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Zu den in Näblus befindliclien Handschritten des
Samaritanischen Pentateuchtargums.
Von P. Kahle.
Eine Reise durch Palästina im Juli 1906 führte mich auf ein
paar Tage nach Näblus; es hatte sich günstig getrofi'en, daß ich
kurz vor meiner Abreise in Kairo den Besuch von vier Samaritanern
erhielt, die eben aus Näblus kamen, und nun über Konstantinopel
oder Marseille nach London wollten, um dort milde Gaben für ihre 5
Brüder in Näblus zu sammeln. Sie hatten eine ganze Masse von,
meist jüngeren, Handschriften mit, die sie zu verkaufen gedachten.
Da ich ihnen durch Abkauf einiger Sachen ihre Weiterreise ermög¬
lichte, so waren sie gern bereit, mich ihren Freunden in Näblus
angelegentlichst zu empfehlen ; man trug mir Grüße auf und gab lo
mir Briefe mit. Auch meldete man meinen Besuch in Näblus direkt
an. Das erleichterte mir meine Arbeit in Näblus bedeutend.
Mir lag vor allem daran, die Targumhandschriften zu sehen,
die Petermann seiner Zeit vorgelegen hatten, und auf denen die
von Petermann und Völlers veranstaltete Ausgabe des „Pentateuchus is
Samaritanus" (Berlin, Moeser, 1872 flf.) beruht. Der Name Peter¬
mann hat bei den Samaritanern einen guten Klang. Der Hohe¬
priester Ja'küb ibn Härün wußte noch viel von ihm zu erzählen,
immer wieder hob er hervor, wie Petermann so viele Abschriften
habe anfertigen lassen , und wie er diese Abschriften gut bezahlt 20
habe. Er versprach mir auch, die Handschriften zu zeigen: doch
ich kam am Freitag Abend an, erst mußte ich den Samstagsgottes¬
dienst in der Synagoge mitmachen, und am Sonntag mir vom Hohen¬
priester u. a. die alten Erinnerungen des Berges Garizim zeigen
lassen. Dann erst bekam ich in seiner Wohnung drei Handschriften 25
zu sehen, die das Samaritanische Targum enthielten. Sie gehörten,
so erklärte er, der Synagoge an, und seien von Petermann seiner¬
zeit bearbeitet worden. Er wies mir ein kleines Zimmer an , und
da konnte ich an drei Tagen leidlich ungestört je ein paar Stunden
mich mit den Handschriften beschäftigen. Es war leicht fest- so
zustellen, daß die eine Handschrift in grünem Einband mit rotem
Bücken, eine Triglotte, die man ijywLswJ! nannte, Petermann's
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910 Kahle, Z. d. i. Näblus befindl. Uss. des Samarit. Pentateuchtargums.
Hs. C war. Eine andere Triglotte in grünem Einbände war Peter¬
mann's Hs. B, und eine dritte in rotem Einbände, den hebräischen
und aramäischen Text enthaltend, war Petermann's Hs. A.
Nun galt es noch die Vorlage für Ap (Apographon) finden,
5 die doch die Grundlage der ganzen Ausgabe bildet, und (cf. Völlers,
Vorrede zu Numeri) die Abscbrift einer wertvollen Vorlage war. Zwei
in Privatbesitz befindliche Handschriften, eine schöne Triglotte, die
den Brüdern Ishäk und Seläma, den Priestern, gehörte, und eine
andere, den bebräiscben und aramäischen Text enthaltende Hand¬
le sehrift, dem ^^^äki (jtoUs gehörig, und A. H. 826 geschrieben, hatte
Petermann nicht gesehen: diese Behauptung des Hohenpriesters
wurde durch eine Untersuchung bald bestätigt.
