Beiträge zur Syrischen Literatur aus Hom.
Von
Dr. P. Piu« Zlnserle.
I.
Zur syrischen Metrik.
Angelo Mai führt im Cataloge der Hss. der Vatiean-Biblio¬
thelt (Romae 1831) pag. 76 des Nachtrags zu den Syrischen Hss.
unter Numer CCCCXLI einen Codex von 170 Blättern in 12. unter
folgendem Titel an: „Meusura Carminum secundum ryth-
mum S. S. Jacobi, Ephraem et Balaei ejusdem dis¬
ci puli." Zur nähern Erklärung fügt der gelehrte Herausgeber
dann bei : „ ut haec carmina dignoscantur , subjiciuntur initia singulo¬
rum canticorum , quae in Officiis et Psalmodiis Syrorum reperiuntur.
Omnia summa diligentia et labore coUecta sunt a Stephano Petro
Aldoensi Maronitarum Patriarcha. Praeit praefatio Carschunica ab
eodem Patriarcha exarata, in qua etiam agitur de ratione carminum
pangendorum et de eorum varietate ac differentia. Codex ad 18.
Chr. seculum referendus."
Da ich mich schon früber mit syrischer Metrik beschäftigt und
ein paar Aufsätze darüber in der Zeitschrift für Kunde des Morgen¬
landes und in der Zeitschrift unserer D. M. Gesellschaft veröffent¬
licht hatte, so war ich sehr begierig, den Inbalt dieses Manuscripts
kennen zu lernen, nahm mir die Mühe dasselbe zu copiren, und
boffe den Freunden, syrischer Literatur eine nicht uninteressante Gabe zu bieten, wenn ich über das metrische Werklein eines gebornen
Syrers hiemit ausführlichen Bericht erstatte. Der Verfasser war in
der 2. Hälfte des 17. Jahrh. Patriarch der Maroniten mit dem Titel
der Kirche von Antiochia, schrieb auch eine „Expositio Chirotoniae"
carschunisch, d. i. arabisch mit syr Lettern, und starb im Anfang
des 18. Jahrh. >).
1) Nicht vergessen darf ich zu bemcrlien, dass im Thesaurus hymuo¬
logicus vou Daniel Tom. lU. p. 142 L. Splieth, der die Sammlung der
syrischen Hymnen dafür besorgte , aus der Vorrede zu Band IV. des Codex
Liturgie, von Jos. Aloys. Assemani Manches aufnahm, was Assemani aus
dem Werke des Stephanus Aldoensis excerpirte. [ Diese Excerpte stehen nicht
„Band IV", sondern in Tom. VIII. des Codex liturg.. Lib. VIII, P. U, praefat.
p. XCII. Sie sind dürftig, und Splieth's Auszug daraus ist nicht ohne Fehler.
Um so willkommener ist der ausführlichere Bericht des Hrn. Zingerle, dessen Fortsetzung wir gern entgegensehen. D. Red.]
'i S *
688 Zingerle , Beilräge znr Syrisehen Lileralur aus Rom,
In der carschunisch geschriebenen Vorrede spricht er zuerst über
die Einführung der Psalmodie und geistlichen Gesänge beim christ¬
lichen Gottesdienste und bemerkt dabei ,^ wie an verschiedenen
Orten verschiedene Gesangsweisen in Uebung kamen ; mit den Psalmen
seien manche andere Loblieder und Gebete verbunden worden. Er
fübrt dann mehrere Arten von Hymnen und Gebeten auf, deren
Namen icb hier als zum Zwecke dieses Beitrags ungehörig um so
raehr übergehen darf, da Splieth sie in der Vorbemerkung zur Aus¬
wahl der syr. Hymnen a. a. 0. aufgenommen hat. Die sehr mannig-
W-..'
^ (toni, 275 an der Zahl), nach denen die gottesdienst¬
licben Hymnen und Gebete zu singen waren, fanden sicb nur zer¬
streut in den Officien und Liturgieen. Stephanus Aid. gab sich die
Mübe, dieselben in Ein Verzeichniss zu samraeln, dem er den Titel
i?-" w '
gab: Pc 'i^ de tonis. Die Einrichtung seiner fleissigen Arbeit
,i '
ist die, dass er den ersten Vers der Arie oder des angibt,
nach dera der Hymnus oder die Oration zu singen, dann eine Strophe
des Hymnus selbst aufführt und die Verse und Sylben zäblt Die
Sylbenzahl ist vor dem Verse rait dem die Zahl bezeichnenden
Buchstaben bezeichnet, und zwar roth geschrieben, z. B. wenn der
Vers viersylbig, so steht ein roth geschriebenes 3 vor demselben , wie
-•T.»» ^VT y,
tjoi j; wenn fünfsylbig, z. B. «.^j^^^oj ooitjaa* oi ,
.1' f , j ~ 1? " "
(Aaai» (J-A^k Ol und so weiter. Die toni oder P-o werden in
VI Classen eingetheilt und zwar so, dass in der I. Cl. 2 Verse,
in der II. 3, in der III. 4, in der IV. 5 Verse zu Einem Metrum
gezählt werden : also versus bimetri , triraetri , tetraraetri , penta-
metri, wie man sie nennen könnte. Bei dera Verse, worait ein
Metrura schliesst, hat der Buchstabe, der die Sylbenzahl bedeutet,
einen rothen Strich unter sich, z. B. bei den Hymnen der I. Cl.
