Paper-ID: VGI 197701
Bewegliche Staatsgrenzen ¨ Osterreichs
Friedrich Meckel
11
Br ¨unnlbadgasse 4/13, A-1090 Wien
Osterreichische Zeitschrift f ¨ur Vermessungswesen und Photogrammetrie ¨ 65 (1), S.
1–5 1977
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ÖZNuPh 65. Jahrgang/1977 /Heft 1 1 In eigener Sache
Da einerseits d ie Druckkosten für die einzelnen H efte u nserer Zeitschrift von Jah r zu Jah r i m m e r mehr anstiegen u n d es andererseits d e r Druc kerei, die unsere Zeitsch rift seit Jah rzeh nten hergestellt h atte, i m Verlaufe des letzten Jah res nicht mög lich war, die Fertigstel l u ngsterm i n e f ü r d i e Hefte einhalten zu können, sah sich der Vereinsvorstand gezw u n g e n , d e r H a uptver
sam m lu n g des Österreich ischen Vereines für Vermess u n gswesen u n d Photo
grammetrie am 29. März 1977 den Vorsch lag zu m a c h e n , eine a ndere Art der Drucklegung zu beschließe n .
E s erscheint somit das Heft l d e s
65.
Jah rg anges 1977 d e r österreic h ischen Zeitschrift fü r Vermessungswesen u nd P hotogram m etrie i n einer neuen Form u n d auch in einem etwas and eren Form at. Wir hoffe n , i n Zukunft die Hefte der einzelnen Jah rgänge wieder rege l m äßiger herausbringen zu kön nen .
Die noch feh lenden Hefte 3 u n d
4
des64.
Jah rg a n g es werde n noch i n der bisherigen Art hergestellt und sind bereits in Arbeit. Sie werde n nach i h rer Fertigstel l u n g nachgeliefert.Der Vereinsvorstan d
Bewegliche Staatsgrenzen Österreichs Von Friedrich Mecke/, Wien
Zusammenfassung
Allgemein wird angenommen, daß die Staatsgrenzen Österreichs in einer genau festgeleg
ten Linie verlaufen. Es gibt jedoch auch labile Grenzstrecken. Die sich daraus ergebende Problematik beleuchtet dieser Artikel mit Fällen aus der Praxis.
1. Grenzgewässer
D u rch Wasserläufe bestim mte Staatsg renzen s i n d nach e i n e m allgemein anerkannten G ru ndsatz des Völkergewo h n heitsrechtes beweglich - also labil -, soweit vertraglich nicht etwas anderes vere i n bart ist. Die bewegliche Grenzlinie, überwiegend die Mittellinie bei n i c h t sch iffbare n G renzgewässern, folgt den allmäh lichen natürlichen Veränderu n g e n d es Wasserlaufes. Bei plötzlichen natürlichen oder bei künstlichen Veränderungen eines Wasserlau
fes verbleibt d ie G renzlinie i n der u n m ittelbar vor E intritt des E rei g n isses
2
ÖZfVuPh 65. Jahrgang/1977 /Heft 1 gegebenen Lage . Diese Lage kann aber nac hträg lich n u r m e h r d a n n genau rekonstruiert werden, wen n die Uferränder u n m ittelbar vor E i ntritt des Ereignisses vermessen worden s i n d . Dies ist aber bei plötzlichen natürlichen Veränderungen fast n ie, bei kü nstlichen Veränderungen (z . B. Reg u lierungen) nicht immer der Fal l .
Vielfältig s i n d daher die zu lösenden Probleme, d i e u nsere etwa
290
km langen, beweglichen nassen Staatsg renzen bringen. Es ist verständlich , daß Geodäten bewegliche G renzen i m allgemeinen n ic h t lieben . Aber für alle Organe, die an der Staatsgrenze tätig werden m üssen und auch für Personen, die in die Nähe der Staatsg renze ko m m e n , ist d ie ständige d e u tliche Sichtbarkeit u nd klare Erkennbarkeit des Verlaufes der Staats g renze im Gewässer zweifellos ein bedeutender Vorteil, wen n auch m a n c h m a l nicht, wie angenom
men wird, die Staatsg renze in der Mitte des Gewässers verläu ft.
