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Von den Nachbarn lernen. Beschäftigungswirksame Arbeitszeitpolitik in Europa

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Academic year: 2021

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Tagungsbericht

Von den Nachbarn lernen. Beschäftigungs- wirksame Arbeitszeitpolitik in Europa Nicht nur in Nordrhein-Westfalen wird nach einer modernen, aktiv gestaltenden Arbeitszeitpolitik ge- sucht, sondern auch in den europäischen Nachbar- ländern. Deshalb waren Forscherinnen und For- scher aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Dänemark zur internationalen Tagung des Mi- nisteriums für Arbeit und Soziales, Qualifikation und Technologie (MASQT) des Landes Nordrhein- Westfalen am 1.3.2001 nach Köln eingeladen, um die Arbeitszeitpolitik ihrer Länder, ihre Ansatz- punkte und Instrumente vorzustellen. Ihre Vorträge wurden ergänzt um Kommentare aus deutscher Sicht.

Über hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Wirtschaft, Gewerkschaften, Politik und Wissen- schaft diskutierten mit dem Podium, das vormittags von Professor Gerhard Bosch, Institut Arbeit und Technik, und nachmittags von Professor Karl Krahn, ISO, moderiert wurde.

In seiner Eröffnungsansprache kündigte Ar- beitsminister Harald Schartau an, Nordrhein-West- falen zu einer Modellregion für moderne Arbeits- zeiten zu machen, und warb für flexible Arbeitszei- ten wie für Teilzeitarbeit, da beide den Interessen der Beschäftigten an der Vereinbarkeit von Beruf und Familie dienten.

Catherine Bloch-London aus dem Pariser Ar- beitsministerium erläuterte die Gesetze, durch die seit 1997 die 35-Stunden-Woche eingeführt wird, und ihre bisherige Umsetzung. Die Reduktion der Arbeitszeit wird teilweise von den Arbeitgebern verzögert, indem sie z.B. Pausen- oder Rüstzeiten aus der Arbeitszeit herausdefinieren und so ledig- lich eine rechnerische Reduktion erreichen. Trotz vieler Probleme im Detail beträgt die durchschnitt- liche Arbeitszeit in Frankreich nur noch 36,7 Stun- den. Von 1996 bis 2000 konnten etwa 240.000 Arbeitsplätze geschaffen werden, für 2001 erwartet das Ministerium einen weiteren Anstieg der Be- schäftigung um 60.000 aufgrund dieser Arbeitszeit- verkürzungen. In seinem Kommentar wies Dr. Stef- fen Lehndorff vom Institut Arbeit und Technik, Gelsenkirchen, darauf hin, dass in Frankreich der Staat den Arbeitszeitstandard gestaltet und nicht die Tarifparteien wie in Deutschland; der Anstieg der

Arbeitsplätze verstärke einen sich anbahnenden Facharbeitermangel, was zu heftigen Auseinander- setzungen über die Arbeitszeitgestaltung für Hoch- qualifizierte geführt habe. Mit Arbeitszeitpolitik allein könne das Problem aber nicht gelöst werden.

Die belgische Arbeitszeitpolitik stellte Dr. Co- rinne Soudan von der Brüsseler Université Libre vor. Wichtiges Instrument ist hier ein System von Abgabenreduzierungen für die Arbeitgeber, um Neueinstellungen zu fördern und bei Unterneh- menskrisen oder Umstrukturierungen Entlassungen zu vermeiden. Auch bei individuellen oder kollekti- ven Arbeitszeitverkürzungen werden Anpassungs- und Strukturhilfen gewährt. Frau Soudan merkte aber kritisch an, dass bislang die Förderzeiträume der Maßnahmen zu knapp und die fast ausschließ- lich aus der Sozialversicherung bereit gestellten Mittel zu gering seien, um die angestrebten arbeits- marktpolitischen Effekte erzielen zu können. Die Arbeitszeit wurde in Belgien auf 38 Wochenstunden festgelegt. Die Perspektive der Arbeitszeitpolitik ist das lebenslange Arbeitszeitkonto. Dr. Michael Wie- demann vom Wirtschafts- und sozialwissenschaftli- chen Institut in der Hans-Böckler-Stiftung konzen- trierte sich in seinem Kommentar wesentlich auf Fragen nach der Akzeptanz der staatlichen Maßnah- men bei Beschäftigten und Arbeitgebern.

