• Keine Ergebnisse gefunden

So viele waren gekommen wie noch nie in der Geschichte eines arabischen Landes

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "So viele waren gekommen wie noch nie in der Geschichte eines arabischen Landes"

Copied!
11
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

abstimmung. Mit weniger als 99% der abgegebenen Stimmen würde er sieb nicht zufrieden geben. So teilte er offen einem Korrespondenten mit. Doch als er fiel, fiel er ohne WiderhaU. Er fiel gewissermaßen sofort tot um. Alle An¬

strengungen der Medien waren im Nu zunichte geworden.

An dem Begräbnis von as-Sädät nahmen viele westliche prominente Politi¬

ker und Regierungschefs teil. So viele waren gekommen wie noch nie in der

Geschichte eines arabischen Landes. Die Ägypter selbst aber bheben dieser

westlichen Demonstration fem. Sie blieben zu Hause, wie viele westliche

Korrespondenten mit Staunen beobachteten. Das Volk Sädäts trauerte nicht,

wie es in den Überschriften einiger Zeimngen im Westen hieß. Mehr noch: Die

Ägypter, die eine ungewöhnliche Ehrfurcht vor den Toten haben und die über

Tote lange nicht reden, fielen über as-Sädät her. Kurz danach kursierte eine Kassette mit dem Titel: „Die neueste Rede des Sädät nach seinem Tod". Wer hat den Vater im Bewußtsein der Leute getötet? Wer hat ihn seiner Weihe beraubt?

Mit dem Aufstieg des ideologischen Führers in den arabischen Ländem

nach Erlangung der Unabhängigkeit ist offensichtlich Gott aus dem Spiel gera¬

ten, auch wenn sich dieser Führer religiös legitimiert. Der ideologische Führer,

ob republikanisch oder monarchistisch, hat die Vaterfigur in Mißkredit ge¬

bracht. Wahrscheinlich war "Abd an-Näsir der letzte große, vom Volk le¬

gitimierte „Führer", von dem man trotz aller Vorbehalte die „Lösung" erwartet

hatte. As-Sädät mißlang schnell die Erfüllung dieser Rolle, trotz des Okto¬

berkrieges, der versprochenen Demokratie und des wirtschaftlichen Aufstiegs.

Heute werden beinahe alle arabischen Herrscher angeklagt, mindestens von den

breiten Schichten des Volkes. Der Niedergang der Vaterfigur ebnet offen¬

sichüich den Weg für den Aufstieg des religiösen Anführers, des Verkünders

einer islamischen Lösung. Die sogenannte Reislamisiemng hängt aufs engste

damit zusammen, doch der charismatische Führer, die Vaterfigur, fehlt noch.

Jede Volksbewegung, so wird behauptet, bringt ihren Führer hervor. Das ist

meines Erachtens ein altes, simples Denkmuster, das die Komplexität der Re-

islamisiemngsbewegung wie auch die gegenwärtige gesellschaftliche Entwick¬

lung, insbesondere in Ägypten, außer acht läßt.

DIE ENTWICKLUNG DER ARABISCHEN LITERATUR

IN DER WESTSAHARA

Von Rainer Oßwald, Kiel.

Im Rahmen eines seit 1980 laufenden DFG-Projektes, das sich die Mikro-

filmiemng der in Maiuetanien befindlichen arabischen Handschriften zur Auf¬

gabe gestellt hat, erhielt ich Einblick in eine arabische Literatur, die außerhalb

(2)

ihres Ursprungsgebietes noch kaum bekannt ist. Wann und wie sich diese ara¬

bische Literatur entwickeh hat, soll Gegenstand der folgenden Ausführungen sein'.

Mit Westsahara ist hierbei das kulturell deutlich abgrenzbare Gebiet der

heute bis auf geringe Reste arabophonen Mauren gemeint. Der Terminus Mau¬

re - selbstverständlich keine genuine Eigenbezeichnung - hat sich seit dem

Zeitalter der großen Entdeckungen eingebürgert. Er soll hier beibehalten wer¬

den, da er in der Fachliteratur fest etabliert ist. Das Kemgebiet dieser arabisch¬

sprachigen Mauren umfaßt vor allem die ehemalige Spanische Sahara und den

heutigen Staat Mauretanien abzüglich der bereits schwarzafrikanischen süd¬

lichen Landesteile. Darüberhinaus gehören aber auch noch die anschließenden

Grenzgebiete der Staaten Marokko, Algerien und Mali dazu.

Die Existenz einer arabischen Literatur setzt zunächst die profunde Isla¬

misiemng wenigstens von Teilen der Bevölkemng dieser Wüstengebiete vo¬

raus. Gehen wir hierbei zeitlich zurück, fmden wir die ersten Nachrichten da¬

rüber bei arabischen Autoren des 9. Jahrhunderts. Ein etwas genaueres und

differenzierteres Bild entsteht aber erst später, wobei für das 10. und 11. Jahr¬

hundert vor allem die Werke von Ibn Hauqal^ (schrieb 378/988) und Abü "Ubaid al-Bakri' (schrieb 460/1068) zu nennen sind.

Hierbei ergibt sich, daß der schon in der Antike existierende Handel

Schwarzafrikas mit der Mittelmeerwelt seit der umaiyadischen Erobemng

Nordafrikas im 7. Jahrhundert einen gewaUigen Aufschwung genommen ha¬

ben muß. Dabei drangen die nunmehr muslimischen Kaufleute bis in den Su¬

dangürtel, d.h. die nördlichen Randgebiete Schwarzafrikas, vor. Dort hatte sich

- vielleicht in Zusammenhang mit dieser neuen kulturellen Durchdringung -

das sogenannte Gäna-Reich gebildet. Seine Hauptstadt glaubt man mit den

Ruinen von Kunbi Sälih im südösüichen Mauretanien identifizieren zu können".