Bei sch iffbaren G renzflüssen m ußte m a n von d e r M itte l l i n ie des Gewäs
sers zum Sch iffah rtsweg, ü berwiegend Talweg g e n a n nt, als Staatsgrenze übergehen.
�
nter Talweg ist der Weg zu verste h e n , dem S c h iffe bei i h rer Fah rt zu folgen pflegen, also die Stro m ri n n e mit d e r g rößten Tiefe des Flusses. Die Achse des Talweges ist die u n u nterbroc h e n e Folge d er tiefsten Lotu ngen. Der Talweg ist beweglich i nfolge des stä n d ig e n Wirkens des fließenden Wassers - auch wen n die Ufer ü berwiegend fest s i n d .
2 . Regulierung von Grenzgewässern
Unmittelbar vor Beg i n n der Reg u l ieru ngsarbeiten a n G re n z g ewässern mit beweg licher G renzlinie m uß die Staatsg renze koo rd in aten m äßig festgelegt werden. Bei beabsichtigter Verleg u n g der Staatsgrenze i n d ie M itte des neuen Bettes ist schon bei der Plan u n g ein vo l l kom m e n e r G ebietsausg leich vorzuse
hen, d. h . die S u m m e aller Fläche n , d i e nach Absc h l u ß d e r R e g u lieru ngsar
beiten der andere Staat erhalten soll, m u ß d e r S u m m e aller an d e n eigenen Staat ü bergehenden Flächen genau ents p rec h e n . Nach A bs chluß der Regu
lieru ngsarbeiten ist das neue Gerinne z u vermessen und zu d o k u m entiere n . D i e Dokumente erhalten Rechtskraft m it dem I n k rafttreten eines Staatsvertra
ges, der diese G renzänderung behandelt. E rg ibt sich nach d e r absc h ließen
den Vermessung eine Flächend ifferenz, so m uß e i n e geeig n ete Ausgleichs
fläche im G renzbereich gefu nden werd e n .
Eine Fülle v o n Problemen brachte d ie Reg u lieru n g d e r G re nzstrecke der March. Schon vor
1938
wurde auf G ru n d eines Staatsvertrages vom Jahre1928
begon nen, d ie stark mäandriere n d e March zu reg u lieren. Unterbrochen d u rch den2.
Weltkrieg wurde die Reg u lieru n g i m Jah re1964
beendet. Nach rund einem Viertel Jah r h u ndert waren17
D u rchstiche fertig . Bis zum24.
Juni1975
- an diesem Tag ist der am21.
Dezem ber1973
i n Wien u nterzeich n ete„Vertrag zwischen der Republik Österreich u n d d e r Tsc hec hoslowakischen Sozialistischen Republik über die gemeinsam e Staatsg renze" i n kraft getreten
ÖZfVuPh 65. Jahrgang/1977 /Heft 1
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- ist jedoch die österreich isch-tschechos lowakisch e Staatsgrenze weiter dort verlaufe n , wo die March vor Beg i n n der Reg u lieru n g floß. Von den D u rchsti
chen, in denen d ie March jetzt fließt, l iegt aber das überwiege n d n icht m e h r erke n nbare alte Marchbett b i s zu
700
m e ntfe rnt. Perso n e n , die in d ie N ä h e d e r March kamen, haben a b e r allgemein angeno m m e n , d aß d o rt, w o jetzt d ie March fließt, die Staatsg renze ist. Dieser Zusta n d , der einige Jah rzeh nte bestand , war äußerst u n befried igend u n d f ü h rte - wie allgemein bekannt - auch zu gefä h rlichen Situation e n . D u rc h den Staatsvertrag vom21.
