Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 493. Dezember 2004 AA3293
S E I T E E I N S
D
ie Europäische Kommission beab- sichtigt nicht, bei der Forschungsfi- nanzierung eine Stichtagsregelung für die Forschung mit humanen embryo- nalen Stammzellen einzuführen. Dies ließ Richard Escritt, Forschungsdirek- tor innerhalb der EU-Kommission, jüngst bei einer Befragung durch den Forschungsausschuss des Deutschen Bundestages verlauten. Damit steht fest: Die Debatte um die Finanzierung der Embryonenforschung aus dem europäischen Haushalt wird bei der jetzt anstehenden Planung des 7. Forschungsrahmenprogramms eine Neuauflage erhalten.Gestritten wird um diese Frage be- reits seit Jahren. Mehrere Konsens- gespräche, die unter anderem auch die Einführung eines Stichtages vorsa- hen, scheiterten. Im laufenden 6. For- schungsrahmenprogramm der EU ist
deshalb nicht geregelt, welche Form von Stammzellforschung unterstützt werden soll. Lediglich die Herstellung von Embryonen zu Forschungs- zwecken ist bis 2006 verboten. Damit besteht die Gefahr, dass Vorhaben ge- fördert werden, die in Deutschland bei Strafe verboten sind.
Auch nach der EU-Erweiterung hat sich die Machtkonstellation zwischen EU-Kommission und den EU-Mitgliedstaaten wenig geän- dert. Einer aktuellen Studie der Kommission zufolge verfügen weder Befürworter noch Gegner der Stammzellnutzung über die erforder- liche Mehrheit im Rat der Europäi- schen Union. Beide Seiten können jedoch mit einer Sperrminorität das andere Lager blockieren. Das Patt würde erneut zu Rechtsunsicherheit führen. Denn der vom neuen For-
schungskommissar Janez Potocnik abgelöste Philippe Busquin hatte angekündigt, die Gewinnung neuer Stammzelllinien erst zu fördern, wenn sich der Rat geeinigt habe.
Auch in Deutschland bleiben die Ansichten über die Förderung der Stammzellforschung unterschiedlich.
„Es darf keine Blockadeversuche eu- ropäischer Stammzellforschung durch deutsche Sonderregelungen geben“, sagt Ulrike Flach, FDP. Regierungs- koalition und die Union setzen sich dagegen für den (vorläufigen) Erhalt der Stichtagsregelung und ihre Er- weiterung auf Europa ein. Dies ist nachzuvollziehen. In der Tat sollten Projekte, die den ethischen Grund- werten vieler Mitgliedstaaten wider- sprechen, nicht durch deren Bei- träge zur EU-Forschung finanziert werden. Dr. med. Eva A. Richter-Kuhlmann
Stammzellforschung
Patt in Europa D
ie Bundeszahnärztekammer(BZÄK) hat ein Urteil des Bun- desverfassungsgerichts (Az.: BvR 1437/02) gelobt, mit dem eine Ab- rechnung über den 3,5fachen Satz der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) hinaus in Einzelfällen für zulässig erklärt wurde. „Wir freuen uns über die Stärkung des Aspekts der zahnärztlichen Freiberuflich- keit“, erklärte BZÄK-Präsident Dr.
Jürgen Weitkamp. Damit würden
„die überzogenen Anforderungen einer Vielzahl von Gerichten an Honorarvereinbarungen“ ausgeräumt.
Geklagt hatte ein Zahnarzt gegen ein Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm. Ende der 90er-Jahre hatte er einer Patientin für einzelne Leistungen zwischen dem 3,9- und 8,2fachen des GOZ-Mindestsatzes berechnet. Vor dem Bundesver- fassungsgericht wies der Zahnarzt
darauf hin, dass er „weit überdurch- schnittliche Qualität mit entspre- chendem Praxis- und Zeitaufwand“
erbringe. Wegen der Rechnung klag- te seine Patientin mit der Begrün- dung, er habe nur den 2,3fachen Satz abrechnen dürfen.
Vor dem OLG ging es sehr detail- liert darum, wie eine schriftliche Ver- einbarung verfasst sein muss, damit sie als Individualabrede gilt und eine abweichende Vergütung zulässig ist.
Das OLG verlangte unter anderem den Nachweis über ein echtes Aus- handeln der Gebührensätze, und zwar vor Zeugen. Das Bundesver- fassungsgericht bewertete dies als überzogen und kaum noch durch Gerichte überprüfbar. Solche Auf- lagen schränkten die Berufsaus- übungsfreiheit eines Zahnarztes ein, die auch das Preisbestimmungsrecht umfasse.
Der vorgelegte Vertrag war nach Auffassung der Karlsruher Richter eine (zulässige) Individualabrede.
Denn er enthielt auf Grundlage eines persönlichen Heil- und Kostenplans in einem vorformulierten Text die zwei für die Patientin wesentlichen Angaben: die individuelle Leistung durch die Gebührennummer und einen vorher nicht abstrakt defi- nierten Gebührensatz, also den Preis.
Patienten könnten einen anderen Zahnarzt wählen, wenn ihnen eine Behandlung zu teuer sei, betonte das Gericht. Und: „Die Gebühren- ordnung geht von einem mittleren Standard bei der Leistungsqualität aus. Soweit Leistungen von außer- gewöhnlicher Qualität in Anspruch genommen werden, besteht kein schützenswertes Interesse daran, die- se nur in dem vorgegebenen Rah- men zu vergüten.“ Sabine Rieser