In diesem Gäna-Reich nun etablierten sich Kolonien nordafrikanischer Araber und Berber, die sich als Kaufleute temporär dort niederließen. Der Islam scheint als die Religion der ausländischen Großkaufleute einiges Prestige besessen zu 1 Es versteht sich von selbst, daß ich bei diesem gedrängten Abriß nirgends ins Detail gehen

kann und Quellenverweise eher exemplarischer Natur sind.

MS-Angaben beziehen sich auf von Mitarbeitem des Insütut Mauritanien de Recherches Scientifiques (IMRS), Herm Dr. U. Rebstock und mir in Mauretanien unter den angege¬

benen Nummem mikrofilmierten Handschriften. Die Filme befinden sich im IMRS, Nouakchott, Kopien lagem derzeit am Orientalischen Seminar der Universität Tübingen.

2 K. §ürat al-ard. Ed. J.H. Kramers. 2 Bde., 2. Aufl. Leiden 1938-39.

3 K. al-mujrib fi dikr biläd Ifriqiya wal-Magrib (wa-huwa guz' min K. al-masälik wal-ma- mälik). Ed. MacGuckin de Slane. Algier 1857.

4 S. Raymond Mauny: Tableau gdographique de l'Ouest africain au moyen äge d'aprfes les sources öcrites, la tradiüon et l'archeologie. Dakar 1961, S. 72-74,481-82, vgl. aber etwa Charles Monteil: Les „Ghana" des göographes Arabes et des Europöens. In: Hespöris 38(1951), S. 447-52 und J. Spencer Trimingham: A History of Islam in West Africa. Oxford 1962, S. 49-50.

(3)

haben, und Muslime spielten am Hofstaat und als Funktionäre der Gäna- Herrscher eine Rolle, wenngleich diese Herrscher selbst damals noch heidnisch

blieben'. Dagegen soll sich der König von Takrür, eines kleinen Staates am

unteren Senegal, bereits um das Jahr 1000 zum Islam bekehrt haben*.

Wie dem auch sei, innerhalb dieser Kaufmannskolonien ist das Arabische

als schriftliches Medium sicherlich in Gebrauch gewesen. Dazu wäre eine Ver¬

wendung als Kanzleisprache in den Negerreichen denkbar. Mit einer Literatur

in arabischer Sprache dagegen wird man für diese Zeit schwerlich schon rech¬

nen dürfen.

Uns sollen hier freilich in erster Linie die Wüstengebiete beschäftigen, die

zwischen diesen Negerreichen und den Kulturländern Nordafrikas lagen. Be¬

vor die Westsahara nun durch die Almoraviden für kurze Zeit ins Rampenlicht

trat, hat sie naturgemäß bei den arabischen Autoren weit weniger Interesse

geweckt als die sudanesischen Reiche mit ihrem berühmten Goldhandel. Man

erfährt kaum mehr, als daß dort verschleierte Sanhäga lebten, die ihr Dasein als

Kamelnomaden fristeten''. Eine oberflächliche Islamisiemng dieser Berber¬

stämme in voralmoravidischer Zeit ist zwar wahrscheinlich*, aber daß unter

diesen räuberischen Nomaden damals eine arabische Literatur geblüht hat, hal¬

te ich für ausgeschlossen.

Daran hat sich meiner Ansicht nach auch nichts geändert, als Mitte des 11.

Jahrhunderts der rehgiöse Aktivist "Abdalläh b. YäsTn, ein südmarokkanischer

Berber, auf den Plan trat und unter den Wüstensanhäga der Westsahara die Al-

moravidenbewegung ins Leben rief Der spanische Autor al-Bakri hat die An¬

fänge dieser Bewegung als Zeitgenosse geschildert. Durch ihn erhalten wir zum ersten Mal - und für lange Zeit auch zum letzten Mal - etwas nähere Einblicke in die Verhältnisse der Wüste'.

Der Schwerpunkt der Almoraviden hat sich allerdings sehr rasch in den Ma- grib verlagert, wo diese religiöse Bewegung erst eigentlich zum Staat wurde'".

5 Bakn 174-76.

6 Bakril72.

7 S. z.B. Ya'qübT: K. al-buldän. Ed. MJ. de Goeje. 2. Aufl. Leiden 1892, S. 360 und Ibn Hauqall 100-102,104-105.

8 S. etwa Bakri 164-65 und al-Qä^ 'lyä^ TarGb al-madärik wa-laqnbal-masälik H-matifat a'läm madhab Mälik. Ed. Ahmad Baklr Mahmüd. Bairüt oJ., S. 781.

9 BakrT 164-70. Vgl. al-Qä^ 'iyä^ 780-82, Ibn al-Apr: al-Kämil fi t-tärH). Ed. C J. Tomberg.

12 Bde., Leiden 1851-70 (Nachdruck Bairüt 1385/1965), IX 618-21; Ibn 'IdärT: al-Bayän al-mugrib fi a^ibär al-Andalus wal-Magrib, Bd. 4 (cd. Ihsän 'Abbäs, 3. Aufl. Bairüt 1983), S. 8-24 und Ibn Abi Zar': K. al-anls al-mutarrib (al-mutrib) bi-raud al-qirjäs fi aljbär mulük al-Magrib wa-tärlb madlnat Fäs. Ed. CJ. Tomberg. Uppsala 1843, S. 75-87.

Generell gilt, daß viele spätere Schilderangen der Wüste und des Beginns der Almoraviden in hohem Maße von BalcrT abhängen.