Da der Hohepriester ja selbst die Abschrift für Petermann
angefertigt hatte — cf. Völlers, Vorrede zu Deuteronomium, und
15 Ja'küb ibn Härün bestätigte mir das — so drang ich in ihn, er
müßte mir nun doch sagen können, aus welcber Handschrift er
seine Abscbrift angefertigt habe. Da gestand er mir schließlich,
er habe seine Abschrift nur nach der Hs. A und B gemacht; er
habe natürlich immer den Text gewählt, der der bessere war, fügte
20 er erläuternd hinzu, habe bisweilen auch C zu Rate gezogen. ,W^as
willst du", sagte er, , heute weiß ich ja, daß man das beim Ab¬
schreiben von Handschriften nicht tut. Aber ich war damals ein
kleiner Junge, und ich habe es doch gut machen wollen." Dem
Ja'küb ibn Härün wird man das in der Tat nicht sehr verargen
25 dürfen. Aber daß Petermann sich nicht die Mühe nahm, aucb nur
sich nach dem Original von Ap umzusehen, wo er doch drei Hand¬
schriften dazu kollationierte und Ap zur Grundlage seiner Ausgabe
machte, ist ihm nicht recht verzeihlich. Petermann hat also zu
Ap, der eine flüchtige Abschrift darstellt, die teils aus A, teils aus
30 B genommen, bisweilen auch nach C korrigiert ist, die Hs. A, B,
und für Genesis und Exodus auch C kollationiert. Und daß diese
Erinnerung des Hohenpriesters richtig ist, davon kann sich jeder
leicht durch Einsichtnahme in die Variantensammlung überzeugen.
Wo Ap Abschrift von B ist, finden sich fast nur Varianten von
35 A , und wo Ap Abschrift von A ist, fast nur Varianten von B.
Lesen A und B anders als Ap, so ist, wenn man nicht eine Korrektur
nach C annehmen will, ein Schreibfehler in Ap oder eine ungenaue
Kollationierung zu konstatieren.
Nun zu den Handschriften selbst.
40 Daß die sorgfältigste und schönste unter diesen drei Hand¬
schriften die Hs. C ist, sieht man auf den ersten Blick. Sie ent¬
hiilt im Buche Exodus folgende Schreibernotiz : mrbN -,2 csrc r;:s
p--V:b n-N-rc-ai ins r:-:;3 bnsn --rn nirbN -,3 b^5:n: p
n-:-o -3S -p -cv -parn c^nn --xb --o-np- n-nrn tnt ^nnps
45 r;::"-' irnbs. Danach ist die Handschrift also A. H. 601 gescbrieben.
Den Namen „Thora des Pineas" hat sie bei den Samaritanern von
Kahle, Z. d. i. Näblus befindl. Hss. des Samarit. Pentateuchtargums. 911
dem Schreiber bekommen. Daß das Petersburger Pragment Nr. 178
ein Stück von C ist, habe ich in meinen textkritiseben und lexika¬
lischen Bemerkungen p. 12 S. nachgewiesen. Da die Varianten, die
Petermann von C bringt, mit Gen. 2,19 einsetzen , ist anzunehmen,
daß zu seiner Zeit die Handscbrift hier begann. Heute fehlt von 5
der alten Handschrift alles bis Gen. 12,4: seit 1868 sind also die
Blätter, die Gen. 2,19—12, 4 enthielten, abbanden gekommen, d. h.
wahrscheinlich einzeln für gutes Geld an Besucher von Näblus ver¬
kauft worden. Wer weiß, ob und wo sie noch einmal zum Vor¬
schein kommen werden. :o
Auch vom Schlüsse der Handschrift sind Blätter wohl auf
dieselbe Weise abhanden gekommen. Das von mir ZA. XVII p. 1 fiF.
veröfiFentlichte Blatt aus dem Ms. or. 5036 des Londoner British
Museum gehört zu Kodex C. In der Näbluser Handscbrift befindet
sich noch das darauf folgende Blatt, das den Text von Dt. 32, so —33 1 15 enthält.
Ich habe verschiedene Stellen der Handschrift genau kollationiert,
unter andem den Schluß von Dt. 25 ab, und habe mir den übrigen
Teil der Handschrift, also Gen. 12, 4— Dt. 24, genau abschreiben
lassen. Bei einer künftigen Neuausgabe des Targum wird zweifellos so
dieser Text in erster Linie zu berücksichtigen sein. Die Handschrift ist ebenso sorgfältig geschrieben, wie die Barberinische Triglotte,
ist aber viel vollständiger erhalten als diese, ja auch 23 Jahre
älter als sie.
