A 1434 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 27–28|
9. Juli 2012Das Leser-Forum
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KR A NKENHÄ U SER
Das Versagen der Gesundheitspolitik am Beispiel der Krankenhäuser (DÄ 21/2012: „Pauscha- le Verdächtigungen statt nachhaltiger Lösungen“ von Rüdiger Strehl).
Wem Innovationen nutzen
Ich kann Herrn Strehl in (fast) allen Punkten seiner Analyse recht geben und mehr als danken für seine Prä - gnanz. Mein „fast“ betrifft die Inno- vationen. Diese sind in der Regel eben vom medizinisch-technischen oder pharmazeutischen Bereich ent- wickelt, gerne auch mit ärztlicher Kooperation in einer Frühphase, und sollen vor allem eines: Geld in die Kassen der Entwickler spülen.
Damit dienen diese Innovationen – honi soit qui mal y pense – auch in erster Linie der Industrie, nicht ver- werflich, deren ureigenstes Interes- se es ist, „Einheiten“ zu verkaufen.
Hier gilt auch der Satz, what sells that counts. Nutzen kann es brin- gen, schädigen soll es eben nicht.
Dann dienen Innovationen den
„evaluierenden“ Ärzten, in der Mehrzahl an Großkliniken und Uni- klinika, denn damit lassen sich, na- türlich industriell-drittfinanziert, Studien betreiben, Workshops ein- richten, Kongresse besuchen, Hands-on-Seminare betreiben, letzt- lich Publikationen und Punkte für sich einholen, die es für die Karrie- re braucht. Auch nicht verwerflich, solange alles seine Grenzen und Transparenz hat. Und zuletzt ist da auch mal der Patient, dem als Laien gar nicht immer so klar werden dürfte, trotz ethikkommissoraler Auflagen, um was es bei den Inno-
vationseinsätzen letztlich geht. Der will nur Hilfe. Insofern ist das Miss- trauen von Kostenträgern, aber auch von manchen Politikern zu verste- hen, die diese Problematik auch se- hen, wenngleich leider amateurhaft darauf reagieren. Da hat Herr Strehl wieder vollkommen recht. Hier fehlt eine universitäre Struktur zur rationalen Innovationsanalyse, und es kann auch nicht im MedTech-Be- reich nur mit Einzelprüfungen nach Projektauftrag abgehen, wie er rich- tig bemängelt. Nirgendwo sonst be- kommt man wahrscheinlich in der ersten Welt Innovationen leichter als hier auf den Markt, und natür- lich auch dann mal erstattet. Ein pri-
ma Beispiel sind die perkutanen Herzklappen, die TAVIs. So ein Ge- schüttele wie in den USA mit Aufla- gen zur Durchführung einer subtilen Studie „Partner A und B“, offen ausgetragenen Diskussionen inner- halb der Herzchirurgen und der Kar- diologen, dann die FDA-Zulassung, begrenzt natürlich, noch immer kein volles Reimbursement, erst im Juni 2012 weitere Entscheidung dazu an- stehend . . . da kann man hier nur la- chen, wo sich bereits, wie jedes Kinderspielzeug aus China zumin- dest mit CE-Zeichen versehen, si- cher fünf bis sechs Anbieter auf dem Markt umtreiben . . .
Prof. Dr. med. Ulrich Hake, 55130 Mainz D
G a K 2 l s Lösungen“von Rüdi
STERBEHILFE
Es ist fraglich, ob das geplante Verbot der „gewerbsmäßi- gen Sterbehilfe“
ausreicht (DÄ 16/
2012: „Organisierte Sterbehilfe: Uner- träglicher Zustand“ von Gisela Klink- hammer).
Keine leichten Antworten
Mich beschleicht ein Unbehagen, wenn ich im Zusammenhang mit der Kritik an der Sterbehilfe lese:
„ . . . dass es sich in der Mehrzahl nicht um todkranke, sondern um de- pressive und andere psychisch labi- le Menschen handelte, denen mut- maßlich zu helfen gewesen wäre.“
Können wir neben der strikten Ab- lehnung der Sterbehilfe für diesen Personenkreis ein funktionierendes Netz anbieten, das den „labilen Zu- ständen“ Abhilfe schafft? Jeder ak- tiv tätige Arzt kennt Personen, für
die eine Verstrickung von früh ver- ursachten emotionalen Schäden, Gewalterfahrungen, sozialen Span- nungen, Suchtkrankheit und sonsti- ger Deprivation trotz aller Bemü- hungen in eine Sackgasse geführt hat. Ich wundere mich über die Hy- bris, die zur Aussage führt, da muss nur die richtige Tablette oder die richtige Fachperson zur Wirkung kommen, dann kann jedes Problem gelöst werden.