10 S. z.B. die Maßnahmen Yüsuf b. TäSfins, der seinen Onkel Abü Bakr b. 'Umar, einen Wüstenkrieger vom alten Schrot und Kom, entmachtete und im buchstäblichen Sinne des Wortes „in die Wüste" schickte bei Ibn 'Idärl IV 23-26.

(4)

In der Wüste selbst, wo schon zu Beginn viele Stämme wieder abgefallen waren, kehrte schnell die alte Anarchie zurück, wie später Ibn IJaldün schreiben soll¬

te". Ein Almoravidenreich von Spanien bis zum Senegal bestand daher besten¬

falls nominell, und die kulturelle Entwicklung, die der Magrib und das mus¬

limische Spanien unter der Almoravidendynastie durchmachten, hat mit den

Wüsten der Westsahara kaum noch etwas zu tun gehabt. Diese Gebiete spielten höchstens noch als Rekrutierungsreservoir für Krieger eine gewisse Rolle.

Man hat nun in der bisherigen Forschung - und zwar wie ich glaube zu Un¬

recht - den Urspmng der maurischen Literatur a priori in die Almoravidenzeit legen wollen, ohne diese Literatur je genauer untersucht zu haben.

Zunächst einmal schien es wohl einfach nahezuliegen und gar keiner wei¬

teren Begründung zu bedürfen, den allgemein bekannten Almoraviden diese

Rolle zuzuschreiben. Zum zweiten sind im heutigen Mauretanien legenden¬

hafte Volkserzählungen im Umlauf, die auf den ersten Blick eine solche Zu¬

ordnung offenbar unterstützen'^. Ich kann auf diese bislang nur in höchst un¬

zulänglicher Weise aufgenommenen mündlichen Überliefemngen hier nicht

näher eingehen, sondem will nur den einzigen Punkt herausgreifen, bei dem ei¬

ne Berühmng mit unserem Thema zumindest möglich scheint.

Ich habe einige dieser Legenden untersucht und dabei festgestellt, daß sie

erst im 17./18. Jahrhundert auf dem Hintergmnd von Stammesfehden entstan¬

den sind. Neben vagen volkstümlichen Erinnemngen an die Almoravidenzeit sind dabei höchstwahrscheinlich literarische Einflüsse extemer älterer arabi¬

scher Autoren am Werke gewesen, deren Bücher den Gelehrten in der damali¬

gen Westsahara bekannt waren.

So wanderte nach einem Stammeskrieg in der Stadt SinqTt Mitte des 17.

Jahrhunderts der unterlegene Stamm ab, und einer seiner Angehörigen ent¬

deckte dabei das Grab eines Imäm al-Hadrami. Dieses Grab wurde zu einem

lokalen Pilgerzentmm, und in seiner Nähe gründeten die Samäsida, der aus

Sinqft vertrieb»ene Stamm, die neue Stadt A.tär".

Den Imäm al-HadramTaber, der in den örtlichen Legenden fortan eine Rol¬

le spielt, hat man neuerdings mit Abü Bakr Muhammad b. al-Hasan al-Murädl

11 Ibn IJaldün: K. al-lbar wa-diwän al-mubtada' wal-^abar IT aiyäm al-'arab wal-'a|am wal- barbar (7 Bde., Kairo 1284/1867) VI 198.

12 Die meisten dieser Überlieferungen sind zusammengestellt bei Paulo Fernando de Moreas Farias: The Almoravids: Some Questions Conceming the Character of the Movement during its Periods of Closest Contact with the Westem Sudan. In: BulleUn de l'Institut fondamental d'Afrique noire (BIFAN), s6r. B, 29(1967), S. 851-55.

13 Als QueUen zum Bürgerkrieg in Sinqli und zu der darauffolgenden Gründung von Ajär s.

vor allem die §ahlhat an-naql fi 'Alawiyat Idau 'AU wa-BakrIyat Muhammad Gilli von Sldl 'Abdallah b. al-Hägg Ibrähim at-Tipc^ in: H.T. Norris: The History of Sllinqif, according to the Idaw 'All tradition. In: BIFAN, s6t. B, 24(1962), S. 400 und in: Ahmad b. al-Amm as- Sinqip: al-Wasif fi tarägim udabä' SinqTf. 3. Aufl. Kairo 1961, S. 426, femer ibid. 495 und 'Abd al-Wadüd aS-Samsadi (sL 1945): The Ancient History of die Mauritanian Adrär in:

H.T. Norris: Saharan Myth and Saga Oxford 1972. S. 139-41.

(5)

al-Hadraml al-Qairawänl gleidigesetzt'". Über ihn sagen die älteren externen Quellen, die fast alle auf den Qä(S "lyäd zurückgehen, daß er gegen Ende seines Lebens mit dem Almoravidenemir Abü Bakr b. "Umar in die Wüste gezogen und dort im Jahr 1096 an einem Ort namens Azuqqf oder Arg!" gestorben sei'*.

Tatsächlich hat nun dieser Muhammad b. al-Hasan al-Murädlein Werk ver¬

faßt, und zwar einen Fürstenspiegel, von dem 1981 gleich zwei Editionen un¬

ter etwas verschiedenem Titel erschienen sind". Das hierin enthaltene Gedan¬

kengut stammt allerdings aus dem islamischen Osten; auf die konkreten Ereig¬

nisse der Almoravidenzeit wird kein Bezug genommen. Dieses Werk, von ei¬

nem Ausländer verfaßt, mag tatsächlich in der Westsahara entstanden sein,

bleibt aber das einzige, von dem ich weiß, und steht daher völlig isoliert.