der 2. Vers, wie:
T
>0;| c^') l^S 0( Ol
, . T • T
>_M.kO«0 Ol
« T ' ,» »
oi2a^ (^20 Ol
oi^:^ t,^^ l^aso Ol
oder bei Hymnen der II. Cl. nach dem 3. Verse, wie
« ♦ » '
VjQAJ J
ylabi^ l'*^^ ?
.... . . T
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Zingerle, Beilräge zur Syrischen Lileralur aus Rom. 689
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yA^M^o avtSsOfS }
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Bei Classe III hat der die Sylbenzahl bedeutende Buchstabe des
4. Verses den Strich, u. s. w. — Die V. Classe enthalte, sagt Asse¬
mani, versus hexametros ; nach seiner Angabe sollen also darin jene
Gesänge vorkommen, in denen 6 Verse zu Einem Metrum verbunden
sind. Allein Stephanus gibt dafür die carschunische Aufschrift:
tum^Ul:^) cslo^)
c.^Q\n^2^ tSlfc^ caS
und sagt dann, diese Carmina seien so zusammengesetzt, dass die
Metra aus einer ungleichen Anzahl Verse bestehen.
(^■:- CTiZl*a1 oiali^kAiiio ><XilaD ^io
Wenn ich daher den Sinn recht auffasse, so sind in der V. Classe
nicht versus hexametri, wie Assemani meint, sondern Stephan hat
darin jene kirchlichen Gesänge aufgenommen, in denen bald weniger
bald mehr Verse zu Einem Metrum verbunden werden, wie gleich
in der Strophe des ersten darin aufgeführten Gesanges Metr. I 4,
Metr. II 2 , Metr. III 3 viersylbige Verse hat , nämlich :
Metr. I. Metr. II. Metr III.
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Stephan nennt diese Classe >Q^lm.^ d. i. die gesunde, regel¬
mässige, weil alle Verse gleichviel Sylben baben, obwobl die
Anzahl der Verse bei einem Metrum wechselt. Nach dieser Ab¬
tbeilung des «.mioUii^ «.oin\s spricht er dann
>Q^ia) r^s$^ ...^Q^aiol^ ..^a
d. i. von gemischten, jedoch nicht gesunden und regel¬
mässigen Gesängen, von solchen nämlich, in denen nicht bloss
die Zahl der Verse , sondern auch die Zahl der Verssylben in Einem
Metrum verschieden ist.
Ueber die im VI. Cap. ( .jbjIxiu:^ «.slcu^ ) vorkommende
6. Classe sagt Assemani in der angeführten Vorrede: „Classis VI.
tonorum Syrorum variat membrisque simplicibus et compositis com-
pingitur." , Stephan hat die Aufschrift:
oii^a^Q^ i:]o^l^ wts
690 Zingerle, Beiträge,xur Syritehen Lileralur aut Rom.
d. h. de tonis separatis, die im Syrischen Ijjq**,^ heissen, und
er handelt zuerst „oij^aiQ^!^ ,^jiQ2^ fik^l^ c*3", folglich
von solchen, in denen je zwei Verse Ein Metrum bilden, Verse
jedoch von verschiedener Länge, dann von solchen, worin je drei
Verse Ein Metrum bilden, hieranf wo vier Verse, endlich wo je
fünf Verse Ein Metrum ausmachen. Am Ende führt Stephan auf
...^aN'iVi^ ^Sa.^, das sind cantica Ujo»*!^, in denen
nicbt , wie in den zunächst erwähnten, eine festgesetzte Anzahl Verse
ein Metmm bildet, sondern die Zahl der Verse wecbselt.
Die Capitel VII und VIII des Codex des Stephan. Aid. ent¬
halten nur Register von Gebeten, Gesängen und Texten.
