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Wer ist der Verfasser des Hitopadesa?
Von
0. Böhtlingk.
Professor Peter Peterson, dem wir kiitisch gesichtete Ausgaben verschiedener Sanskrit-Werke verdanken, glaubt die in der Ueberschrift
gesteUte Prage endgültig beantwortet zu haben. Seine im Jahre
1887 erschienene Ausgabe des Hitopadesa führt den Titel ,Hito-
padesa by Näräyana'. Er gründet seine Behauptung darauf, dass
drei Handschriften und unter diesen die älteste uns bekannte dem
bisherigen Scbluss des Hitopadesa noch einen Vers (der zweite
kommt hier nicht weiter in Betracht) hinzufügen , dessen letzter
Stollen besagt, dass diese von Näräjana zu Stande gebrachte ("^f^TT')
Sammlung von Erzählungen eben so lange (wie dieses und jenes ia
den vorangehenden StoUen Erwähnte) bestehen möge. Hierbei macht
er Schlegel und Lassen den Vorwurf, dass sie diesen Vers, den
sie in der Petersburger Hdschr. vorfanden , als keiner Beachtung
werth einfach über Bord geworfen hätten. Wahrscheinlich hätten
die eben genannten Gelehrten, die zu ihrer Zeit eine wohlverdiente
hohe Stellung einnahmen und auch noch heut zu Tage, wenn man
die dürftigen Hülfsmittel der damaligen Zeit in Betracht zieht,
unsere Bewunderung erregen, dem weggelassenen Verse mehr Auf¬
merksamkeit zugewandt, wenn er ihnen nicht in so verdorbener Ge¬
stalt vorgelegen hätte. Näräjana entpuppte sich ihnen nicht als
sogenannter Autor, weil in ihrer Hdschr. statt des richtigen ^friflt
das sinnlose sich vorfand.
Obgleich vms jetzt der Vers iu richtiger Sprache vorliegt, und
Näräjana in diesem Verse als ^•qf^d^ des Werkes erscheint, trage
ich doch Bedenken, diesen für den Verfasser desselben zu halten.
Zunächst befremdet es uns , dass der Vers sich bis jetzt nur in
drei Hdschrr. nachweisen lässt; dann aber, dass er so ungeschickt ein¬
geführt wird. In deu bisherigen Ausgaben schliesst das Werk, da.
die Prinzen auf die Prage Vishnusarmau's , was er ihnen noch
erzählen soUe, erklären, dass sie nun vollkommen zufrieden gesteUt
seien , mit einem allgemeinen Segensspruche wie die Schauspiele.
Böhtlingk, Wer ist der Verfasser des Hitopadega? 597
Eingeleitet wird dieser Segenssprucli mit den Worten flUj Hiji|'<^-
(«1^*1^. Der neu hinzugekommene Vers bei Peterson scbliesst
sich diesem mit den Worten ^««t^ 1« an. Eine Ungeschicklichkeit
nenne ich es, dass der Vers auf diese Weise dem Vishnusarman in
den Mund gelegt wird. Ist man aber der Meinung, dass Näräjana
oder ein dritter den Vers hinzufügt, so ist das '«•q^i« nicht
am Platz.
Da die Hdschrr. A und N (und wohl auch die Petersburger),
die den Vers darbieten, nach Peterson fast immer mit einander
übereinstimmen, die übrigen dagegen stark abweichen, so schliesse
ich daraus, dass Näräjana nicht der Verfasser des Hitopadesa,
sondem nur der Veranstalter einer bestimmten Recension dieses
Werkes sei. Ganz richtig hat Uhie fSjfl^Tfl'T^^.f^üI
Rufn'wl durch ,die Vetälaparik'avimsatikä in der Becension des
Qivadäsa" wiedergegeben, dagegen die mit l,(n ^7T7Wf^fliTrf?[-
(C|<n«il flWTjn schliessende Recension durch ,die V. in der Re¬
cension eines Ungenannten".
Dass die älteste uns bekannte Hdschr. die Recension des Nä¬
räjana gibt, ist nach meinem Dafürhalten noch kein Beweis dafür,
dass auch diese Recension die älteste oder auch nur ältere sei.
Nach dem wahren Verfasser des Hitopadesa, wenn dieser überhaupt
zu ermitteln ist, werden wir aber noch lange suchen.
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Ueber die sogenannten Unregelmässigkeiten in der
Sprache des Grhjasütra des Hiranjake^in.
Von
0. Böhtlingk.
Abermals hat ein Schüler Georg Bühler's, Dr. J. Kirste, ein
neues Gj-hjasütra , das des HiranjakeQin , veröffentlicht und hierbei
sich als ein vorzüglicher Kenner der Sprache bewährt, dem kein
Verstoss gegen die Grammatik oder den Sprachgebrauch entgangen
ist. Eine Menge verdorbener Stellen hat er in den Anmerkungen
nacb gedruckten und handschriftlichen Werken verwandten Inhalts
glücklich verbessert. Es ist, wie sich schou aus der Ueberschrift
meines Artikels ergibt, nicht meine Absicht mich ausführlich über
•das ganze Werk auszusprechen, sondem nur eine, wie ich glaube,
irrthümliche Ansicht über die fehlerhafte Sprache des Autors zu
bekämpfen. Dass ich bei den alten Autoren eine gründlichere Kennt¬
niss ihrer Sprache voraussetze als einige von mir hoch angesehene
Gelehrte, habe ich bei verschiedenen Gelegenheiten freimüthig be¬
kannt. Wenn ich aber von diesem Staudpunkte heute meine Be¬
denken gegen den Herausgeber vorbringen wollte, würde man mit
Recht sagen, dass dieses Verfahren zu keinem neuen Ergebniss
führe. So wollen wir denn sehen, ob der beschuldigte Autor nicht
von einer anderen Seite her gerechtfertigt werden kann. Dr. Kirste
erklärt , dass er den Text nach den Lesarten des Commentators
Mätrdatta ohne Rücksicht auf die Lesarten der Haudschriften ge¬
gebeu hätte. Der Commentator hat, wie der Herausgeber gefunden
hat, vor Vikramasamvat 1668 gelebt, die sechs verglichenen Hand¬
schriften , die den Text ohne Commentar geben, sind alle jüngeren
Datums und gehen nach Kirste's Meinung auf ein einziges Deva-
nägarl-Original zurück. Der Commentar ist wie Kirste's vielfache
Verbesserungen zeigen, recht fehlerhaft überliefert.
Ich versetze mich ganz auf den Standpunkt Kirste's, lese mit
Aufmerksamkeit den Commentar und gelange in den meisten Pällen
2U der Ueberzeugung, dass Mätrdatta die richtige Lesart vor Augen
gehabt hat und die von Kirste vorgezogene als eine falsche oder
abweichende bezeichnet. Betrachten wir nun die in der Vorrede