Somit kann von einer arabischen Literatur unter den Wüstenstämmen zu

jener Zeit einfach keine Rede sein. Aber abgesehen davon, daß sich zumindest nichts erhalten hat, fehlten damals nach den Schilderungen der arabischen

Autoren von Bakri bis Ibn Haldün in den Wüstengebieten südlich des Magrib

die gesellschafüichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine solche

Literatur vollkommen.

Solche Voraussetzungen haben sich zunächst weiter östhch um den großen

Nigerbogen entwickelt, und hier sind die direkten Vorläufer der späteren mau¬

rischen Literatur der Westsahara iri der Tat auch zu finden. Dort hatte sich -

gewissermaßen als Nachfolger des Gäna-Reiches, dessen ehemalige Gebiete es

mit einschloß - seit dem 13. Jahrhundert das MälT-Reich gebildet. Es erstreckte

sich von der Atlantikküste bis zum großen Nigerbogen, wo es im 15. Jahr¬

hundert seinerseits vom Songai-Reich verdrängt wurde. In diesen beiden Rei¬

chen bekannten sich nun zumindest die Herrscherhäuser zum Islam. Viele

dieser Könige haben die PUgerreise nach Mekka untemommen, was von zeitge¬

nössischen arabischen Autoren wie "Umari, Ibn Battüta und Ibn ^aldün z.T.

recht farbig geschildert wird", und neben dem Handel bestanden enge kulturelle

Beziehungen mit Nordafrika, insbesondere auch mit Ägypten.

14 S. Moreas Parias 851-55.

15 Die Schreibung dieses Wortes schwankt in den Quellen stark. Es ist daher weder die genaue Aussprache des Namens noch die Lokalität des Ortes mit Sicherheit festzustellen. Iden- üfikaüonen mit in der Nähe von Atär gelegenen Ruinen sollte man mit Vorsicht auf¬

nehmen, solange dafür keine wiridich schlüssigen Beweise vorgelegt werden.

16 S. Ridwän as-Saiyid (Hrsg.) in: Abu Bakr Muhammad b. al-Hasan al-Murädl al-Ha^raml al-Qairäwanl: K. al-lSära ilä adab al-Imära. Bairut 1981, S. 9-17 und vgl. Moreas Parias 855-56.

17 Neben der eben ziberten Edition von Ridwän as-Saiyid erschien im selben Jahr in Marokko eine von Sämi an-NaSSär besorgte Ausgabe unter dem Titel K. as-siyäsa au al-iSära fi tadblr al-imära.

18 Ibn Fadlalläh al-'Umari: Masälik al-ab$är fr mamälik al-amjär, auszugsw. ed. in: §aläh ad- Dln al-Munaggid: Mamlakat Mali 'inda 1-guJräfiyin al-muslimin. Bd. I, Bairüt 1963, S. 61-65, Ibn Bapja: Ritila. Ed. Karam al-Bustäni. Bairüt 1384/1964, S. 694 und Ibn Haldün VI 200-201.

(6)

Im Rahmen dieser beiden Reiche hat sich erstmals wirklich nachweisbar ei¬

ne bodenständige islamische Gelehrsamkeit entwickelt, an der der östliche San-

hägastamm der Masüfa mit Zentrum Timbuktu maßgeblich beteiligt war. Er¬

ahnen läßt sich diese Entwicklung zuerst durch den Augenzeugenbericht des

Ibn Battüta aus der Mitte des 14. Jahrhunderts. Wh-klich faßbar wird sie aber erst

später vor allem in den Werken von Ahmad Bäbä at-Tinbuktl. Dieser 1 621 ver¬

storbene Masüfa-Gelehrte steht dann freilich auch schon am Endpunkt dieser

Entwicklung.

Ibn Battüta traf auf seiner Reise durch das MälT-Reich neben den damals ja schon lange existierenden Ausländerkolonien allerorten auf Masüfa, die er als

kultivierte Kaufleute und Gelehrte deutlich von den räuberischen Wüsten¬

nomaden abhebt. Ihre Zentren waren Waläta im heutigen Südost-Mauretanien und Timbuktu, das bei Ibn Battüta erstmals in der Geschichte auftaucht".

Daß damals eine bodenständige arabisch-islamische Gelehrsamkeit ent¬

stand, kann als sicher gelten. Aus Ahmad Bäbäs beiden biographischen Wör¬

terbüchern^" sowie aus dem etwas später ebenfalls in Timbuktu abgeschlos¬

senen TäiT|) as-südän von Sa"dr" kennen wir vor allem aus dem 15. und 16.

Jahrhundert die Namen zahlreicher solcher Gelehrter und auch die Titel der von ihnen verfaßten Werke.

Diese Entwicklung hat sich freilich im Rahmen des MälT- und Songai-Rei-

ches um den großen Nigerbogen abgespielt, und wenn auch die Masüfa großen

Anteil daran hatten, so waren sie doch keineswegs die alleinigen Träger dieser arabisch-islamischen Gelehrsamkeit. Die Westsahara aber, die nicht zu diesen Reichen gehörte, blieb davon ausgeschlossen. Dafür bahnten sich dort im Laufe des 15. Jahrhunderts zwei folgenreiche Entwicklungen an. Zum einen setzte von

Südmarokko ausgehend die Einwanderung arabischer Stämme ein, die all¬

mählich zu einer fast völligen Arabisierung der vordem berberischen West¬

sahara geführt hat. Zum anderen tauchten seit dem 1440er Jahren portu¬

giesische Seefahrer vor der westafrikanischen Küste auf.

