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Die Zahl vierzig und Verwandtes.
Von Ed. König.
Daß die Zahl vierzig sehr häufig in der althebräischen Literatur auftritt, ist bekannt, und die betreflFenden Stellen sind ja zum Teil
wieder in dem Artikel „Das Himmelsjahr usw." von Ed. Mahler
im vorigen Jahrgang, S. 835, ausführlich entfaltet worden. Diese
häufige Verwendung der Zahl vierzig wurde auch schon vorher als s
ein einzelner Fall des Gebrauches der sogenannten numeri rotundi
angeseben, die in meiner Stilistik, Rhetorik, Poetik, S. 51—56 auch
aus der späteren jüdischen Literatur, den Inschriften usw., belegt
und auf ihre Ausgangspunkte untersucht worden sind. Speziell in
bezug auf die Zahl vierzig ist daran erinnert worden, daß sie nach lo
der althebräischen Anschauung selbst den Zeitraum einer Generation
bezeichnete. Denn eine Generation, mit wenigen Ausnabmen, wurde
dazu verurteilt, in der Wüste zugrunde zu gehen (Num. 14, 22 f. etc.),
und eben dieser Aufenthalt in der Wüste dauerte nach anderen
Stellen (14, 33 etc.) vierzig Jahre. Also waren vierzig Jahre der i5
anschauliche, weil fixierte, aber eben deshalb zugleich nur approxi¬
mative Ausdruck der Dauer einer Generation. Dies mag haupt¬
sächlich auf der Beobachtung berubt haben, daß die volle Ent¬
wickelung des Menschen, seine sogenannte «xftfj, ungeföhr im vier¬
zigsten Jahre seines Lebens eintritt (vgl. 70—80 Lebensjahre in 20
Ps. 90, 10). Jedenfalls liegt dieser Gedanke in den Worten „bis er
erlangte seine Vollkraft (aäiiddahu) und er erreichte vierzig Jahre"
(Kor'än 46, u), und hieraus erklärt sich die Tradition, daß Mohammed
im Alter von vierzig Jahren zum Propheten berufen wurde ^). Also
an Mitteln zur Erklärung des Gebrauchs der Zahl vierzig hat es 25
auch schon früher nicht gefehlt, ehe auf das Himmelsjahr der
Ägypter hingewiesen worden war. Natürlich aber ist es nicht un¬
möglich, daß auch diese Vorstellung ein Ferment bei der Entfaltung
des weitreichenden Gebrauchs der Zahl vierzig im Altertum gewesen
ist. Nur sollen die in der konstatierten Vorstellungswelt der alten 30
1) Daran hat scbon Rud. Hirzel in seiner Abhandlung „tjber Bundzablen*
in den Berichten der Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 1885, S. 39 und 62 erinnert.
914 König, Die Zahl vierzig und Verwandtes,
Hebräer und anderer Semiten liegenden Elemente bei der Erklärung
jenes Gebrauchs nicht einfach ignoriert werden, wie es in jenem
Artikel von Ed. Mahler geschehen ist.
Aus seiner neuen Quelle des Verständnisses für die Verwen-
6 dung der Zahl vierzig bei den Hebräem ist nun in jenem Artikel
(S. 836) anch abgeleitet, weshalb Mose nur vierzig Jahre lang der
Fübrer Israel's habe sein können. Die Herrschäkft eines Dekan¬
gestirnes habe bloß eine Dekade gedauert, dann habe ein anderes
die FührerroUe übernommen. So habe auch Mose nur während der
10 Dauer einer Dekade (nämlich einer Himmelsdekade = 10 Quadrien¬
nien = 40 Jahre) der Führer Israel's sein können. Aber während
wir nicht wissen, ob diese Idee vom Dekangestim und einer
Himmelsdekade usw. bei den alten Hebräem lebendig war, ist es
bestimmt aus der althebräischen Literatur zu entnehmen, daß eine
15 Generation zu vierzig Jahren berechnet wurde , und die Wüsten¬
wanderung Israels so lange dauerte. Man vergleiche außer den im
vorigen Absatz erwähnten Stellen noch Num. 26, 64 f. rait 32, is.
