• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Sexualisierte Gewalt: Wie der Verdacht auf „K.-o.-Tropfen“ bewiesen werden kann" (15.02.2008)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Sexualisierte Gewalt: Wie der Verdacht auf „K.-o.-Tropfen“ bewiesen werden kann" (15.02.2008)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A318 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 715. Februar 2008

M E D I Z I N R E P O R T

E

s werden in Deutschland im- mer wieder Fälle von Frauen und Mädchen bekannt, bei denen der Verdacht besteht, dass sexuelle Übergriffe unter der Gabe von so- genannten K.-o.-Tropfen stattge- funden haben. So berichtete eine junge Frau der Beratungsstelle des

„Aachener Notrufs für vergewal- tigte Frauen und Mädchen“, dass ihr bei einem Kneipenbesuch plötzlich sehr übel geworden sei und sie Schwindelgefühle empfun- den habe, obwohl sie kaum Alko- hol getrunken hatte. Ein fremder Mann, der an der Theke neben ihr gestanden hatte, habe sie fürsorg- lich an die frische Luft begleitet.

Stunden später sei sie in ihrer eige- nen Wohnung aufgewacht – unver- letzt, aber mit dem sicheren Ge- fühl, Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Sie könne sich an nichts erinnern (Blackout), auch nicht daran, wie sie nach Hause gekom- men sei.

Als K.-o.-Tropfen kommt eine Vielzahl von Substanzen in Betracht, darunter hochwirksame Psychophar- maka (Barbiturate, Benzodiazepine) oder g-Hydroxybuttersäure (GHB, auch Liquid Ecstasy genannt). Die Wirkung der Substanzen ist unter anderem dosisabhängig; so wirkt GHB in niedriger Dosierung ent- spannend; es kann ein gesteigertes Kontaktbedürfnis auftreten, auch ei- ne sexuelle Stimulierung oder Po- tenzförderung wird beschrieben.

Die Wirkungsweise der Substanzen ist dosisabhängig

Mit steigender Dosis wirkt GHB zu- nehmend berauschend, und es kann ein komaähnlicher Zustand eintre- ten. Zusätzlich wird über Übelkeit, Brechreiz, Wahrnehmungsstörungen, Benommenheit, ein Zustand wie „in Watte gepackt“, „willenlos“ und

„bewegungsunfähig“ berichtet. Die Wirkung von K.-o.-Mitteln setzt in kurzer Zeit ein (nach circa 30 Minu-

ten, je nach Substanz) und dauert in Abhängigkeit von Substanz und Dosis meist einige Stunden an. Da- nach ist oft das Erinnerungsver- mögen deutlich eingeschränkt oder nicht vorhanden.

Von besonderer Bedeutung scheint die GHB zu sein – eine farblose, relativ geschmacksneutrale, leicht salzig schmeckende wässrige Flüs- sigkeit –, weil sie unbemerkt in Ge- tränke eingebracht werden kann.

Vor allem in Verbindung mit Alko- hol und anderen Betäubungsmit- teln kann die Substanz fatale Fol- gen haben: Es treten nicht nur Nebenwirkungen wie Übelkeit, Kopf- schmerzen und Erbrechen auf. Atem- beschwerden bis hin zum Atem- stillstand können die lebensgefähr- lichen Folgen sein.

Die Wirkung von GHB beginnt circa 15 Minuten nach der Einnah- me und hält, je nach Dosierung, bis zu drei Stunden an. GHB wird vom Körper innerhalb weniger Stunden (circa acht Stunden) bis unter die Nachweisgrenze abgebaut. Innerhalb dieses knappen Zeitfensters kann es mittels einer spezifischen Analyse im Blut, etwas länger im Urin und unter Umständen auch noch Wo- chen später in den Haaren (dies vor allem bei nicht nur einmaliger Verab- reichung) nachgewiesen werden (1).

Wenn Frauen und Mädchen oder auch Männer unter der Wirkung von K.-o.-Mitteln sexuell missbraucht wurden, sind vor allem die fehlen- den oder sehr lückenhaften Erinne- rungen und oft auch die zum Teil bizarr anmutenden Schilderungen der Betroffenen über ihre Wahrneh- mungen und die nicht stimmig er- scheinenden Verhaltensbeobachtun- gen Dritter ein großes Problem.