Der aufkommende Seehandel nun bewirkte, wie ich meine, einen pro¬

funden Umbruch des Handelssystems. Der Karawanenhandel durch die Saha¬

ra war in Küstennähe bald nicht mehr konkurrenzfähig. Es blieben die magri-

binischen Großkaufleute aus, deren Handel von den Portugiesen ganz bewußt

umgangen wurde, und die großen Transsahara-Routen verlagerten sich weit ins

19 S. Ihn Balluja 673-700.

20 Nail al-ibühäg bi-tafrlz ad-dlbäg. Am Rande von Ibn Farhün: ad-Dlbä| al-mudahhab fi ma'rifat a'yän 'ulamä' al-madhab. 1. Aufl. Kairo 1351/1933 und Kißyat al-mutitäg fi ma'rifat man laisa fi d-dlbäg, wovon meines Wissens keine Edition vorliegt. Ich habe in TlSlt ein Exemplar als MS 309 mikrofilmiert.

21 Sa'di: Ta'iH) as-südän. Ed. O. Houdas. Paris 1898. Sa'dl hat manches aus den vorgenannten Werken Ahmad Bäbäs übemommen, weshalb Heinrich Barth, der den Ta'ril) as-südän Mitte des letzten Jahrhunderts in Timbuktu für Europa entdeckt hat, ihn fälschlich Atimad Bäbä zuschrieb.

(7)

Landesinnere. An die Stelle der bis dahin vorherrschenden Nord-Süd-Ver¬

bindungen traten in der Westsahara solche, die von der Küste nach Osten und

Südosten an den Niger liefen, nicht zuletzt auch nach Timbuktu. So ist es wohl kein Zufall, wenn die Namen der westsaharischen Handels- und Kulturzentren

erstmals in portugiesischen Berichten aus der zweiten Hälfte des 15.

Jahrhunderts fallen^^. Zwar handelt es sich, wie archäologische Untersuchun¬

gen zeigen, um uralte Siedlungen einer zumindest teilweise schwarzafrikani¬

schen Vorbevölkerung. Aber in einer Region gelegen, die vordem ein reines

Durchzugsgebiet von Ausländem war, wurden sie erst jetzt zu Handelsum¬

schlagplätzen. Hier konnte sich nun wegen des Ausbleibens der fremden

Großkaufleute eine einheimische Kaufmannsschicht bilden und auch dauer¬

haft etablieren.

Unterstützt wurde dieser Prozeß offenbar durch die einwandemden ara¬

bischen Stämme, die einer ausgesprochenen Kriegerethik frönten und in deren

Weltbild - wie die portugiesischen Berichte nahelegen" - der Händlerbemf

keinen Platz hatte. Dies wurde Sache der von den Arabern unterdrückten San¬

häga, die freilich einer allmählichen Arabisierung unterlagen. Die später stark

geschichtete maurische Gesellschaft, deren Spitze neben dem Kriegeradel ein

Gelehrtenadel bildet, hat hier vermutlich ihre Ursprünge. Der Ausdruck Ge¬

lehrtenstämme - die tribus maraboutiques der französischen Literatur - ist frei¬

lich etwas irreführend. Es handelt sich eher um einen Wirtschaftsadel, dessen Angehörige sich mit unterschiedlicher Intensität der Gelehrsamkeit widmeten.

Der Typus des reinen Gelehrten ist ausgesprochen selten.

Durch die eben umrissenen Vorgänge wurde somit Ende des 15. Jahrhun¬

derts der Nährboden für eine höhere kulturelle Entwicklung geschaffen, die

dann auch mit der entsprechenden Verzögemng eingesetzt hat.

Dieses Bild erfährt seine Bestätigung durch die heute noch erhaltene arabi¬

sche Literatur der Mauren. Im Laufe der letzten sieben Jahre habe ich gemein¬

sam mit Mitarbeitem des IMRS und Herm Dr. U. Rebstock in Mauretanien mnd

2200 Hss. mit etwa 120 000 Folia mikrofilmiert. Diese Hss. stellen mit einigen 22 Es handelt sich vor allem um Wädän, Sinqif und Tinlgi im mauretanischen Adrär, sowie das

weiter ösüich auf der Route nach Waläta/Pimbuktu gelegene TiSit. Waläta, als Iwälätan schon Mitte des 14. Jahrhunderts von 'Uman und Ibn Baßüja als Stadt der Masüfa erwähnt, aber vermuüich noch älter, wurde seit Ende des 15. Jahrhunderts Bestandteil des maurisch¬

arabischen Volks- und Kulturgebietes. Die mir bekannten Chroniken aus Waläta wissen von diesem Alt-Waläta und der Masüfazeit nichts mehr. Es scheint hier somit ein Tradiüons- bruch und ein Neuanfang im 15./16. Jahrhundert vorzuliegen.

23 Die in jeder Hinsicht ausführlichste Beschreibung der Westsahara, ihrer Bewohner und der portugiesischen Aktivitäten um 1500 stammt von Joäo Rodriguez, dessen Bericht ins Sammelwerk von Valentim Femandes eingearbeitet ist. Von dem die Westsahara betref¬

fenden Teil dieses Sammelwerkes liegt unter dem Titel Description de la C6te d'Afrique de Ceuta au Senegal. Paris 1938 eine von P. de Cenival und Th. Monod besorgte portugiesisch- französische Ausgabe vor.

(8)

Abstrichen einen repräsentativen Querschnitt des heute erhaltenen maurischen

Schrifttums dar, das insgesamt wohl noch einige 10 000 Hss. umfaßt. Grob

überschlagen wurden 70% dieses Bestandes von Mauren im Lande selbst

verfaßt. Von dieser Eigenproduktion wiederum datieren 80% und mehr aus dem

19. und frühen 20. Jahrhundert. 15% dürften ins 18. und 5% ins 17. Jahrhundert

gehören. Aus dem 16. Jahrhundert ist mir persönlich erst ein Titel unter¬

gekommen, der sich mit leidlicher Sicherheit einem Mauren zuschreiben läßt^.