33, SS f., Deut. 2, 7. 8, « etc.. Am. 5, «5 etc.I Nun war es aber ein
Moment der historischen Erinnerung Israel's, daß Mose sein Volk
so nur bis zum Ende seiner Wüsten wandernng geleitet batte. Folglich
ergab sich daraus, daß er zu den achtzig Lebensjahren, die in
Exod. 7, 7 erwähnt sind, bloß noch zirka vierzig hinzufügte. Auch
die ersten achtzig Jahre erklären sich wahrscheinlich so, daß an¬
genommen wurde, er sei damals, als er ,zum Manne herangewachsen
S6 war" (Exod. 2, ii) und den ersten Akt seiner öffentlichen Wirksam¬
keit — jenen kühnen Versuch, aus eigener Initiative sein Volk zu
befreien — vollbrachte, vierzig Jahre gewesen und da öffentlich
hervorgetreten, wie es im vorigen Absatz in bezug auf Mohammed
bemerkt wurde. Die Zeit seines Exils bei den Midianitern nnd
so des Ausreifens zu seiner Prophetenlaufbahn kann dann auch wieder
auf die Dauer einer Generation berechnet worden sein. Das ist
alles noch wahrscheinlicher, als daß seine Lebenszeit deshalb auf
120 Jahre angesetzt worden sei, weil sie .die Dauer eines Himmels¬
monats oder dreier Himmelsdekaden" habe betragen sollen.
86 Aber durch das neue Erklärungsprinzip in bezug auf die Zahl
vierzig im althebräischen Schrifttum soU weiter auch die Zahl 480
(die Zeit vom Exodus bis zum Tempelbau) „ihre Erklärung finden"
(S. 837). Diese bekanntlich in 1 Kön. 6, i stehende Zahl ist nun
schon von vielen als die Dauer von zwölf Generationen zu je vierzig
40 Jahren angesehen worden. Insbesondere hat Emst Bertheau *) auf
die Beobachtung hingewiesen, daß in 1 Chron. 5, «9-84 und 6, ss-ss
von Aaron bis AljimaJas, dem Zeitgenossen David's und Salomo's
(2 Sam. 15, 27. ss etc.) zwölf Generationen gezählt sind. Diese Auf¬
fassung ist auch von mir in meinen „Beiträgen zur biblischen
1) Im Kurzgefaßten exegetischen Handbuch zum Sichterbncb, 2. Anfl., S. XVI.
Kiinig, Die Zahl vierzig und Verwandtet. 915
Chronologie" in der Zeitschr. f. kirchl. Wissenschaft u. kirchl. Leben
1883, S. 449 flf. namentlich gegenüber dem Versuch von J. Oppert
insbesondere deswegen vertreten worden, weil es eine vielfach zu
belegende Tatsache ist, daß gerade die Zahlen im alttestamentlichen
Schrifttum teils runde sind, teils den jüngeren Schichten angehören 5
und teils fehlerhaft überliefert sind, worüber der erste meiner so¬
eben erwähnten Beiträge ausführlich gehandelt hat (S. 281—289).
Wie aber will Ed. Mahler jene Zahl 480 erklären? Nun, zuerst so.
480 Jahre seien = 4 Himmelsmonate (nämlich = 4 mal 30 Quadrien¬
nien = 4 mal 30 Himmmeistage). Dies sei aber genau die Dauer lo
einer Jahreszeit im ägyptischen Sinne. Eine solche sei aber gleich¬
sam auch mit dem Tempelbau abgeschlossen worden, denn dieser
habe die definitive Niederlassung Israel's in Palästina gleichsam auch
nach außen hin bekräftigt. Das läßt sich gewiß ganz gut hören.
Aber ob es ein Element der althebräischen Anschauung war, ist is
eine andere Frage, und ich sehe keinen Anhalt, sie zu bejahen.
Denn jene Zahl 480 läßt sich ja auch, wie soeben wieder angedeutet
worden ist, anders und zwar aus Momenten ableiten, die bestimmt
im Vorstellungskreise der Israeliten und der Semiten überhaupt
(vgl. das , was über Mohammed's Auftreten als 40 jähriger gesagt 20
worden ist) lagen. Indirekt aber leitet sodann auch Ed. Mahler jene
480 aus der Kücksicht auf zwölf Generationen ab. Dies tut er,
indem er auf die Periode vom Tempelbau bis zum Exil zu sprechen
koramt, und das, was er über diese Periode sagt, mußte den
eigentlichen Anlaß bieten, ein paar beurteilende Bemerkungen über 25
seine Darlegung zu machen.