Manche Individuen kämpfen sich tapfer Jahrzehnte durch ein für sie nur schwer erträgliches Leben.
Können wir Menschen vorschrei- ben, was sie ertragen müssen? Ster- ben an einer körperlichen Erkran- kung darf erleichtert werden. Seeli- sche Qualen müssen ausgehalten werden?
Die Sterbehilfe in der Hand des Arztes ist ein gefährliches Werk- zeug. Dogmatische Haltungen ange- sichts hochgradig individueller Pro- blemstellungen sind allerdings ebenfalls das falsche Instrument, um
S
E d d g a 2 S träglicher Zustand“v
B R I E F E
Leiden zu lindern. Es gibt für den verantwortungsbewussten Arzt kei- ne leichte Lösung. Wir sind meiner Meinung nach gehalten, an gesell- schaftlichen Bedingungen für ein freundliches Leben zu arbeiten, aber auch weiter um die beste Lösung für jeden sich uns anvertrauenden Men- schen zu ringen, und zwar mit al- lem, was uns zur Verfügung steht.
Dr. med. Barbara Khanavkar, Altmark-Klinikum, Krankenhaus Salzwedel, 29410 Salzwedel
Geschützte Privatsphäre
Die kategorische Verurteilung der Sterbehilfe im DÄ ist in der Tat ein
„unerträglicher Zustand“. Trotz dif- ferenzierten möglichen Wissens wird die Tatsache unterdrückt, dass es in Deutschland, wie in benach- barten Staaten auch, bezüglich ihres Lebensendes sehr ernstzunehmen- de, selbstbestimmungs-selbstbe- wusste Menschen gibt. Sie wollen
ihren nüchtern gesehenen weiteren Krankheits- oder Leidensverlauf oder altersbedingt zu erwartende Einschränkungen ausdrücklich und entschieden nicht auf sich nehmen.
Es sind bemerkenswert offen ernst- hafte, in der Begegnung beeindru- ckend authentische Persönlichkei- ten in ihrem Leiden wie in ihrem Realismus. Gezielt suchen sie nach der Möglichkeit einer begleiteten und sicheren Durchführung einer Lebensbeendigung. Wohin sollen diese Menschen sich wenden? Ärz- ten ist die nach dem Strafrecht zu- gelassene Beihilfe zu einem Suizid berufsrechtlich verboten . . . Außerdem ist die Ahnungslosigkeit der Ärzte so groß, dass sie sich hin- ter der berufsrechtlichen Strafbar- keit auch verstecken. Schließlich:
Von den um Beihilfe nachfragen- den, bisher von mir eingehend un- tersuchten Menschen haben vier Prozent ihren Arzt mit dem Thema
verschonen wollen, fünf Prozent ih- ren Arzt aus Angst vor einer Zwangseinweisung in die Psychia- trie und 55 Prozent ihn in dem Wis- sen um seine Ablehnung hintergan- gen. Nur 23 Prozent haben mit ih- rem behandelnden Arzt das Thema überhaupt angesprochen, nur fünf Prozent der Ärzte waren bereit, we- nigstens eine Diagnose oder einen knappen Krankheitsbericht weiter- zugeben – das ist das Resultat der ärztlichen Politik . . .
An den von Ihnen als zu kritisieren- den herausgegriffenen, im Weiß- buch 2012 beschriebenen Patienten C. erinnere ich mich persönlich noch sehr gut. Alle dort niederge- legten Formulierungen sind Aus- druck meiner persönlichen Betrof- fenheit über dieses Schicksal und meine ernsthafte fachliche und menschliche Überzeugung. Im Weißbuch ist dokumentiert, dass Pa- tient C. zumindest zwölf Jahre (tat-