Femer sind aus dieser Zeit einige Zitate in späteren Werken nachzuweisen.

Dieser Eindmek wird voll und ganz durch die biographische Literatur und

die sehr spärlichen und dürftigen Chroniken bestätigt. Die ersten authentischen

Nachrichten sind hier nämlich diu^chweg von Ahmad Bäbäs erwähnten

biographischen Wörterbüchem und aus dem Täril) as-südän abgeschrieben.

Erst mit dem späten 16. Jahrhundert tauchen maurische Eigenüberlicfemngen und Persönlichkeiten auf, deren Lehrmeister Gelehrte des Timbuktu-Kreises

sind, und zwar vor allem solche aus den beiden Generationen vor Ahmad Bäbä,

der von 1556 bis 1627 lebte^.

Diese Timbuktu-Gelehrten, und zwar oft dieselben Männer^, haben gleich¬

zeitig auch weiter ösüich in den Hausastaaten als Missionare gewirkt. Auch die

Namen dieser Hausastaaten fallen erstmals im 16. Jahrhundert bei Leo Afri¬

canus^^, und auch ihr Aufstieg mag in Zusammenhang mit dem aufkommenden

Seehandel stehen, als sich die Transsahara-Routen nach Osten ins Landes¬

innere verlagerten.

24 Es handelt sich um Mauhüb al-galll bi-5arh IJatil von Muhammad b. Ahmad b. Abi Bakr al- Wädänl al-Hägg^, von dem ich in TlSlt eine Kopie als MS 307 mikrofilmiert habe. Den Nisben nach müßte der Autor zum Stamm der Idau al-^agg von Wädän gehört haben. Der einzige mir bekannte biographische Hinweis zu diesem Mann ist der kurze Eintrag bei Muhammad b. Abi Bakr aj-^iddiq al-BurtulI: Fath aS-Sakür fi ma'üfat a'yän mlamä' at- Takrür. Ed. M. Ibrähim al-Kattänl et M. al-Hag^. Bairüt 1401/1981, S. 112-13, wo es nur heißt, er sei 933/1526-27 noch am Leben gewesen. Weitergehende Informationen fehlen, insbesondere werden keine Lehrer oder Schüler genannt

25 Exemplarisch sei hier das umfangreichste und gleichzeitig älteste mir bekannte Werk die¬

ser Art genannt, von dem auch eine - freilich sehr mangelhafte - Edition vorliegt, nämlich das eben zitierte Fath aS-Sakür, dessen Autor, ein Mann aus Waläta, 1805 starb. Die Namen der dort Biographierten sind alphabetisch, innerhalb der einzelnen Buchstaben aber zeiüich geordnet, so daß bereits ein flüchtiges Durchblättern das eben Gesagte bestätigt

26 So der 936/1529-30 verstorbene Aida Ahmad at-Täzahtl (s. Ahmad Bäbä, Nail 335), der nach 940/1533-34 gestorbene Ma^Iüf b. 'Ali al-Bilbäli (s. Nail 344, Sa'dl 39 und Burtuli 146), der 943/1536 gestorbene Großvater Afimad Bäbäs, al-Hägg Atimad b. 'Umar b.

Muhammad Aqlt (s. Sa'di 37-38 und BurtulT 27-28), und al-'Äqib b. 'Abdallah al- Anjamuni al-Masüfi, der 950/1543-44 noch am Leben war (s. Ahmad Bäbä, Nail 217-18 und MS 309 Kißya 144, sowie unter Berufung darauf Muhammad Bello: Infaq al-maisOr.

Ed. CEJ. Whitting. London 1951, S. 15).

27 S. Jean-L6on l'Africain: Description de l'Afrique. Nouvelle Edition traduite de l'Italien par A. Epaulard Paris 1956, S. 9 und S. 448.

(9)

Das Songai-Reich, zu dessen wichtigsten Plätzen Timbuktu gehörte, wurde

1591 durch em marokkanisches Expeditionskorps vernichtet. Motiv dieses

Feldzuges war mit einiger Sicherheit das Verlangen, die afrikanischen Gold¬

minen unter Kontrolle zu bekommen. Darin sehe ich einen weiteren Hinweis

dafür, daß dieses Gold nun nicht mehr nach Marokko floß, sondem an die

westafrikanische Küste. Nach der Erobemng Timbuktus wurden die dortigen

Gelehrten wegen ihrer Renitenz nach Marokko deportiert, damnter auch Ahmad

Bäbä, der im übrigen als einziger schließlich wieder in die Heimat zurückkehren konnte. Von diesem Schlag hat sich Timbuktu als Handels- und Kulturzentmm nie wieder richtig erholt.

Aber die maurische Gelehrsamkeit der Westsahara war zu diesem Zeit¬

punkt bereits soweit fortgeschritten, daß sie nun aus sich heraus existieren

konnte. Die engen bis dahin zu beobachtenden Beziehungen zu Timbuktu ver¬

schwinden, und die biographische Literatur widmet sich ab dem 17. Jahr¬

hundert fast niu" noch einheinüschen Gelehrten.

Bei der von ihnen geschaffenen arabischen Literatur ging es zunächst um die

Rezeption des malikitischen Fiqhs, dessen gmndlegendes Werk in jenen

Regionen der Mu{)tasar von 9alil b. Ishäq al-öundi^* wurde. Das war schon in

Timbuktu so gewesen, dessen Gelehrte bereits Kommentare zu diesem

Rechtstext verfaßt hatten^'. Auch das vorher erwähnte, älteste mir bekannte

Werk eines Mauren, Mauhüb al-galB bi-Sarh HalU, ist ein Kommentar zum

Muhtasar. Es steht freilich noch ganz isoliert, und nach der maurischen Über¬

liefemng wiu-de der Muj)tasar Halil auch erst gegen 1600 in die Westsahara gebracht'", was allerdings wiedemm etwas spät erscheint.