In Handschrift B ist das Datum, das wahrscheinlich am 25
Ende von Deuteronomium stand, nicht mehr erhalten. Am Ende
von Numeri findet sich die Notiz : rmiDn mrr' nay p npnx nainD
nnnJT iaam, arab. ^ ^i^JÜi «JÜ! iXjx. «jlX/ö xajL/
v_sjjJ|. Ebenfalls am Ende von Numeri steht eine Verkaufsnotiz,
die besagt, daß [npjii: ben -»iy laN ben t]OT' vo* den bne n:nni die so
Handschrift gekauft hat von [m]n"< na? ben njini von den bng
n-'BDn um 50 Dinar Goldes; und daß dieser Verkauf stattgefunden
hat im Jahre 890 d. H. Dieser Verkauf wird bezeugt von Jnana
ben npnis ben apyi ben (bN)y»«j'', dem nwiam nrna, der die
Notiz auch geschrieben hat. Ein weiterer Verkauf hat in Gaza 35
(my) im Jahre 917 d. H. stattgefunden.
Fünf Doppelblätter der Handschrift, die Petermann 1868 noch
in Näblus vorgefunden hat, sind abhanden gekommen ; davon baben
vier den Weg nach dem Brit. Museum in London gefunden,^ und'
befinden sich dort als Ms. or. 1441. Ich habe über dies Fragment 40
in ZA. XVII p. 19 gehandelt. Als ich dort das Schema über das
Verhältnis von Ap , B und L aufstellte , konnte ich nicht ahnen,
daß B und L identisch, und Ap eine Abschrift von B ist, und daß
alle Diflferenzen nur ungenauer Arbeit ihr Entstehen verdanken.
Ja'küb ibn Härün folgte hier in seiner Abschrift ganz oflFensichtlich B. 45
912 Kahle, Z. d. i. Näblus befindl. Hss. des Samarü. Pentateuchtargums.
Die Handschrift ist erhalten bis Dt. 29,9: dann folgt noch
eine halbe Seite, die den Text sehr lückenhaft enthält, bis 29, 17;
das hat auch Petermann angegeben: bis hierher Kod. a. — Der
Kodex ist wohl schwerlich von einem Schreiber geschrieben. Am
■5 Anfang ist er viel sorgfältiger als am Schluß. Der Kodex ist kaum
älter als das 9. Jahrh. der Hidschra.
K o d e x A, die Handschrift in rotem Einbände, den hebräischen
und aramäischen Text enthaltend. Ich verweise hier auf meine
Ausführungen in ZA. XVI p. 83—93. Ich hatte da geschrieben
10 „ es ist mir deshalb sicher, daß die Hs. A nicht früher als in
der Mitte des 9. Jahrhunderts geschrieben ist, wahrscheinlich erst
im 10. Jahrhundert d. H. und zwar in Sichem oder in Damaskus".
Am Anfang des Deuteronomium findet sich, in der Form des ge¬
wöhnlichen Akrostichon , eine Notiz , hebräisch und aramäisch , aus
15 der die näheren Angaben über den Schreiber und Zeit und Ort der
Abschrift hervorgehen. Die Notiz lautet hebräisch so:
i:yn nam a^mraM nra i-in« iw riiampn n-nnn mnt bba
p Tins nm "la oniaN inn^boT mni mian") bt« "^iisn iiaown
mi3 by picMia iibn -inan cn-iaN -ja pnsi p pns ria p pnjii
20 nsnii niriam nynni nniNSi nainai naiiam nNbisi nsipi n-iipi
nbnp "iiansi nbnp ']iwDn nano p apyi nbnp tid-int nbnp "^iwoi
niayn nsnii nniNJi nainai naiiam nsipn nsbiST nsjiawn nrinii
mNW yüsm Di"iU55i nyaiN nDisa pT DiNiia:n iiam noi nam
.-(WNsn nww bny a '{aat thn vby nana ninn bsyToioi i;a nabwnb
25 Daraus geht hervor, daß das Ende der Handschrift, von
Nu. 28, 2c ab, von nmas ben pns nia ben pn3£i ..., dem levitischen
Priester in Damaskus, geschrieben ist, auf Veranlassung von apyi
ben nßi von den bne niNiiasn und zwar im Jahre 924 d. H.
