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DIE WURZELN DER KONZEPTION PALÄSTINAS IN DER ARABISCHEN GESCHICHTE 1

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DAS PALÄSTINA-PROBLEM AM ENDE DES 19. JAHRHUNDERTS

von Walter Rothholz, Bochum

I. DIE WURZELN DER KONZEPTION PALÄSTINAS IN DER ARABISCHEN

GESCHICHTE

1. Der geographische Begriff Palästina (Filastin), wie die Araber ihn verstehen, beruht auf zwei historischen Quellen: Einerseits auf der muslimischen Tradition des

sog. „Heiligen Landes" (al-ard-al-muqaddasa) mit Jerusalem als Zentrum sowie

andererseits auf der Entwicklung einer sozialen und politischen Struktur und deren Problematik.

Die arabischen Eroberer Palästinas bewahrten die administrative Einteilung der

Römisch-Byzantinischen Periode. Das Gebiet von Palästina Prima (Zentral- und

Süd-Palästina) wurde zum Jund Filastin. Der Distrikt (Jund) Filastin existierte mit

einer Ausdehnung bis Amman bis zur mongolischen Invasion. Unter den Mameluk¬

ken wurde das Gebiet des früheren Jund Filastin mehrfach unterteilt. Die frühere

Einheit von Filastin verschwand aus der Verwaltungseinteilung. Nur der Name ver¬

blieb. Die Türken richteten diesen Distrikt ebenfalls nicht wieder ein. Sein Gebiet

wurde in drei Sanjäqs (Distrikt) — Gaza, Jerusalem, Nablus — eingeteilt und der

Provinz (Pashalik) von Damaskus zugeschlagen.

2. Die Einheit Palästinas blieb jedoch auf andere Art gewahrt: Neben der juris- diktionellen Seite war vor allem der religiöse Faktor entscheidend: Neben lokalen Festen spielte vor allem die Zelebriemng des Festes von al-Nabi Musa bei Jericho eine zentrale, weil überregionale Rolle. Als ein weiterer, nicht zu unterschätzender

Faktor muß die Aufteilung der Bevölkerung in zwei Lager angesehen werden, der

Qays und Yaman. Diese Teilung mit ihren die Distrikte überschneidenden Allianzen

dauerte Jahrhunderte an und wurde gerade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun¬

derts beendet, zu einem Zeitpunkt, an dem die ottomanische Verwaltung einem

gmndlegenden Wandel unterworfen wurde. Offenbar hatte diese Teilung durch das

Entstehen einer palästinensischen Bourgoisie ihren Sinn verloren. Politische Aus¬

läufer sind am Ende des 19. Jahrhunderts noch spürbar.

3. Eine nicht unerhebliche Rolle zur Integration Palästinas spielten die christ¬

lichen Institutionen, vor allem in der Jurisdiktion des griechisch-orthodoxen Pa¬

triarchats. Daher hatte die Konzeption Palästinas unter der christlich-arabischen

Bevölkemng einige Bedeutung, wie das 1913 von Khalil al-Sakakini publizierte

Buch al nahda al-Ortodoksiyya fi Filastin beweist.

4. Ein weiterer Konsolidierungsfaktor in diesem Zusammenhang ist der Zionis¬

mus und die damit verbundene Intensiviemng der christlich-arabischen Presse¬

aktivitäten. In den Zeitungen al-Karmel und Filastin werden nun Begriffe wie

wataniyya (patriotisch) und vatniya (Gesellschaft) mit Palästina in Zusammenhang gebracht. Sie sind dezidiert antizionistisch formuliert.

XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen

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Das Palästina-Problem am Ende des 19. Jahrhutiderts 571

5. Zu diesem rein phänomenologischen Aufriß treten die sozialen und politi¬

schen Umwälzungen der Tanzimat-Periode und Internationalisierung Jerusalems,

die Palästina ins moderne politische Bewußtsein heben. In dieser Zeit werden die

Sheiks mit ihren Steuerprivilegien (Iltizam) von städtischen Notablen (a'yan) aus

ihren administrativen und sozialen Positionen verdrängt, wiewohl der soziale Status

der Sheiks bis ins 20. Jahrhundert erhalten (so z.B. 'Abdoal Hamid Abu Gosh)

bleibt. Die Notablen bildeten eine für die ottomanische Verwaltung unersetzliche

Gmppe. Die Umwandlung des sozialen Stratums büdet den Auftakt zur Entste¬

hung einer palästinensischen Bourgoisie; die Historiographie der großen palästinen¬

sischen Famüien beginnt; letztlich eine Oligarchisiemng, die zu einem zunehmenden sozialen und rechtlichen Abstieg der Bauern (fellahin) führt. Hier kann auch der An¬

satz für die späteren jüdischen Landkäufe gesucht werden. Die Palästinensische Fa¬

miliengeschichte mit ihren glänzenden Namen wie Khalidi, Husayni und Nashaschi-

bi — um nur die beriüuntesten zu nennen - steckt noch in üiren Anfängen. Sie

wurde bisher aus politischen Gründen unterdrückt.