Wie dem auch sei, mit der Zeit haben dann die meisten der gängigen islami¬

schen Wissenschaften Eingang in die Literatur der Westsahara gefunden, näm¬

lich Koranexegese und Koranlesarten, Hadit, Grammatik, Logik, Theologie,

Dogmatik, Astronomie, Rechenkunst u.a. Daneben gab es eine beachtliche

28 Gest. 1365, s. GAL Sil 96.

29 So etwa laut Ahmad Bäbä (Nail 335 und 344) die beiden oben erwähnten Gelehrten Aida Ahmad at-Täzahtl und Mablüf b.'AU al-Bilbäli.

30 Der 1905 verstorbene TiSlter Mu(iammad b. Ahmad aj-^aglr al-MuslimI sagt in seiner Inärat al-mubham wal-mu^im fi a^bär Bani 'Abd al-Mu 'min wa-Bani Muhammad Mus¬

lim, daß Ahmad al-Fazäzi von den Idau al-Hägg Wädäns ,3ls erster den Mu^tagar Halil in diese Länder gebracht habe". Diese Passage aus der Inärat al-mubham wal-muzlim, von der mir kein vollständiges Exemplar bekannt ist, ziüert der TiSlter SarTf Büya Ahmad („Ham- dT') b. BD 'Asriya (st. 1960) in seinem Säü' al-inära fi ansäb Suraß' TiSit wa-jalabauhim wa-ba 'd al-aqtäb bi-audah 'ibära (MS 364, S. 6/MS 413, S. 9).

BurtulT, der im Sakür 39-40 eine kurze Biographie Ahmad al-Fazäzis bringt, erwähnt dies nicht und nennt auch kein Todesdatum, sagt jedoch, al-FazäzI sei ein Schüler von Ahmad Bäbäs Vater, al-Hägg Ahmad, gewesen, der 991/1583 starb (zu ihm s. Ahmad Bäbä, Nail 93-95 und MS 309 Kißya 33-34, Sa'di 32-33 und Burtuli 29-30). Dafür schreibt Burtuli (Sakür41), derTßiter Sidi Ahmad Abu I-Außd al-HanSl, ein Schülersschüler von Ahmad al-Fazäzi, habe den Muhtajar nach TTSlt gebracht.

(10)

Poesie, wobei auch Gedichte im lokalen Hassänlya-Dialekt schriftlich fest¬

gehalten wurden. Nur nach einerechten Geschichtsschreibung scheint in die-ser

zersplitterten Slammesgesellschaft kein Bedürfnis existiert zu haben. Die

wenigen dürftigen Annalenchroniken, Genealogien und sonstigen historischen Texte sind in dieser Literatur völlig marginal und dazu meist erst sehr jungen

Datums. Für eine geschichtliche Rekonstruktion der Westsahara geben sie

kaum etwas her". Etwas besser ist es mit Werken biographischer Natur bestellt.

Den Löwenanteil dieser Literatur hat freilich bis zuletzt der Fiqh ausge¬

macht. Hier sind die originellsten Werke - neben längeren Abhandlungen zu

einzelnen konkreten Rechtsproblemen - vielleicht unter den zahlreichen Na-

wäzil-Sammlungen zu fmden. Ungeklärt ist für mich bislang die Tatsache, daß

der Höhepunkt der maurisch-arabischen Literatur offenbar ins 19. Jahrhundert

fällt. Parallel damit sticht eine starke Vermehrung der Tasauwuf-Texte ins

Auge. Sie nehmen, was die Masse ijetrifft, schließhch nach dem Fiqh die zwei¬

te Stelle ein. Zwar hat der Sufismus bei den Mauren wohl schon frühzeitig Ein¬

gang gefunden, aber sein wirkHches Aufblühen datiert erst vom Ende des 18.

Jahrhunderts an. Vorherrschend blieb dabei immer die Qadiriya-Bruderschaft,

wohingegen die jüngere TigänTya sich nur bei einigen Stämmen durchsetzen

konnte. Dies steht in Kontrast zu vielen anderen Regionen Westafrikas, wo die

Tiganiya im Laufe des 19. Jahrhunderts absolut dominierend wurde.

Vielleicht hängt dieses Aufblühen von Literatur und Sufismus im 19. Jahr¬

hundert mit Entwicklungen der weiteren islamischen Welt und besonders mit

den westafrikanischen Gihäden jener Zeit zusammen, die zwischen Tschadsee

und Atlantikküste ja die profunde Massenislamisierung im Sudangürtel und da¬

rüberhinaus erst eigentiich einleiteten. Aber dies sind vorläufig nur vage

Vermutungen, die ich im einzelnen nicht begründen könnte.

Als Fazit möchte ich am Schluß jedoch vor allem fesüialten, daß die ara¬

bische Literatur der maurischen Westsahara nicht auf den Almoraviden fußt. Sie wurde vielmehr erst seit dem 16. Jahrhundert im Zuge von wirtschaftlichen und

ethnischen Umbrüchen zunächst von Timbuktu her induziert, bevor sie dann in

den folgenden Jahrhunderten zu ihrer eigenständigen Entwicklung und Form

fand.