Von der Handscbrift ist seit Petermann's Zeiten viel verloren
so gegangen. Sie beginnt heute bei Gen. 10,7, nnd endet mit Dt. 12, 28.
Alles übrige ist neue Ergänzung. Bei Petermann beginnen Varianten
von A schon in Genesis Kap. 1, und die letzte Variante findet sich
in Dt. 28,30 (cf. ZA. XVl, 87). Daß die Fragm. 180 und 181 der
Kaiserl. Bibl. zu Petersburg zu dieser Handschrift gehören, und ab-
S5 handen kamen, bevor Petermann die Handschrift sah, und daß ein
anderes Fragment sich in dem Londoner Ms. or. 5036 befindet, das
zur Zeit des Aufenthaltes Petermann's in Näblus noch dort war,
habe ich ZA. XVI, 83 flf. nachgewiesen.
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Die Zahl vierzig und Verwandtes.
Von Ed. König.
Daß die Zahl vierzig sehr häufig in der althebräischen Literatur auftritt, ist bekannt, und die betreflFenden Stellen sind ja zum Teil
wieder in dem Artikel „Das Himmelsjahr usw." von Ed. Mahler
im vorigen Jahrgang, S. 835, ausführlich entfaltet worden. Diese
häufige Verwendung der Zahl vierzig wurde auch schon vorher als s
ein einzelner Fall des Gebrauches der sogenannten numeri rotundi
angeseben, die in meiner Stilistik, Rhetorik, Poetik, S. 51—56 auch
aus der späteren jüdischen Literatur, den Inschriften usw., belegt
und auf ihre Ausgangspunkte untersucht worden sind. Speziell in
bezug auf die Zahl vierzig ist daran erinnert worden, daß sie nach lo
der althebräischen Anschauung selbst den Zeitraum einer Generation
bezeichnete. Denn eine Generation, mit wenigen Ausnabmen, wurde
dazu verurteilt, in der Wüste zugrunde zu gehen (Num. 14, 22 f. etc.),
und eben dieser Aufenthalt in der Wüste dauerte nach anderen
Stellen (14, 33 etc.) vierzig Jahre. Also waren vierzig Jahre der i5
anschauliche, weil fixierte, aber eben deshalb zugleich nur approxi¬
mative Ausdruck der Dauer einer Generation. Dies mag haupt¬
sächlich auf der Beobachtung berubt haben, daß die volle Ent¬
wickelung des Menschen, seine sogenannte «xftfj, ungeföhr im vier¬
zigsten Jahre seines Lebens eintritt (vgl. 70—80 Lebensjahre in 20
Ps. 90, 10). Jedenfalls liegt dieser Gedanke in den Worten „bis er
erlangte seine Vollkraft (aäiiddahu) und er erreichte vierzig Jahre"
(Kor'än 46, u), und hieraus erklärt sich die Tradition, daß Mohammed
im Alter von vierzig Jahren zum Propheten berufen wurde ^). Also
an Mitteln zur Erklärung des Gebrauchs der Zahl vierzig hat es 25
auch schon früher nicht gefehlt, ehe auf das Himmelsjahr der
Ägypter hingewiesen worden war. Natürlich aber ist es nicht un¬
möglich, daß auch diese Vorstellung ein Ferment bei der Entfaltung
des weitreichenden Gebrauchs der Zahl vierzig im Altertum gewesen
ist. Nur sollen die in der konstatierten Vorstellungswelt der alten 30
1) Daran hat scbon Rud. Hirzel in seiner Abhandlung „tjber Bundzablen*
in den Berichten der Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 1885, S. 39 und 62 erinnert.