Dies führt dazu, dass sich die Täter sehr sicher fühlen und eine

SEXUALISIERTE GEWALT

Wie der Verdacht auf „K.-o.-Tropfen“

bewiesen werden kann

Psychopharmaka und Liquid Ecstasy werden offenbar zunehmend häufig

als K.-o.-Tropfen angewandt. Der Aachener Frauennotruf hat eine Präventionskampagne gestartet und bietet eine Beratung und Notfallversorgung an.

Foto:Caro

In einem unbeob- achteten Moment werden manchen Frauen K.-o.- Tropfen ins Getränk gemischt. 15 bis 30 Minuten später setzen Bewusst- seinsveränderungen ein, die Männern den sexuellen Miss- brauch erleichtern.

(2)

A320 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 715. Februar 2008

M E D I Z I N R E P O R T

strafrechtliche Verfolgung kaum fürchten müssen. Sind den Opfern die Täter bekannt, behaupten diese nicht selten, dass die sexuellen Handlungen mit Einwilligung statt- gefunden hätten. Vorgetragene Be- schwerden werden dann oft auf ei- nen Alkoholkonsum zurückgeführt.

Fazit für die klinische Arbeit

Nicht immer liegt der Verdacht auf Intoxikation durch K.-o.-Tropfen sofort nahe. Oft werden betroffene Personen anscheinend als „einfach alkoholisiert“ oder „unter anderen Drogen stehend“ eingeliefert.

Vor allem, wenn die klinisch ob- jektivierte Alkoholisierung in kei- nem Verhältnis zum Grad der Be- wusstseinsstörung beziehungsweise zum gesamten Beschwerdebild passt, sollte auch an K.-o.-Mittel gedacht werden. Für einen GHB- Nachweis ist dann Eile geboten, eine separate Blut- und Urinprobe für eine spezifische toxikologische

Analyse sollte daher in allen Ver- dachtsfällen umgehend gesichert und zumindest adäquat gelagert werden, um bei Bedarf die so ge- wonnene Probe analysieren lassen zu können.

Ein in Kliniklaboren angebotenes Drogenscreening ist nicht geeignet, eine Intoxikation mit K.-o.-Mitteln auszuschließen, da zur sicheren Er- fassung der möglichen Substanzen (speziell GHB) hochspezifische Analyseverfahren eingesetzt werden müssen. Die genannten Punkte zur Anamnese (auch durch eine Begleit- person) können zur Eingrenzung des Verdachts weiterhelfen (Kasten) (2).

Da nicht jedes Labor alle als K.-o.-Mittel denkbaren Substanzen, speziell GHB, nachweisen kann, ist es sinnvoll, das Material zum Bei- spiel nach telefonischer Kontaktauf- nahme an ein Institut für Rechtsme- dizin zu schicken.

Wurde eine Anzeige erstattet und erfolgt die Untersuchung auf An-

weisung der Polizei oder Staatsan- waltschaft, dann werden die Kosten für die toxikologische Analyse von der Ermittlungsbehörde getragen.

Müssen die Kosten selbst über- nommen werden, kostet eine solche Untersuchung bis zu einigen Hun- dert Euro.

Modellprojekte zur anonymen Sicherung von Beweismaterial

Im Bereich der Polizeipräsidien Aachen und Bonn besteht die Mög- lichkeit, die Proben auch ohne vor- herige Strafanzeige anonym sichern zu lassen. Die dabei entstehenden Kosten werden in diesen Modell- projekten übernommen. Damit kann das Material in einem späteren Prozess als Beweismittel aufge- nommen werden. Über die genaue Verfahrensweise bei anonymer Spu- rensicherung geben der Notruf für vergewaltigte Frauen und Mäd- chen sowie die Polizei in Aachen Auskunft.

Treten Fragen zur Asservierung oder Analytik auf, ist es sinnvoll, bei einem Institut für Rechtsmedizin nachzufragen. Eine Liste der deut- schen Institute gibt es im Internet unter www.dgrm.de.

Ausführliche Informationen über die Präventionskampagne gegen K.-o.-Mittel und sexuelle Gewalt sowie Beratung und Begleitung für betroffene Frauen und Mädchen ab 15 Jahren, für ihre Bezugspersonen, Partner, Angehörige sowie für Fach- kräfte verschiedener Berufsfelder, bietet der Aachener Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen e.V. Kontakt per E-Mail: info@

frauennotruf-aachen.de, Internet:

www.frauennotruf-aachen.de. I Dr. med. Barbara Luck,Universitätsklinikum Aachen und Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen Aachen e.V.