31 Die ganze bisherige Forschung zur Westsahara krankt daran, daß isoliert solche „histo¬

rischen" Texte herausgegriffen wurden, von denen man sich - fälschlich - kurzfrisüg ein Ergebnis versprach. Weil der Liberblick über die maurische Literatur fehlte, konnte man mit diesen oft erst aus der Kolonialzeit stammenden Texten letztlich nichts anfangen und schon gar keine Quellenkritik üben, da man sich damit den ohnehin schon schwankenden Boden vollends unter den Füßen weggezogen hätte. Die Lücken - wenn man das so noch nennen kann - sollte dann ein Informant füllen. Für diesen Zweck stand jahrzehntelang der maure¬

tanische Gelehrte al-Muhtär b. Hämidun zur Verfügung, der auf diese Weise zum absoluten Fußnotenkönig der historischen und ethnologischen Sekundärliteratur zu Mauretanien avancierte. Ihm vor allem sind die brauchbaren Informationen in dieser Sekundärliteratur zu danken. Beispielhaft für Werke dieser Art sind in jüngster Zeit die historischen Arbeilen von H.T. Norris gewesen.

(11)

WARUM IST DER SUH ORTHODOX?

Von Bernd Raddce, Basel

Unter „Sufi" wird der Vertreter der islamischen Mystik des 3.-4./9.-10. Jhs.

verstanden. Andere Bezeichnungen für Mystiker dieser Zeit sind hakim, "ärif,

"älim oder näsik. Die schriftlichen Quellen für diese Mystik sind in den Werken

der Meister des 3./9. Jhs. (u.a. Gunayd, MuhasibT, HakTm TirmidT) und den

Lehrbüchern des 4.-5./10.-1 1. Jhs gegel?en. Der „Sufi" des 9.-10. Jhs. ist - im allgemeinen - ein Anhänger der „Sunna": der im 3./9. Jh. kodifizierten

„orthodoxen" Tradition. Da davon auszugehen ist, daß es sich bei dem Be¬

kenntnis der Sufis zur Sunna/Orthodoxie nicht um eine opportunistische

Haltung angesichts der Macht der sunnitischen "ulamä' handelt, ist nach ande¬

ren Gründen für diese Haltung zu fragen. - Mystik des 9.-10. Jhs. bedeutet

hauptsächlich Erfahrbarmachung der Seele, Wissen oder Wissenschaft von der

Seele: Hirn al-bätin. Diese Wissenschaft des Inneren oder der Seele erschloß

neue Erfahrungsbereiche - und das Befolgen der Sunna/Orthodoxie gab der

Seele bei diesen Erfahrungen Halt und Standfestigkeit; es bewahrte sie vordem

Sichverlieren. So erscheint das Befolgen der Sunna als eine innere Notwen¬

digkeit des mystischen Lebens. Auf Gmndlage dieser Erkenntnis ist die Rolle

Gazälis in der Geschichte der islamischen Mystik zu bestimmen.

Eine erweiterte Fassung erscheint in der Zeitschrift „Der Islam".

DIE ENTSTEHUNG DES ARABISCHEN

POLITISCHEN WORTSCHATZES IM 19. JAHRHUNDERT

Von Helga Rebhan, Erlangen

Bis zur napoleonischen Expedition nach Ägypten waren in der arabischen Welt zahheiche westliche politische Ideen unbekannt. Mit der französischen

Ära entstand die Notwendigkeit, ein adäquates linguistisches Medium zum

Ausdmck dieser neuen Ideen zu finden. Mit dieser Notwendigkeit konfrontiert

waren um die Jahrhundertwende zunächst die arabischen Chronisten der fran¬

zösischen Ära, sowie die französischen Verfasser arabischer Proklamationen.

Später, in den 30-er und 40-er Jahren des 19. Jahrhunderts, fertigten al-Tahtä- wl und seine Schüler in der von Muhammad "All gegründeten Sprachenschule

Übersetzungen aus europäischen Fremdsprachen an und kompilierten eigene

Werke über den Westen. Seit den 60-er Jahren wurde dann die Presse zum

wichtigsten Übermittler westlicher politischer Begriffe und ihrer Inhalte.

Dabei haben die Araber die meisten Ausdrücke für europäische politische

Begriffe mit eigenen sprachlichen Mitteln wiedergegeben, während in den ein¬

zelnen europäischen Sprachen politische Kembegriffe zumeist auf einen ge-

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

über den Nomina instrumenti, wohl aber gegenüber den Neubildungen als. Aktiv-Partizipien und Genitiv-Verbindungen -

von mü ün westlichen Delta untersuchten Punkten beläuft sich die Zahl der Unter¬.. suchungspunkte

ment-Party. Beide sind gemäßigt nationalistisch und treten für die Ottomanische Reichseinheit ein. Offenen Aufruhr gab es in dieser Periode nicht. Sie vertraten, wie auch die

Parallel dazu richten sich aber die Interessen der externen Akteure neu aus, was beispielsweise dadurch sichtbar wird, dass sie sich zunehmend nicht mehr aktiv am Konflikt

 Trotz eines gewissen Zurücktretens des israelisch-palästinensischen Konfl ikts im öffentlichen Diskurs in den arabischen Staaten wird der Konfl ikt weiterhin zur

Merkmalsvariationen zwischen jemenitischen und afrikanischen Populationen Das größte untersuchte jemenitische Tier hat eine Kopf-Rumpf-Länge (KRL) von 152 mm, das aus

hat , nicht genannt werden , vielmehr manches in demselben darauf hinzudeuten scheint , dass er über Italien kam , vor allem aber , weil eine afrikanische Gesandtschaft 973 von

Aus beiden Erkenntnissen würde folgen, dass die Politik Israels für diesen Judenhass nur sehr bedingt verantwortlich gemacht werden kann, dass der Antisemitismus in Nahost