Dezember
1973
wurde ein g roßes Problem gelöst.Nach dem neuen Vertrag bildet die M itte der reg u lierten March d ie Staatsg renze. Sie bleibt aber trotz ü berwiegender Reg u lieru ng weiter beweg
lich und folgt deren Mittellinie bei a l l m ä h l ic h e n n atürlichen Veränderungen der Lage des Flusses. Die Mittell i n i e folgt auch kü nstlichen Verän derungen, jedoch n u r insoweit, als die Mittellinie n icht mehr als um ein Viertel der Breite des Mittelwasserbettes von der u n m ittelbar vor Baubeg i n n geltenden G renzli
nie abweicht. D u rch das neue March bett s i n d im Reg u lieru ngsbereich tsche
choslowakische Gebietsteile in einem A u s m aß von r u n d
165
H ektar an d ie Republik Österreich u n d österreichische G e b ietsteile von r u n d148
Hektar an die Tschechoslowakische Sozialistisc h e R e p u b l i k gefa l l e n . Die Flächendifferenz von rund
17
Hektar ist d u rch Übertrag u ng weitere r österreich ischer Gebietsteile im Bereich der Gemeinden N e u d o rf bei Staatz und Wild e n d ü rnbach an die Tschechoslowakische Sozialistisch e R e p u b lik ausgeg lichen worden. Es ist leicht erklärlich, daß es sehr schwer war, eine geeignete Fläche im Ausmaß von rund
17
Hektar im Bereich der Staatsgrenze zu finden . Außerdem m ußte d ie d u rch d ie Ausgleichsfläc h e gegebene neue Staatsg renze auch beiden Staaten geneh m sein.
Der Staatsvertrag vom
21.
Dezember1973
h at auch das Problem des Verlaufes der österreich isch-tschechoslowakischen Staatsg renze in der G renzstrecke der Donau elegant gelöst. D ie Staatsgrenze wird in diesem Bereich d u rch die Mittellinie der m i ndestens100
m b reiten H a u ptsch iffahrtsrinne gebildet, einer labilen Linie. Außerdem ist ein „To lera n zstreifen" von
100
m Breite, d ies entspricht etwa einem D rittel der Stro m b reite, festgelegt worden, in dem sich die Mittellinie auch bei künstlichen Verä n derungen des Flußlaufes verlegen darf. D u rch die für die näc hsten Jah re geplanten Donaureg u l ierungen, die i m Interesse der Sch iffa h rt e rfo rderlich s i n d , d ü rfte d ie Mittellinie der Hau ptsch iffah rtsrinne stellenweise bis -zu
90
m verschoben werd e n . Mit dem vertrag lich festgelegten L i m it von100
m wird also e rreicht, daß kü nftige Donaureg ulierungen voraussichtlich kein Abweichen der G renzlinie von der Mittellinie der Hauptschiffah rtsri n n e z u r Folge haben werden . Sollte allerdings die Mittellinie über
100
m verschoben werd e n , dann kön nte die Übereinstim m u ng m it der G renzlinie n u r d u rch einen neuen Staatsvertrag herbeigefü h rt werd e n .4 ÖZIVuPh
65. Jahrgang/1977 /Heft 1 3. Wasserscheide im GebirgeDie Staatsgrenze i m Gebirge ist ü berwieg e n d d u rch die Wasserscheide festgelegt. Ei nzelne markante P u n kte solch e r G renzabschn itte sind durch Grenzzeichen vermarkt. Für die dazwisc hen lieg e n d e n Teile ist d ie G renzlinie im allgemeinen n u r g raph isch dargestellt, z . B . a n der österreich isch-schwei
zerischen und an der österreich isch-italienischen G renze im Maßstab
1 : 25 000.
D u rch Verwitterung des G esteins u nd Felsabbrü c h e ändert sich stellenweise zweifellos der Verlauf der Wasserscheide. D iese Veränderungen sind aber d u rch die nur graphische Festleg u n g der G re n z l i n i e nicht feststellbar. Nur wenn ein auf der Wasserscheide steh e n d es G re n zzeich e n verloren gegangen ist und bei der beabsichtigten Wiederherste l l u n g d u rc h Abstek
ku ng der Daten aus dem G renzurk u n d enwerk festgestel lt wird , daß der Grenz p u n kt nun tief u nten in einer fast senkrechten Felswan d liegt, die eine Seite der Wasserscheide begrenzt, ist die Sach lage seh r problematisc h . Problematisch deshalb, wei l d a s Völkergewo h n heitsrecht bewegliche G ren
zen nur i n Gewässern ken n t und alle anderen G renzen als u n beweg lich ansieht.
