sind freilich Phänomene, die nur durch Introspektion zugänglich sind. Eine De- pression zum Beispiel kann man von außen (verhaltensorientiert) als Erlah- men von Aktivität, Hemmung zentri- fugaler Funktionen und anderem be- trachten. Von innen, von der Erlebnis- seite her, als Hoffnungslosigkeit. Beide Wege sind legitim und müssen gegan- gen werden; die Psychotherapie benutzt vorwiegend den zweiten. Deshalb ist sie auch so gut geeignet, nach Resten von Hoffnung und nach Möglichkeiten im Patienten und für den Patienten zu suchen, nach Hoffnung, wie sie im Gedicht einer 17-jährigen Patientin mit Anorexia nervosa zum Ausdruck kommt, das auch diesen Titel trägt:
Hoffnung, Anfang.
Dunkel und Einsamkeit
und nur vor dem Fenster die Sonne.
Unerreichbar, denn den Weg hinaus kann ich allein nicht finden.
Doch jetzt arbeite ich; baue Brücken und Leitern und finde zu mir und zu anderen Menschen.
Immer mehr Sonne kann mich erreichen.
Irgendwann werde ich draußen stehen direkt unter der Sonne
und unter den Sternen.
Dann hoffe ich
immer weiter zu bauen auf mich.
Und das Ende meiner Grenzen einfach zu überschreiten.
❚Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2005; 102: A 1794–1798 [Heft 25]
Literatur
1. Bloch E: Das Prinzip Hoffnung. Band 1–3, Suhrkamp, Frankfurt, 1959.
2. Janz HW: Zur Problematik der Hoffnung in der Psycho- therapie. Zeitschrift für Psychotherapie und medizini- sche Psychologie1968; 18: 121 ff.
3. Kanner L: Child Psychiatry. 4. Edition. Springfield/Illi- nois: C.C. Thomas Publisher 1972.
4. Remschmidt H: Progression und Regression. Ernst Bloch und die Tiefenpsychologie. Wege zum Men- schen, 1970; 10/11: 386–401.
5. Schmidtke A, Häfner H: Die Vermittlung von Selbst- mordmotivation und Selbstmordhandlung durch fikti- ve Modelle. Die Folgen der Fernsehserie „Tod eines Schülers“. Nervenarzt 1986; 57: 502–510.
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. med. Dr. phil. Helmut Remschmidt Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Philipps-Universität Marburg
Hans-Sachs-Straße 6 35039 Marburg
E-Mail: remschm@med.uni-marburg.de
T H E M E N D E R Z E I T
A
A1798 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 25⏐⏐24. Juni 2005
D
ie Frauenrechtsorganisation me- dica mondiale e.V. appelliert an Ärzte und Psychotherapeuten, bei der Diagnose von Frauen über 60 Jahre immer auch in biografischen Zusammen- hängen zu denken. Bei der Fachdiskus- sion mit dem Titel „Zeit zu sprechen – 60 Jahre nach Ende des Zweiten Welt- krieges: Sexualisierte Gewalt als Kiegs- erfahrung von Frauen damals und heu- te“, die medica mondiale zusammen mit der Friedrich-Ebert-Stiftung Anfang Juni in Bonn veranstaltete, wurde auf das Schicksal der vielen Frauen und Mädchen aufmerksam gemacht, die während des Zweiten Weltkrieges und unmittelbar danach Vergewaltigungen und anderen Formen sexualisierter Ge- walt ausgesetzt waren.Die Gynäkologin Dr. med. Monika Hauser, Gründerin und Geschäftsfüh- rerin von medica mondiale (siehe auch
„Dem Wahnsinn etwas entgegenset- zen“, DÄ, Heft 31–32/2003) kritisierte, dass es immer noch zu wenig Bewusst- sein bei Ärzten und Fachpersonal gebe über die Zusammenhänge von sexuali- sierter Kriegsgewalt, traumatischen Er- fahrungen und deren psychischen und somatischen Folgen.
Die Altenpflegerin Monika Böhmer forderte für ältere Frauen, die sexuali- sierte Gewalt erleiden mussten, „frau- en- und traumaorientierte Diagnostik, Pflege und Behandlung, um sie vor Re- traumatisierungen zu schützen“. Da die erlittene Gewalt meist nicht be- kannt sei und die betroffenen Frauen nicht darüber redeten, sei es vor allem wichtig, Symptome und Verhaltens- weisen immer zunächst als Reaktion auf bestimmte Maßnahmen, zum Bei- spiel das Anbringen eines Katheters, zu hinterfragen. „Den Frauen darf nicht mit voreiligen Diagnosen und
Medikamentengaben noch mehr Scha- den zugefügt werden“, so Böhmer.
Deshalb müsse das Thema sowohl in die Altenpflegeausbildung als auch in medizinische Curricula aufgenommen werden.
medica mondiale will mit ihrem Engagement für kriegstraumatisierte Frauen damals und heute in Bosnien- Herzegowina, Kosovo, Albanien, Af- ghanistan und Irak auch dazu beitra- gen, das Schweigen der Gesellschaft aufzubrechen. Nach dem Zweiten Welt- krieg hätten die betroffenen Frauen und Mädchen aus Scham und wegen des gesellschaftlichen Drucks jahrzehn- telang geschwiegen – mit zum Teil schwerwiegenden Folgen für ihre psy- chische Gesundheit.
Traumatisierungen brechen oft jetzt erst auf
Die Filmemacherin Helke Sander, die mit ihrem Film „Befreier und Befreite“
1992 ein beeindruckendes Dokument der nach dem Zweiten Weltkrieg erlit- tenen Gewalt an deutschen Frauen ver- öffentlichte, erfuhr bei ihren Interviews mit Zeitzeuginnen von zahlreichen Selbstmorden vergewaltigter Frauen – vor allem vermutlich aufgrund der ge- sellschaftlichen „Schmähung“, die die Betroffenen nicht ertragen konnten.
Bei vielen Überlebenden brechen die Traumatisierungen erst jetzt auf, wie auch die aktuelle Debatte über die
„Generation der Kriegskinder“ ver- deutlicht (siehe DÄ, Heft 17/2005).Vor- aussetzung für die individuelle Aufar- beitung des Erlittenen ist jedoch der ge- sellschaftliche Diskurs, der eine kollek- tive Aufarbeitung ermöglichen kann.
Dazu will medica mondiale beitragen.
Umso bedauerlicher ist, dass Männer für das spezifische Leid der Frauen we- nig Interesse zeigten: Bei der Veranstal- tung in Bonn saßen drei Männer im Pu-
blikum. Petra Bühring
Literatur
Böhmer, Monika: Erfahrungen sexualisierter Gewalt in der Lebensgeschichte alter Frauen. Ansätze für eine frauen- orientierte Altenarbeit. Frankfurt: Mabuse Verlag 2002.
medica mondiale e.V. (Hrsg.): Sexualisierte Kriegsgewalt und ihre Folgen. Handbuch zur Unterstützung traumati- sierter Frauen in verschiedenen Arbeitsfeldern. Frankfurt:
Mabuse Verlag 2004.
www.medicamondiale.org.