Somit ist über den Inhalt dieses Cod. 441 der Vaticana im
Allgemeinen Bericht erstattet. Diesem erlaube ich mir noch eino
Anmerkung beizui'ügen. Jos. AI. Assemani äussert nämlich iu der
Praefatio des Cod. Liturgie. Tom. VIII. die Meinung, dass im Syrischen
kein Vers mehr als 7, und keiner weniger als 4 Sylben habe:
„Septimam Syllabam versus non excedit nec a quarta deficit." Ste¬
phanus Aldoensis aber führt einzelne Verse von 2 und von 3 Sylben
auf; dass Verse von 8 Sylben vorkommen, habe ich in einer frühem
Abhandlung nachzuweisen versucht i). Im Register der Hj'mnen vor
dem ersten Capitel führt Stephan auch Zeilen oder einzelne Anfangs¬
verse von 9 Sylben an. Will man Assemani's Sylbenbestimmung
annehmen, so kann man sagen, Verse von 8 Sylben seien ein Metrum
€aus 2 Versen, deren einer 3, der andere 5, oder die beide 4 Sylben
haben ; Verse von 9 Sylben bildeu sich durch Zusammensetzung von
2 Versen, deren einer 2, der andere 7 Sylben zählt , oder einer 5,
der andere 4 u. s. w. Das wäre aber eine willkübrliche regellose
Zusammensetzung, während bei dem 12sylbigen Metrum regelmässig
3 Verse von 4 Sylben einen Vers bilden. Will man das 6 sylbige
Metrum, in dem der Syrer Narses seine Gesänge verfasste, als eigenes
gelten lassen, wie Assemani es wirklich als eigenes anführt, nnd
nicht als Zusammensetzung z. B. von 2-|-4 oder 3-|-3 Sylben, so
kann man füglich auch das 8sylbige als berechtigt erklären, da
nicht wie im 12sylbigen Metrum regelmässig 3 viersylbige, im acht¬
sylbigen regelmässig je 2 viersylbige einen Vers bilden, sondern
5 + 3, oder 3-1-5, oder 2-f-6 Sylben zusammenkommen können,
um einen Ssylbigen Vers auszumachen.
Das Gegebene mag als ein allgemeiner Bericht über diesen
Codex Metricus Vaticanus genügen. Vielleicht finde ich Anlass
später eine in's Einzelne gehende Angabe der von Stephanus Al¬
doensis angeführten Stropben-Arten zu liefern.
Rom, am 11. October 1862.
1) Zeitschr. für die Kunde des Morgenl. ßd. VH. 8. 10 f 1« f.
Mittbeilungen zur Handschriftenkunde.
(Aus Briefen an jüngere Fachgenossen).
Von Prof. E. Rödlser.
(Fortsetzung von Bd. XVI. S. 215 ff.)
6. Dahabi's Hs. der K. Bibliothek in
Berlin, Sprenger 287. Auf diese zur Kritik und Erläuterung
der arabischen Traditionswerke gehörende Hs. führte mich neulich
die Naebricht aus Holland, wo sich unausgesetzt ein rühriger Fleiss
für Publication und Bearbeitung arabischer Litteraturwerke zeigt,
dass Herr Dr. P. de Jong in Leyden eine Ausgabe dieser Schrift
des Dahabi vorhabe. Derselbe vermuthete in jener Nr. des
Sprenger'scben Catalogs nur eine verwandte Schrift zu finden, da
Sprenger den Titel nicht angibt; es fand sich aber, dass es die
herauszugebende Schrift selbst ist, wenn auch nur die' zweite Hälfte
davon. Die Hs. ist nämlich vorn defect , sie beginnt mitten
im Artikel oLc, was ungefähr auf die Hälfte der alphabetischen
Keihe triftf, nach welcher die Namen der Ueberlieferer geordnet
sind. Ueber der ersten Seite des Textes ist von einer neueren
Hand beigeschrieben : JisLjsOU ki>..;,>.ü JLs.^ ^lii ^r*" »
^A^ÄJ! und ebendaselbst am Rande von Sprenger's Hand : „Sccond
half of the ^AJL:i-*j oüis^ of Dzobaby." Beide Beischriften treffen
den Inhalt, aber nicht den eigentlichen Titel, welcber der oben an¬
gegebene ist. Die Iis. besteht in 94 Blättern pergamentähnlichen
Papiers in Octav, meist mit 18 Zeilen auf der Seite. Die Schrift
ist ein gutes Naskhi von einer festen syrischen Hand, und zwar der
eines Gelehrten, der das Buch zu eignem Gebrauch abschrieb (s.
nachher die Unterscbrift). Hss. dieser Art sind, wie Sie wissen,
gewöhnlich mehi' werth als Prachtexemi)lare, die oft von unwissenden
Kalligi'aphen geschrieben sind. Zwar sind die diakritischen Punkte
der Buchstaben viel ausgelassen, aber davon abgesehen ist der Text
im Grunde doch sehr correct, auch collationirt, wie denn die Col¬
lation auch einige Male am Rande und am Schlüsse bezeugt wird.
Ausserdem stehen am Rande von derselben Hand nicht wenige er-
läuterade und berichtigende Bemerkungen, mehrere aus den _it^
, i
(oder ^'■1^) des ^^Ail' , andere mit Berufung ^uf
(s. HKh. V, 463), .V"-* ü*'» <s^^ ^ i^*^» j*^^'