gewarnt werden. Ein Gesetz, das am 14. De- zember 1975 in Kraft trat, sieht vor, daß auf den Zigarettenschachteln in einer Schrift, deren Größe nor- maler Zeitungsschrift entspricht, der Vermerk enthalten sein muß:
„La cigarette peut nuire ä votre sante". „Sigaretten roken kan uw gezondheid schaden" und „Das Zi- garettenrauchen kann Ihrer Ge- sundheit schaden". Die deutsch- sprachige Warnung richtet sich vornehmlich an die Zigarettenrau- cher in Eupen und Malmedy. gn
214 Heft 4 vom 22. Januar 1976