Dipl.-Soz.-Arb. Leonie Afflerbach,Med.

Zentrum Kreis Aachen und Notruf für vergewaltig- te Frauen und Mädchen Aachen e.V.

Priv.-Doz. Dr. med. Hildegard Graß,Institut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Düsseldorf

LITERATUR

1. Merkblatt GHB – LKA – NRW, Dezember 2003.

2. Le Beau MA, Andollo W, Hearn WL et al.:

Recommendations for toxicological investi- gations of drug-facilitated sexual assault.

J Forensic Sci 1999; 44(1): 227–30.

VORGEHENSWEISE BEI VERDACHTSFÄLLEN

Anamneseerhebung

>Wissentliche Einnahme von Alkohol, Medikamenten, Drogen?

Wenn ja: Zeitpunkt und Dosis?

>Wahrnehmung von verändertem Geschmack eines Getränks?

>Getränk oder Lebensmittel angeboten bekommen?

>Getränk unbeaufsichtigt gelassen?

>Plötzliche Zustandsänderung?

>Dämmerzustand („wie in Watte gehüllt“)?

>Gefühle der Willenlosigkeit und Reglosigkeit?

>Psychovegetative Auffälligkeiten?

>Erinnerungsstörung?

>Im Nachgang Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Herzbeschwerden, Muskelschwäche?

>Verzögerte Vorstellung beim Arzt oder Meldung bei der Polizei?

>Geringe oder fehlende Verletzungen allgemein oder genital/rektal?

>Unter Umständen Abklärung eines SSADH(Succinatsemialdehyd-Dehydrogenase)-Defekts, Frage nach Einnahme von Valproinsäure, auch Frage nach Genuss von reifen Guaven bei unklaren GHB-Befunden

Körperliche, inklusive gynäkologische Untersuchung

>Detaillierte und sorgfältige Dokumentation von Verletzungen, insbesondere auch Bagatellverletzungen (siehe Med-Doc-Card®) Auch das Fehlen von Verletzungen ist als Negativbefund festzuhalten.

>Sicherung von möglichen DNA-Spuren

>Sicherung von Proben für eine toxikologische Analyse:

–Blutprobe, mindestens 2 ml, besser 10 ml, ohne Citratzusatz

–Urinprobe, circa 100 ml. Diese Proben bei Bedarf im Kühlschrank lagern oder einfrieren –Unter Umständen auch eine Haarprobe nehmen, Haaransatz mit einem Faden markieren,

ideal sind circa 200–300 mg Haare, Kopfhaar oder auch Schamhaar, gegebenenfalls zweite Haarprobe nach drei bis vier Wochen.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

„ persons who have been subjected to right-wing extremist, racist, anti-Semitic, anti-Muslim or antiziganist violence,. „ relatives and friends of

Da gibt es die Trainer, die noch eher so ein sehr stark hierarchischen Trainingsstil ausüben, mit sehr rigiden Vorgaben, mit auch zum Teil manipulativen Techniken, da werden

Der unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindermissbrauchs definiert sexualisierte Gewalt an Kindern als „[…] jede sexuelle Handlung, die an oder vor Mädchen und

Unerlaubt erstellte Bilder in Wohnungen (hierunter fallen z. auch Hotelzimmer) oder einem gegen Einblick besonders geschützten Raum (z. eine Umkleidekabine), die

Wir sind wegen Förderung der öffentlichen Gesundheitspflege, Wir sind wegen Förderung der öffentlichen Gesundheitspflege, der Jugend- und Altenhilfe, der Erziehung, der Volks-

Sich von diesen heldenhaften Erzählungen etwas zu distanzieren und darauf vorzuberei- ten, dass Feldforschung nicht immer ein Abenteuer ist, Interviewpartnerinnen und -part- ner

Ort Name der Einrichtung Beratungsstelle für von Frauen- und Notruf Beratungsstelle für von Beratungs- und Gewalt betroffene Kinder- Menschenhandel, Zwangs- Anlaufstelle für

Verhütung und Bekämpfung von Gewalt Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“. Von Italien ratifiziert