II. POLITISCHE STRÖMUNGEN UNTER DEN PALÄSTINENSERN AM VORABEND DES

ERSTEN WELTKRIEGES

1. Die Existenz der Araber innerhalb des Ottomanischen Imperiums als eine

Gmppe mit eigener spezifischer Identität ist in diesem Zeitraum keinesfalls ein

neues Phänomen. Die neuen politischen Strömungen zu Beginn des 20. Jahrhun¬

derts basierten auf subjektiv-ideologischen wie politischen Erfahrungen, die be¬

stimmten „objektiven" Differenzen zugmnde lagen. Die Imperialtheologische Sparte

eines zivütheologischen Komplexes war zu dieser Zeit längst brüchig. Basiert man

politische „Rechte" auf gewisse „Objektive" Faktoren, kann man mit Vorsicht von

einem Transfer eines theologisch fundierten Imperialbewiüitseins - wie es die

'Ulama beispielsweise repräsentiert — zu einem arabischen Nationalismus sprechen.

Es handelt sich freüich um ein Schlagwort, das die repräsentativen Erfahrungen des

Islam nur unvollständig wiedergibt. Ein solcher Wechsel mit emanzipativen Forde¬

mngen begann sich in studentischen Intellektuellenkreisen Istanbiüs, Beiruts und

Damaskus' zu vollziehen. Es wurden Geheüngesellschaften gegründet. Von ca. 130

Mitgliedern sind vielleicht 25 als Palästinenser anzusehen. Jedoch gab es eine gewis¬

se Basis in Palästina selbst.

2. Die Feindschaft der Palästinenser gegenüber der Ottomanischen Verwaltung

ist schon in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts von europäischen Diplomaten

beobachtet worden. Dieser Haltung politische Relevanz abzusprechen, ist einer der

Fehler der israelischen Soziologie. Bereits 1905 fmdet sie einen literarischen Nie¬

derschlag im Buch (Le reveil de la nation arabe dans l'Asie turque) Najib Azouri's

— einem libanesischen Maroniten. Dieser Azouri betrieb weitgespannte konspirative

Tätigkeiten innerhalb Palästinas. Jedoch traf er auf starke Gegner: Die großen Fa¬

müien hingen alle ausnahmslos der restriktiven Politik 'Abdul Hamids an, der die

Rückkehr zum orthodoxen Islam propagierte und damit hoffte, die Reichseinheit

zu wahren. Nutznießer dieser Politik waren durchweg diese Famüien, die sich alle

dieser Zeit gern erinnern. Sie lehnten den Nationalismus ab und wurden dadurch

in der politischen Entwicklung des 20. Jahrhunderts zu einem Faktor minderen

Ranges. Es handelt sich hier um einen bis heute nicht behobenen Split in der pa-

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572 Walter Rothholz

lästinensischen Gesellschaft, der schwerwiegende politische Konsequenzen hatte,

3. Die wichtigsten politischen Manifestationen dieser Zeit waren die Reform¬

gesellschaft al-Islah mit ihrem regionalen Autonomieprogramm mit Zentrum vor

allem in Nablus. Außerdem entstand eine Hurriyyat ve l'tilaf-LiheTty and Agree¬

ment-Party. Beide sind gemäßigt nationalistisch und treten für die Ottomanische Reichseinheit ein. Offenen Aufruhr gab es in dieser Periode nicht. Sie vertraten, wie auch die arabische Presse, die alte ottomanische Ziviltheologie einer Partner¬

schaft aller Bürger — wenn auch mit Betonung lokaler Autonomie.

4. Erst durch die gemeinsame Furcht vor dem neuen sozialen Typ des jüdi¬

schen Einwanderers wird die Haltung radikaler. Die Besiedlungspolitik auf dem

Lande schuf von Anfang an beträchtliche Probleme. Die jüdischen Landkäufer

waren mit den lokalen Gebräuchen nicht vertraut, jahrelange Landdispute waren an

der Tagesordnung. Dies allein war nichts Ungewöhiüiches, half aber binnen kurzem,

aus einem nicht formierten, überwiegend ökonomisch fundierten Widerstand einen

dezidiert politischen zu schaffen. Die Zeit zwischen 1891—1914 ist voll von Peti¬

tionen, Aufrufen und Erlässen seitens der palästinensischen Bevölkerung und ihrer

Führer. Ein weiterer Punkt ist das starke soziale Gefälle zwischen Einwanderern

und arabischer Bevölkerung; insbesondere bei der emanzipierten Haltung der Frau

bei den jüdischen Einwanderern wurde dies deutlich.