In der Felsreg ion handelt es sich um geringfügige - an vielen Stellen gar nicht erfaßbare - Verlageru ngen der Wasserscheide. Wir haben aber auch in der G letscherregion d u rch die Wasserscheide auf G letschern festgelegte Staatsgrenzen. I n den ötztaler Alpen fällt ein G letsc her, d essen Wasser
scheide die Staatsgrenze bildet, vom
3602
m h o h e n S i m i l a u n i n östlicher Richtung steil abwärts. Nach etwa300
m horizontaler E n tfern u ng verflacht die Gletschernei g u n g u n d die Wasserscheide erreich t nach weiteren etwa300
m einen Sattelpu nkt. Von diesem P u n kt steigt der G letscher i n n o rd östlicherÖZNuPh
65.Jahrgang/1977 /Heft 1 5
Richtung zuerst etwa
600
m wenig geneigt u n d d a n n steil z u r3538
m hohen Westlichen Marzell-Spitze a n . I m Jah re1974
ist bei d e r Neuaufnah m e des Blattes173,
Sölden, der Österr. Karte1 : 50 000,
e i n e Verlag e ru n g d e r Wasserscheide beim Similau njoch festgestel lt worden .
Die Abbildung zeigt Schichte n l i n ie n , die d u rc h Auswertung eines Fluges vom Jah re
1969
gewonnen wurd e n . Die Staatsg ren ze, aus dem österr.-ital.Doku ment „Grenzkarte" vom Jah re
1923
übern o m m en , ist stric h p u n ktiert eingezeichnet. I m Bereich des Sattelpu n ktes weicht d ie Wasserscheide des Jahres1969,
sie ist strichliert dargestellt, u m etwa100
m von d e r Wasserscheide des Jah res
1923
ab. Sie h at sich gegen Österreich verlagert. Die Fläche zwischen diesen beiden Wasserscheiden ist etwa50 000
m2 g roß.Aufschlußreich sind auch die Höh e n koten des Satte l p u n ktes vom Jah re
1923
und von etwa
50
Jah re später. I n der G renzkarte vom Ja h re1923
ist für diesen Punkt eine Höhe von3346
m ausgewiesen . In e i n e r Karte1 : 25 000
des lstituto Geografico Militare in Florenz, Ausgabe Mai1972,
hat d ieser Sattelpun kt eine Höhe von
3338
m. Dem nach wären von der dort lag ernden G letschermasse
8
Höhen m eter abgeschmolzen . E i n Verg leich d e r Koten von anderen Bergspitzen dieses Gebietes· in den vo rerwäh nten beiden Karten ergibt n u r m i n imale Abweich u ng e n . Demnach kann angeno m m e n werden, daß d ie Höhenangaben der beiden Karten i m g leichen Bezugssystem sind.Auch die Schichten liniendarste l l u n g nach dem F l u g vo m Jah re
1969
bringt für den Sattelpunkt eine Höhe von etwa3340
m .Nach beg ründeten Verm utungen g ibt es a n der Staatsg renze noch weitere Strecken, an denen sich auf G l etschern d ie Wasserscheide verlagert hat. F ü r jene, d ie sich auf das Völkerrecht - wel c h es eine labile G renze n u r in Gewässern ken n t - stützen, h at aber trotz allem d i e Staatsg renze dort zu verlaufen, wo sie als Wasserscheide im Jah re
1923
festgelegt w u rd e . Diese Wasserscheide ist heute in der Natur n icht erke n n bar u n d a u c h n ic ht vermarkbar. Sichtbar ist n u r die derzeitige Wasserscheide. Es wäre d aher wid ersin n i g , wen n man im Bereich des S i m i l a u njoc h s und vielleicht an wenigen anderen Stellen von der jeweiligen Wasserscheide abweichen würde. Eine allgemeine Unklarheit und Unsicherh eit ü ber den Verlauf der Staatsgrenze wäre die Folge. Der Vorteil des stä n d igen eindeutigen E rken
nens der natürlichen Staatsgrenzlinie g i n g e verlo ren .
Die Staatsgrenze m u ß aber i m m er g u t erke n n bar sei n . Des h a l b ist seiner
zeit zweifellos bei der Festlegu ng des Verlaufes der Staatsgrenze in den Fels-, Schnee- u n d Gletscherregionen eine Naturg renze - die i m m e r g u t sichtbare Wasserscheide - gewählt word e n . Wen n auch das Völkerrecht e i n e labile Wasserscheide als Staatsg renzlinie n icht ken nt, so ist es doch mög l i c h u n d nach dem Völkerrecht zulässig, d a ß in dieser R e g i o n der jeweilige Verlauf d e r Wasserscheide a l s Staatsgrenze v o n den beiden Nachbarstaaten vertraglich festgelegt wird .