Er führt nämlich S. 837 f. dies aus. Für die erste Periode
der staatlichen Existenz Israel's gebe die Bibel deutlich die Zahl
480 Jahre an. Die Dauer der zweiten Periode aber müsse man
aus dem Abstände berechnen , der zwischen dem hohepriesterlichen so
Zeitgenossen des Tempelbaues und dem des babylonischen Exils
gelegen habe. Nun habe zur Zeit des Tempelbaues §adok als
Priester in Jerusalem fungiert. Das ergebe sich aus 1 Kön. 4, 1-4,
wo nämlich unter den Beamten Salomo's auch §adok und Abjatbar
als Priester aufgezählt werden. In 1 Chron. 5,29-40 aber finde sich 35
eine Genealogie von sAmram (dem Vater Mose's) bis zu Jehosadak,
bei dessen Namen die Bemerkung gemacht sei, daß er mit ins Exil
nach Babylonien habe wandem müssen. Aus diesen Materialien
zieht Ed. Mahler diesen Schluß: §adok war also der Priester, unter
dem die erste Epoche der Urgeschichte Israel's ihren Abschluß 40
fand. Jehosadak, der zwölfte Nachfolger in der Priesterreihe seit
Sadok, war der Priester, unter dem das babylonische Exil erfolgte.
Er findet es also wichtig , daß in 1 (Dhron. 5, 29-40 zweimal
zwölf Generationen vorkämen. Die eine Zwölfzahl reiche von SAmram
bis §adok und die andere von AhimaSas bis Jehosadak. Aber man 45
1) Jnl. Oppert, Salomon et ses successeurs, p. 11.
916 König, Die Zahl vierzig und Verwandtes.
kann nur erstens nicht einsehen, mit welchem Rechte bloß die
zwei ersten Glieder der dort vom Chronisten gegebenen Genealogie,
nämlich Levi und K'hath, weggeschnitten worden sind. Denn da
in 1 Kön. 6, i nach der ausdrücklichen Angabe des Textes mit den
B 480 Jahren die Zeit vom Auszug Israel's aus Ägypten bis zum
Tempelbau umspannt werden sollte, so war auch SAmram, der Ver¬
treter der vor Mose und Aaron liegenden Generation nicht mit zu
rechnen. Denn daß SAmram am Auszuge teilgenommen habe, oder
auch nur zur Zeit des Auszugs noch gelebt habe , ist nicht an¬
io zunehmen. Die Hauptsache ist aber dies. Überall in den Quellen
kommt nur Aaron als Vertreter derjenigen Generation des Stammes
Levi in Betracht, die zur Zeit des Auszugs lebte. Also muß die
Zählung der Levi - Generationen in der Periode vom Auszug bis
zum Tempelbau mit Aaron begonnen werden. Ebendasselbe ergibt
15 sich aus einem zweiten Gesichtspunkt. In den zuletzt zitierten
Worten Ed. Mahler's heißt es nämlich, daß §adok der Priester war,
unter dem die erste Epoche der Urgeschichte Israel's ihren Abschluß
gefunden habe. Nun gut. Aber wenn §adok als .Priester' in Be¬
tracht kommen soll, dann darf die Reihe vorher wieder erst mit
20 Aaron angefangen werden, denn erst dieser und nicbt schon 3Amram
war Priester. Wenn aber also aus zwei Gesichtspunkten die zur
Erklärung der Zahl 480 in 1 Kön. 6, i verwendeten Generationen
erst mit Aaron begonnen werden dürfen, dann ist §adok erst
der elfte.
26 Wenn man aber, um die 480 von 1 Kön. 6, i durch die in
1 Chron. 5, 29-40 gegebene Genealogie zu erklären , noch Sadok's
Sobn AhimaSas zur ersten Gruppe von Aaroniden hinzunimmt, wie
es früher schon hauptsächlich E. Bertheau getan hat, dann ist
wieder in der zweiten Gruppe die Zwölfzahl zerstört, und Jehosadak
80 bloß der elfte. Also auch durch diese Darlegung von Ed. Mahler
ist nicht begründet worden, daß die Zeit vom Tempelbau bis zum
babylonischen Exil als eine Periode von 480 Jahren angesehen
worden sei. Es war ja dies schon von A. Jeremias in ,Das Alte
Testament im Lichte des alten Orients' (1904), S. 293 behauptet
JB worden, indem gesagt wurde, dies stehe in einem „Zusatz der LXX
zu 1 Kön. 6, 1'. Aber in dieser Stelle bietet die LXX überhaupt
nicht die Zahl 480, sondern 440 Jahre, und zwar für die vorher¬
gehende Periode vom Auszug bis zum Tempelbau. Auch sonstige
positive Anhaltspunkte dafür , daß die Zeit vom Tempelbau bis
40 zum Exil als eine Periode von 480 Jahren angeseben worden sei,
sind nicht aufzufinden. Dagegen gibt es aber einen Grund, das
gegenteilige Urteil zu föllen. Denn wenn auch diese Zeit wieder,
wie die vorhergehende Periode , zu 480 Jahren gezählt worden
wäre, warum würde das nicht auch an einer Stelle ausgesprochen
45 worden sein?