Dr. Lei Delsen von der Katholischen Universi- tät Nijmegen erörterte den als „Beschäftigungswun- der“ gefeierten Anstieg der Arbeitsplätze in den Niederlanden. Faktoren für diese Entwicklung sind eine Senkung der Löhne und der Arbeitszeiten so- wie die Förderung der Teilzeitarbeit seit den achtzi- ger Jahren. Dabei wurde allerdings kaum die Zahl der Arbeitslosen abgebaut, sondern die Steigerung der Beschäftigten beruht auf den Frauen, die neu auf den Arbeitsmarkt kamen. Die Hälfte der neuen Ar- beitsplätze entpuppen sich bei näherem Hinsehen als Jobs für Frauen im Dienstleistungsbereich, die ungesichert oder marginal sind. In seinem Kom- mentar arbeitete Dr. Hermann Groß vom ISO her- aus, dass in Deutschland wesentlich mehr Überstun- den pro Beschäftigtem geleistet werden als in den Niederlanden und die Teilzeitquoten wesentlich geringer sind. Ansatzpunkte für ein deutsches „Job- wunder“ könnten also die Wünsche der Beschäftig-

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Tagungsbericht

ten nach Reduzierung der Überstunden und der Arbeitszeit auf etwa zwei Drittel der Vollzeitstellen sein.

Einen „ganzheitlichen“ Weg in der Arbeitspoli- tik geht Dänemark, wie Herrad Höcker von der Universität Bremen schilderte. Die Arbeitspolitik konzentrierte sich in den neunziger Jahren auf Maß- nahmen zur Arbeitsumverteilung, eine Qualifizie- rungsoffensive, familienpolitische Maßnahmen, eine verstärkte Aktivierung der Arbeitslosen, besonders der Jugendlichen sowie in jüngster Zeit auf Anreize zur Organisationsentwicklung in den Unternehmen.

Für das Jobrotationsmodell waren neben arbeits- marktpolitischen Maßnahmen die öffentlichen An- reize zur Freistellung von Beschäftigten und die Erwachsenenbildung die zentralen Elemente. Jobro- tation führt, so kommentierte Dr. Rolf Kowitz vom Institut der deutschen Wirtschaft, sowohl zu Vortei- len für die Unternehmen, die durch Weiterbildung ihrer Beschäftigten ihre Wettbewerbsfähigkeit stär- ken können, als auch für die Beschäftigten, die durch die zusätzliche Qualifikation ihre Beschäfti- gungsverhältnisse sichern; vor allem aber gewinnt der als Stellvertreter eingesetzte, zuvor Arbeitslose durch die Erweiterung seiner Qualifikation, durch praktische Berufserfahrung und die Verbesserung seiner Vermittlungsfähigkeit bis hin zur Chance, im Betrieb verbleiben zu können.

Die Vorträge enthielten viele Anregungen für Politik, Tarif- und Betriebsparteien, wie eine mo- derne deutsche Arbeitszeitpolitik gestaltet werden könnte. Die Veranstaltung zeigte deutlich, dass zwar die Ziele der Arbeitszeitpolitik in den vertretenen europäischen Ländern die gleichen sind - Abbau oder Verhinderung von Arbeitslosigkeit, Arbeits- umverteilung und Förderung von Qualifizierung für Beschäftigte und Arbeitslose -, dass aber die Mittel zur Erreichung dieser Ziele unterschiedlich und unterschiedlich erfolgreich sind. Nicht das „Ob“

von Arbeitszeitgestaltung zur Verbesserung der Beschäftigungslage war strittig, sondern das „Wie“.

Der große Bedarf an vergleichender Forschung wurde immer wieder von den Kommentatoren hervorge- hoben.

Renate Schneider (Köln)

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