5. Der dezidierte Antizionismus kann aber nicht in jedem FaUe mit dem arabi¬

schen Nationalismus gleichgesetzt werden, wie er z.B. bei der Gründung der Hizb

al-Watani al'Utimani zutage trat. Auf alle Fälle aber kann gesagt werden, daß re¬

formerische Bewegungen wesentlich antizionistischer waren als konservative, was

sich beispielsweise bei der Behandlung der orientalischen Juden zeigte. Zusammen¬

fassend läßt sich sagen, daß die Familiengeschichte Palästinas einen vertiefenden Einblick in sich verändernde politische und soziale Stmkturen geben kann, weü hier

sämtliche Erfahrungsstrata adäquat erfaßt werden können. Ich möchte am Schluß

nochmals meine Thesen kurz plakativ darstellen: 1) der Arabische Widerstand

wird bereits sehr früh dezidiert politisch. 2) Jedoch war die Stoßrichtung insofern abgeschwächt, da die Intelligenz einen spirituellen Koressionsprozeß durchlief und

der politische Nationalismus von den großen Famüien nicht unterstützt wurde.

Daher wükt das Büd ambivalent. 3) Die „Politisiemng" der Araber ist nicht rein antizionistisch, sondern muß letztlich in der Erstarkung der städtischen Notabein gesucht werden.

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EIN PALÄSTINISCHER REPRÄSENTANT DER TANZIMAT-PERIODE:

YUSUF DIVA 'ADDIN AL-HALIDI (1842-1906)

von Alexander Schölch, Essen

Yüsuf al-Hälidi war Sproß einer der beiden alteingesessenen NotabelnfamUien

Jerusalems, die sich im 19. Jahrhundert gegenseitig Rang und Einfluß streitig

machten, der Hälidis und der Husainis. Der Einfluß der Hälidis in der Stadt war

institutionell verankert in der Position des BäSkätib und Nä*ib des Sarl'^-Gerichts, welche die Familie das 18. und 19. Jahrhundert hindurch kontinuierlich besetzte.

Nach dem Erlaß des osmanischen Reformedikts von 1856 wurde der junge Yüsuf

Effendi nachdrücklich vom Tanzimat-Geist beeinflußt und insbesondere von der

Notwendigkeit einer gründlichen, an europäischen Vorbildern ausgerichteten Aus¬

bildung überzeugt. Auf der Suche nach anderen als den traditionellen BUdungsquel-

len lief er von zuhause weg und studierte nacheinander am Protestant College in

Malta, an der Kaiserlichen Medizinischen Lehranstalt in Konstantinopel und am

amerikanischen Robert College in Bebek.

Ein Jahrzehnt lang, vom Ende der sechziger bis zum Ende der siebziger Jahre,

nahm Yüsuf Effendi, wie andere Mitglieder seiner FamUie als Anhänger der „Re¬

form-Partei" (hizb al-isläh) bekannt, dann verschiedene administrativ-politische

Aufgaben wahr, in denen er seine Reform-Vorstellungen zu realisieren versuchte,

vor aUem als Präsident der Munizipalität von Jerusalem und als Mitglied der osma¬

nischen Deputiertenkammer (1877/78). Gerade seine Exponierung als „Liberaler"

in dieser Vertretungskörperschaft führte nach der Auflösung der Kammer und im

Zuge der repressiven Maßnahmen Abdülhamids zur Entmachtung der Hälidis in

Jerusalem (1879). Yüsuf Effendi blieb aUerdings bis zum Ende des Jahrhunderts

als Distrikt-Gouverneur in osmanischen Diensten.

Yüsuf al-yälidl war neben seinem Neffen Rühi zweifellos einer der gebüdetsten,

inteUigentesten und aufgeklärtesten Köpfe, die Jemsalem im 19. Jahrhundert her¬

vorgebracht hat. Seine literarische Bildung, seine Sprachgelehrsamkeit und seine

praktischen sprachlichen Fähigkeiten wurden von aUen unvoreingenommenen

Zeitgenossen übereinstimmend hervorgehoben. Der Kern seines Denkens und seiner

Überzeugungen war nicht muslimisch-theologischer, sondern philosophisch-huma¬

nistischer Natur. Seine erste Frage war nicht etwa, wie er Reformer werden und

guter Muslim bleiben könne, sondern was seine Aufgabe als gebUdeter, vorurteUs-

loser, freier Mensch sei. Die schlimmste Sünde war Unbildung, gleich danach kam

die Anhäufung belanglosen, nutzlosen Wissens. Seine religiöse Toleranz ging so weit,

daß Zeitgenossen sogar über ein Liebäugeln mit dem Christentum berichteten. Dies

war zweifellos unzutreffend ; das religiöse Bekenntnis war ihm einfach in keinerlei Hinsicht eine Trennungslinie innerhalb der menschlichen Gesellschaft.

Tanzimat-Politik mußte nach den VorsteUungen Yüsuf Effendis vor aUem fünf

XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen

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