Jedenfalls dürfte die Tragweite des neuen Erklärungsprinzips,
das in dem Artikel Ed. Mahler's empfohlen worden ist, nicht soweit
König, Die Zahl vierzig und Verwandtes. 917
reichen, wie er meint. Denn nach ihm verlief ja auch die staat¬
liche Geschichte Israel's in drei Perioden nach dem ägyptischen
Himmelsjahr. Denn mit bezug auf die drei Perioden bis zum
Tempelbau, bis zum Exil und bis zur Zerstörung des zweiten
Tempels ruft er aus: ,Da haben wir deutlich die Dreiteilung des
.„großen Jahres'" vor uns.* Da könnte man den Scherz machen,
daß also auch die Weltgeschichte nach den astronomisch - chrono¬
logischen Vorstellungen der Ägypter sich gerichtet habe. Doch
wichtiger ist mir die Bemerkung, daß ich nur deshalb die obigen
Zeilen geschrieben habe, weil verhütet werden muß, daß die nächst-1
liegenden und ausdrücklich konstatierten Quellen der Erklärung
einer Literatur unbeachtet bleiben, und dagegen andere Gesichts¬
punkte zu ihrer Deutung ins Auge gefaßt werden , von denen es
nicht sicher oder auch nur wahrscheinlich ist, daß sie in dem
Geistesleben der betrefTenden Nation eine Rolle gespielt haben. 15
Wie sehr es aber gerade im gegenwärtigen Stadium der alt¬
testamentlichen Wissenschaft zeitgemäß ist, diese hermeneutische
Direktive zu betonen, dürfte keinem Kenner zweifelhaft sein.
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Zur Kritik der „Sidra di Nischmata".
Von Sch. Octaser.
Nächst Herrn Prof. Nöldeke, welcher mich privatim auf viele
Fehler in der von mir oben S. 145 flf. und 356 fF. veröflfentlichten Arbeit aufmerksam gemacbt hat, bin ich auch Herrn Prof. S. Fraenkel
für seine wichtigen Korrekturen (oben S. 699) sehr dankbar. Herr
5 M. Lidzbarski aber hielt es für angebracht zu erklären, daß mir
„selbst die Elemente aramäischer und mandäischer Grammatik un¬
bekannt sind" (oben S. 690, 33). Es ist dies eine Behauptung, die
eher meine hochverehrten Herren Lehrer, die mich 1903 zum Dr.
promoviert haben, als mich selbst triflft. Ich werde meinem Kritiker
10 nicht auf den Weg der persönlichen Angriffe folgen (vgl. S. 696,
17. 18 und 698, 38—39*)), sondern zeigen, daß manche Vorwürfe
von ihm ganz unbegründet waren.
L. kommt in seiner Einleitung zur Kritik (S. 689) zu dem
Ergebnis, daß der sonst so umsichtige De Morgan bei der Veröfifent-
15 lichung der Sidra nicht umsichtig genug gewesen wäre. Ich halte
ihn doch für umsichtiger, und behaupte, daß die von ihm veröflfent¬
lichte Handschrift allerdings ein Bruckstück ist, aber nicht des vor
40 Jahren von Euting veröflfentlichten Qolasta, sondern ein Bruch¬
stück eines in sich geschlossenen Büchleins, welches einzig und
20 allein dem Totenkult diente. L. könnte sonst ebensogut behaupten, daß der jüdische „Ma'bor Ja'bok", ein dem gleichen Zwecke dienen¬
des Büchlein, ebenfalls ein Bruchstück sei, weil in demselben vieles
aus dem großen „Sidur" zusammengetragen ist. Soweit wird mir
ja L. hoflfentlich die Intelligenz nicht absprechen, daß ich nicht
25 einmal den Ausfall von sechs oder noch mehr Blättern bemerkt
haben würde. Ich habe nicht ganz nach Belieben weggelassen und
zugefügt, sondern in meiner Arbeit, ganz so wie es L. in seiner
Kritik tut, lediglich nach der Sidra II emendiert.
Daß col. 1—21 des Textes zum Taufrituale gehören, weiß ich
so ganz genau, L. aber scheint 1) vergessen zu haben, daß Petermann
1) [Verfasser beschwert sich mit Recht über diesen Satz, den ich natür¬
lich gestrichen haben würde, wenn ich rechtzeitig auf seinen Inhalt aufmerksam geworden wäre. — Der Redakteur.]